Paul Lafargue

 

Hochzeitslieder und -bräuche

(Teil 1)

 

I

Monsieur Gaston schrieb in der Revue critique vom 22. Mai 1886: „Der Sammler von Volksliedern ist in Frankreich noch ein seltener Sonderling, dessen Passion nur mit Lächeln aufgenommen wird“. Und doch haben die Lieder, die den Lippen des Volkes entsprungen sind, wie die Blüten auf den Zweigen des Obstbaumes sich öffnen, eine hohe historische Bedeutung. Man kann aus ihnen in Ermangelung anderer Quellen die Bräuche, die Gefühle und Gedanken der namenlosen Menge wiedererkennen, um die sich die Chronisten und Geschichtsschreiber so wenig kümmern.

Das Volkslied, unwissend und unverfeinert, ohne andere Regel, als seine Laune, das sich weder um Zäsur [2] noch um Hemi-Stichium [3] viel kümmert, oft den Reim durch den Gleichklang der Vokale ersetzt und auf ihn verzichtet, wenn er ihm nicht gelegen kommt, das entsteht, kein Mensch weiß wo, und von Mund zu Mund sich fortpflanzt, das ist der treue, urwüchsige und ungezwungene Ausdruck der Volksseele, ihr Gefährte in Freud und Leid, das Handbuch ihres Wissens, ihre Lehre von der Entstehung der Götter und des Weltalls; „das Schatzkästchen, dem sie ihren Glauben, ihre häusliche und nationale Geschichte anvertraut“, wie Monsieur de Villemarqué [4] sagt.

„Da ich nicht lesen und schreiben kann“, sagt ein Rhapsode [5] des modernen Griechenland zu Fauriel, „habe ich, um diese Geschichte nicht gänzlich zu vergessen, ein Lied daraus gemacht!“ [6] Das gesungene Lied ist das einzige Mittel, welches die Völker ohne Kultur kennen und anwenden, um die Ergebnisse ihrer täglichen Erfahrungen aufzubewahren und die Erinnerung an hervorragende Ereignisse zu erhalten; und damit sie diese Lieder ihrem Gedächtnis besser einprägen, begleiten sie sie mit taktmäßigen Körperbewegungen, dem Tanz, so sehr, daß ein bulgarischer Sänger Dozon versichern konnte, daß „der Tanz die Schule sei, in der sich die bulgarische Poesie gebildet hat“. [7]

Bei den unzivilisierten Völkern hören Poesie, Musik und Tanz nicht auf. Wenn unsere Opern- und Liedertexte durch die Inhaltslosigkeit ihrer Worte verblüffen, so müssen wir im Gegenteil bei den Balladen und anderen Tanzliedern des Volkes über die lebendige Erzählung staunen, die mit solcher Fülle der Details und oft so energisch und poetisch vorgetragen wird.

Die mündliche Literatur ist, und das muß besonders hervorgehoben werden, nicht das Werk vereinzelter Individuen, sondern der Gesamtheit. „Ein Gedicht, das der erste beste aus dem Stegreif erfindet, wird bei den verschiedensten Gelegenheiten von tausenden anderer Stegreifdichter vervollkommnet. Niemand erhebt Anspruch darauf als sein literarisches Eigentum, und jedermann schmiedet seinen Vers dazu. Der wahre Dichter ist das Volk, das es singt und dabei nach und nach solche Änderungen einführt, bis es seinem Geist völlig entspricht“. [8] Es wird nur aufgenommen und durch Menschenalter von Mund zu Mund überliefert, weil es die Gefühle, Leidenschaften, Vorurteile, Aberglaube und Ideen derjenigen wiedergibt, die es vor der Vergessenheit bewahren.

Die Improvisation, das Dichten aus dem Stegreif, findet sich allgemein bei den rauhen Naturmenschen. Bei ihren Begräbnissen, Hochzeiten, bei den ländlichen, zünftigen, religiösen Festen, während der langen Winterabende, kurz bei jeder Gelegenheit, wo man sich mehr oder weniger zahlreich versammelt, finden sich Stegreifdichter ein, um die Tagesereignisse zu besingen. Jeder macht eine Strophe, und das poetische Genie der Gesellschaft, oft ein Bettler, ein Pächter oder ein Müller, unterweist dabei, hilft, verbessert. Gefällt das Lied, so wird es am nächsten Tag im ganzen Dorf wiederholt, am zweiten Tag beginnt es seine Reise durch das Land. Die namenlose Menge hat die Ilias geschaffen, das Nibelungenlied, den Romacero [9], das Kalevala [10], die großen Heldengedichte, den Stolz und die Blüte des Menschengeschlechtes.

