Max Adler

Kausalität und Teleologie

* * *

XIII. „Sollen“ oder „Müssen“ als
Charakter der Denknotwendigkeit


In den Mittelpunkt der Erörterung tritt nun eine Frage, die aufzuwerfen wir uns nicht scheuen dürfen, wie sehr auch die Kunststücke alter und neuer Sophisten sie in Verruf gebracht haben mögen, um die schliesslich auch heute noch das Leben in seinen ernstesten Stunden sich bewegt und stets bewegen wird, die alte Pilatusfrage: „Was ist Wahrheit?“ Die Klage ist alt in der Philosophie, welche grosse Verwirrung, ja endlose Unklarheit die Zweideutigkeit der in ihr zur Verwendung gelangenden Begriffe verschuldet habe, und wie auf diese Weise eben das, was ihr unentbehrlichstes Mittel zur widerspruchslosen Ausgestaltung ihrer Erkenntnis sein sollte, nur zu oft dazu gedient hat, sie in lächerliche Widersprüche zu verstricken und einen grossen Teil ihrer Kraft für die traurige Penelopearbeit zu vergeuden, das so entstandene Gewebe von Irrtum und Missverstand immer aufs neue wieder aufzutrennen. An einer berühmten Stelle bei David Hume drängt sich diese betrübende Einsicht dem Philosophen mit bitteren Worten auf die Zunge, wenn er sagt: „Man sollte billig erwarten, dass in Fragen, welche seit dem Bestehen der Wissenschaften und Philosophie mit Eifer erwogen und verhandelt worden sind, wenigstens über den Sinn der Worte unter den Streitenden Uebereinstimmung herrschen, und dass die Anstrengungen von 2.000 Jahren wenigstens ermöglicht hätten, von den Worten zu dem wirklichen und wahren Streitgegenstand überzugehen ... Tritt man indes der Sache näher, so ergibt sich das Entgegengesetzte.“ [1] Als einen solchen zweideutigen Begriff bezeichnet Hume dort den der Willensfreiheit. Wir selbst hatten schon Gelegenheit, dieselbe Schädlichkeit der Aequivokation bei dem Begriff der Wissenschaft zu beobachten und werden noch anderen derartigen Begriffen begegnen. Auch die Frage nach dem Wesen der Wahrheit ist wie alle Grübelfragen diesem verderblichsten Geschick Jeglicher nach Klarheit strebenden Untersuchung verfallen, dass sich in einem Wort zwei verschiedene Dinge bezeichnet finden, womit denn auch von jeher die Relativisten, Skeptiker und logischen Nihilisten ihr mehr oder minder feines und mehr oder minder bewusstes Spiel zu treiben vermochten. Während aber sonst die Duplizität des Begriffsinhaltes in vielen anderen Streitfällen doch bereits den Kundigen hinlänglich bekannt ist, ohne dass sie freilich zu verhindern vermöchten, dass die Unkundigen sie zur Anrichtung stets neuer Verwirrung benutzten, so scheint hier die Sache nicht ebenso günstig zu liegen. Und dies ist in der Tat etwas befremdend, weil die zu immer grösserer Vollkommen heit sich entwickelnde Methode der kritischen Philosophie Ja geradezu auf der Scheidung dieser beiden Begriffe von Wahrheit beruht.

Wenn ein Urteil irgend einen Satz als wahr ausspricht, so ist zu unterscheiden der Inhalt dieses Satzes, der gewöhnlich als Wahrheit bezeichnet wird, und das eigentümliche logische a priori, durch welches allein dieser Charakter in den Satz einströmt und der gleichfalls als Wahrheit, eventuell als unmittelbare Evidenz, als innere Ueberzeugung, als unerschütterlicher Glaube an die Wahrheit angesprochen wird. Und doch ist ein grosser Unterschied zwischen beiden: das erstere ist stets ein zeitlich Bedingtes, ist eine Wahrheit, die mit der Zeit, in der sie gefunden wurde, entsteht und vergeht, das letztere aber ist eben das, was ermöglicht, dass, wie immer auch der Zeiten Inhalt wechseln mag, doch überhaupt irgend etwas in ihnen als wahr erkannt werden kann. Das eine ist der Zeiten Wahrheit, das andere die zeitlose Wahrheit, und wer daher fragt, was denn die Wahrheit sei, der muss achthaben, wonach er eigentlich fragt. Dass es uns nun ganz und gar auf die zeitlose Wahrheit ankommen wird, ist ohne weiteres klar. Aber weil dieser Unterschied, der so peinlich genau in der Erkenntniskritik gemacht wird, nicht ebenso im Bewusstsein bleibt, sobald es um die inhaltliche Wahrheit selbst geht, wie wir sie im Urteil gewinnen, wird auch nicht unbeachtet bleiben können, was diese inhaltliche, zeitliche Wahrheit sei. Und wir wollen die Antwort gleich vorausstellen, die vielleicht wieder paradox klingen mag, wie es aDen Einsichten der Erkenntnistheorie eigen zu sein scheint, die zuerst stets befremdendes Staunen hervorrufen, so wie ja auch die Menschen staunen, wenn sie in geeignet gestellten Spiegeln sich zum erstenmal zugleich von rückwärts sehen können, obgleich sie nur erblicken, was ihnen angehört vom ersten Tage ihres Seins: die Wahrheit, die fortwährend in aller Munde ist und an welche meistens allein gedacht wird, sobald sich ein Streit über ihr Wesen entspinnt, die inhaltliche Wahrheit im gegenseitigen Meinungsaustausch ist gar kein logischer, sondern ein ethischer und zudem ein historischer Begriff. An ihm wird daher ein Sollen leicht Anknüpfung finden. Was aber in diesem Wahrheitsbegriff theoretische Bedeutung hat, das geht ganz und gar auf jene zeitlose Wahrheit zurück, an welche fast gar nie gedacht wird, wo wir ein Urteil als wahr bezeichnen, und beruht auf einer logischen Notwendigkeit, die nichts gemein hat mit irgend welchem Sollen.

Das nächstbeste Urteil, welches als wahr bezeichnet wird, mag uns darüber Aufschluss geben. Wenn ich, nach dem Augenschein urteilend, den Satz ausspreche – ich wähle absichtlich einen solchen, dessen „Wahrheit“ wissenschaftlich widerlegt ist – „die Sonne bewegt sich von Osten nach Westen um die Erde“, so halte ich, solange ich nichts mehr von dem ganzen Vorgang weiss, als mir der Sinnenschein zeigt, dieses Urteil für zweifellos gewiss. Dabei fühle ich mich aber in keiner Weise zu diesem Urteil anders bestimmt, als dass ich den ganzen Vorgang eben so vor Augen habe. Es ist schon eine nicht mehr völlig zutreffende Charakteristik dieses Erlebnisses, wenn ich sagen würde, der Sinnenschein zwänge mich, so zu urteilen. Es ist freilich ein Müssen, wie wir gleich sehen werden, aber ein Müssen, das hier nur für ein Nicht-anders-Können steht und zu dieser Bezeichnung als Müssen erst in der nachfolgenden Reflexion über den ganzen Vorgang gelangt, da doch nun einmal uns keine anderen Worte und Begriffe als die unserer Sprache zu Gebote stehen. Aber keine noch so angestrengte Reflexion vermöchte in dem das Urteil tragenden Erlebnis nun gar ein Sollen aufzustöbern, welches im Akte des Urteils geböte, so und nicht anders zu urteilen. Solange das urteilende Subjekt mit seinem Urteil für sich dasteht, also noch nicht in Gedankenaustausch mit anderen fremden oder eigenen Urteilen getreten ist, bleibt es geradezu unerfindlich, wie ihm ein Sollen in sein Denken kommen könnte. Denn jedes Sollen hat einen Sinn nur gegenüber einem Anders-Können – (daher auch Kant seine moralische Notwendigkeit nur einen kategorischen Imperativ genannt hat). Das auf sich gestellte urteilende Subjekt aber kann eben, den Sinnenschein vor Augen, nicht anders urteilen, als es getan. So ist es nun auch mit jedem anderen Urteil. Jedes Urteil, das als wahr gilt, ist, – und darin hat die moderne Logik nur einen Grundgedanken der kritischen Philosophie in sich aufgenommen [2], – mehr als eine blosse Vorstellungsverbindung, da es zugleich den Charakter der Notwendigkeit dieser Verbindung enthält und eben nur dadurch als wahr auftritt. Aber diese Notwendigkeit ist nicht eine solche des Sollens, sondern des Nichtanders-denkmögUch-Seins, das heisst des logischen Müssens. Eine andere Verbindung der Urteilselemente gäbe gar keine Regel, nach der das Bewusstseinsmaterial geformt werden könnte, das heisst könnte gar nicht gedacht werden. Es ist unmöglich, dass ich, sobald ich die Sonne sich über den Himmel fortbewegen sehe und darüber urteile, nicht aussagte, dass sie sich bewege, aber nicht, weil ich es in mir als eine Anforderung empfinde, dass ich so denken soll, sondern weil ich den Vorgang durch meine Denkmittel (Raum – Himmel, Ding – Sonne, Zeit – Ortsveränderung) nicht anders denken kann. Die Denknotwendigkeit, welche also den Urteilen den formalen Charakter der Wahrheit verleiht, ist die des So-denken-Müssens.

