Otto Bauer

Statistisches Material zur Frage
der Lebensmittelteuerung

(1. November 1909)


Der Kampf, Jg. 3 Heft 2, 1. November 1909, S. 70–75.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Nach den Marktberichten der Statistischen Abteilung des Wiener Magistrats betrugen die Kleinverkaufspreise für das Kilogramm der folgenden Waren:

 

Oktober 1906

Oktober 1909

Heller

Auszugmehl

  28   

bis

   40   

  44   

bis

  52   

Mundmehl

  24   

bis

  36   

  40   

bis

  48   

Semmelmehl

  22   

bis

  36   

  38   

bis

  44   

Weissgemischtes Brot

  20,3

bis

  36,6

  28,1

bis

  46,3

Schwarzes Brot

  20,1

bis

  29,8

  27   

bis

  39,2

Erbsen

  24   

bis

  56   

  32   

bis

  56   

Linsen

  42   

bis

100   

  60   

bis

  80   

Bohnen

  24   

bis

  72   

  32   

bis

  48   

Rindschmalz

190   

bis

320   

240   

bis

320   

Schweineschmalz

150   

bis

180   

152   

bis

188   

Butter

180   

bis

420   

220   

bis

400   

Der Liter Milch kostete im Oktober 1906 14 bis 36, im Oktober 1909 24 bis 32 h. Für 2 K erhielt man im Juni 1906 noch 25 bis 35 Stück, im Juni 1909 nur noch 20 bis 30 Stück frische Eier. So unzureichend diese Statistik ist, zeigt sie doch das Steigen der Lebensmittelpreise im Kleinverschleiss.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Zwischenhandel die Waren verteuert. Zwischen Erzeuger und Verbraucher schiebt sich eine überaus zahlreiche Klasse von Zwischenhändlern ein, die von den Verbrauchern ernährt werden muss. Aber wenn der Zwischenhandel stets die Kleinverkaufspreise hoch über den Grosseinkaufspreisen hält, so ist die Differenz zwischen Klein- und Grosshandelspreisen in den letzten Jahren doch nicht gewachsen. Das Steigen der Lebensmittelpreise im Kleinverschleiss ist auf das Steigen der Grosshandelspreise zurückzuführen.

Das Steigen der Grosshandelspreise ist eine internationale Erscheinung. Nach den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches betrug der Preis für 1000 Kilogramm Weizen in London im zweiten Viertel der Jahre:

 

Kronen

1904

149,2 

1905

171,–

1906

165,10

1907

160,20

1908

177,20

1909

229,20

Wir müssen fremden Weizen, der nach Oesterreich eingeführt wird, heute sehr teuer bezahlen. Hätten wir keine Getreidezölle, dann könnten die österreichischen Landwirte ihr Getreide trotzdem teurer verkaufen als seit vielen Jahren, da auch ihre ausländischen Konkurrenten ihre Ware nur zu sehr hohem Preise verkaufen. Das Steigen der Getreidepreise hat also seinen letzten Grund in der Gesamtentwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft in den letzten Jahren. Soweit die Brot- und Mehlteuerung auf diese Ursache zurückzuführen ist, hat die österreichische Gesetzgebung auf sie keinen Einfluss.

Aber das Steigen der Getreidepreise in Oesterreich hat noch einen anderen Grund: die Erhöhung der Getreidezölle durch den Zolltarif vom 13. Februar 1906. Dieser Zolltarif hat die Getreidezölle in folgender Weise festgestellt:

 

Minimalzölle
(für Staaten, mit denen wir
Handelsverträge haben)

Autonome Zollsätze
(für andere Staaten)

Kronen für 100 Kilogramm

Weizen

6,30

7,50

Roggen

5,80

7,00

Gerste

2,80

4,00

Hafer

4,80

6,00

Mais

2,80

4,00

Für Mehl wurde ein Zoll von 15 K für 100 Kilogramm festgesetzt.

Durch diese Zölle, die die Einfuhrkosten ausländischen Getreides um den Zollbetrag erhöhen, wird den österreichischen Landwirten die Möglichkeit geschaffen, ihr Getreide im Inland nicht nur um den Betrag, um welchen der Getreidepreis auf dem Weltmarkt gestiegen ist, sondern überdies auch noch um den Betrag des Zolls zu verteuern.