Das Volkslied ist wesentlich lokal geprägt: Das Sujet mag mitunter von außen importiert sein, aber es wird nur akzeptiert und verwendet, wenn es dem Geist und den Gewohnheiten derer entspricht, die es adaptieren. Ein Lied läßt sich nicht aufdrängen, wie eine neue Kleidermode. Man hat bei den verschiedensten und entferntesten Völkern übereinstimmende Lieder, Sagen und Bräuche gefunden. Die Gelehrten nehmen an, daß diese entweder von Volk zu Volk überliefert wurden, oder einen Bestandteil ihren intellektuellen Hausschatzes ausmachten, den sie gemeinsam besaßen, ehe sie sich trennten. Aber noch eine andere Erklärung dieser Übereinstimmung ist möglich. Die Wilden der Steinzeit in Europa formten Messer, Äxte und andere Werkzeuge aus Feuerstein in derselben Weise, wie es noch jetzt die Ureinwohner von Australien tun; man kann nicht annehmen, daß diese Übereinstimmung auf Überlieferungen oder Mitteilungen beruht; die Gleichheit des Rohmaterials hat hier wie dort den Menschen zu dessen gleicher Bearbeitung geführt. Ob die Menschen aus dem Norden oder aus dem Süden stammen, ob sie Weiße [11] oder Schwarze sind, wenn sie die Eindrücke von den gleichen Erscheinungen empfangen, werden sie diese in übereinstimmenden Liedern, Sagen und Bräuchen wiedergeben.

Die Ähnlichkeit der Hochzeitslieder und -Bräuche bei den verschiedensten Völkern, die wir im folgenden darlegen werden, dürfte daher als Beweis dafür aufgenommen werden, daß alle diese Völker analoge Entwicklungsstufen durchgemacht haben.

Die Volksdichtung ist spontan und naiv: Das Volk singt seine Lieder unter dem unmittelbaren und direkten Eindruck der Leidenschaft, die es empfindet, und sucht diese getreu und ungekünstelt wiederzugeben. Die Brüder Grimm [12] konnten in der Tat behaupten, daß sie in den Volksliedern keine Lüge entdeckt haben, und Victor Hugo [13] konnte erklären, daß in der Ilias keine unwahrscheinliche Charakterzeichnung vorkommt. Durch diese Genauigkeit und Wahrhaftigkeit besitzt die mündliche Literatur einen historischen Wert, wie kein Werk eines anderen Individuums: Man kann sie daher getrost zu Rat ziehen, ohne Besorgnis, durch sie irregeführt zu werden.

Die Eheschließung hat bei allen Völkern der Erde zahlreiche Gedichte und merkwürdige Bräuche inspiriert, welche von den Gelehrten sorgfältig gesammelt wurden; aber sie blieben bisher von den Historikern unbeachtet und unbenutzt für den Zweck, die gesellschaftlichen Sitten der Völker zu erforschen, welche sie sangen und übten. Ich werde sie in diesem Artikel zur Erforschung der Ursprünge der patriarchalischen Familie benutzen.

 

 

II

Die Religionen und die Regierungen umgeben die Eheschließung mit Ehrfurcht und Pomp; die Philosophen, Priester und Staatsmänner betrachten sie als den Grundstein der Familie, als die Einrichtung, welche der Frau Ansehen und Schutz verleiht. Das Volkslied wirft einen Mißton in dieses feierliche und gewichtige Konzert, das seit Jahrhunderten gespielt wird.

Eine Hochzeit war früher auf dem Land ein frohes Fest; Freunde und Verwandte kamen scharenweise von weit und breit herbei; Fremde und Unbekannte brauchten sich bloß zu melden, um zum Feste zugelassen zu werden. Der Bauer, der sonst schweigsam und geizig, so nüchtern und arbeitsam ist, ließ bei dieser Gelegenheit seinen grauen Alltagsmenschen hinter sich, und es erfaßte ihn die Vergnügungs- und Freßwut nach jahrzehntelang aufgezwungener Entsagung. In tollem Wirbel folgten einander während einer Reihe von Tagen Lieder, Tänze, Possen, Schlemmereien. Aber zu einer religiösen Zeremonie gehört ein Opfer: Die Neuvermählte spielte diese Rolle. Die traditionellen Lieder, die man ihr zu Ehren wiederholte, und die Lieder, die man ihr zu Ehren neu improvisierte, standen im sonderbaren Gegensatz zur allgemeinen Fröhlichkeit.

In den Dörfern des Berry [14] sangen die Brautjungfern, wenn sie die Braut in die Kirche führten:

Ach! das arme Mädchen,
Nun hat sie ihr Hauskreuz,
Wir nehmen sie von nichts
Wir bringen sie zu nichts! [15]

Das Volkslied stellt sich die Aufgabe, alle Illusionen kommenden Glücks im Keim zu ersticken. In der oberen Bretagne [16] singt man:

Der Tag ihrer Vermählung
[Ist] der schönste aller Tage;
Sie ist bedeckt mit weißen Rosen,
Büßerrosen,
Und das dreifarbige Band
[Ist] das Band der Leiden. [17]

Der Picardie [18] entstammt folgendes Lied:

Der Tag meiner Vermählung
Ach! Ist mein schönster Tag!
Nun lebt wohl, Freuden und Belustigungen.
Ich werde mein schwarzes Kleid anzieh’n,
Mein Büßergewand,
Meinen Hut von derselben Farbe,
Den Gürtel der Leiden. [19]

Die Mädchen von Poitou [20] begrüßten mit folgendem melancholischem und leicht ironischem Lied „die Neuvermählte und die ganze Gesellschaft“:

Leb’ wohl, Sorglosigkeit
Schöne Freiheit!
Leb wohl, geliebte Zeit
Deiner Mädchenschaft;
Leb’ wohl, Du reizendes Geplauder
der Verliebten.

