Otto Bauer

Die Reform der Hauszinssteuer

Wohnungspreise und städtische Grundrente

(1. April 1908)


Der Kampf, Jahrgang 1 7. Heft, 1. April 1908, S. 324–330.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Der Kapitalismus unterwirft allmählich die ganze Güterproduktion seiner Herrschaft, die Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse wird seinem Verwertungsbedürfnis untertan. Auch das Wohnungsbedürfnis nutzt das Kapital, Profite und Renten an sich zu ziehen. In den Städten wohnt die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in gemieteten Räumen, der Gebäudebesitz ist eine der Formen der Kapitalsanlage geworden.

Auf die Höhe der Wohnungspreise, der Mietzinse, will die geplante Reform der Hauszinssteuer einwirken. Inwieweit dies möglich ist, soll unsere Untersuchung lehren. Sie kann sich nur auf die Einsicht in die Gesetze autbauen, die die Bewegung der Wohnungspreise bestimmen. Doch sollen diese Gesetze hier nur insoweit dargestellt werden, als dies für die Beurteilung der geplanten Steuerreform unerlässlich erscheint.

Der Preis der Wohnungen wird unmittelbar durch das Spiel von Angebot und Nachfrage bestimmt. Die Nachfrage ist aber nicht auf Mietobjekte schlechthin gerichtet, sondern auf Mietobjekte bestimmter Art, bestimmter Grösse und Beschaffenheit, bestimmter Lage. Die Grösse des Angebots hängt von dem Umfang der Bautätigkeit ab. Aber während die Wohnungen an der Peripherie der Stadt beliebig vermehrbar sind, das Angebot durch Ausdehnung der Bautätigkeit beliebig gesteigert werden kann, ist die Zahl der Wohnungen in günstigerer, von den Mietern bevorzugter Lage beschränkt, sie kann nicht beliebig erhöht werden. Unsere Untersuchung wird also eine Zone der beliebig vermehrbaren Wohnungen und Zonen der begünstigten, aber nicht beliebig vermehrbaren Mietobjekte unterscheiden müssen. [1]

Hierbei sehen wir im folgenden zunächst von der Verschiedenheit des Grades der Bebauungsintensität ab; wir nehmen also zunächst an, dass in allen Teilen der Stadt auf eine gleiche Baufläche auch gleiche Wohnungsfläche entfällt.

Wir fragen nun, wodurch unter dieser Voraussetzung das Angebot an Mietobjekten, also – bei gegebener Nachfrage – ihr Preis bestimmt wird.

Wenn der Besitz von Miethäusern Kapitalsanlage geworden ist, muss jedes Gebäude seinem Besitzer die übliche Verzinsung seines Kapitals sichern. Der Zinsfuss muss niedriger sein als die Durchschnittsprofitrate in der Industrie und im Handel, aber höher als das Erträgnis von Bankdepositen, Sparkasseneinlagen und festverzinslichen Wertpapieren. Wie hoch er innerhalb dieser Grenzen ist, hängt von der ökonomischen Psychologie der besitzenden Klassen, von dem Grade ihrer Anpassung an kapitalistische Denkweise ab: das Baukapital wird desto niedrigeren Zins abwerfen, je mehr noch diese Form der Kapitalsanlage sozial höher bewertet wird als andere Verwertungsweisen des Kapitals und je weniger die besitzenden Klassen gewohnt sind oder Gelegenheit haben, Wertpapiere, insbesondere Dividendenpapiere zu kaufen. [2] Eine gründlichere Analyse, die hier entbehrlich ist, würde zeigen, wie die Höhe der durchschnittlichen Verzinsung des Gebäudekapitals ausserdem von der Organisation des Boden- und Baukredits abhängt.

Soweit die Mietobjekte beliebig vermehrbar sind, kann das Gebäudekapital in Städten mit wachsender Bevölkerung dauernd weder mehr noch weniger als diesen Durchschnittszins tragen. [3] Bleibt die Verzinsung unter dem Durchschnittszins, dann stockt die Bautätigkeit, das Angebot an Mietobjekten bleibt unverändert, während die Nachfrage mit dem Wachstum der Bevölkerung steigt, es steigen daher auch die Mietzinse, so dass die Durchschnittsverzinsung wieder erreicht wird. Ueber-steigt dagegen die tatsächliche Verzinsung des Gebäudekapitals diese Grenze, dann wird die Bautätigkeit gesteigert, das Angebot an Mietobjekten steigt, die Mietzinse sinken, der Durchschnittszinsfuss wird wieder hergestellt. In der Zone der beliebig vermehrbaren Wohnungen werden also durch das Spiel von Angebot und Nachfrage die Wohnungspreise so geregelt, dass das im Gebäudebesitz investierte Kapitalden Durchschnittszins trägt.