Hier erhebt nun die teleologische Urteilstheorie einen wichtigen Einwand: dass nämlich der Satz eines noch ganz auf sich gestellten Denkens überhaupt noch gar keinen Charakter der Denknotwendigkeit oder Wahrheitsgewissheit an sich trage, daher eigentlich auch noch gar kein Urteil sei, als welches erst durch die eigentümliche bewusste Beziehung eines Aussageinhaltes auf ein ihn als richtig festhaltendes oder als unrichtig abweisendes Erkennen gegeben erscheint. Denn erst mit einer solchen Anerkennung oder Verwerfung tritt der Charakter der Denknotwendigkeit und damit zugleich der objektiven Gültigkeit des Urteils, also seine Wahrheit, auch im Bewusstsein des Urteilenden hervor. Bis dahin liege, soweit das Verhalten des erkennenden Subjekts bereits über die blosse Vorstellungstätigkeit hinaus zur Verbindung oder Zerlegung derselben geschritten ist, nur eine reine Aussage oder, wie Bergmann dies genannt hat, eine Prädizierung vor.

Es scheint mir jedoch, als ob ein solcher Einwand seine Bedeutung, die ihm heute von einer so grossen Richtung der modernen Logik bereitwillig zugestanden worden ist, doch nur aus der schon gekennzeichneten Unbestimmtheit aufrecht zu erhalten vermag, in welcher der Wahrheitsbegriff innerhalb der teleologischen Urteilstheorie zur Anwendung gelangt. Er ist daher, weit entfernt, diese Theorie zu stützen, vielmehr vortrefflich geeignet, recht anschaulich zu machen, wie sehr sie gerade durch das, was sie in diesem Einwand für ihren eigenen Standpunkt als charakteristisch festzuhalten bestrebt ist, von ihrem logischen Wege abgebracht und in das psychologische Gebiet, ja zuletzt sogar auf ein Feld geführt werde, das überhaupt gar nicht mehr der theoretischen, sondern nur noch der praktischen Betrachtung der Dinge angehört.

Da unsere Ausführungen sich später noch ausführlicher mit dem Charakter der inhaltlichen Wahrheit beschäftigen werden müssen, so sei hier noch einmal an die schon vorher kurz entwickelte Vorwegnahme ihres Resultats erinnert: dass diese inhaltliche Wahrheit durchaus nur als ein praktischsozialer Begriff wird abgehoben werden müssen von dem allein der logischen Sphäre angehörigen formalen Wahrheitsbegriffe und dass er überall nur erst in einem historischen Prozesse, dessen psychologische Mittel eben Anerkennung und Bestreitung sind, als zur Entwicklung und zum Ausdruck gelangend wird aufgezeigt werden können. Das Anerkennen oder Bestreiten eines Aussageinhaltes setzt daher überall den Charakter der formalen Wahrheit voraus, von welcher aus ja erst möglich ist, im sozialen Gedankenaustausch – und dazu gehört vermöge des transzendentalen Charakters der Allgemeingültigkeit in jedem Denken auch der eigene – irgend eine Aussage anzuerkennen oder zu verwerfen. Die teleologische Urteilstheorie gelangt so unversehens dazu, das sicherlich richtig herausgehobene Kriterium der objektiven Gewissheit, durch welches erst über das blosse Vorstellen hinaus ein Urteilen stattfindet, nicht mehr in seiner logischen Gestalt festzuhalten, in welcher es die Geltung des Urteils bedeutet, sondern sich in seine psychologische und sozialhistorische Erscheinungsweise zu verlieren, bei welcher es sich nur mehr um die Art handelt, in welcher diese Geltung im einzelnen Falle zustande kommt und sich behauptet, und wobei dann allerdings wesentlich wird, dass eine solche Geltung des Urteils nur im Anerkennen oder Verwerfen bewusst werden kann. Und dieser erste Schritt abseits vom logischen Wege zieht sofort den nächsten nach sich, mit welchem im Mittelpunkte dieser Urteilstheorie an die Stelle des für sie logisch allein relevanten Charakters der Wahrheit [3] nun der Wille zur Wahrheit tritt, welcher praktisch gewiss von unendlicher Wichtigkeit ist, da es ohne ihn überhaupt keine Wissenschaft und also auch kein Bewusstsein formaler Wahrheit geben könnte, während doch Wissenschaft als theoretischer Begriff auch nicht ein Fäserchen praktischen Wesens in sich enthält.

Dieselbe Konsequenz, welche die teleologische Urteilstheorie so schrittweise von ihrer ersten alogischen Annahme her, dass das Wesen des Urteils in den theoretisch gar nicht bestimmbaren Akten des Anerkennens oder Vorwerfens zu erbücken sei, direkt aus Jedem logischen Bereich herausgeführt hat, treibt sie auch noch weiter fort, nicht nur ihre eigene Grundlage zu sprengen, sondern sich in eine trotz aller Verwahrung metaphysisch anmutenden Transzendenz zu verlieren. Obzwar sie nämlich den richtigen Gesichtspunkt mit Energie herausarbeitet, dass man von Wahrheit nur im Urteil reden könne, weil es doch keinen Sinn habe, von einer Vorstellung, die wir entweder besitzen oder nicht, zu sagen, sie sei wahr oder falsch, so wird sie doch durch ihre Hinwendung auf den praktischen Begriff des Willens zur Wahrheit, der allein ein Anerkennen oder Verwerfen ermöglicht, sofort dazu gedrängt, diese Wahrheit nicht mehr dort zu suchen, wo sie ihrer eigenen Lehre zufolge doch allein gefunden werden kann, im Urteil, sondern in einem offenbar ausserhalb alles Urteilens gelegenen Wahrheitswerte, auf den sich Ja alle Aussagen erst beziehen müssen, um in einer Bejahung oder Verneinung desselben nunmehr zu Urteilen zu werden. Wahrheit ist daher gerade nach der teleologischen Urteilstheorie und im Gegensatz zu einem ihrer lapidaren Grundsätze überhaupt gar nicht mehr im Urteile, sondern strömt in dasselbe ein aus einem transzendenten, in der Tat allen konkreten Urteilen jenseitigen, absoluten Wahrheitswert, der als eine Art theoretisches Daimonion im Bewusstsein jedes einzelnen seinem Erkennen zuspricht oder abmahnt. Auf diese Weise vollendet sich also die teleologische Urteilstheorie erst in der Lehre von einem transzendenten, auf Wahrheitsbejahung gerichteten Sollen, mit welcher sie aber zugleich auch das erkenntniskritische Gebiet überschreitet. [4]

Hält man nun aber die logische Grundunterscheidung zwischen dem formalen und dem inhaltlichen Wahrheitsbegriff, zwischen logischer Evidenz und historisch-sozialer Richtigkeit unverrückbar im Auge, so wird man hoffentlich der hier vertretenen Ansicht zustimmen, dass die so viele Verwirrung stiftenden und so vom Streite der Meinungen umtosten psychologischen und ethischen Phänomene des Anerkennens und Verwerfens, des Beurteilens oder kritischen Entscheides, der Bejahung und Verneinung überhaupt gar nicht in eine logische Urteilstheorie gehören, als welche ihren Tatbestand nur darin erblicken kann, dass das Urteil jene Form eines Vorstellungsinhaltes darstellt, in welcher derselbe als in einer objektiven Einheit verbunden gesetzt erscheint. Der logische Charakter des Urteils ist durch das bestimmt, was in dem fertigen, gültigen Urteil, sobald es auf seinen logischen Wert hin untersucht wird, anzutreffen ist, mögen nun diese Elemente bloss implizite im Urteilsakt oder auch explizite im deutlichen Bewusstsein des Urteilenden von seinem Urteil vorhanden sein. Es ist also für die logische Betrachtung des Urteils ganz irrelevant, ob mit einem Satz, der von irgend jemandem ausgesprochen wird, auch etwas direkt anerkannt oder bestritten werde, ob der Sprechende selbst bereits das deutliche Bewusstsein der objektiven Gültigkeit seines Ausspruches hat oder nicht, ob er dabei daran denkt, dass er seinen Aussageinhalt als wahr angesehen wissen will oder nicht: genug, dass er diesen Satz durch eigenes Denken so und nicht anders zu bilden vermochte, also nicht bloss eine Wortfolge gedankenlos nachgesprochen habe, – und sofort hat die Logik nun ihr Urteilsproblem darin, dass der Sprechende mit diesem Satz einen bestimmten Vorstellungsinhalt eben nicht bloss als Vorstellungsinhalt, sondern als objektive Einheit ausgedrückt hat, die er eben deshalb nur so und nicht anders denken konnte.

Die Auflösung dieses Problems seiner transzendentalen Möglichkeit nach, indem die im Urteile vor sich geh^de Objektivierung des Vorstellungsinhaltes nur als empirische Konkretion, sozusagen als Materiatur der formalen (abstrakten) Aktion des Bewusstseins aufgezeigt wird, vollendet die logische Urteilstheorie nach der erkenntnistheoretischen Seite. Hingegen fallen die Phänomene, durch welche das Urteil zustande kommt und seine inhaltliche Wahrheit behauptet oder ändert, also sein Anspruch auf objektive Gültigkeit, seine Färbung als anzuerkennende Wahrheit, die in ihm auftretende Bejahung oder Verneinung in eine Psychologie, ja zum Teil in eine Ethik des Urteils. Was an allen diesen psychischen Vorgängen, da sie nun einmal an einem wesentlich theoretischen Prozess verlaufen, logisch erfassbar ist, fliesst ganz und gar aus dem transzendentalen Charakter der Denknotwendigkeit, respektive Denkunmöglichkeit, der an sich gar nichts mit den praktischen Kategorien des Anerkennens oder Verwerfens zu tun hat, sondern allererst in historischer Rückwirkung, nachdem im sozialen Verkehr der praktische Begriff der (inhaltlichen) Wahrheit aufgekommen ist, nunmehr als deren logische Voraussetzung gleichfalls als (formale) Wahrheit bezeichnet wird.