Du wirst nicht mehr zum Tanze geh’n,
Junge Frau,
Mit sorgenvollem Gesicht
Wirst Du Dich den Freundinnen zeigen,
Du wirst das Haus hüten,
Indes wir ausfliegen.

Der Strauß hier,
Den wir bitten, zu nehmen,
Ist ein Strauß von Blumen,
Um Dir verstehen zu geben,
Daß die größten Ehren
Vergeh’n, wie die Blumen.

Dieser Kuchen hier,
Den meine Hand Dir darreicht,
Nimm ein Stück von ihm,
Denn er stellt Dir dar,
Daß man, um sich zu nähren,
Arbeiten muß und dulden.

Wir wünschen Dir einen guten Tag,
Junge Frau,
Erinnere Dich stets,
daß Du gebunden bist. [21]

Ein Lied der Bretagne sagt:

Du wirst nicht mehr zum Tanze geh’n,
Junge Frau,
Du wirst das Haus hüten
Um Deine Kinder zu wiegen. [22]

Die Mädchen von Languedoc [23] rieten ihr, auf ihren Schoß zu legen

Einen Strauß von Stiefmütterchen,
In die vier Ecken des
Bettes,
Leb’ wohl, arme Jeanneton. [24]

In der Gascogne [25] ist der Hochzeitsgesang traurig, wie der eines Verurteilten. Ehe die Neuvermählte das Elternhaus verläßt, empfehlen ihr die Freundinnen:

Kleines Frauchen,
Indem Du von hier gehst,
Verläßt Du diese Rose,
Nimmst Du die Sorge.

Während sie sie zur Kirche führen, singen sie:

Neuvermählte, lege die Hand auf Dein Haupt,
Sage: „Schöne Tage, wo seid ihr hin!
Die Hand auf den Kopf, den Fuß auf den Ofen,
Und sage Deinen schönen Tagen Lebewohl.

Während sie die junge Gattin von der Kirche in das Haus des Gatten bringen, sagen sie:

Leb’ wohl Kirche, leb’ wohl Kirchenpforte!
Du kommst nicht wieder ohne Schürze [das Zeichen der Arbeit].
Du kommst nicht mehr mit Blumen. –
Deine Amouren haben ein Ende.

Das Schicksal, das ihrer harrte, wird folgendermaßen vorhergesagt:

Wer Elend haben will,
Der braucht bloß zu heiraten
Dondaine
Der braucht bloß zu heiraten
Donde!

In meiner Brautnacht
Kam das Elend an meine Tür
Und verlangte Einlaß
Dondaine
Und verlangte Einlaß
Donde!

Ich beherberge nicht das Elend
Ich beherberge nicht das Elend
Ich beherberge die Fröhlichkeit
[usw.]

In der fünften Nacht der Hochzeit
Kam das Elend an meine Tür
Und verlangte Einlaß
[usw.]

Tritt ein, Elend,
Tritt ein, Elend,
Komm’ und wärme dich
[usw.]

Das Elend hat sich eingenistet,
Das Elend hat sich eingenistet,
Ich konnte es nicht mehr verabschieden
[usw.]

„Die Mehrzahl der Branles [Tanzlieder], die das Mißgeschick der, Ehe behandeln“, sagt Monsieur Beaurepaire, „beginnen mit einer Darstellung der kläglichen Lage der Frau“. [26] Ein anderer hervorgagender sammler von Volksliedern, Monsieur Bujeaud, vertritt dieselbe Meinung: „Durch die Strophen, welche von der Ehe handeln, klingt ein Gefühl von Elend oder naiver Bestechlichkeit durch, das den Hörer traurig stimmt, umso trauriger, da in keinem dieser Gesänge ein Strahl von Glück blitzt, ein Schimmer von Zufriedenheit aufdämmert“. Unaufhörlich ist die Klage; sie erschallt aus allen Provinzen Frankreichs:

[...] die armen Frauen
Die mit Wehmut ihrer Vergangenheit gedenken:
Wo ist die Zeit, daß ich Mädchen war,
Ein Mädchen, zur Ehe reif?
(Nieder-Poitou)

Die schöne Zeit, die glückliche Zeit
Ist die, wenn man noch Mädchen ist:
Als ich bei meinem Vater war
Ein junges Mädchen, zur Ehe reif. [27]
(Pays Messin [28])

Das Volkslied, welches der Frau das Leben als Hausfrau in so düsteren Farben schildert, wird spöttisch, wenn es sich an den Mann wendet; es höhnt ihn, wenn es seine ehelichen Sorgen beschreibt. Es hält es für nötig, ihn vor seiner Lebensgefährtin, einer Megäre [29], zu schützen, die kein gutes Haar an ihm läßt, ihm Hörner aufsetzt und seinen Wein austrinkt. [30]