Das Kapital, auf das dieser Zins berechnet wird, setzt sich aus dem Gebäudekapital und dem Preis der zur Verbauung verwendeten landwirtschaftlichen Grundstücke zusammen. Der Durchschnittszins von diesem Kapital ist aber höher als die Summe der Zinsen vom Baukapital und der landwirtschaftlichen Grundrente an der Peripherie der Stadt, da die landwirtschaftlichen Grundstücke in der Regel zu einem höheren Preise als der zum Durchschnittszinsfuss kapitalisierten Grundrente verkauft werden können. [4]

Auf diese Weise werden die Wohnungspreise in der Zone der billigsten Wohnungen festgestellt. In den den Verkehrs- und Geschäftsmittelpunkten der Stadt näher gelegenen Wohnungszonen sind die Mietzinse höher; in welchem Grade sie höher sind, hängt von der Ausgestaltung der Verkehrsmittel, von der Einkommensgliederung und von den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung ab; das heisst von der Grösse der Opfer, die die Mieter zu bringen gewillt sind und bringen können, um den Verkehrsmittelpunkten der Stadt näher zu sein. Da der Mietzins hier höher, die Baukosten dagegen annähernd ebenso gross sind, bringt hier das Baukapital höheren Zins, nämlich äusser dem Durchschnittszins ein dauerndes Mehrerträgnis, das wir die Differentialrente der Lage nennen. Daher sind hier auch die Bodenpreise höher: die Bodenpreise dieser Zonen sind gleich der Summe der Baustellenpreise der billigsten Zone und der kapitalisierten Differentialrente der Lage. Die Höhe der Grundrente und der Bodenpreise ist nicht die Ursache, sondern die Wirkung der hohen Wohnungspreise.

Die Differentialrente der Lage kann auch schon an der Peripherie der Stadt vorkommen. Es geschieht dies, wenn die Ausdehnung der Stadt nicht gleichmässig nach allen Richtungen vor sich geht, sondern die Bevölkerung auch im äussersten Umkreise der Stadt sich in der Nähe der Verkehrslinien und Verkehrsmittel oder in der Nähe neuer industrieller Unternehmungen und dergleichen zusammendrängt. In diesem Falle steigen auch hier die Bodenpreise: der Bodenpreis ist nicht mehr kapitalisierte (wenn auch etwas zu hoch bewertete) landwirtschaftliche Grundrente, sondern die Summe dieser und der kapitalisierten Diflerentialrente der Lage. Es kann hier also durch Verbauung der landwirtschaftlichen Grundstücke ein Wertzuwachs des Bodens, der Bebauungsgewinn erzielt werden. Ihn zu erwerben, ist eines der Ziele der Bodenspekulation.

Die Bodenspekulation nützt aber nicht nur die Entstehung der Differentialrente der Lage und des aus ihr hervorgehenden Bebauungsgewinns aus, sondern sie kann ihre Entstehung unter günstigen Umständen auch herbeiführen, indem sie die Baustellen aufkauft, die gleichmässige Ausdehnung des Baugebietes und dadurch auch die Herabdrückung der Verzinsung des Gebäudekapitals auf den Durchschnittszins verhindert, die Bautätigkeit nach einer bestimmten Richtung drängt, in der dann Diflerentialrente der Lage und Bebauungsgewinn entstehen müssen.

Die allmähliche Ausdehnung der Stadt in horizontaler Richtung und die Steigerung der Diflerentialrente der Lage in den günstiger gelegenen Bauzonen wird aber durch die Veränderungen in der Bebauungsintensität gekreuzt. Stellen wir uns zum Beispiel eine Stadt vor, deren Bevölkerung in fünf Wohnungszonen ihren Wohnungsbedarf befriedigen könnte, so dass die Gebäude der äussersten Wohnungszone nur den Durchschnittszins tragen, während der Boden der anderen vier Zonen Differentialrente der Lage abwirft. Nun kann es aber geschehen, dass die Bevölkerung es vorzieht, sich in der vierten Zone zusammenzudrängen als in der entlegeneren fünften Zone Wohnung zu suchen: in diesem Falle wird der Ausbau der fünften Zone nicht möglich sein, dagegen wird der Boden der vierten Zone intensiver bebaut werden. Hier werden Mietskasernen mit vielen Stockwerken, Hinterhäusern u. s. w. gebaut werden. Ob und in welchem Umfang dies geschieht, hängt von den Bauordnungen, von der Ausgestaltung der Verkehrsmittel und von den Lebensgewohnheiten der Bevölkerung ab; eine an das Familienhaussystem gewohnte Bevölkerung wird lieber in der fünften Zone in kleineren Gebäuden als in Mietskasernen der vierten Zone wohnen; bei unserer Bevölkerung, die an die Mietskaserne gewöhnt ist, die Vorteile weniger intensiver Bebauung unterschätzt, wird die Bebauung der fünften Zone unmöglich sein, solange sie in der vierten Zone noch Raum findet.