Unter dem Einfluss einerseits der Bewegung der Getreidepreise auf dem Weltmarkt, andererseits der österreichischen Zollgesetzgebung betrug der Preis von 1000 Kilogramm Theissweizen an der Wiener Börse im zweiten Viertel der Jahre:

 

Kronen

1904

191,50

1905

199,50

1906

184,90

1907

207

1908

255,30

1909

327,30

Vergleichen wir den Weizenpreis der Wiener Börse mit dem Londoner Weizenpreis, so erhalten wir folgendes Bild:

 

Differenz des Weizenpreises
in Wien und London
in Kronen für
1000 Kilogramm

1904

42,30

1905

28,50

1906

19,80

1907

46,80

1908

78,10

1909

98,10

Das Getreide war im schutzzöllnerischen Oesterreich immer viel teurer als in England, das seit dem Jahre 1869 keine Getreidezölle mehr kennt. Aber seit der Erhöhung der Zölle im Jahre 1906 hat sich die Differenz ungeheuerlich vergrössert. Die Grösse der Differenz hängt natürlich von verschiedenen Faktoren ab, insbesondere von der Höhe der Frachtkosten und von dem Ausfall der Ernte im Inland wie im Ausland. Einer ihrer Bestimmungsgründe ist aber auch der Zoll!

Wir bezahlen heute eine Tonne Weizen um K 135,80 teurer als im Jahre 1904. Von dieser Preissteigerung ist ein Teilbetrag von 80 K auf das Steigen des Weltmarktpreises zurückzuführen – um diesen Betrag ist der Weizenpreis auch in dem freihändlerischen England gestiegen, diese Steigerung wäre also auch ohne die Getreidezölle eingetreten. Aber das ändert natürlich nichts daran, dass ein anderer Teil der Preissteigerung durch die agrarische Zollgesetzgebung verschuldet wurde. Wir bezahlen für eine Tonne Weizen 63 K Zoll – für die Verteuerung des Weizens um diesen Teilbetrag ist unsere Gesetzgebung verantwortlich.

Soweit wir Getreide aus dem Ausland einführen, fliesst der Zoll in die Reichskasse: was der Verbraucher zahlt, steckt der Kriegsminister ein. Der Zoll auf ausländisches Getreide ist eine indirekte Steuer.

Anders steht es mit dem aus Ungarn eingeführten Getreide. Ungarisches Getreide und Mehl wird nach Oesterreich zollfrei eingeführt, aber der Zoll, der vom fremden Getreide eingehoben wird, setzt auch die ungarischen Landwirte in die Lage, ihre Ware um den Zollbetrag teurer zu verkaufen. Hier fliesst der Ertrag der Verteuerung also nicht der Reichskasse, sondern den ungarischen Grundbesitzern zu. Im Jahre 1908 haben wir aus Ungarn eingeführt:

 

Meterzentner

Weizen

4.326.792

Roggen

2.098.106

Gerste

2.155.560

Hafer

1.726.113

Mais

3.438.711

Weizenmehl

5.579.190

Roggenmehl

   368.068

Diese Waren sind durch die Zölle um folgende Beträge verteuert worden:

 

Kronen

Weizen

  27.258.790

Roggen

  12.169.015

Gerste

    6.035.568

Hafer

    8.285.342

Mais

    9.628.391

Weizenmehl*

  50.212.707

Roggenmehl*

    3.049.706

Summe

116.639.519

* Das Mehl wird nicht um den Betrag des Mehlzolls verteuert, wohl aber um den Betrag des Getreidezolls. Unserer Berechnung haben wir die Annahme zugrundegelegt, dass aus 100 Kilogramm Getreide 70 Kilogramm Mehl erzeugt werden.

 

Die Getreidezölle haben also zur Folge, dass wir das Getreide und Mehl, das wir aus Ungarn kaufen, um 116,6 Millionen Kronen teurer bezahlen müssen. Einen solchen Millionentribut zahlen wir den ungarischen Landwirten!

Noch grösser dürfte der Tribut sein, den wir dank den Zöllen den österreichischen Grundbesitzern entrichten müssen. Die Höhe dieses Tributs lässt sich aber nicht einmal annähernd genau feststellen. Wie viel ausländisches und wie viel ungarisches Getreide in Oesterreich verbraucht wird, wissen wir aus der Statistik des Aussenhandels und des Zwischenverkehrs; wie viel österreichisches Getreide auf unseren Märkten verkauft wird, wissen wir nicht. Wir kennen nur die Grösse der Getreideernte, wissen aber nicht, welcher Teil des im Inland geernteten Getreides als Saatgut und als Viehfutter verwendet, welcher von den Landwirten selbst verbraucht wird, ohne auf den Markt zu kommen. Die Grösse des Tributs, den wir den österreichischen Landwirten zahlen, lässt sich daher nicht berechnen.