Die öffentliche Meinung, dieses Volksgericht, erlaubt dem Gatten, seine Frau zu mißhandeln, und brandmarkt ihn, wenn er ihr gestattet, zu sich zu widersetzen und Schlag für Schlag zurückzugeben; der Mann, der überführt war, von seiner Gattin Prügel erhalten zu haben, wurde durch Lieder und Katzenmusik verhöhnt, er wurde verkehrt auf den Esel gesetzt, dessen Schwanz ihm in die Hand gegeben wurde, und so wurde er durch die Straßen geführt.


Die Volkslieder, die hier wiedergegeben werden – und die nur wenige Beispiele aus vielen ähnlichen sind – zeigen uns die Ehe aus einem neuen Blickwinkel, welchen die Kulturhistoriker bisher immer im Dunkel ließen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Frau einst mit dem Gedanken an die Ehe abgrundtiefe Trauer verband; denn das Volkslied ist nicht das Produkt einer müßigen und blühenden Phantasie, und die Gefühle, die es äußert, sind nicht von Schöngeistern erkünstelt. Die Hochzeitsbräuche, die wir später beschreiben werden, zeigen, daß man Gewalt anwenden mußte, um die Frau zu zwingen, dem Gatten zu folgen. Es ist leicht begreiflich, daß das Mädchen, dem man die Zukunft in der Ehe so düster schilderte, zögerte, seine Familie zu verlassen. Ein Hochzeitslied von Nieder-Poitou sagt:

Als sie beim Hochaltar war,
Ließ die Vermählte das Haupt sinken,
Sie senkte das Haupt vor Traurigkeit.

Als sie beim Weihwasserkessel war,
Schwanden der Vermählten die Kräfte,
Vergingen der Vermählten die Sinne.

Ihr Geliebter fragte sie:
„Oh, was fehlt Dir, mein süßes Liebchen,
Was ist Dein Herz so traurig?“

„Freiersmann, ich will fort von hier,
Fort zum Schlosse meines Vaters,
meine gute Mutter warten“.

„Du gehst nicht zu Deinem Vater.
Gestern Abend noch warst Du Deine eigene Herrin,
Heute aber bin ich der Herr“.

„Freiersmann, hätt’ ich das gewußt,
Daß ich nicht die Herrin sein soll,
Nimmer hätte ich geheiratet“.„

Dieses Gefühl des Widerstrebens, dem Mann in sein Haus zu folgen, das die Adelige empfand wie die Bäuerin, die Reiche wie die Arme, darf nicht mit dem Gefühl des Abscheus verwechselt werden, das jede anständige Frau gegen eine aufgezwungene Heirat empfindet. Die folgenden alten Lieder, einer Vielzahl von Liedern von „Mißverheirateten [maumariee]“ entnommen, zeigen, daß die Frauen frankreichs ihr Schicksal mit Humor zu tragen wußten:

Mein Vater hat mich verheiratet,
Ich höre das Rebhuhn im Korn,
An einen Alten, gar nicht nach meinem Geschmack,
Hörst Du, Peter? ... oh!
Ich höre die Wachtel
Im Feld.
Ich höre das Rebhuhn im Korn.
An einen Alten, gar nicht nach meinem Geschmack.
Er geht auf Messen, auf Märkte,
Und bringt mir nie etwas heim,
Als einen Stock von grünem Apfelholz,
Mich zu prügeln und zu dreschen.
Aber, wenn er mich schlägt, dann lauf’ ich davon.
Ich laufe davon in’s Gehölz,
Mit den Schuljungen zu spielen;
Sie lehren mich, ich lehre sie
Das Spiel mit Karten und Würfeln.
(Vendee [31])

In einem anderen Lied beklagt sich die Frau bei ihrem Vater, der ihr antwortet: „Mein Kind, mach’ ihn zum Hahnrei!“. Ein Manuskript der Pariser Nationalbibliothek, das gegen Ende des 15. Jahrhunderts geschrieben und 1875 von Monsieur G. Paris herausgegeben wurde, enthält im Dialekt der Limousin [32] folgendes, von Zorn überschäumendes Lied:

Bin ich schlecht verheiratet,
Dann werde ich einen lustigen Schatz haben,
Der mich die ganze Nacht in seinen Armen hält
Und mich von Herzen liebt.

Mich, die ich doch ein so nettes Mädchen bin,
Mich hat man einem elenden Filz gegeben.
Möge ihn die Lanze töten, ehe es Morgen wird;
Oder möge der König ein Heer zusammenzieh’n
Und den Elenden einberufen;
Möge er niemals heimkehren, so lange ich ihn nicht hole.
Der Elende hat mich geschlagen, wie einen weißen Esel;
Aber bei Gott, wenn ich lange genug lebe, es soll es mir büßen,
Und ohne Stock, ohne Lanze oder die Hilfe meiner Freunde;
Ich werde ihm Hörner aufsetzen, wie sie unsere Widder tragen.

