August Bebel

Aus meinem Leben

Dritter Teil


Einiges über Versammlungen unter dem Sozialistengesetz

Wäre es unter der Herrschaft jenes Gesetzes jemand beigekommen, die Grundsätze festzustellen, nach denen polizeilicherseits Versammlungen verboten oder aufgelöst wurden, er hätte, auch wenn ein sehr hoher Preis auf die Lösung dieser Frage gesetzt wurde, erklären müssen: es gibt dafür keine Grundsätze. Laune und Willkür der Beamten sind dafür allein maßgebend. Die Gründe, die in einem Ort zu einem Verbot oder einer Auflösung führten, galten nicht an einem anderen Ort. Bald war es das Thema, bald die Person des Redners, bald die Natur des Lokals, was zu Maßregeln führte. Was der eine Beamte zuließ, verbot der andere, oft an ein und demselben Ort. Auch geschah es, daß Order gegeben wurde, der und der Redner dürfe ein für allemal nicht reden. Das geschah zum Beispiel Paul Singer im Königreich Sachsen.

Ich hatte in Dresden im Jahre 1886, als der Battenbergskandal in Bulgarien, die Aufmerksamkeit von ganz Europa in Anspruch nahm, eine Volksversammlung veranlaßt, in der ich einen Vortrag über jene Vorgänge hielt. Im Laufe der Debatte nahm auch Paul Singer das Wort, dem in seiner Rede eine Beleidigung des Bundesrats entschlüpfte. Der überwachende Beamte entzog ihm sofort das Wort. Ich rechnete mit einer Anklage und gratulierte meinem Freunde, daß er jetzt die Gewißheit habe, sich auch einmal die Mauern eines Gefängnisses von innen anzusehen. Ich täuschte mich. Es kam keine Anklage, dagegen eine Verordnung des Ministeriums des Innern, wonach Singer das öffentliche Reden innerhalb Sachsens ein für allemal zu verbieten sei.

Manchmal nahmen Versammlungsverbote auch einen amüsanten Verlauf, so ein solches in Großenhain in Sachsen. Ich war dort für eine Volksversammlung als Redner über das neue Unfallversicherungsgesetz angemeldet worden, also kein sozialistisches Thema. Gleichwohl wurde die Versammlung verboten, weil ich der Redner sein sollte. Auf meinen Rat legten die Großenhainer Genossen Beschwerde durch alle Instanzen ein, wurden aber überall abgewiesen. Sie wendeten sich nunmehr mit einer Beschwerde an den Landtag. Sie kam zur Verhandlung und kostete diesen eine lange Sitzung. Das Resultat war Zurückweisung unserer Beschwerde gegen unsere und einige liberale Stimmen.

Ich machte nunmehr den Großenhainer Genossen den Vorschlag, eine neue Versammlung mit demselben Thema einzuberufen, aber mit einem Arbeiter als Berichterstatter. In der darauffolgenden Diskussion wollte ich dann das Wort ergreifen. Das geschah. Unterderhand war aber bekannt gemacht worden, ich würde in der Versammlung anwesend sein. Die Versammlung war überfüllt, unter den Anwesenden befanden sich fast sämtliche Offiziere des in Großenhain garnisonierenden Husarenregiments, die in Zivil erschienen waren. Der Referent sprach etwa zwanzig Minuten, in der darauf eröffneten Debatte erhielt ich alsdann das Wort, ohne daß die Polizei zu intervenieren wagte. Ich sprach über eine Stunde unter stürmischem Beifall. Die Krönung des Ganzen aber war, daß nach Schluß der Versammlung der überwachende Polizeibeamte an mich herantrat und mir für meinen interessanten Vortrag dankte. Eine stärkere moralische Abfuhr konnte der Regierung und dem Landtag nicht zuteil werden.

Als ich später bei einer Sozialistengesetzdebatte im Reichstag zur Beleuchtung der Handhabung des Gesetzes den Großenhainer Vorfall erwähnte und auch den Dank des Polizeibeamten hervorhob, der mir geworden, brach das ganze Haus in stürmische Heiterkeit aus einschließlich Bismarcks, der zugegen war. Ein so gemütlicher Polizeibeamter war ihm wohl noch nicht vorgekommen.

Neben den öffentlichen Versammlungen fanden aber unzählige geheime statt. Diese waren sogar die wichtigsten. Die gesamte Führerschaft war bei solchen beteiligt, und selten gelang es, eine solche Zusammenkunft zur gerichtlichen Aburteilung zu bringen. Einsam und abseits gelegene Lokale, der Wald, die Heide, die Kiesgruben und Steinbrüche waren gesuchte Versammlungsorte. Ich konnte zum Beispiel unter dem Sozialistengesetz meinen Hamburger Parteigenossen über meine Reichstagstätigkeit gar nicht anders Bericht erstatten, als daß wir an solchen Orten zusammenkamen.

Aber einmal wurde ich doch gefaßt, als ich an einer geheimen Zusammenkunft der Mannheimer Parteigenossen auf der sogenannten Neckarspitze teilnahm, jene Stelle, an der der Neckar in den Rhein fließt. Wir wurden erkannt und August Dreesbach, ich und eine Anzahl Mannheimer Parteigenossen wurden zu Geldstrafen verurteilt. Dagegen blieb ungesühnt eine zahlreiche geheime Versammlung, die wir an einem Sonntagnachmittag auf einer unbewohnten Rheininsel unterhalb Mainz abhielten. Wohl versuchte die Staatsanwaltschaft einen Prozeß anzustrengen, aber die Zeugen versagten. So mußte die Anklage unterbleiben.

Mit den örtlichen geheimen Versammlungen war es aber dabei nicht getan. Auch Bezirks- und Landesversammlungen waren eine Notwendigkeit. So auch in Sachsen. Die Polizei war zwar solchen Zusammenkünften wiederholt auf der Spur, aber stets schlugen wir ihr ein Schnippchen. In besonderem Maße anläßlich einer Landeskonferenz, die wir scheinbar in der Höhle des Löwen, in Dresden abhalten wollten. An einem trüben Novembersonntag kamen die Delegierten nach Dresden, von der Polizei beobachtet. Dort versammelten wir uns, vierzig bis fünfzig Mann stark, am Nachmittag an der Dampfschiffstation, um elbeaufwärts zu fahren. Selbstverständlich sah uns die Polizei, und selbstverständlich gab sie uns vier Geheime als Schutzwache mit. Trotz des unfreundlichen Wetters blieben wir auf Deck. Unsere Fahrkarten lauteten nach Pillnitz. Den Polizisten wurde es in unserer Gesellschaft ungemütlich. Das hatten wir erwartet. Sie verzogen sich in die Kajüte. Dorthin folgten ihnen vier unserer Genossen, die ein Kartenspiel begannen, ein Beispiel, dem die Polizisten folgten. Unter uns war in aller Stille abgemacht, daß wir nicht nach Pillnitz fahren, sondern auf der vorhergehenden Station rasch das Schiff verlassen wollten. Unsere vier Genossen sollten zur Beruhigung der Polizei erst in Pillnitz aussteigen. Zusammenkunftsort war die mitten im Wald gelegene Maixmühle, bei günstiger Jahreszeit ein beliebter Ausflugsort der Dresdener. Als wir das Schiff von der Polizei unbemerkt verließen, war es schon bedenklich dunkel. Im Sturmschritt eilten wir nach der Maixmühle, wo Wirt und Wirtin über eine so zahlreiche Schar Gäste bei dieser Jahreszeit und Stunde nicht wenig überrascht waren. Wir begaben uns nach dem Saal und erklärten den Wirtsleuten, wir seien ein Gesangverein und wollten uns selbst bedienen. Um sie zu täuschen, wurde ab und zu ein Lied gesungen. Die Verhandlungen nahmen bei solchen Gelegenheiten stets einen raschen Verlauf. Mitten in der Beratung erschienen unsere vier Pillnitzer, die stürmische Heiterkeit erregten, als sie uns schilderten, welche verdutzte Gesichter die Polizisten gemacht, als sie sich mit ihnen allein an der Station Pillnitz sahen. Unsere vier hatten sich sofort in den pechfinsteren Wald begeben und die Polizisten ihrem Schicksal überlassen. Wahrscheinlich waren sie mit dem nächsten Schiff nach Dresden zurückgefahren. Eine Nase hatten sie sicher von ihren Vorgesetzten zu erwarten.

Sobald wir mit unseren Beratungen zu Ende waren, ließen wir uns vom Wirte eine Laterne geben, die einer unserer Genossen an einem Stab uns vorantragen mußte, damit wir den kotigen Weg nicht verfehlten, und zogen singend unsere Straße. Nach Mitternacht kamen wir nunmehr zu Fuße wieder in Dresden an. Die Polizei bedurfte keiner großen Kombinationsgabe, um zu erraten, wo wir getagt hatten; sie schickte am nächsten Morgen eine Kommission nach der Maixmühle, um ein Verhör mit den Wirtsleuten vorzunehmen. Diese waren nicht wenig überrascht, als sie hörten, was für gefährliche Sonntagsgäste sie gehabt hatten. Sie konnten aber keine uns belastenden Aussagen machen, sie wußten von nichts.

Ähnliche Vorgänge hat damals jeder erlebt, der unter dem Sozialistengesetz in einer tätigen Parteistellung war. Was ich hier erzähle, ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Bilde.



Zuletzt aktualisiert am 1.7.2008