Wohl aber können wir wenigstens annähernd feststellen, welcher Teil der Landbevölkerung den Gewinn aus der Verteuerung der Lebensmittel einsackt.

Nach der landwirtschaftlichen Betriebszählung vom Jahre 1902 arbeiten in der österreichischen Landwirtschaft insgesamt 9,070.682 Personen. Von ihnen sind nach ihrer Stellung im Betrieb:

Betriebsinhaber

3.424.016

Familienangehörige

4.389.405

Beamte

     12.294

Aufsichtspersonen

     57.657

Dienstboten

   942.766

Taglöhner

   244.544

Aus den hohen Getreidepreisen ziehen die Beamten, die Aufsichtspersonen, die Dienstboten und Taglöhner keinesfalls Gewinn – ihre Lebenshaltung hängt nicht vom Geldertrag der Landwirtschaft ab, sondern von der Höhe ihrer Gehalte und Löhne. Sie wird verbessert, wenn die Lebenshaltung der ihnen nahestehenden Schichten der gewerblichen Bevölkerung steigt, weil die Landwirte sonst im Konkurrenzkampf um die Arbeitskräfte, den ihnen die industrielle Entwicklung aufzwingt, nicht bestehen könnten. Was die Lebenshaltung der Arbeiter in den Städten senkt, bringt also auch den Arbeitern des Landes keinen Vorteil. Auf diese Weise scheiden aus der Masse des Landvolkes bereits 1.257.261 Personen aus, die leer ausgehen bei der Teilung der reichen Beute, die den Verbrauchern abgerungen wird.

Eine andere Schichte der Landbevölkerung, die höchstens ein vorübergehendes Interesse an dem Steigen der Getreidepreise bat, sind die Pächter. Steigen die Getreidepreise, so erhöhen ja die Grundbesitzer den Pachtzins. Nun bewirtschaften von den 2.856.348 landwirtschaftlichen Betrieben in Oesterreich:

nur Eigenland

2.054.035

mehr Eigenland als Pachtland

   397.732

mehr Pachtland als Eigenland

   233.310

nur Pachtland

   151.649

Wir können annehmen, dass wenigstens diejenigen Betriebe, die nur Pachtland, dann diejenigen, welche mehr Pachtland als Eigenland bewirtschaften, an dem Steigen der Getreidepreise nur ein vorübergehendes Interesse haben. Es sind dies insgesamt 384.959 landwirtschaftliche Betriebe.

Aber auch unter den Besitzern landwirtschaftlich genutzter Grundstücke ist die Zahl derjenigen, die aus den hohen Getreidepreisen keinen Gewinn ziehen, sehr gross. Im Jahre 1902 gab es in Oesterreich landwirtschaftliche Betriebe mit einer landwirtschaftlich genutzten Bodenfläche von:

 

In Prozenten

Weniger als 2 Hektar (Zwergbetriebe)

1.322.565

  46,5

2 bis 5 Hektar (Kleinbetriebe)

   810.225

  28,5

5 bis 20 Hektar (mittelbäuerliche Betriebe)

   613.290

  21,6

20 bis 100 Hektar (grossbäuerliche Betriebe)

     89.342

    3,1

mehr als 100 Hektar (Grossbetriebe)

     11.466

    0,3

Zusammen

2.846.888

100,0

Nun ist es gewiss, dass die Zwergbetriebe und Kleinbetriebe in der Regel kein Getreide verkaufen können, vielmehr selbst Getreide zukaufen müssen. 2.132.790 landwirtschaftliche Betriebe, 75,0 Prozent, also genau drei Viertel der Gesamtzahl haben an den hohen Getreidepreisen kein Interesse. Die mittelbäuerlichen Betriebe, 613.290, also etwas mehr als ein Fünftel der Gesamtzahl, ziehen aus ihnen nur geringen Gewinn. Den grössten Teil der Beute ziehen die Betriebe der Grossbauern und Grossgrundbesitzer an sich, die nur 3,4 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe bilden und deren es in ganz Oesterreich nicht mehr als 100.808 gibt. Nach der Berufszählung vom Jahre 1900 ernährten Industrie und Gewerbe, Handel und Verkehr, der öffentliche Dienst und die freien Berufe 12.441.504 Menschen. Mehr als zwölf Millionen Menschen müssen also ihre Lebensmittel teurer bezahlen, damit insgesamt 100.000 landwirtschaftliche Betriebe ihren Inhabern höheren Gewinn abwerfen. Auf einen geförderten Betrieb entfallen 124 geschädigte Konsumenten. Nicht die neun Millionen Menschen, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind, sondern nur die Besitzer von 100.000 Grossbetrieben und grossbäuerlichen Betrieben ziehen einen grossen, allenfalls noch die Besitzer von 613.290 mittelbäuerlichen Betrieben einen mässigen Gewinn aus der Getreideteuerung.

Grundbesitz und Zoll geben einer kleinen Minderheit die Macht, die ungeheure Mehrheit auszubeuten.

Ganz ähnliche Ursachen und Wirkungen hat auch die Verteuerung von Vieh, Fleisch und Milch. Auch sie ist keineswegs nur auf die agrarische Handelspolitik zurückzuführen. Ihre wichtigste Ursache ist vielmehr darin zu erblicken, dass die Entwicklung der österreichischen Viehwirtschaft mit dem Wachstum der Bevölkerung und ihres Fleisch- und Milchbedarfes nicht gleichen Schritt gehalten hat. Das beweist die folgende Gegenüberstellung unseres Reichtums an Rindvieh mit der Grösse unserer Bevölkerung:

Jahr

Anzahl der Rinder

Zivilbevölkerung

Auf 100 Einwohner
entfallen Rinder

1857

8.013.368

18.224.500

44,0

1869

7.425.212

20.217.531

36,7

1880

8.584.077

21.981.821

39,0

1890

8.643.936

23.707.906

36,5

1900

9.511.170

25.921.671

36,7

Bis zum Jahre 1890 ist unser Reichtum an Vieh viel zu langsam gestiegen. Seit dem Jahre 1890 können wir allerdings ein etwas schnelleres Wachstum beobachten. Aber auch dieses Wachstum war ungenügend; gerade in die letzten beiden Jahrzehnte fällt ja einerseits eine schnellere Verschiebung unserer Bevölkerung vom Lande in die Stadt, von der Landwirtschaft zur Industrie, womit stets schnelles Steigen der Nachfrage nach Fleisch und Milch Hand in Hand geht, andererseits die Hebung der Lebenshaltung der Arbeiterschaft durch erfolgreiche gewerkschaftliche Kämpfe, wodurch gleichfalls der Fleisch- und Milchverbrauch gesteigert wurde. So ist die heimische Viehzucht tatsächlich nicht imstande, unseren Bedarf an Fleisch und Milch zu decken; dieser Notstand hat das Steigen der Vieh-, Fleisch- und Milchpreise herbeigeführt: Die Forderung, dass der Staat die heimische Viehzucht und Milchwirtschaft fördern solle, ist also berechtigt, ihre Erfüllung auch im Interesse der Verbraucher gelegen.

Aber diese Förderung sollte nicht dadurch geschehen, dass der Staat uns hindert, die Lücken unserer Viehwirtschaft durch vermehrte Zufuhr an dem Auslande auszufüllen, solange die heimische Produktion unseren Bedarf nicht zu decken vermag. Gerade dieses Mittel hat aber unsere agrarische Gesetzgebung angewendet. Unter dem Vorwande, die Einschleppung gefährlicher Tierseuchen zu verhindern, hat der Staat die Einfuhr nicht nur von Vieh, sondern auch von Fleisch aus Russland, Rumänien, den Balkanstaaten und den südamerikanischen Republiken verboten. Dadurch werden zunächst die Vieh- und Fleischpreise in die Höhe getrieben. Aber auch die Milchteuerung in den Städten, die Einschränkung des Milchverbrauches auf dem Lande wird dadurch verschuldet; wäre die Zufuhr von Fleisch aus dem Auslande gestattet, dann würde ein kleinerer Teil unseres Viehstandes der Mästung, ein grösserer der Milchwirtschaft zugeführt – niedrigere Fleischpreise hätten auch niedrigere Milchpreise zur Folge.

Auch die Verteuerung von Fleisch und Milch bereichert nur einen kleinen Teil der Landbevölkerung. Nach der landwirtschaftlichen Betriebszählung verteilt sich unser Viehstand auf die verschiedenen Betriebsgrössen in folgender Weise:

Landwirtschaftliche Betriebe
mit einer produktiven Fläche von

Zahl der Betriebe
mit Rindern

Zahl der Rinder
in diesen Betrieben

Auf einen Betrieb
entfallen Rinder

weniger als 2 Hektar

   718.500

1.232.007

  1,7

2 bis 5 Hektar

   715.610

1.975.503

  2,8

5 bis 20 Hektar

   595.932

3.343.032

  5,6

20 bis 100 Hektar

   136.357

1.795.130

13,2

mehr als 100 Hektar

     12.101

   679.536

56,2

 

2.178.500

9.025.208

  4,1

Die landwirtschaftlichen Kleinbetriebe sind an der Viehwirtschaft gewiss in höherem Masse beteiligt als an dem Getreidebau. Doch ist es gewiss, dass die 718.500 Zwergbetriebe mit 1 bis 2 Rindern aus der Vieh- und Milchteuerung keinen Gewinn ziehen, dass auch noch weitere 715.610 Kleinbetriebe mit 2 bis 3 Rindern an der Fleischteuerung nicht, an der Milchteuerung nur in ganz geringem Masse interessiert sind. Von 2,178.500 Betrieben mit Rinderhaltung haben also 1,434.110 an der Verteuerung der Erzeugnisse der Viehwirtschaft kein oder nur ein geringfügiges Interesse – nur einem Drittel der Betriebe fliesst der Gewinn zu.

Aber selbst die grösseren Grundbesitzer, die aus der Verteuerung der Lebensmittel Gewinn ziehen, müssen diesen Gewinn sehr bald mit einer anderen Macht teilen.

Steigen die Lebensmittelpreise, so steigt die Grundrente, der Ertrag, den der Boden abwirft. Steigt die Grundrente, so steigen auch die Bodenpreise. Das Steigen der Lebensmittelpreise in der Stadt ist stets begleitet von dem Steigen der Bodenpreise auf dem Lande. Das Steigen der Bodenpreise löst aber sehr wichtige, durchaus nicht erfreuliche Wirkungen aus.

Mit voller Wucht trifft das Steigen der Bodenpreise das arme Landvolk, die Proletarier und die Zwergbesitzer in den Dörfern. Je teurer der Boden wird, desto schwerer können sie Boden kaufen. Der Mehrheit des Landvolkes wird auf diese Weise der Weg zur wirtschaftlichen Selbständigkeit gesperrt. Sie müssen die Hoffnung, Boden zu erwerben, aufgeben; sie bleiben Proletarier.

Aber auch den Besitzenden bringt das Steigen der Bodenpreise keine ungeteilte Freude. Bei jedem Erbgang, bei jeder Gutsübergabe müssen Schulden aufgenommen werden, damit die „weichenden Geschwister“ abgefunden werden können. Bei jedem Verkauf bleiben Kaufschillingsreste als Grundschuld auf dem Boden stehen. Je höher der Boden bewertet wird, desto höhere Abfindungsgelder müssen den weichenden Geschwistern gezahlt, desto höhere Kaufschillingsreste auf das verkaufte Grundstück einverleibt werden. Steigt mit den Lebensmittelpreisen der Bodenpreis, so steigt auch die Schuldenlast des Bodens. Nach Angaben der Grundbuchsämter ist der Lastenstand im „sonstigen Besitz“, das heisst der Lastenstand des Grundbesitzes, soweit er nicht landtäflicher, städtischer oder bergbücherlicher Besitz ist, in folgender Weise gestiegen:

 

Zunahme des bücherlichen
Lastenstandes im „sonstigen
Besitz“ in Kronen

Jahresdurchschnitt 1896 bis 1900

158.714.987

Jahresdurchschnitt 1901 bis 1905

171.431.789

 

Jahr 1904

168.498.357

Jahr 1905

199.206.358

Jahr 1906

212.299.461

Mit dem Schuldenstande steigt natürlich die Zinsenlast der Landwirtschaft. Von der Beute, die die Agrarier den Verbrauchern abgejagt haben, müssen sie einen grossen Teil an das Hypothekenkapital abtreten. Ein Teil der gestiegenen Grundrente verwandelt sich in Kapitalzins. Mit der Masse der Werte, die die Bodenbesitzer den besitzlosen Verbrauchern abnehmen, wächst auch die Wertsumme, die die Landwirtschaft an das parasitische Hypothekenkapital abgeben muss. Der von der Teuerung betroffene Konsument speist nicht nur den Grundbesitz, sondern auch das Hypothekenkapital.

 


Leztztes Update: 6. April 2024