Gestern Nacht träumte ich, ich sei mit meinem Geliebten
in einem prächtigen Zimmer in einem Himmelbett:
Ich erwachte und hörte den Elenden schnarchen.
Ich wandte mich ab und brach in Tränen aus.

Ich war gewohnt in Kleidern von heller Farbe zu gehen,
In Kleidern von Atlas und Ecarlate [33], von Damast und Samt.
Jetzt muß ich schwarze Kleider tragen;
Mein Freund ist fort;
Niemals werde ich heiter sein, so lange er nicht zurück ist.

O gütige Jungfrau Maria, Du Mutter aller Sünder,
Aus vollem Herzen empfehl’ ich Dir meinen Herzallerliebsten;
Denn an dem Elenden liegt mir nichts, so lange er so zänkisch ist.
Möge ihn die Lanze töten, ehe es Tag wird!

Die Sammlungen der mündliche Literatur aller Provinzen Frankreichs enthalten Lieder, in denen sich die Wut der unglücklich Verheirateten oft noch heftiger Luft macht.

Die Frauen haben mir gesagt: Weib, beweine Deinen Gatten.
Mein Gott, ja, wie beweine ich ihn!
Beweine ihn, der Dich ernährte.
Lieber wollt’ ich das Tuch beweinen, das mit ihm verfaulen wird.
Ich werde es mir holen;
Auf seine Grabe habe ich gelacht, anstatt zu weinen.
(Jura [34])

In einem Lied aus der Champagne [35] weint die Witwe nicht auf dem Grabe ihres Gatten noch lacht sie, sondern sie tut etwas ganz anderes:

Ich wollt’, es käme ein Erlaß,
Allen alten Ehemännern die Haut abzuzieh’n;
Ich würde den meinen schinden bei lebendigem Leib,
Seine Haut trüg’ ich nach Paris zum Verkauf;
Um zwei Heller die Haut des erbärmlichen Tropfs!
Auch auf Kredit ist sie zu haben!
(Vendee)

Die Furcht vor der Ehe, wie sie sich in den zitierten Liedern ausdrückt, war nicht die Folge der Besorgnis vor wirtschaftlicher Not, denn sie wurde von den Mädchen aller Klassen geteilt, die außerhalb des Bereichs der Armut lebten. Sie wurde erzeugt durch den Schrecken, den in der Frau anfänglich das Leben in der patriarchalischen Familie hervorrief. Aber in dem Maße, in dem der Despotismus des Hausvaters sich mildert und der Familienkollektivismus schwindet, mindert sich die Furcht, und das junge Mädchen, ohne eine Ahnung dessen, was ihm blüht, bietet nun heiter dem Elend Trotz, um seine Familie zu verlassen. Und das Volkslied, das getreue Echo der Wirklichkeit, gibt diese neue Betrachtungsweise der Ehe wieder. Folgendes gascognische Lied, das Cenac-Moncaut [36] gefunden hat, und dessen Ursprung außer Zweifel ist, bietet ein gutes Beispiel aus der Menge ähnlicher, die in anderen Provinzen verbreitet sind.

Mein Vater, meine Mutter, verheiratet mich; ich will heiraten.
Meine Vater, meine Mutter, verheiratet mich;
ich will heiraten, heute Abend noch.

Armes Mädchen, warte ein Jahr.
Mein Gott, ein Jahr!
Alle meine Verehrer werden mich sitzen lassen.

Armes Mädchen, warte einen Monat.
Mein Gott, einen Monat!
Alle meine Verehrer werden mir abspenstig gemacht.

Mein Kind, wir haben kein Brot!
Mein Gott, kein Brot!
Oh! Beim Bäcker finden wir welches.

Mein Kind, wir haben kein Fleisch.
Mein Gott, kein Fleisch!
Der Fleischer hat einen ganzen Wagen voll.

Mein Kind, wir haben kein Bett;
Mein Gott, kein Bett!
Wir werden auf dem Gras schlafen.

Mein Kind, Du hast keinen Ring.
Mein Gott, keinen Ring!
Macht einen aus einer Weidenrute.
(Obere Gascogne).

 

 

III

Die Hochzeitsbräuche des Volkes in Frankreich zeigen so hervorstechende Eigentümlichkeiten, daß sie die Aufmerksamkeit von Gebildeten erregten, welche sich für alte Bräuche interessierten, und von Gelehrten, welche dem Ursprung der menschlichen Gesellschaft nachforschten.

Die Hochzeitsbräuche stellen meist einen Scheinangriff des Bräutigams dar, der mit Gewalt die sich sträubende Braut aus dem Haus ihrer Familie in sein Haus zu bringen hat.