Der Mieter, der im vierten Stockwerk eines Hinterhauses in der vierten Zone eine Wohnung nimmt, wird für sie annähernd denselben Mietzins bezahlen, den er in der fünften Zone hätte zahlen müssen, wenn er es vorgezogen hätte, in einem von der Verkehrsmittelpunkten der Stadt ferner gelegenen, aber mit geringerer Bebauungsintensität erbauten Hause zu wohnen; er zahlt also ebensoviel, als ob er nur den Durchschnittszins, aber keine städtische Differentialrente entrichten würde. Trotzdem entsteht auch hier eine eigenartige Rentenerscheinung. Dank der höheren Bebauungsintensität fliesst dem Hausbesitzer ein höheres Mietzinserträgnis zu; die Baukosten dagegen steigen mit der höheren Bebauungsintensität nicht in demselben Verhältnis wie das Mietzinserträgnis. [5] Das im Gebäude angelegte Kapital wirft also mehr als den Durchschnittszins ab; dieses Mehrerträgnis über den Durchschnittszins kann nicht durch die Konkurrenz von Neubauten in der fünften Zone beseitigt werden, da die Bevölkerung es vorzieht, bei gleichem Wohnungspreise in den Hinterhäusern und hohen Stockwerken der vierten Zone zu wohnen. Dieses Mehrerträgnis nennen wir die Differentialrente der Bebauungsintensität. [6] Da auch diese Rente im Bodenpreise kapitalisiert wird, führt auch sie zur Steigerung der Bodenpreise.

Die Differentialrente der Bebauungsintensität kann in allen Bauzonen der Stadt auftreten – auch, wie gerade unser Beispiel beweist, an der äussersten Peripherie der Stadt. Zu sehr interessanten Ergebnissen führt eine Untersuchung der wechselseitigen Abhängigkeit der beiden Formen der städtischen Differentialrente von einander; doch ist eine solche Untersuchung für unsere Zwecke entbehrlich.
 

Die Kontingentierung der Hauszinssteuer [7]

Man hat die Frage, welche Wirkungen die Herabsetzung der Hauszinssteuer hervorrufen würde, oft mit der anderen Frage vermengt, ob die Mieter oder die Hausbesitzer die Träger dieser hohen Steuer sind.

Nun kann es keinem Zweifel unterliegen, dass nur der Mieter, nicht der Hausbesitzer die Werte aufbringt, die in der Gestalt der Steuerbeträge in die Staatskassen abfliessen. Der Gebäudebesitz schafft keine Werte, sondern er gibt nur dem Besitzer die Macht, von anderen geschaffene Werte an sich zu ziehen. Durch seine Steuergesetzgebung zwingt der Staat den Hausbesitzer, seine Beute mit ihm zu teilen.

Aber damit ist die Frage noch nicht beantwortet, welche Wirkungen eintreten werden, wenn der Staat auf seinen Anteil an dieser Beute oder auf einen Teil dieses Anteiles verzichtet. Bleibt dann die ganze Beute dem Hausbesitzer! Oder muss er den Teil der Beute, auf den der Staat verzichtet, dem Mieter belassen? Werden die Mietzinse um den Betrag sinken, um welchen die Steuer ermässigt wird?

Der Preis der Wohnungen wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Die Herabsetzung der Steuer führt also an sich nicht zur Ermässigung der Mietzinse. Sie kann diese Wirkung nur hervorrufen, wenn sie die Bautätigkeit steigert und dadurch das Angebot an Wohnungen vermehrt. Daraus folgt, dass die Herabsetzung der Steuer in der Zone der beliebig vermehrbaren Wohnungen andere Wirkungen hervorrufen muss als in den Zonen der von den Mietern begünstigten, aber nicht beliebig vermehrbaren Mietobjekte. Das Angebot an Geschäftslokalen auf dem Stephansplatz oder in der Mariahilferstrasse kann infolge der Herabsetzung der Hauszinssteuer nicht vermehrt werden.