Die Aussage steht also mit vollem Rechte als das eigentliche Objekt der logischen Urteilstheorie da, die schon nicht mehr in ihrem streng einzuhaltenden Bereiche geblieben ist, wenn sie darüber hinaus die Affirmation oder die Negation als ihr Grundproblem aufgefasst hat. Die Position eines Vorstellungsinhaltes – das ist der logische Tatbestand des Urteils; in dieser Position, also in der Objektivierung des Vorstellungsmässigen liegt jenes „Mehr“ gegenüber einer blossen Vorstellungsverbindung, welches die teleologische Urteilstheorie mit Recht so energisch betont, wenn auch, m. E., nicht eben so einwandfrei zu bestimmen gewusst hat. Hier hätte sie ihrem Lehrmeister, dem sie so ziemlich alles schuldet, was sie bedeutsam macht, vor allem folgen müssen. Denn dieses „Mehr“ im Urteil hat bereits Kant klar entwickelt, dessen vorhin angeführte Definition des Urteils eben jenen vorhin dargelegten logischen Tatbestand des Urteils in wahrhaft exakter Weise zum Ausdruck bringt. Und auf ihn wird die rein logische Erfassung der Urteilsform sich um so eher zurückgeführt sehen, als ja seine Erkenntnistheorie den für so modern geltenden Standpunkt überall bereits hervortreten lässt, von dem aus unser gesamtes geistiges Leben nicht mehr als ruhender Zustand, sondern als lebendige Aktion erkannt wird. In Anwendung auf unseren jetzigen Gegenstand lesen wir denn auch bei Kant: „Alle Urteile sind demnach Funktionen der Einheit unter unseren Vorstellungen ...“, „Handlungen des Verstandes“. [5] Und es ist nur eine Bestätigung für die Notwendigkeit dieser Anknüpfung an Kant, wenn wir sehen, wie derjenige Denker, durch welchen die Theorie des Urteils sich am mächtigsten gefördert sah, Chr. Sigwart, nicht nur das positive Urteil, das also noch dem affirmativen psychologisch vorhergeht, zu seinem Ausgangspunkte nimmt, sondern von da aus dann das logische Wesen des Urteils bestimmt findet in einer In-Eins-Setzung der Subjekts- mit der Prädikatsvorstellung, welche implizite „zugleich in jedem vollendeten Urteil als solchen das Bewusstsein der objektiven Gültigkeit dieser In-Eins-Setzung“ enthält. [6] Und sofort entspringt daraus auch bei Sigwart der Rückgriff auf die transzendentale Denknotwendigkeit als dem Springquell aller objektiven Gültigkeit im Urteil. Denn da sie nicht in einer Uebereinstimmung der Urteilselemente mit einer analogen Verbindung objektiver Seinselemente begründet werden kann, weil das Urteil als eine subjektive, das Seiende in Subjekt und Prädikat trennende Form des Denkens jedenfalls dem in ungeschiedener Einheit verharrenden Sein inkongruent ist, so reduziert sich also ,,die objektive Gültigkeit darauf, dass sowohl der Prozess der Bildung der Anschauung als der Urteilsakt auf allgemeingültige Weise vollzogen sind“. [7] Und damit halten wir denn abermals bei dem Charakter der formalen Wahrheit als eines So-denken-Müssens.

Dieses Müssen ist nun aber, wie wir früher sagten, ein logisches. Und es wurde gleichfalls darauf aufmerksam gemacht, dass die Bezeichnung der Denknotwendigkeit als ein Müssen eben nur hingehen darf in Ermanglung eines besseren Begriffs, der den ganz eigenartigen Zwäng zum Ausdruck bringt, dem wir in der Denknotwendigkeit unterworfen sind. Es ist daher auch ganz missverständlich, den Charakter dieses Müssens in der Denknotwendigkeit dadurch widerlegen zu wollen, dass man, wie Rickert dies tut, darauf hinweist, dass diese Notwendigkeit gar nichts zu tun habe mit dem Zwange der Naturgesetzlichkeit, also dem Müssen aus Kausalität. [8] Das ist freilich ganz unbestreitbar richtig; aber gerade die Gegenüberstellung dieser beiden Notwendigkeiten wird uns erkennen lassen, sowohl wie metaphorisch einerseits der Ausdruck des Müssens für die Deaknotwendigkeit ist, als auch wie dies nur deshalb der Fall, weil die logische Notwendigkeit ungleich stringenter ist als die kausale, von der sie nur als dem genus proximum die Bezeichnung „Müssen“ entlehnt. Denn dass es ein förmlicher Zwang ist, der in der naturgesetzlichen Notwendigkeit die Wirkung an die Ursache knüpft, das spüren wir selbst am eigenen Leibe; mit all seiner Spontaneität des Wollens in der Seele, mit weltumwälzenden Gedanken im Kopfe, die, einmal zur Ausführung gebracht, die Naturkausalität in neue, ihr aufgedrungene Bahnen wiesen, fällt der in sein Grübeln ganz versunkene Forscher rettungslos durch den Luftraum, wenn er den Rand des Abgrundes überschritten hat, der sich an seinem Wege auftut. Aber was so seinem Leib Gewalt antut, das kann seine Gedanken nicht ebenso zwingen. Es ist zwar nun einmal Wirkung der Schwere, dass sie die Körper zu Boden zieht, aber warum könnte es nicht beliebig anders sein? Es gibt keine Notwendigkeit, sich alle Körper schwer zu denken. Warum sollte die freigelassene Kugel nicht ebensogut in die Höhe steigen oder auch ruhig schweben bleiben können statt herabzufallen? Wir hätten dann nur eine andere, vielleicht auch keine Mechanik, aber selbst die Mechanik als ein Inbegriff von Sätzen der als gesetzmässig erkannten Beziehungen in den Bewegungsphänomenen ist kein notwendiger Gedanke wie der der Logik als des Inbegriffs der erkannten Regelhaftigkeit des Denkens selbst, ohne welche überhaupt kein Selbstbewusstsein möglich wäre, sondern allenfalls nur zerstreutes, ewig hinschwindendes, unverbundenes Empfinden. Und so gibt es keine einzige Kausalverbindung, die über die Notwendigkeit des Geschehens hinaus eine Denknotwendigkeit wäre, indessen sie gleichwohl nur durch eine solche Denknotwendigkeit, nämlich durch die rein logische Form des Kausalverhältnisses eine Notwendigkeit des Geschehens sein konnte. Oder gibt es eine denkbare Notwendigkeit, warum das Wasser bei der Temperatur des Gefrierpunktes in den starren Aggregatzustand übergeht, was es unausweichlich stets tun wird, und warum der Anker an den Eisenstab fliegt, sobald derselbe durch den ihn umfliessenden elektrischen Strom magnetisch geworden ist? Warum sollte die Einwirkung des Magnetismus nicht auch darin bestehen können, dass sich Eisen in Gold verwandelt, sowie der Zinnober durch Hitze in einen ganz anderen Körper übergeht? Wenn solche Fragen im allgemeinen mit Recht als sinnlos bezeichnet werden dürfen, so doch nur deshalb, weil die ganze erfüllte Naturgesetzlichkeit sinnlos, absolut zufällig, der logischen Erfassung völlig unzugänglich ist. Sie ist das schlechtweg Irrationale, eben das „Gegebene“, mit dem wir uns abzufinden haben, das nun einmal da ist und so ist, wie es da ist, aber in jedem einzelnen Moleküle auch anders gedacht werden könnte. Dagegen vermöchte alle Titanenkraft des Geistes es nicht anders zu denken, als dass zweimal zwei vier ist, dass das Ganze grösser sei als sein Teil oder dass die Zukunft auf die Gegenwart folge: aufweiche und andere ähnliche „Banalitäten“ zuletzt alles aufgebaut ist, womit das menschliche Denken als mit seinen tiefsten Ergebnissen prunken darf.

Nun darf man aber nicht etwa meinen, dass dann ebenso auch das diese Denknotwendigkeit enthaltende Bewusstsein selbst nur ein solches „Gegebenes“ sei, das heisst, ein nur tatsächlich Vorhandenes, und also, weil selbst nicht als notwendig begriffen, überall kein Anhaltspunkt aufzufinden sei, an den eine Denknotwendigkeit anknüpfen könnte. Ein solcher Einwand stützt sich gewöhnlich darauf, dass es doch möglich ist, sich zu denken, es gäbe überhaupt kein Bewusstsein, ja dass wir sogar wissenschaftlich lang währende Perioden der Erdentwicklung annehmen müssen, in denen auf unserem Planeten alle uns bekannten Bedingungen für das Vorkommen von Bewusstsein fehlten. Aber schon die blosse Besinnung, dass solche Perioden fehlender Denktätigkeit nur von unserem Bewusstsein in der Vergangenheit erblickt werden, und dass ebenso nur in diesem Denken der Gedanke des Nichtbestehens von Bewusstsein überhaupt möglich ist, genügt, um auf eine Mangelhaftigkeit des Schliessens aufmerksam zu machen, welche Behutsamkeit im weiteren Gedankengange dringend anrät. Dieselbe Täuschung, welche für so viele die genetische Auffassung mit der kritischen in einen unvereinbaren Widerspruch bringt, setzt hier auch bloss psychologische Assoziationen dem kritischen Tatbestande gegenüber. Wer sich einmal klargemacht hat, dass, gerade weil die Zeit eine Anschauungsform bloss des Bewusstseins ist, deren Charakter dahin geht, den eben erlebten Moment stets in einem Kontinuum zu erblicken, das sich von da aus nach vorn in die Zukunft und nach rückwärts in die Vergangenheit erstreckt, der wird den Gedanken einer äonenlangen Vergangenheit ohne Bewusstsein nicht mehr widerspruchsvoll für jene Anschauung von der Zeit finden, weil mit dem ersten Auftreten des Bewusstseins eben diese ganze Vergangenheit ohne Bewusstsein in ersterem gesetzt ist, das heisst wenigstens der Möglichkeit nach, also bis die Entwicklung der Wissenschaft das Bewusstsein so weit gebracht hat, einen derartigen Rückblick zu tun, – ohne dieses Auftreten aber auch nicht einmal die Konstatierung des Fehlens von Bewusstsein während bestimmter Zeiträume möglich wäre. Diejenigen, welche die Idealität der Zeit mit den ungeheuren Zeiträumen des Weltprozesses zu widerlegen meinen, ehe der erste Mensch auftrat, sich seiner kargen Spanne Zeit zu erfreuen, unterliegen also der Täuschung, dass sie zwar alles nur irgendwie Bewusste, das Zeitempfindung haben könnte, für jene Urepochen sorgsam in ihren Gedanken auslöschen, aber nicht bemerken, wie sie nun selbst der Geist sind, der über den Wassern schwebt, und da sieht, wie es Abend wird und wieder Tag, wie die Zeiten sich folgen und endlich im bewussten Leben vollenden.

Ganz das gleiche wiederholt sich nun auch bei der Ansicht, dass es möglich sei, zu denken, es gäbe überhaupt kein Bewusstsein. Dies wirklich auszuführen ist vielmehr schlechterdings unmöglich, den Nichtbestand des Bewusstseins zu denken, ist ein wahrer Ungedanke. Wie wir nicht aus dem Raum, nicht aus der Zeit, nicht aus der Kausalität oder aus dem Dingbegriff, kurz, aus keiner der Formen des Bewusstseins heraus können, so können wir auch aus dem Bewusstsein selbst nicht heraus. Es ist uns nicht möglich, wirklich zu denken, dass kein Bewusstsein sei, wir können das Bewusstsein nicht wegdenken, wir können bloss alle inhaltliche Bestimmtheit des Bewusstseins auslöschen, alle seine Funktionen stillsetzen, jede Beziehung desselben auf einen vorgestellten Einheitspunkt aufheben, – kurz, wir können im Denken die Welt veröden und diesem Phantasma vielleicht mit solcher Intensität des Gedankens anhängen, dass wir zuletzt in der Leere selbst zu erstarren vermeinen, die wir um uns geschaffen haben. Aber nie können wir jene Beziehung zwischen unserem Bewusstsein und dem Nichtbestande desselben herstellen, wie sie etwa zwischen unserem Rücken und den sichtbaren Gegenständen in Bezug auf das Gesehenwerden besteht, und welche allein imstande ist, uns ein Analogon dafür zu bieten, was die uns zugemutete Aufgabe eigentlich bedeutet, zu denken, dass kein Bewusstsein sei. Der Sehende weiss eigentlich nie, was Blindheit bedeutet. Er stellt sich darunter die Abwesenheit der Lichtempfindung vor, also etwa den Zustand, in dem er mit fest verschlossenen Augen oder in einem absolut dunklen Zimmer herumtappt. Er übersieht, dass er dann noch die Empfindung des Dunklen hat und dass Blindsein viel mehr bedeutet: nämlich nichts sehen, sich also zum Gesichtsfelde so verhalten, wie eben etwa der Rücken seines Körpers. [9] Noch weniger aber weiss der bewusste Mensch, was Bewusstlosigkeit bedeutet: denn, während der Sehende doch die Beziehung seines sehenden Auges und seines „blinden“ Rückens zum Gesichtsfelde beide im Bewusstsein hat und durch angestrengte Analogiebildung sich eine Art Vorstellung von dem Zustande der Blindheit zu verschaffen vermag, so sind die Fälle des Fehlens von Bewusstsein, so häufig sie auch im täglichen Vorgang des tiefen Schlafes sind, eben nie im Bewusstsein. Das Bewusstsein hat überhaupt keine Möglichkeit, das Nichtbewusstsein sich auch nur gleichnisweise vorstellig zu machen. Denn Jedes Mittel, das es dazu ergreift, ist immer nur eine neue Betätigung des Bewusstseins selbst. Wir können eben das Bewusstsein nur im Bewusstsein selbst aufheben und deshalb ist für das Bewusstsein der Gedanke, dass kein Bewusstsein sei, ein barer Widersinn, eine absolute Denkunmöglichkeit. [10]

Freilich aber muss unverrückbar festgehalten werden, dass es hier nur auf die Denknotwendigkeit des Bewusstseins ankommt, die Seinsnotwendigkeit daher gänzlich ausser Betracht bleiben muss. Aus dem Denken folgt niemals das Sein und ebensowenig aus der Denkunmöglichkeit die Seinsunmöglichkeit. Die unumstössliche Denknotwendigkeit, dass der in einem gleich- bleibenden Abstand von einem festen Punkte sich bewegende zweite Punkt einen Kreis beschreibt, ist auch nicht imstande, die winzigste reale Kreisbewegung herzustellen. So also folgt auch aus der Denkunmöglichkeit des Nichtbestandes des Bewusstseins allerdings nicht das notwendige Sein desselben und es wäre das denkbar grösste Missverständnis der vorangehenden Ausführungen, als seien sie bestrebt gewesen, die Notwendigkeit der Existenz von Bewusstsein zu beweisen. Das Dasein der Dinge (Substanzen), also auch des Bewusstseins als eines „Dinges“ fügt sich überhaupt keiner Notwendigkeit, sondern es ist immer nur das Dasein „ihres Zustandes, wovon wir allein die Notwendigkeit erkennen können, und zwar aus anderen Zuständen, die in der Wahrnehmung gegeben sind, nach empirischen Gesetzen der Kausalität“. [11] Die Denknotwendigkeit aber geht nur auf den notwendigen Zusammenhang der Merkmale in einem Begriffe, zu denen das Dasein niemals gehört. „In dem blossen Begriffe eines Dinges kann gar kein Charakter seines Daseins angetroffen werden. Denn ob derselbe gleich noch so vollständig sei, dass nicht das mindeste ermangle, um ein Ding mit allen seinen inneren Bestimmungen zu denken, so hat das Dasein mit allem diesen doch gar nichts zu tun, sondern nur mit der Frage: ob ein solches Ding uns gegeben sei, so, dass die Wahrnehmung desselben vor dem Begriffe allenfalls vorhergehen könne.“ [12]

So ist denn allerdings auch die Existenz des Bewusstseins selbst eine letzte Gegebenheit, aber nun doch in ganz anderem Sinne, als der Einwand zuvor vermeinte, so dass sein Charakter der Denknotwendigkeit hierdurch nicht mehr bedroht erscheint. Dieses Gegebensein, welches das blosse Dasein des Bewusstseins, also seine reine Position schlechtweg bedeutet, muss in seiner totalen logischen Verschiedenheit von jenem anderen Gegebensein erkannt werden, von dem wir dann sprechen, wenn wir etwa sagen, das Vorhandensein zum Beispiel der Metalle, des organischen Lebens oder der uns bekannten Naturkräfte und die Art ihres Wirkens etc. sei in letzter Linie eine blosse Gegebenheit. In dieser letzteren Bedeutung ist nämlich nicht nur von der reinen Position alles dessen die Rede, was wir so als „gegeben“ bezeichnen, sondern gemeint ist, und zwar wesentlich, dass wir alle diese konkrete Beschaffenheit auch ganz anders denken könnten, ja dass es möglich wäre, zu denken, sie bestünde überhaupt nicht. Dieses Gegebensein also ist nicht ein bloss anderer Ausdruck für „Dasein“, sondern bezeichnet einen eigenartigen Bezug der Verknüpfung der in dem betreffenden Begriff gedachten Merkmale auf einen ihm gegenübertretenden vorgestellten notwendigen Zusammenhang derselben. Die Möglichkeit, von der hier die Rede, ist also nie die Möglichkeit des Anders-Seins, sondern die des Anders-Gedachtwerdens, und ein Begriff, der in. allen oder einigen seiner Merkmalen auch anders gedacht werden kann, als wie er dem Denken gegenüber tritt, der ist diesem eben nur so gegeben, also nicht denknotwendig; – sein Gegenstand braucht aber vielleicht gar keine Realität zu haben, wie etwa der Begriff der blauen Blume der Romantik, und ist insoferne gar kein Gegebenes im Sinne einer blossen Position. So ist denn die zweifache Bedeutung des „Gegebenen“ klar und deutlich zu ersehen, dass der Charakter des Gegebenseins an sich, insoferne er nur Dasein schlechtweg bedeutet, auch die Denknotwendigkeit nicht zu tangieren imstande ist, weil diese letztere eine logische Relation, der erstere aber eine gänzlich alogische Position ist. Somit versteht sich die Gegebenheit auch der Denknotwendigkeit nur dahin, dass vor ihr immer noch das Denken selbst sein muss, dass die Denknotwendigkeit immer erst noch gedacht werden muss, um unsere Denknotwendigkeit zu sein. Mit anderen Worten, diese Gegebenheit ist nicht eine solche für das Denken, wie eben die empirische Beschaffenheit der Materie, die etwa auch ganz anders ausgestattet gedacht werden könnte, sondern eine solche des Denkens selbst, das heisst sie ist das logische Faktum der Denknotwendigkeit noch einmal, nur gesetzt mit der besonderen Betonung ihrer wirklichen Existenz.