Bei einer baskischen Trauung setzte sich die Braut zu einem ihrer Verwandten aufs Pferd und ritt im Galopp davon, verfolgt von dem Bräutigam und dessen Freunden, die sangen, schrien, ihre Gewehre und Pistolen abschossen und den durchdringenden Hilferuf ausstießen, der an das Kriegsgeschrei der Indianer erinnerte. Wie der Sturmwind sausen sie dahin, wie das Lied sagt, bis sie bei einer Biegung des Weges von einem roten Band aufgehalten werden, das quer über die Straße gespannt ist und von vier bis an die Zähne bewaffneten, handfesten Bauern verteidigt wird. Die fröhliche Schar darf nicht passieren, ehe sie nicht Tribut gezollt hat. [37]

Diese melodramatische Szene der Verfolgung der flüchtenden Braut durch den Bräutigam und seine Freunde wird in verschiedenen Variationen bei vielen Völkern aufgeführt. Im alten Rom wurde die Braut nachts mit allen Anzeichen der Gewalt ihrer Familie geraubt und aus den Armen ihrer Mutter gerissen. Drei Knaben, mit der Prätexta, dem mit Purpur verbrämten Robe bekleidet, führten sie dem Bräutigam zu, der eine die Fackel tragend, die beiden anderen die Braut führend. An der Pforte des Bräutigams angelangt, wurde sie über die Schwelle gehoben, so daß ihr Fuß sie nicht berührte.

Aus Indien berichtet Campell [38]: „Einst vernahm ich aus einem nahen Dorf ein lautes Schreien. Da ich fürchtete, es sei dort ein Streit ausgebrochen, ritt ich zur betreffenden Stelle, und sah hier einen Mann, der etwas in ein weites Scharlachtuch gehüllt auf dem Rücken trug. Er war von 20 bis 30 jungen Burschen umgeben, die ihn gegen die verzweifelten Angriffe einer Schar von Mädchen schützten. Durch meine Erkundigungen erfuhr ich, daß der Mann eben geheiratet habe; seine kostbare Beute bestehe aus seiner blühenden Braut, die er in sein Dorf trug. Ihre jungen Freundinnen suchten, wie es hier Sitte zu sein scheint, sie zurückzuerobern und warfen Steine und Bambusstücke nach dem Haupt des zärtlichen Bräutigams, bis er sein Dorf erreicht hatte“.

Wenden wir uns von den Tropengegenden Asiens nach dem äußersten Norden Europas, so finden wir, daß sich der Bräutigam, damit ihm die Braut auf dem Weg in die Kirche nicht geraubt wird, von kräftigen Burschen begleiten läßt. In der alten Kirche von Husaby [39] soll man noch Bündel von Lanzen sehen, auf die man Fackeln stecken kann. Sie wurden unter Freunde des Bräutigams verteilt, um den Hochzeitszug zu beleuchten und verteidigen zu helfen. Die Engländer nennen jetzt noch die Brautführer „best men“ (die besten Männer), da der Bräutigam zu dieser funktion die stärksten und tapfersten Freunde aussuchte. In Wales [40] kommt am Morgen des Hochzeitstages der Bräutigam mit seinen Freunden beritten zu den Eltern seiner Braut, wo sich deren ebenfalls berittenen Verwandten versammelt haben, und verlangt die Herausgabe der Erwählten. Sie wird ihm verweigert und es entspinnt sich ein Scheingefecht, und wie bei den Basken nimmt einer der Verwandten die Braut hinter sich aufs Pferd und sprengt mit ihr im Galopp davon, verfolgt von dem ganzen Hochzeitszug. [41] Ein serbisches Volkslied legt dem Bräutigam die Worte in den Mund: „Wenn ihr mir das Mädchen nicht gutwillig gebt, gebrauch’ ich Gewalt“. Die Gesetze des Lykurgus [42] befahlen den Spartanern, ihre Frauen zu rauben. [43] Im Gesetzbuch des Manu [44] ist der Raub eine der acht Formen der Ehe, die Ehe der Rakschasa. In den Volksliedern Rußlands wird der Bräutigam von den Begleitern der Braut be„chimpft, die ihn als einen Fremden, als Tartare, das heißt, als Feind behandelt. Ein Lied aus Wologda [45] sagt: „Der Feind naht, junges Mädchen, der Dieb ist da“. In der Gascogne sang man:

Wir geh’n zu zwei und zwei,
Die Braut dem Bettler [dem Bräutigam] zuzuführen,
Dem Bettler von Geächteten [banni]
Damit man nicht weiß, wo er hingekommen [46].

Wenn auch in den zivilisierten oder halbbarbarischen Ländern den Teilnehmern das Verständnis für diese Hochzeitszeremonien verloren gegangen ist, so bilden sie doch für den Erforscher der Sittengeschichte gewissermaßen versteinerte Reste der Vorzeit, die unter sozialen Schichten begraben sind, welche sich im Laufe der Jahrhunderte über ihnen abgelagert haben. So zeigt auch der Hund, welcher sich mechanisch um sich selbst dreht, ehe er sich niederlegt, und die Henne, die Strohhalme auf den Rücken wirft, wenn sie auf den Eiern sitzt, dem Naturforscher die Gewohnheiten ihrer wilden Vorfahren. Der Steppenhund muß sich, ehe er sich niederlegt, sein Lager zurechtmachen, indem er das Gras niedertritt, und das Huhn, das im freien Feld brütet, muß sich mit Halmen bedecken, die sich in der Umgebung seines Nestes finden, um den scharfen Augen der Raubtiere verborgen zu bleiben.