Soweit die Hauszinssteuer auf dem Durchschnittszins des Gebäudekapitals lastet, hemmt sie die Bautätigkeit. Das Angebot an Mietobjekten wächst langsamer als die Nachfrage. Die Mietzinse steigen. Erst wenn infolge des Steigens der Mietzinse das Gebäudekapital trotz der Steuer wieder den Durchschnittszins trägt, kann die Bautätigkeit wieder fortgesetzt werden. Der Durchschnittszins, der allein die Kapitalsanlage im Gebäudebesitz wirtschaftlich ermöglicht, setzt sich hier nur mittels der Steigerung der Mietzinse durch. Hier müssen also die Mieter höheren Zins zahlen und dadurch den Hausbesitzer für die Steuer voll entschädigen.

Würde die Steuer herabgesetzt, so würden die Gebäude der billigsten Zone höhere Verzinsung als den Durchschnittszins abwerfen. Die Bautätigkeit würde steigen, die Mietzinse sinken, die Herabsetzung der Steuer würde also die Mietzinse herabdrücken. Soweit die Hauszinssteuer den Durchschnittszins des Gebäudekapitals belastet, wird ihre Ermässigung zur Verbilligung der Wohnungen führen; und zwar werden die Mietzinse in diesem Falle in allen Zonen sinken. Auch die Hausbesitzer der begünstigten Zonen müssen, wenn die Mietzinse an der Peripherie der Stadt sinken, ihre Wohnungen billiger vermieten; denn die Differenz zwischen den Wohnungspreisen der verschiedenen Zonen darf nicht zu gross werden, weil sonst die Bevölkerung aus den begünstigten Zonen in die billigeren Wohnungen abströmt.

In den Zonen der teureren Wohnungen aber – und, wie wir gesehen haben, vielfach auch im äussersten Umkreis der Stadt – tragen die Gebäude nicht nur den Durchschnittszins, sondern auch die Differentialrente der Lage und der Bebauungsintensität. Hier schmälert die Steuer nicht die Kapitalsverzinsung, sondern die Grundrente. Die Herabsetzung dieses Teiles der Steuer kann nicht zur Ermässigung der Mietzinse führen: denn soweit die Höhe des Mietzinses aus der Gunst der Lage oder aus dem Vorteil höherer Bebauungsintensität fliesst, kann sie durch Neubauten im Umkreis der Stadt nicht verringert werden.

Die Differentialrente ist das dauernde Mehrerträgnis aus günstiger Lage oder höherer Bebauungsintensität. Der Unterschied zwischen dem Erträgnis der von den Mietern begünstigten und der billigsten Mietobjekte wird von der Höhe der Steuer, das heisst des Anteiles des Staates an diesem Mehrerträgnis nicht beeinflusst. Die Grösse dieses Mehrerträgnisses wird vielmehr durch alle Faktoren bestimmt, welche den Umfang der Nachfrage nach den begünstigten Mietobjekten und die Kaufkraft der Nachfragenden regeln; die Hausbesitzer werden daher auf das ganze Mehrerträgnis nicht verzichten müssen, wenn der Staat den bisher ihm zufallenden Anteil an dem Mehrerträgnis oder einen Teil dieses Anteiles freigibt.

Wird die Steuer vom Durchschnittszins ermässigt, dann wird die Bautätigkeit angeregt, die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkte gesteigert, die Mietzinse sinken. Es sinken nicht nur die Preise der billigsten Wohnungen, sondern auch die der begünstigten und teueren Mietobjekte, weil die Herabsetzung der Steuer den Unterschied zwischen den Preisen der verschiedenen Wohnungskategorien nicht vergrössern kann. Verzichtet dagegen der Staat auf seinen Anteil an der Rente, dann kann die Konkurrenz auf dem Markte, wo die Rente tragenden Wohnungen feilgeboten werden, nicht gesteigert werden, weil das Angebot an diesen Wohnungen nicht beliebig vermehrbar ist; die Herabsetzung dieses Teiles der Hauszinssteuer lässt die Mietzinse unberührt, weil die Ermässigung der Steuer den Unterschied zwischen den Preisen der wohlfeilsten und der teuereren Wohnungen nicht vermindern kann.