Um aller Schwierigkeit dieser Erörterung begegnen zu können, wäre freilich nötig, noch sehr ins Einzelne zu gehen, was hier unmöglich ist. Drum sei nur noch verstattet, damit nicht aus der oben erwähnten Betonung der Wirklichkeit der Denknotwendigkeit sich ein neuer Einwand erhebt, darauf zu verweisen, dass so wie eine der Fehlerquellen, welche die richtige Einsicht hier so erschweren, die fortwährend drohende Vermengung der Denkund Seinsnotwendigkeit, also auch der Möglichkeit des Anders-Denkens mit der des Anders-Seins ist, so insbesonders noch der metaphysische Gebrauch der Kategorien des Möglichen, Wirklichen und Notwendigen hinzukommt, die Verwirrung zu steigern. Ohne dass man sich die tiefe Lehre Kants von dem bloss modalen Charakter dieser letzteren Begriffe völlig eigen gemacht hat, wird man hier immer vom rechten Wege abgeführt werden. [13] Möglichkeit, Wirklichkeit (Dasein) und Notwendigkeit bedeuten nach dieser Lehre keine Eigenschaften der Dinge selbst, sondern ganz und gar nur drei verschiedene Arten, in denen sich unsere Erkenntnis zu ihren Gegenständen verhalten kann. „Durch die Wirklichkeit eines Dinges setze ich freilich mehr als die Möglichkeit, aber nicht in dem Dinge; denn das kann niemals mehr in der Wirklichkeit enthalten, als was in dessen vollständiger Möglichkeit enthalten war. Sondern da die Möglichkeit bloss eine Position des Dinges in Beziehung auf den Verstand (dessen empirischen Gebrauch) war, so ist die Wirklichkeit zugleich eine Verknüpfung desselben mit der Wahrnehmung. “ [14] Es ist also nicht so als ob das Mögliche dadurch zu einem Wirklichen werde, dass etwas in der Sache selbst noch hinzutritt, was dann das Wirkliche ausmacht. „Es kann nur zu meinem Verstände etwas über die Zusammenstimmung mit den formalen Bedingungen der Erfahrung, nämlich die Verknüpfung mit irgend einer Wahrnehmung hinzukommen.“ [15] Daher die berühmten Definitionen der Möglichkeit und Wirklichkeit, die allein einen metaphysischen Missbrauch dieser Begriffe verhüten können, indem sie ihre sachliche Auffassung ausschliessen: „1. Was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung (der Anschauung und den Begriffen nach) übereinkommt, ist möglich, 2. Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich“. [16]

Daraus folgt denn sofort für unseren Gegenstand die vorhin erörterte Unmöglichkeit des Nichtbestandes des Bewusstseins als einer Möglichkeit des Denkens selbst. Eine wahre Denkmöglichkeit liegt nämlich nicht schon dort vor, wo die Tätigkeit unseres Bewusstseins eine blosse Verbindung von Begriffen oder oft gar nur eine Wortfolge hergestellt hat, sondern erst, wenn das so Gedachte „mit den formalen Bedingungen der Erfahrung übereinkommt“, also sowohl auf Begriffe als auch auf Anschauung gegründet ist. Sobald auch nur eines von beiden fehlt, ist in Wahrheit nichts gedacht worden, und war es ein blosses Nichts, ein gänzlich leeres „Gedankending“, das uns mit dem Schein eines Gedankens äffte. Kant macht auf das nachdrücklichste aufmerksam, wie es schlechterdings unmöglich sei, aus blossen Begriffen auch nur irgend eine Möglichkeit oder Unmöglichkeit zu erkennen, solange nicht Anschauung dazutrete. So folgt die Unmöglichkeit, dass zwei gerade Linien eine Figur einschliessen, nicht aus den Begriffen; „denn die Begriffe von zwei geraden Linien und deren Zusammenstossung enthalten keine Verneinung einer Figur“. [17] Erst ihre Konstruktion im Räume, also in der Anschauung, zeigt diese Unmöglichkeit. Alle Möglichkeit muss also immer eine solche innerhalb unserer Erfahrung sein, wenn wir sie wirklich sollen denken können. Nun ist es, wie bereits gezeigt, für uns in keiner Erfahrung möglich, dass Bewusstsein nicht sei, und also gehört ein solcher Gedanke auch nur, wie Kant von anderen ähnlichen „Möglichkeiten“ ausführt, zu den Begriffen, „deren Möglichkeit ganz grundlos ist, weil sie nicht auf Erfahrung und deren bekannte Gesetze gegründet werden kann“. [18] Das Vorhandensein „dergleichen gedichteter Begriffe“, „willkürlicher Gedankenverbindungen“ in unserem Bewusstsein wird also durchaus nicht geleugnet. Aber es wird gezeigt, dass hier gar kein wirklicher Gedanke vorliegt. Es handelt sich hier vielmehr um blosse „Gedankendinge“, das heisst um ein Nichts = leerer Begriff ohne Gegenstand [19] vergleichbar dem leeren Gang einer Maschine. Das Denken fährt noch fort, Begriffe zu verbinden, ohne doch auch nur das mindeste dadurch denken zu können. Deshalb vollendet sich diese Kritik der Möglichkeit als blosser Modalität unseres Erkennens, in welcher ein Erkenntnisgegenstand bloss auf seine denkbare Uebereinstimmung mit den formalen Bedingungen unserer Erfahrung erwogen wird, in der Abstossung der absoluten Möglichkeit als eines ganz unfassbaren Gedankens. Denn damit etwas absolut, also abgesehen von den formalen Bedingungen unserer Erfahrung möglich wäre, müssten erst seine besonderen Bedingungen möglich sein. Aber „was unter Bedingungen, die selbst bloss möglich sind, allein möglich ist, ist es nicht in aller Absicht“, das heisst eben absolut, an sich, „In der Tat ist die absolute Möglichkeit, (die in aller Absicht gültig ist), kein blosser Verstandesbegriff und kann auf keinerlei Weise von empirischem Gebrauch sein, sondern er gehört allein der Vernunft zu, die über allen möglichen empirischen Verstandesgebrauch hinausgeht.“ [20]

Nicht anders als von der Denknotwendigkeit des Bewusstseins selbst gilt nun alles hier Dargelegte auch von der „blossen Gegebenheit“ der Arten seiner Funktionsweise. „Andere Formen der Anschauung (als Raum und Zeit), imgleichen andere Formen des Verstandes (als die diskursiven des Denkens oder der Erkenntnis durch Begriffe), ob sie gleich möglich wären, können wir uns doch auf keinerlei Weise erdenken und fasslich machen, aber, wenn wir es auch könnten, so würden sie doch nicht zur Erfahrung als dem einzigen Erkenntnis gehören, worin uns Gegenstände gegeben werden.“ [21] Wir würden dann eben Bürger zweier Welten sein, deren Denkmöglichkeiten nicht in einem Denken, sondern nur in einem allerdings wunderbaren Erlebnis verknüpft wären, wie dies etwa von manchen merkwürdigen und noch wenig aufgeklärten Zuständen Somnambuler behauptet wird, woran vielleicht Kant in obigem Schlusssatz gedacht haben mochte. Auch hier also begegnen die anscheinenden Möglichkeiten des Denkens, welche uns eine ganz andere Organisation des Erkennens ausmalen wollen, demselben vernichtenden Hindernis: dass in solchen Möglichkeiten überhaupt nichts gedacht wird, weil ebenso die Begriffe wie die Anschauungen fehlen, welche der blossen Wortverbindung Inhalt zu geben vermöchten. Das äussert sich hier schon darin, dass ganz konform, wie früher der Gedanke des Nichtbestandes von Bewusstsein selber Bewusstsein bei sich führte, so jetzt die sogenannten anderen Möglichkeiten der Formen einer Bewusstseinstätigkeit immer doch nur in den Formen unseres Bewusstseins umgestaltet, ausgestaltet oder nach Aehnlichkeit und Gegensatz an ihnen gebildet werden. Es ist einfach unmöglich, auch nur eine einzige unserer Bewusstseinsformen wirklich anders zu denken, als wie sie in uns wirkt. Ein mehr als dreidimensionaler, ein anderer als der euklidische Raum bleibt trotz aller noch so geistvollen rechnerischen Darstellung und geometrischen Analogisierung ewig jenseits unserer Anschauung; ein zweidimensionaler Raum bleibt bei aller Kraft der Abstraktion stets im dreidimensionalen Raum geschlossen. [22] Die Sukzession der Zeit wird nie und nimmer Koexistenz oder je in der Folge ihrer einzelnen Momente gestört, so dass, trotz allem märchenhaften Wechsel, den sonst die Phantasie an ihrem Inhalt vorzunehmen imstande ist, die Reihe ihrer Abfolge selbst etwa mit ihrem mittleren Verlaufe zu beginnen vermöchte, das Ende in der Mitte führte und mit dem Anfang schlösse; kurz, alle Möglichkeit anderer Erkenntnisarten, unsere Hinausstossung in eine Welt, in der nichts von unseren Erfahrungsbedingungen Bedeutung hätte, gäbe der ausschweifendsten Phantasie keinen Stoff, daraus einen wissenschaftlichen Roman zu dichten, durch den wir sonst so gerne uns aus der Gewöhnlichkeit unserer Welterfahrung in eine andere, neue versetzen lassen. Aus blossen „Gedankendingen“, einem Nichts, kann auch die Phantasie nichts machen. Mit ihnen führt der Weg „ins Unbetretene, nicht zu Betretende“, und auch hier gilt vom Denker so gut wie vom Fabulisten das resignierte Dichterwort:

„Senke nieder,
Adlergedank’, dein Gefieder!
Kühne Seglerin, Phantasie,
Wirf ein mutloses Anker hie.“

Man achte daher auf das Unterscheidende: eine Kausalität, bei welcher das Wasser durch den Hindurchgang des elektrischen Stromes statt sich zu zersetzen verdunsten würde, ist eine anders gedachte Kausalität; denn die Naturgesetzlichkeit geht auf die bestimmte Folge einer konkreten Wirkung aus einer ebenso konkreten Ursache, nicht auf die in allen möglichen Kausalverbindungen gleiche Form der Kausalität, welche insoferne eine logische Notwendigkeit ist. Die Beseitigung des Kausalverhältnisses selbst aber aus unserem Denken ist uns unmöglich, – so sehr wir auch in der Abstreifung metaphysischer Auskleidungen der Begriffe von Ursache und Wirkung fortschreiten, – und der Gedanke, dass ein Erkennen möglich sei, das die Kausalität gar nicht unter seinen Formen besitze, ist eine völlig leere, überdies durch reine Negation vorgenommene Determination an unserem eigenen Erkennen.

Kurz zusammengefasst: Wovon ich nicht bloss denken kann, dass es anders sein könnte als es ist, sondern was ich auch anders seiend denken kann, das ist nie denknotwendig, so naturnotwendig es auch sein mag. Dagegen, wovon ich zwar denken kann, dass es auch anders sein könnte, es aber doch schlechterdings nicht anders denken kann, als ich selbst es tue, das fasst Denknotwendigkeit in sich, wobei hier das Wort „denken“ im weiteren Sinn gebraucht wird, in welcher es auch die anschauenden Funktionen umfasst.

Daher ist der Satz, dass alle Körper schwer sind, nicht in gleicher Weise von notwendigem Erkenntnisinhalte wie der, dass alle Körper ausgedehnt sind, und liegt hier ein Unterschied des Urteils vor, den Kant als den des synthetischen und analytischen mit Recht als grundlegend bezeichnet hat, und der allewege niemals ein fliessender, subjektiver werden kann. Alles, was also in unserem Erkennen auf den Denkund Anschauungsformen desselben beruht, ist daher von jener Notwendigkeit erfüllt, dass es zwar der leeren Möglichkeit eines Anderssein entgegengehalten werden kann, dies aber nur als einer Form unseres Denkens, dass es aber selbst doch keineswegs anders gedacht werden kann. Und sehe ich also einen Stein zu Boden fallen, so kann ich zwar denken, dass er in der Luft verweilte, ja, ich kann sogar denken, dass ein anderes als ein menschliches Wesen diesen Steinfall vielleicht noch ganz besonders wahrnimmt; nie aber bringe ich zustande, den Vorgang selbst anders aufzufassen als eben so, wie er mir durch meine Anschauungs- und Denkformen bestimmt wird. Und das macht den „Zwang“ im Urteil aus, der also, obgleich viel unausweichlicher als der kausale, als solcher doch gar nicht empfunden wird, weil er nichts anderes ist als die Gesetzlichkeit des Denkens selbst.

Ist es daher, was jetzt ganz deutlich geworden sein dürfte. kaum ein richtiger Ausdruck für diesen Sachverhalt, wenn wir von einem „So-denken-Müssen“ sprechen, was im Grunde nur ein „Gar-nicht-anders-Können“ ist, so hat es vollends keinen Sinn, diesen selben Tatbestand als ein Sollen anzusprechen, bloss weil wir im konkreten Einzelurteil unter gewissen Umständen, wenn uns nämlich eine Bestreitung entgegentritt, uns genötigt fühlen, an dem Urteile festzuhalten.

Es gäbe nur einen einzigen Weg, diese Denknotwendigkeit oder, wie sie bei Rickert heisst, Urteilsnotwendigkeit als ein Sollen hinzustellen, und zwar denselben, auf dem das Sollen in seinem unbestrittenen Gebiet, dem praktischen, möglich ist: wenn nämlich die formale Wahrheit, also die Denknotwendigkeit, in ähnlicher Weise als autonome Gesetzlichkeit des Denkens ihrer materialen (konkreten und historischen) Verwirklichung als Heteronomie gegenübertreten würde, wie der autonome praktische Wille seinem heteronomen Triebleben. Wir werden aber noch sehen, wenn wir dazu gelangen werden, diese tatsächlich von der teleologischen Auffassung zu ihrer Begründung versuchte Konstruktion zu besprechen, dass ein Phänomen der Heteronomie des wirklichen Denkens in Bezug auf die Gesetzlichkeit desselben überhaupt schlechterdings nicht aufzuweisen ist und dass es in keiner Weise angeht, etwa die Erscheinungen des Irrtums oder Widerspruchs dafür in Anspruch zu nehmen. Wenn es aber sicher ist, dass Autonomie ohne eine Heteronomie, die sie sich erst zu unterstellen bestrebt ist, eben nie ein Sollen ist, – was hat es dann noch für einen Sinn, etwa mit Rickert zu sagen, dass ich, sobald ich Töne höre und darüber urteilen will, mich durch ein Sollen genötigt finde, zu urteilen: „Ich höre Töne“ [23], – ja, was hätte es selbst nur für einen Sinn, zu sagen, dass ich so urteilen muss, da ich jedenfalls gar nicht anders kann? Das Sollen, das vielleicht auch jetzt noch immer im Urteil verspürt wird, entspringt aus einer ganz anderen, der sozial-praktischen Sphäre der Urteilsanerkennung und -Bestreitung.

Unter Festhaltung dieses letzteren kritischen Moments wird daher auch die teleologische Urteilstheorie schliesslich vor die Wahl gestellt, entweder die Urteilsnotwendigkeit im oben dargelegten Sinn anzuerkennen oder in Tautologie auszumünden. Denn diese Urteilsnotwendigkeit wird von ihr in näherer Bestimmung nicht so sehr als eine Relation des Denkens denn als ein Gefühl gefasst, in welchem sich das den Charakter der objektiven Gültigkeit im wahren Urteil ausmachende transzendente Sollen des „Bewusstseins überhaupt“ für das Einzelbewusstsein merkbar macht, indem es die einzelne Vorstellungsverbindung anerkennt oder missbilligt. „Das Erkennen also ist ein Vorgang, der bestimmt wird durch Gefühle, das heisst durch Lust oder Unlust“ [24] nur dass wir dem Lustgefühl im Urteil eine besondere Bedeutung beilegen, da wir überzeugt sind, dass es im Gegensatz zu anderen Lustgefühlen überall und jederzeit wertvoll sein wird. „Die Evidenz ist also psychologisch betrachtet ein Lustgefühl, verbunden mit der Eigentümlichkeit, dass sie einem Urteile eine zeitlose Geltung verleiht und ihm damit einen Wert gibt, wie er durch kein Lustgefühl sonst hervorgebracht wird.“ [25] In diesem Werte erleben wir etwas, wovon wir abhängig sind, weil er ja nur der Ausdruck des transzendenten Sollens ist. Wir sind durch das Gefühl der Evidenz gebunden, so dass wir nicht willkürlich bejahen oder verneinen können, sondern uns darin bereits bestimmt finden. „Was also mein Urteilen und damit mein Erkennen leitet, ist das Gefühl, dass ich so und nicht anders urteilen soll.“ [25a]

Wird hier nicht die ganze Willkürlichkeit der teleologischen Umbiegung der Denknotwendigkeit in ein Sollen besonders klar? Zugleich aber manifestiert sich auch die Art, wieso dies mit einem Schein von Berechtigung geschehen konnte: nämlich durch die fortwährende Vertauschung der logischen Sphäre der Urteilsgeltung mit der seiner psychologischen und sozialen Erscheinungsweise. Hier greift zum Beispiel mit einem Male die logische Erörterung Rickerts auf das psychologische Merkmal eines Gefühles der Evidenz zurück, das einen logischen Wert erklären soll, indem es zugleich – mit diesem ausgestattet wird. Was mit der Einführung des Gefühles der Evidenz für eine wirklich ihr Problem ergreifende Urteilstheorie gewonnen sein soll, ist gar nicht abzusehen; es ist vielmehr, wie mir scheinen will, ein unbehagliches Gefühl der Nicht-Evidenz, gleich als ob die teleologische Urteilstheorie sich zuletzt selbst mit ihrem transzendenten Sollen, das nirgendswoher kommt und nirgendswohin zielen kann, im Grundlosen fühlen würde, welches sie nun treibt, sich an ein Gefühl der Evidenz anzuklammern, das wenigstens eine psychologische Realität ist. Nun liegt ihre Sache so: ein wahres Urteil gilt als wahr, weil es so gedacht wird, wie wir es denken sollen; wir denken es so, wie wir es sollen, weil wir das Gefühl der Evidenz haben, – und darüber ist dann freilich schlechterdings nicht mehr hinauszukommen. Man kann nicht mehr fragen, warum haben wir das Gefühl der Evidenz: denn das haben wir eben. Diese ganze erkenntniskritische Darlegung der objektiven Gültigkeit im wahren Urteil läuft also tatsächlich in folgende Tautologie aus: Wahr ist, was wir als wahr fühlen. Der Zusatz, dass wir nur das als wahr fühlen, was wir denken sollen, ist ganz irrelevant und sogar irreführend, da wir doch eben nur aus dem, was wir als wahr fühlen, aus dem Gefühle der Evidenz, auf dieses Sollen schliessen. Es wird freilich bei Rickert durch die Vorstellung erleichtert, dass dieses transzendente Sollen für das Urteil eine analoge Gesetzlichkeit darstelle wie das Sittengesetz für das Wollen. Wir werden noch später sehen, wie dies eine ganz unberechtigte Annahme ist. So viel gehört aber vielleicht schon hierher.