Man hat die Hochzeitsbräuche des Volkes auf verschiedenste Weise zu erklären versucht. Festus, ein römischer Grammatiker aus dem 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung [47], gab an, die Entführung des Mädchens in der Nacht aus den Armen der Mutter solle den Raub der Sabinerinnen wiedergeben. Diese Erklärung könnte natürlich bei den Römern zutreffen. Wenn es richtig ist, daß ein traditioneller Brauch sich mit außerordentlicher Zähigkeit hält, so ist es nicht minder richtig, daß ein solcher nicht infolge eines einzelnen, außerordentlichen Ereignisses entsteht, sondern im Gegenteil aus täglichen Vorgängen wächst, welche lange Zeit hindurch auf die Phantasie des Volkes einwirken: Historische Ereignisse von ganz anderer Bedeutung als der sagenhafte Raub der Sabinerinnen haben stattgefunden, ohne wahrnehmbare Spuren in der Erinnerung der Massen zurückzulassen.

Karl Müller [48] sagt, wenn er auf die spartanische Sitte zu sprechen kommt, die jungen Mädchen zu rauben: „Die Lakedämonierin [49] durften in das Opfer ihrer Freiheit und in den Verlust ihrer ursprünglichen Reinheit nicht einwilligen, wenn der Mann nicht zur Gewalt griff“. [50]

Der große Historiker verleiht den Frauen Spartas zu freigebig die Gefühle furchtsamer Schamhaftigkeit der Mädchen der Zivilisation, die trotzdem weniger störrisch sind, wenn es gilt, eine Ehe einzugehen. Aber die Erklärung Müller’s ist nicht so falsch wie Mac Lennan annimmt.

Mac Lennan, der Erfinder der Exogamie und der Endogamie [51], nimmt an, daß die Völker, welche den Raub der Braut in ihren Hochzeitsbräuchen darstellen, früher exogam waren und sich ihre Frauen durch Raub von den Nachbarstämmen verschafften, während sie sich der eigenen Mädchen entledigten, die, ebenso untüchtig zum Krieg wie zur Jagd, nur unnütze Esser waren. Aber die bekannten Tatsachen beweisen, daß die Frau bei den Wilden im Gegenteil sehr nützlich ist, denn auf ihr ruhen die Arbeiten des Haushaltes und des Landbaues; und wenn sich die Gelegenheit bietet, weiß sie den Feind ebenso energisch zu bekämpfen, wie die Krieger des Stammes. Mac Lennan und seine Anhänger vergessen die ihnen freilich sehr unbequeme Tatsache, daß Griechenland seit alten Zeiten die Gottheiten der Jagd weiblich darstellte. Überdies ist es keineswegs bewiesen, daß die Völker, die durch den Kindesmord die Theorien des Pfaffen Malthus [52] praktizieren, mit Vorliebe Mädchen töten. Ich habe jedoch nicht die Absicht, in diesem Artikel alle Inkonsequenzen des berühmten Schotten aufzuzeigen, der in England so viel Erfolg gehabt hat.

Die Historiker und Philosophen, welche Bachofens Theorie des Mutterrechtes angenommen haben, sehen in den in Rede stehenden Hochzeitsbräuchen ebenso wie in dem Recht der ersten Brautnacht, welches sich die Feudalherren vorbehielten, eine Erinnerung an die urwüchsige, unterschiedslose Geschlechtsvermischung. Die Frau konnte nicht von einem einzelnen Mann für sich in Anspruch genommen werden; sie gehörte allen Männern des Stammes. Der Gatte konnte den individuellen Besitz seiner Frau nur dadurch erlangen, daß er durch Gewalt oder List das kommunistische Recht des Stammes verletzte, daß er seine junge Frau durch die Flucht den Umarmungen seiner Genossen entzog. Diese Erklärung hat das Unglück, im Widerspruch zu den Hochzeitsbräuchen zu stehen: Bei diesen entzieht der Gatte der Neuvermählten nicht seinen Freunden; im Gegenteil, diese leihen ihm ihre Arme, um sie ihrer Familie zu rauben.

Den Forschern, welche die Hochzeitsbräuche zu erklären suchten, ist es nicht gelungen, ihren wirklichen Sinn zu enträtseln, weil sie von den Liedern und den sie begleitenden Zeremonien absahen und nur die Darstellung der Entführung der Braut für wichtig hielten. Ich glaube, daß man zu einer anderen Erklärung gelangen wird, wenn man die Hochzeitsbräuche zusammen mit den sie begleitenden Liedern betrachtet, und wenn man sie mit den entsprechenden Bräuchen der Wilden und der Völker des Altertums vergleicht, wie sie einerseits die Forschungsreisenden mitteilen und andererseits die heiligen Bücher des Orients überliefern; die auf diesem Weg gewonnene Erklärung wird uns die verlorengegangene Bedeutung dieser sonderbaren Bräuche erkennen lassen und uns einen Einblick in die Sitten der urwüchsigen patriarchalischen Familie ermöglichen.