Die Mietobjekte der inneren Bauzonen sind nicht beliebig vermehrbar; sie haben daher erhöhte Konkurrenz nur so weit zu fürchten, als die Steuerermässigung den Durchschnittszins an der Peripherie von der Steuerlast befreit und dadurch die Bautätigkeit anregt, aber nicht, soweit die Steuerermässigung nur bedeutet, dass der Staat auf seinen Anteil an der Differentialrente, an dem Unterschied zwischen den Preisen der verschiedenen Wohnungskategorien verzichtet. Soweit die Hauszinssteuer auf der Differentialrente lastet, führt die Ermässigung der Steuer nicht zur Herabsetzung der Mietzinse. Die Herabsetzung der auf der Rente lastenden Steuer ist ein Geschenk an die Hausbesitzer: der Staat verzichtet auf einen Teil der Diflerentialrente, der bisher ihm abgeführt wurde, er vermehrt dadurch nicht nur das Einkommen der Hausbesitzer, sondern auch, da der Ertrag des Hauses im Gebäudewert kapitalisiert wird, ihr Vermögen. [8]

Soweit die Hauszinssteuer auf der Rente ruht, wirkt sie wie eine Reallast, sie ist eine »Hypothek zum allgemeinen Besten« (Myrbach). Die Herabsetzung dieses Teiles der Steuer hat auf die Wohnungspreise ebensowenig Einfluss wie die Tilgung von Hypothekarschulden.

Wir haben ein sehr lebhaftes Interesse daran, dass die Hauszinssteuer herabgesetzt wird, soweit diese Steuerermässigung zur Belebung der Bautätigkeit und dadurch zur Ermässigung der Mietzinse führen kann. Wir haben dagegen keinen Grund, zu wünschen, dass der Staat auf seinen Anteil an der Differentialrente zu-unsten der Hausbesitzer verzichtet. Man hat daher verlangt, die Steuer von der Verzinsung des Baukapitals möge von der Besteuerung des Bodenwertes und der Rente völlig geschieden werden. [9]

Ein solcher Vorschlag ist freilich nicht leicht durchführbar und steht jedenfalls heute nicht auf der Tagesordnung.

Die Regierung will vielmehr – so heisst es – den Wünschen der Hausbesitzer entsprechend, die Hauszinssteuer kontingentieren, das heisst auf das jährliche Wachstum des Steuerertrages oder einen Teil dieses Wachstums verzichten. Dadurch werden in jedem Jahre mehrere Millionen Kronen frei, die zur Ermässigung des Steuersatzes verwendet werden sollen. Natürlich könnte eine solche Steuerreform überhaupt nur dann eine Wirkung zeitigen, wenn eine Steuerermässigung tatsächlich eintritt, wenn also dafür Vorsorge getroffen wird, dass nicht die Länder und Gemeinden die Zuschläge erhöhen und dadurch die Ermässigung der staatlichen Steuer wirkungslos machen.

Wer soll nun Anspruch auf die Steuernachlässe haben, die die Kontingentierung möglich macht?

Will man die Steuer gleichmässig für alle Hauszinssteuerzahler ermässigen, dann werden die Steuernachlässe vor allem nicht allzu gross sein. Das Erträgnis der Hauszinssteuer war für das Jahr 1907 mit 76.685.000 K, für das Jahr 1908 mit 83.000.000 K veranschlagt. Das Wachstum des veranschlagten Steuerertrages beträgt also 6.315.000 K, 8,235 Prozent. Wenn die Regierung selbst auf das ganze Wachstum des Steuerertrages verzichtet, so kann der Steuersatz doch im ersten Jahre um nicht mehr als 8,2 Prozent der Steuer, das ist in den Landeshauptstädten und den ihnen gleichgestellten Orten um 163 Prozent, in den anderen Orten um 1 Prozent, in Tirol um 0.75 Prozent des Bruttozinsertrages, um einen stetig fallenden Prozentsatz in jedem folgenden Jahre herabgesetzt werden. Dieser Steuernachlass soll nun allen Gebäuden zufallen: also auch jenen, die eine hohe Differentialrente abwerfen.

Erwägt man, dass selbst die Gebäude an der Peripherie der Städte häufig Differen-tialrente tragen, dann wird man an eine solche Steuerermässigung keine grossen Hoffnungen knüpfen: der grösste Teil des Steuernachlasses wird dann den Rente tragenden Gebäuden zufliessen, also die Bautätigkeit nicht anregen und keine Ermässigung der Mietzinse herbeiführen. Nur ein Teil des Steuernachlasses fliesst den Gebäuden zu, die bloss Durchschnittszins, aber keine städtische Differentialrente tragen; nur dieser Teil wird seinen Zweck erreichen, die Bautätigkeit fördern, die Mietzinse senken. [10]

Würde dagegen der Steuernachlass zunächst nur den Neubauten und erst wenn der Steuersatz für diese während ihrer ganzen Lebensdauer auf 5 Prozent herabgedrückt ist, auch den älteren Gebäuden bewilligt, dann wären die Wirkungen weit günstiger. Die Steuernachlässe wären dann für jeden einzelnen Neubau bedeutend grösser. Auch sie wären freilich wirkungslos, soweit auch die Neubauten Differentialrente abwerfen; aber ein grosser Teil dieser Nachlässe würde doch den Durchschnittszins in der Zone der billigsten Wohnungen steigern, die Bautätigkeit in dieser Zone beleben und dadurch die Mietzinse in allen Zonen herabdrücken. Den Hausbesitzern wird dieser Vorschlag freilich wenig sympathisch erscheinen, denn seine Durchführung würde die Steigerung der Mietzinse in allen Wohnungszonen hemmen, obwohl die Steuer der bereits stehenden Gebäude zunächst unverändert bliebe; es würden daher hier Rente und Bodenwert sinken. Aber das Besitzinteresse muss hier dem Gesamtinteresse weichen. Uebrigens ist zu beachten, dass das Sinken der Mietzinse die Hausbesitzer niemals mit voller Wucht trifft – nicht nur, weil das Sinken der Zinse durch die bekannte Erscheinung der Trägheit der Preise erschwert und verlangsamt wird, sondern auch deshalb, weil die Bevölkerung ihr Wohnungsbedürfnis desto besser und vollständiger befriedigt, je billiger die Wohnungen sind, so dass das Sinken der Mietzinse die Nachfrage nach Wohnungen steigert und dadurch sich selbst eine Grenze setzt. [11]

Technisch liesse sich die Beschränkung des Steuernachlasses auf die Neubauten in verschiedener Form durchführen. Man könnte die Sprozentige Steuer vom Ertrage der hauszinssteuerfreien Gebäude ermässigen und schliesslich abschaffen, während die Hauszinssteuer zunächst unverändert bliebe und erst nach gänzlicher Beseitigung der 5prozentigen Steuer schrittweise zü ermässigen wäre. Oder man könnte die Zahl der Baufreijahre verlängern. Endlich könnte man auf Grund einer Berechnung der durchschnittlichen Lebensdauer der Häuser an die Stelle der Sprozentigen Steuer und der Hauszinssteuer eine rechnungsmässig gleich hohe Hauszinssteuer für Neubauten einführen [12], die Steuernachlässe zunächst nur dieser Steuer gewähren und sie auf diese Weise schrittweise bis auf 5 Prozent herabsetzen.

Die Steigerung der Bautätigkeit bei der Beschränkung der Steuernachlässe auf Neubauten würde allerdings die Baustellenwerte in die Höhe treiben und der Bodenspekulation neue Gelegenheit zu üppigen Gewinnen schaffen. Die Reform der Hauszinssteuer wäre daher mit der Einführung der Bauplatzsteuer und der Wertzuwachssteuer zu verbinden. [13]

Indessen sollen die Steuernachlässe nicht nur auf Neubauten beschränkt, sondern auch diesen in verschiedenem Umfang zugeteilt werden. Die Vermietung der Kleinwohnungen ist wegen des höheren Risikos und wegen der grösseren Mühen mit der Gebäudeverwaltung den Hausbesitzern weniger angenehm als die Vermietung grösserer Wohnungen. Das Angebot an Kleinwohnungen bleibt daher hinter der Nachfrage häufiger und in höherem Masse zurück als das Angebot grösserer Wohnungen hinter der Nachfrage nach Mietobjekten dieser Art. Daher sind die Wohnungen der Arbeiterklasse und der unteren Schichten des Kleinbürgertums im Verhältnis zu der Wohnungsfläche und den Baukosten stets teurer als die grösseren Wohnungen der Bourgeoisie in gleicher Lage. Wir müssen daher verlangen, dass die durch die geplante Kontingentierung ermöglichten Steuernachlässe den Neubauten von Kleinwohnungen in höherem Umfang zugewendet werden als den Neubauten grösserer Mietobjekte. Die Durchführung dieses Vorschlages setzt allerdings eine völlige Veränderung der Steuergrundlage und des Steuerbemessungsverfahrens voraus: nicht vom Zinserträgnis des Hauses, sondern vom Zinserträgnis der einzelnen Wohnung soll die Steuer entrichtet werden. Gegen Missbräuche liesse sich durch ein System von Rechtsvermutungen unschwer Abhilfe schaffen. [14]

Der Druck der Hauszinssteuer macht sich endlich ganz besonders dort fühlbar, wo die Gebäude eines Ortes bisher nur die Hausklassensteuer zu entrichten hatten und nun in der Hauszinssteuerpflicht aufsteigen, weil wenigstens die Hälfte der Gebäude und der Wohnbestandteile des Ortes vermietet werden. (§ 1, Ges. v. 9. Februar 1882.) In solchen Orte ist es oft für die Arbeiter überhaupt unmöglich, Mietwohnungen zu erhalten, weil die Hausbesitzer auf diese Weise verhindern wollen, dass der Ort in die Reihe der hauszinssteuerpflichtigen Orte eingereiht werde. [15] Die Kontingentierung der Hauszinssteuer schafft die Möglichkeit, auch hier Abhilfe zu schaffen, indem den Gebäuden derjenigen Orte, die erst nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes der Hauszinssteuerpflicht unterworfen werden sollen, beträchtliche Nachlässe gewährt werden. [16]

Wenn – von diesem Falle abgesehen – die Ermässigung der Steuer auf Neubauten beschränkt und den Kleinwohnungen in erhöhtem Masse bewilligt wird, dann wird die Reform ihren Zweck erreichen. Aber selbst in diesem Falle dürfen wir nicht allzu grosse Hoffnungen an die geplante Reform knüpfen. Das Wohnungselend ist ja nicht nur eine Wirkung der hohen Hauszinssteuer. Eine ganze Reihe anderer Faktoren bestimmen neben ihr die Wohnungspreise. Die ganze Einkommensgliederung und Psychologie der Bevölkerung, die ganze Gestaltung ihres Wohnungsbedürfnisses wirkt, wie wir gesehen haben, auf die Entwicklung der städtischen Grundrente ein: eine Veränderung dieses bestimmenden Faktors wird erst der allmähliche kulturelle Aufstieg der breiten Volksmassen, die soziale Hebung der Arbeiterklasse herbeiführen. Die Bauordnungen, die Entwicklung der städtischen Verkehrsmittel, die Gestaltung des Baukreditwesens, die Bodenspekulation beeinflussen die Wohnungspreise: nur die kommunale Wohnungspolitik kann diese Faktoren in die Richtung lenken, die den Interessen der breiten Massen dient; sie wird erst möglich sein, wenn das Privileg der Hausbesitzer in den Gemeinden gebrochen wird, die Vertreter der Volksgesamtheit in die Gemeindestuben einziehen und wenn die Macht der Gemeinden auf dem Baustellen- und Häusermarkt durch ein wirksames Enteignungsgesetz gesteigert wird. Seinen letzten Grund hat das Wohnungselend aber in der Tatsache, dass die Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses eine der Verwertungsweisen des Kapitals geworden ist: erst wenn der städtische Grund und Boden in das Eigentum der Gemeinde überführt, die Befriedigung des Wohnungsbedürfnisses eine Aufgabe der öffentlichen Verwaltung wird, kann das Wohnungselend und die Wohnungsteuerung planmässig und wirksam bekämpft werden.

* * *

Fussnoten

1. Vgl. das Referat Karl Mengers in der Enquete über die Reform der Gebäudesteuer im Jahre 1903.

2. Die verhältnismässig niedrige Verzinsung des in Miethäusern investierten Kapitals in vielen Städten Oesterreichs beweist nicht, dass die städtische Grundrente niedrig ist, sondern nur, dass für den Kauf dieser Rente sehr hohe Preise bezahlt werden. (Vgl. Marx, Kapital III. 2, S. 163.) Es ist dies wesentlich auf das Misstrauen breiter Schichten unserer besitzenden Klassen gegen andere Formen der Kapitalsanlage zurückzuführen. Der Schrecken von 1873 liegt unseren Kapitalisten heute noch in den Gliedern.

3. Es ist sehr bezeichnend, dass die Begründer und Anhänger der subjektiven Werttheorie, die Marx’ Lehre von der Durchschnittsprofitrate, die ja nur auf der Grundlage der Arbeitswerttheorie aufgebaut werden kann, ablehnen, in dieser praktisch wichtigen Frage sich gezwungen sehen, mit dem analogen Begriff des Durchschnittszinses oder der »üblichen Verzinsung« zu operieren. Vgl. die Referate Mengers und Wiesers in der Enquete über die Reform der Gebäudesteuer.

4. Vgl. Marx’ Kapital III. 2, S. 163.

5. Eine genaue Analyse würde zeigen, dass diese Rentenerscheinung eintritt, ob nun das Mietzinserträgnis schneller oder langsamer steigt wie das auf die Einheit der Baufläche aufgewendete Baukapital, wenn es nur nicht in demselben Verhältnis steigt. Analog Marx’, Kapital III. 2, S. 224 ff.

6. Die Differentialrente der Lage entspricht Marx’ Differentialrente I, die Differentialrente der Bebauungsintensität kann mit Marx’ Differentialrente II verglichen werden. Auf die allgemeinen Unterschiede zwischen städtischer und ländlicher Grundrente ist hier nicht einzugehen.

7. Der Artikel wurde zu einer Zeit geschrieben, in der die Grundsätze des von der Regierung angekündigten Gesetzentwurfes der Oeffentlichkeit noch nicht bekannt geworden sind. Wir unterlassen es daher, auf die steuertechnischen Einzelfragen einzugehen.

8. »Eine Auflage auf die Rente würde bloss die Rente treffen; sie würde ganz auf die Grundherren fallen und könnte nicht auf irgend eine Klasse der Zehrer überwälzt werden.« Ricardo, On the principles of political economy and taxation. 10. Hauptstück.

Dass die Besteuerung der Rente die Wohnungspreise nicht erhöht, versuchten in der Enquete auch Inama-Sternegg, Komorzynski, Menger, Myrbach, Wieser zu beweisen. Philippovich hält es überhaupt für fraglich, ob die Steuer die Wohnungspreise erhöht.

9. Vergleiche die Vorschläge Wiesers in der Enquete über die Reform der Gebäudesteuer und die Kritik Robert Meyers in der Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, XIV. Jahrgang.

10. Man könnte allerdings auch in die Steuernovelle die Bestimmung aufnehmen, dass die vertragsmässig festgestellten Mietzinse durch das Gesetz um so viel ermässigt werden, als der, Steuernachlass beträgt. Eine solche Gesetzesbestimmung setzt voraus, dass die Steuer nicht mehr von dem Mietzinserträgnis des Gebäudes, sondern vom Erträgnis der einzelnen Wohnung entrichtet wird. Ein solches Gesetz bliebe gewiss nicht ganz wirkungslos; aber die Hausbesitzer würden sich beeilen, die bestehenden Mietverträge aufzulösen und bei Erneuerung der Mietverträge wäre das freie Walten der wirtschaftlichen Kräfte, die die Wohnungspreise bestimmen, nicht mehr zu verhindern.

11. Vgl. auch Robert Meyer, Soll und kann die Hauszinssteuer in eine Mietssteuer und eine Hausgrundsteuer zerlegt werden? Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, XIV. Band, S. 60 ff.

12. Vgl. Stenographisches Protokoll der Enquete über die Reform der Gebäudesteuer, Frage 32, insbesondere die Beantwortung im Referat von Philippovich.

13. Diese Steuern sind den Gemeinden zu überlassen. Ausserdem könnte die Besteuerung der Grundrente durch die Rezeption des englischen Betterment-Systems ausgestaltet werden : Heranziehung der Grundbesitzer zu besonderer Beitragsleistung für jene öffentlichen Arbeiten, die ihre Rente erhöhen.

14. Vgl. auch Sedlak, Zur Reform der österreichischen Gebäudesteuer, Oesterreichische Zeitschrift für Verwaltung, XXXVII. Jahrgang. – Vogel, Die Reform der Gebäudesteuer. Wien 1907.

15. Stenographisches Protokoll der Enquete über die Gebäudesteuer, S. 16.

16. Zu erwägen wäre, ob die Nachlässe nicht auch dazu verwendet werden sollten, das Mietzinserträgnis bis zu 1.200 K von der Steuer zu befreien. Eine solche Begünstigung liesse sich durch die Analogie der Rentensteuer (§ 125 Z. 7, G. v. 25. Oktober 1896) rechtfertigen, aber das Fehlen analoger Bestimmungen bei der Grund- und Erwerbsteuer spricht gegen sie. Die Begünstigung der kleinen Gebäude mit weniger als 1.200 K Mietzinserträgnis, die dadurch von der Steuer vollständig befreit würden, würde den Bau kleiner Häuser fördern, was ökonomisch – wegen der relativ höheren Baukosten – ein Nachteil, hygienisch aber vorteilhaft wäre.

 


Leztztes Update: 6. April 2024