Die Unterscheidung von Gut und Böse weist nicht bloss auf ein Sollen als ihren Grund hin, sondern legt zugleich auch das Gesetz dieses Sollens dar. Wenn ich sage: gut nenne ich jenen Willen, der so handelt, wie er soll, so bleibt das Soll nicht etwa ganz unbestimmt oder müsste sich erst auf ein mehr oder minder vages Gefühl berufen: sondern die Beziehung alles Wollens auf dieses Soll bestimmt unmittelbar auch seinen Inhalt moralisch; in Bezug auf ein Wollen ist eben die Form des Sollens inhaltlich bestimmendes Gesetz, welches in jedem Akte sagt, was ich wollen soll oder nicht soll, woran der Umstand natürlich gar nichts ändert, dass die sittliche Unterscheidung nach ihrer historischen Erscheinungsseite verschieden sein wird nach Ort, Zeit und Individuum. Denn nicht dass ich das Gute tue, macht den Tatbestand des Sittlichen aus, und noch weniger wird er dadurch beseitigt, wenn vielleicht das, was ich als das Gute will, sich von einem höheren Standpunkt als verwerflich darstellen wird. Sondern dass ich überhaupt, was immer ich auch wollen und tun mag, dabei ein Sollen empfinde, durch welches ich mich bestimmen lasse, das erst konstituiert Sittlichkeit als eine besondere Gesetzmässigkeit, von der also jetzt klar ist, wieso schon ihre blosse Form inhaltlich bestimmend sein kann. Dagegen, wenn ich die Unterscheidung des Wahren und Falschen auch von einem So-unterscheiden-Sollen ableite, so bleibt in Bezug auf ein Denken die Frage unbeantwortet: Was aber soll ich als wahr denken? Wohl, es sei einmal zugegeben, wahr ist jenes Urteil, welches so gedacht wird, wie es gedacht werden soll; aber – hilf, Himmel! – wie soll es denn gedacht werden? Im transzendenten Sollen fehlt es ganz und gar an dem Gesetz, welches mir sagt, wie ich wahr urteilen, was ich anerkennen, was ich verwerfen soll, sobald man nur nie vergisst, dass der Tatbestand der formalen Denknotwendigkeit, respektive des Widerspruchs in seiner rein logischen Gestalt kein Atom eines Sollens aufweist, in seiner Gestalt als Sollen aber ein historisches und sozialpsychologisches Phänomen ist. Und deshalb sieht sich hier die teleologische Urteilstheorie auch plötzlich auf das psychologische Gefühl der Evidenz zurückgeschleudert. Denn sagt sie endlich, dass ihr Sollen doch nicht eigentlich so zu verstehen sei, als gelte ihr jenes Urteil für wahr, welches so gedacht werde, wie es gedacht werden soll, sondern dass sie vielmehr meine, jenes Urteil sei wahr, bei dem wir fühlen, dass es so und nicht anders gedacht werden soll, dann ist auch sie bei dem wirklich entscheidenden Punkt angelangt, an welchem sie die in unserem Sinn dargelegte Denknotwendigkeit nun selber offen einbekannt hat. Denn was sagt sie anderes damit, als dass es ein Wahrheitsgesetz im Sinne des Sittengesetzes, also als eine der Heteronomie gegenüberstehende Autonomie des Denkens gar nicht gibt, was sagt sie anderes als: Wie wir denken sollen, lehrt uns kein Gesetz, ehe wir nicht fühlen, dass wir so denken – müssen. Das „Gefühl der Evidenz“ gewinnt den Charakter eines Sollens erst, wenn im Kampfe der Meinungen das bis dahin auf sich gestellte Denken in den sozialen Verkehr tritt und aus einer bloss der logischen Sphäre angehörigen Intellektualität praktische Tat wird, die nunmehr dem Sittengesetz untersteht. Wieder müssen diese Darlegungen auf das Folgende verweisen, woraus alles das, was hier vielleicht noch als unbewiesene Behauptung auftritt, hoffentlich seine Begründung erfahren und, was hier etwa noch unklar geblieben sein sollte, deutlicher werden wird. Inzwischen aber zeigt sich schon jetzt, dass, wenn die Denknotwendigkeit nirgends als ein Sollen zu fassen sein wird, zugleich aber, wie wir gesehen haben, auch nicht eigentlich ein Müssen ist, sondern ganz einfach eine bestehende Gesetzlichkeit, dann hierin eine Grundlage für die objektive Gültigkeit des Urteiles und damit für den Charakter einer nur auf diese gestützten Wissenschaft gewonnen ist, die wahrlich gar nicht unerschütterlicher gedacht werden kann.

*

Fussnoten

1. Untersuchung in Betreff des menschlichen Verstandes, übersetzt von Kirchmann, 2. Auflage, Seite 79.

2. Vergl. Imm. Kant, Kritik der reinen Vernunft (2. Auflage), Reclam, Seite 665–666: „Ich habe mich niemals durch die Erklärung, welche die Logiker von einem Urteile überhaupt geben, befriedigen können, es ist, wie sie sagen, die Vorstellung eines Verhältnisses zwischen zwei Begriffen. Ohne nur hier über das Fehlerhafte der Erklärung ... mit ihnen zu zanken, ... merke ich nur an, dass, worin dieses Verhältnis bestehe, hier nicht bestimmt ist. Wenn ich aber die Beziehung gegebener Erkenntnisse in jedem Urteile genauer untersuche und sie als dem Verstände angehörig von dem Verhältnisse nach Gesetzen der reproduktiven Einbildungskraft (welches nur subjektive Gültigkeit hat) unterscheide, so finde ich, dass ein Urteil nichts anderes sei als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen. Darauf zielt das Verhältniswörtchen ist in denselben, um die objektive Einheit gegebener Vorstellungen von der subjektiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperzeption und notwendige Einheit derselben, wenngleich das Urteil selbst empirisch, mithin zufällig ist, zum Beispiel, die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese Vorstellungen gehören in der empirischen Anschauung notwendig zueinander, sondern sie gehören vermöge der notwendigen Einheit der Apperzeption in der Synthesis der Anschauungen zueinander, das ist nach Prinzipien der objektiven Bestimmung aller Vorstellungen, soferne daraus Erkenntnis werden kann, welche Prinzipien alle aus dem Grundsatze der transzendentalen Einheit der Apperzeption abgeleitet sind. Dadurch allein wird aus diesem Verhältnis ein Urteil, das ist Verhältnis, das objektivgültig ist und sich von dem Verhältnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloss subjektive Gültigkeit wäre, zum Beispiel nach Gesetzen der Assoziation, hinreichend unterscheide.“

3. Vergl. Rickert, „Gegenstand etc., Seite 89 ff.

4. Dass daran auch nichts durch den Rückgriff auf den kritischen Fundamentalbegriff eines „Bewusstseins überhaupt“ geändert wird, soll im nächsten Kapitel gezeigt werden.

5. Imm. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Reclam, Seite 88.

6. Chr. Sigwart, Logik, 2. Auflage (1889, I., § 9, Seite 61 und 98); vergl. auch desselben Verfassers Schrift Die Impersonalien (1888), Seite 75. – Und ebenso ist es bezeichnend, dass Wilhelm Jerusalem in seinem schönen, sehr viele Belehrung und Anregung bietenden Buche Die Urteilsfunktion (Wien 1895) trotz seines prinzipiell dem Kantschen entgegengesetzten, weil realistischen Standpunktes doch selbst für seine nur psychologische Auffassung vom Urteil ausdrücklich anerkennt, dass „die Kantsche Erkenntniskritik und die derselben zugrunde liegende Auffassung unserer Erkenntnisfunktionen vorzüglich geeignet (sei), den Weg zu einer befriedigenden Lösung des Urteilsproblems zu bahnen“. (Seite 57) Und dies gerade deshalb, weil der Verstand, „das Vermögen, zu urteilen“ für Kant eine Funktion sei, welche mit Hilfe der, wie Jerusalem allerdings einigermassen missverständlich sagt, „angeborenen Stammbegriffe den chaotischen Stoff der Empfindungen formt und objektiviert.“ (Seite 57) Und wenn auch Jerusalem in fortgesetzter Polemik gegen Kant, zu welcher ihn ebenso sein der transzendentalen Methode direkt sich verschliessender realistischer Gesichtspunkt als auch seine bloss psychologische Auffassung der Kantschen Grundbegriffe treibt, meint, ihm entgegenhalten zu müssen, dass die Scheidung zwischen Sinnlichkeit und Verstand „nicht so weit getrieben werden darf, wie es Kant tut“, bei dem doch im Gegenteil stets ihre untrennbare Einheit ein Angelpunkt seiner Kritik ist, ohne welche zum Beispiel die ganze transzendentale Dialektik unmöglich wäre, so sieht er sich doch veranlasst, zu wiederholen: „Trotzdem aber hat Kant dadurch, dass er den schon im Theätet angedeuteten Gedanken einer Formung und Objektivierung der Sinnesdata durch das Urteil aufnahm und gründlich weiter dachte, sehr viel zur richtigeren Erkenntnis des Urteilsaktes beigetragen.“ (Seite 57.) – Und seine eigene Urteilstheorie, welche die Formung im Urteil dadurch erbracht sieht, dass das Subjekt als ein kraftbegabtes, einheitliches Wesen hingestellt wird, dessen Kraftäusserung im Prädikat vorgestellt wird (vergl. Seite 82), ist im Grunde nur die psychologische Deutung des transzendentalen und erst eine logische Urteilstheorie möglich machenden Grundbegriffes von der synthetischen Einheit der Apperzeption.

7. Chr. Sigwart, Logik, I., Seite 102.

8. Rickert, Gegenstand etc., Seite 62.

9. Vergl. Willi. Wundt, Vorlesungen über die Menschenund Tierseele, 2. Auflage, Seite 56.

10. Den Zustand des Schlafes kennen wir in eigener Erfahrung nur aus jenen Fällen, in denen er durch sein Traumleben bereits die Sphäre des Bewusstseins berührt, und die Zustände tiefster Ohnmacht wie völlig traumlosen Schlafes sind uns geradeso fremd wie der innere Zustand irgend eines leblosen Körpers. Für den Menschen besteht daher eigentlich das totale Unvermögen, sich eine Unterbrechung oder gar ein Ende seines Bewusstseins zu denken. Die Denknotwendigkeit des Bewusstseins wird so für sein Bewusstsein gleichbedeutend mit dem Scheine der Ewigkeit, Unzerstörbarkeit desselben, an dem alle noch so ernsten Gedanken über Vergänglichkeit des Daseins, über Tod und Vernichtung, eben weil sie als Aufhebung des eigenen Bewusstseins gar nicht auszudenken sind, schliesslich doch wie Redensarten abprallen, als ob nicht gerade hier das Mahnwort schauerlich wahr würde: de te fabula narratur. Daher denn jener so rätselhafte Gleichmut der Menschen gegenüber der doch so unumstösslichen Gewissheit des Todes, der sonst gerade bei der vernünftigen Natur unseres Wesens ganz unbegreiflich wäre. Der Tod wird gefürchtet, aber nicht als das Ende des Individuums, sondern als das schrecklichste körperliche Uebel, als eine Krankheit, von der nur das eine gewiss ist, dass es von ihr keine Genesung gibt; und die Todesangst ist nur der gefühlsmässige Reflex des physischen Prozesses, in dem alle Lebenskräfte schwinden, eine namenlose Bedrückung der Seele, die sich dem ihr vom Nebenmenschen her geläufigen Gedanken der Vernichtung gegenüber sieht, den sie doch in Bezug auf sich selbst nicht fassen kann und auch nicht fassen wird bis zum – Ende. Es wird keiner daran glauben müssen, denn wir alle werden schon vorher nicht mehr sein, wie ja schon Sokrates meinte, als er den Tod nicht zu fürchten fand, weil, solange er sei, der Tod nicht sei, und wenn dieser eingetreten, er selbst nicht mehr sei. Dieses „nicht mehr Sein“ aber ist dem Bewusstsein ein blosses Wort, und daher treten echte Todesgedanken und wahre Todesangst dem geistig und körperlich gesunden Menschen nie nahe, wie sehr auch Gedanken über das Ende ihn je nach seinem Naturell schwermütig oder verzweifelt machen können, und vermag der starke Geist selbst im sterbenden Körper beides als eine Art physischen Uebels zu bezwingen.

11. Imm. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Reclam, Seite 211–212.

12. Imm. Kant, a. a. O., Seite 207.

13. Vorgl. Imm. Kant, Kritik der Vernunft, Reclam, den Abschnitt Die Postulate des empirischen Denkens überhaupt, Seite 202 ff.

14. Imm. Kant, a. a. O., Seite 216, Anmerkung.

15. Ebd., Seite 214.

16. Ebd., Seite 202.

17. Ebd., Seite 204.

18. Ebd., Seite 205.

19. Ebd., Seite 260; vergl. über den für die Erkenntnistheorie überhaupt so wichtigen Begriff Kants vom blossen „Gedankending“ Hans Vaihinger, Kant – ein Metaphysiker? in den Philosophischen Abhandlungen, Festgabe zu Chr. Sigwarts 70. Geburtstage, Tübingen1900.

20. Ebd., Seite 215.

21. Ebd., Seite 214.

22. Man darf eben nur nicht, was so häufig geschieht, Anschauung – um die allein es sich bei dieser Frage handelt – mit Verständnis verwechseln. Gewiss ist nicht zu bezweifeln, dass der Mathematiker sich seine Grundannahmen so konstruieren kann, dass er daraus nicht nur den Begriff eines n-dimensionalen oder eines gekrümmten Raumes gewinnt, sondern darüber hinaus auch mit seinen Formeln genauesten Aufschluss über die Gesetze dieser Räume zu geben, ja sogar die Gestaltung aller Erscheinungen in ihnen zu bestimmen vermag. Aber weil er so in der Sprache seiner Begriffe redet, so darf er doch nicht taub dafür bleiben, wie sie hier zu blossem Schall geworden ist, da er doch unvermögend ist, auch nur die leiseste Anschauung von seinen Formeln zu gewinnen oder zu verschaffen. Zwar versteht er sie vollkommen und dieses Verständnis teilt sich auch unmittelbar jedem mit, der die Begriffe kennt, mit denen er operiert hat. Die Konsequenz der logischen Gedankenentwicklung vertritt ihm so unversehens die Anschaulichkeit. Jedoch ist Verstehen, logische Folge für sich allein so wenig Anschauung, dass es gerade die Konsequenz des nur logischen Denkens ist, mit welcher, sobald nur ein unanschauliches – also rein begrifflich-konstruktives – Element irgendwo in die Denkarbeit aufgenommen wurde, am sichersten das Feld der Anschaulichkeit und damit jeder möglichen Erfahrung überhaupt verlassen wird. Das gewöhnlichste Beispiel dafür ist die metaphysische Spekulation; dass man sich nicht auch hier sofort daran erinnert findet, ist nur in der besonderen Form der mathematischen Spekulation begründet. Denn wenn ein schon an sich klares logisches Verständnis, wie es die mathematische Methode durch ihre strenge Begriffsbildung überall auf ihrem Gebiete ermöglicht, nun auch noch durch gewisse aus dem Bereich der Anschauung genommene Analogien, wie sie wieder gerade dem Mathematiker leicht zur Verfügung stehen, ausreichend unterstützt scheint, dann muss es den Anstrich gewinnen, als Hesse sich bei solchen „metamathematischen“ Denkresultaten tatsächlich noch irgend eine wirkliche Vorstellung bilden. Anstatt einer solchen ist aber wahrhaftig von Grund aus nichts anderes zu finden als die Freude am intellektualen Spiele, wie da alles klappt und eines aus dem anderen folgt, – als ob es nicht gerade in der Mathematik etwas ganz Selbstverständliches wäre, dass, wenn b grösser als c ist, dann auch c grösser als a sein muss, also auch ebenso, wenn einmal der Raum sphärisch oder hyperbolisch vorgestellt werden könnte, dann zum Beispiel die Winkelsumme des Dreieckes kleiner, respektive grösser als 180° sein müsste. Ernst Mach hat einmal die tiefe Bemerkung gemacht, dass der Mathematiker, der dem sich entwickelnden Zuge seiner Formeln auf dem Papiere folgt, manchmal die unbehagliche Empfindung habe, als wäre seine Wissenschaft, ja sein Schreibstift ihm selbst an Klugheit überlegen. Er hat damit, wie ich entgegen seiner eigenen psychologischen Erklärung annehmen möchte, nur den unpersönlichen Charakter der Denknotwendigkeit zum drastischen Ausdruck gebracht. Hier aber würde die mathematische Formel, welcher der Mathematiker seinen ganzen Glauben schenkt, obgleich sie ihm keine Anschauung mehr zu bieten vermag, nur weil er ihre Konsequenz empfindet (aus Annahmen, die doch nur er selbst gemacht hat), nicht nur klüger sein als er, sondern überdies aus einem blossen Geschöpf seiner Phantasie sich zum Demiurgen einer Welt, zu seinem Herrn und Meister machen.

23. H. Rickert, Gegenstand etc., Seite 63.

24. H. Rickert, Gegenstand etc., Seite 57.

25. H. Rickert, a. a. O., Seite 62.

25a. Diese Fußnote ist mit Fußnote 25 verbunden.


Zuletzt aktualisiert am 16 December 2020