 

 

 

Anmerkungen

2. * In der antiken Metrik diejenige Stelle im Vers, an der regelmäßig ein Wort schließt.

3. * Eine Verszeile wird stichisch verwendet, wenn ihr metrisches Schema unverändert in beliebiger Folge, d.h. unstrophlich wiederholt wird; hemi bedeutet halb.

4. * Der französische Philologe Theodore Claude Henri Hersart Victome de La Villemarqué (1815-1895) befaßt sich ausführlich mit dem Bretonischen.

5. * Im antiken Griechenland fahrender Sänger, der Dichtung mit Kitharabegleitung vortrug.

6. Fauriel: Chants populaires de la Grece moderne, 1825. * Claude Charles Fauriel (1772-1844) war ein französischer Philologe, Historiker, Kritiker und Politiker.

7. A(*ugust) Dozon: (* Bulgarski narodni pjesni) Chansons populaires de Bulgarie, (* Paris) 1875. – Der finnische Runoia (Sänger) gesellt sich gewöhnlich einem Genossen zu, wenn er das Kalevala singen will, das Heldengedicht Finnlands. Die beiden Barden setzten sich einander gegenüber, fassen sich an den Händen und, den Körper vor- und rückwärtswiegend, singen sie Strophe für Strophe abwechselnd die Abenteuer von Wainameonen; dazu spielt ein Dritter die Begleitung auf der Gitarre mit vier bis fünf Saiten. Der Gesang endet erst, wenn einer der beiden nicht weiter kann, und mitunter vergeht die ganze Nacht, ehe es einen Sieger in diesem Kampf des Gedächtnisses und der Dichtkunst gibt. – Die bulgarischen Mädchen versammeln sich an hohen Festtagen in einem Garten und veranstalten eine großen Reigentanz, den eine von ihnen singend anführt; die eine Hälfte der Mädchen begleitet sie, die andere wiederholt den Vers. Üblicherweise wird der Reigen von derjenigen geleitet, welche die hübscheste Stimme und den größten Liedervorrat hat; jedes Dorf besitzt ein oder zwei junge Mädchen, die fähig sind, diese Rolle zu spielen. – Schottland war früher reich an Gesängen; es ist verstummt, seit sein finsterer Protestantismus das Tanzen verbot.

8. Edelstand Du-Meril: Poesies populaires latines du moyen age, (* Paris) 1847.

9. * Spanische Bezeichnung für Romanzensammlungen, die seit Mitte des 16. Jahrhunderts erschienen, als höfische Kreise ihr Interesse den Volksgesängen zuwandten.

10. * Nationalepos der Finnen – in der aufgezeichneten Fassung bestehend aus 50 Gesängen mit insgesamt 22.795 Versen.

11. * Im Französischen „race areyenne“ – die Übersetzung erfolgte nach dem Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts.

12. * Jacob (1785-1863) und Wilhelm (1786-1859) Grimm gelten als Begründer der germanischen Philologie.

13. * Der Dichter Victor Hugo (1802-1885) war Hauptexponent der französischen Romantik. Seine bekanntesten Werke sind Notre-Dame de Paris (1831) und Les Misérables (1862). aus Anlaß seines todes schrieb Lafargue im gefängnis Saint-Pelagie 1885 (vgl. Frederick engels/Paul and Laura Lafargue, Correspondence, I, Moskau 1961, 290ff.) eine Studie (Die Legende von Victor Hugo, Neue Zeit, VI, 1887-1888, 169ff., 215ff., 263ff.) über seine Gesinnungslumperei – seine Wendung vom Ultra-Royalisten zum glühenden Republikaner.

14. * Geschichtliche Landschaft in Mittelfrankreich am Südrand des Pariser Beckens

15. Ch. Ribaut de Langardiére: Les noces de campagne en Berry, 1855. Dem Übersetzer ist leider (oder glücklicherweise?) kein Funke poetischen Genies eigen; er muß sich daher begnügen, die Verse, so gut es geht, in holpriger Prosa wiederzugeben.

16. * Vom keltischen Volksstamm der Bretonen bewohnte Landschaft im Norden Frankreichs, die erst 1499 Frankreich einverleibt wurde.

17. P(*aul) Sebillot: La littérature orale de la Haute Bretagne, (*Paris), 1881. * Paul Sebillot (1846-1918) war Volkskundler.

18. * Landschaft und historische Provinz in Nord-Frankreich.

19. H. Carnoy: Littérature orale de la Picardie, (* Paris) 1883.

20. * Historische Provinz im Westen Frankreichs um Poitiers

21. J(*érôme) Bujeaud: Chants et chansons populaires des provinces de l’Ouest, 1865. (* Auch veröffentlicht als Chants ... de l’Ouest, Poitou, Saintange, