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Der Kampf, Jahrgang 1 3. Heft, Dezember 1907, S. 140–141.
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Dem tschechischen Gewerkschaftskongress, der am 28. September 1907 in Prag zusammentrat, wurde von der Prager Kommission ein ausführlicher Bericht über »Zehn Jahre tschechischer Gewerkschaftsbewegung« [1] vorgelegt. Der als Festschrift zur Feier des zehnjährigen Bestandes der Prager Gewerkschaftskommission herausgegebene Bericht ist sehr hübsch ausgestattet, mit zahlreichen Tabellen und graphischen Darstellungen versehen; er ist ein wertvoller Beitrag zur Geschichte der tschechischen Arbeiterbewegung. Der siebente Abschnitt des Berichtes enthält eine Darstellung des Konfliktes der Prager Kommission mit der Gewerkschaftskommission Oesterreichs; auch die mit diesem Konflikt zusammenhängenden Kämpfe innerhalb der einzelnen gewerkschaftlichen Zentralverbände und die Versuche zur Bildung selbständiger tschechischer gewerkschaftlicher Organisationen werden in diesem Abschnitt dargestellt.
Ueber den augenblicklichen Stand der Streitfrage unterrichtet auch das Protokoll des IV. Kongresses der der tschechischen Gewerkschaftskommission angeschlossenen Gewerkschaften. [2] Den Argumenten des Genossen Hueber, der aus der Notwendigkeit des einheitlichen Kampfes gegen den Kapitalismus die Unentbehrlichkeit einheitlicher Organisationen ableitet und nicht aus Rücksicht auf die 39.000 in den tschechischen Sonderorganisationen vereinigten Genossen die Organisationsform der Zentralverbände, welche 450.000 Mitglieder zählen, verändern will, stellen die tschechischen Gewerkschaften wesentlich zwei Argumente gegenüber: einmal das fast naturrechtlich klingende Argument, die tschechische Arbeiterschaft habe einen natürlichen Anspruch auf selbständige Organisation und selbständige Repräsentation im In- und Auslande, zweitens die psychologische Erwägung, dass die tschechische Arbeiterschaft die militärische Disziplin zentralistischer Organisationen schwer ertrage und für Organisationen, die ihrer Selbstverwaltung breiteren Spielraum gewähren, leichter zu gewinnen sei. In einem Artikel in der Akademie führt Genosse Josef Steiner aus, er sehe die historische Bedeutung des Kongresses darin, dass von den tschechischen Organisationen – einschliesslich der Vertreter der tschechischen Ortsgruppen der Zentralverbände – die »Souveränität des tschechischen sozialdemokratischen Proletariats in dieser Angelegenheit« neuerlich proklamiert worden sei. Der Kongress habe die internationalen Reichsorganisationen anerkannt und die selbständigen tschechischen Organisationen nicht als Ziel hingestellt, aber er habe ausgesprochen, dass diese Organisationen weder den Grundsätzen des Sozialismus und der Demokratie widerstreiten, noch den einheitlichen Kampf gegen den Kapitalismus unmöglich machen.
Die Akademie, die Monatsschrift unserer tschechischen Genossen, erscheint seit dem 1. Oktober d. J. in neuem Gewände. Aus der Redaktion, die bisher von den Genossen Doktor Meissner und Modráček geleitet wurde, ist Abgeordneter Modráček ausgetreten; an seine Stelle traten die Genossen Dr. Šmeral und Krejčí.
Im ersten Hefte des neuen Jahrganges spricht Genosse Dr. Soukup vom »toten Hause des toten Königreichs«. Der böhmische Landtag sei einst die Stätte der grossen politischen Entscheidungskämpfe gewesen; heute sei er auf das Niveau einer Bezirksvertretung hinabgesunken. Eine Wahlreform auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Stimmrechts könnte ihm neues Leben geben; aber sie sei im Lande weit schwerer durchzusetzen als im Reiche. Im Kampf um das gleiche Landtagswahlrecht handle es sich nicht nur um eine neue Abgrenzung der Kompetenzen zwischen dem Reichsrat und den Landtagen, sondern auch um die Durchführung eines gerechten nationalen Ausgleichs in Oesterreich. »Dieser Ausgleich lässt sich nicht deduktiv durchführen, durch irgendwelche Rahmengesetze aus dem gesetzgeberischen Olymp des Reichsrates, sondern nur induktiv, indem wir von der Gemeinde und dem Lande zum Reiche aufsteigen ... Nur durch die Tore der Rathäuser und der Landtage gelangen wir zur nationalen Autonomie.«
Genosse Dr. Meissner schreibt in demselben Hefte über das »nationale Moment bei den Richterernennungen«. Er will in die nationale Teilung des böhmischen Richterstatus nur unter folgenden Bedingungen willigen: erstens müsse gleichzeitig der Grundsatz der verhältnismässigen Vertretung der Nationen in allen Aemtern und Gerichten, insbesondere auch bei den Zentralbehörden durchgeführt werden; zweitens müsse die Unabhängigkeit der Richtei durch die Einführung des automatischen Avancements gesichert werden; ein Sprachengesetz müsse die Rechte der tschechischen Minderheiten in Böhmen sichern; auch wenn die Richterstellen in Deutschböhmen den deutschen Richtern Vorbehalten werden, müsse doch für die sprachliche Qualifikation dieser Richter gesorgt werden, damit die Richter im ganzen Land imstande seien, in beiden Sprachen zu amtieren. Solange diese Bedingungen nicht erfüllt seien, sei die deutsche Forderung nach Trennung des Status abzulehnen, da sonst der tschechische Arbeiter im deutschen Sprachgebiet das ihm staatsgrundgesetzlich gewährleistete Recht verlieren würde, vor allen Gerichten des Landes in tschechischer Sprache verhandeln zu können.
Genosse Šmeral schreibt über den österreichisch-ungarischen Ausgleich. Heute sei die staatsrechtliche Trennung Oesterreichs von Ungarn notwendig; aber diese Trennung sei nur die Vorstufe zur schliesslichen Wiedervereinigung, zur Befreiung und Einigung der Nationen beider Staaten auf der Grundlage der nationalen Autonomie. Durch die Verwandlung Oesterreich-Ungams in eine demokratische Föderation autonomer Nationen werde sich der Prozess vollenden, in dem sich das Nationalitätsprinzip als staatenbildender Faktor durchsetzt, der Prozess, der zur Einigung Deutschlands und zur Befreiung Italiens geführt habe.
1. Deset rokŭ odborového hnutí českoslovanského. Prag 1907. Preis 3 K.
2. Protokol IV, všeodborového sjezdu odborovtého sdružení českoslovanského. Prag 1907. Preis 60 h.
Leztztes Update: 6. April 2024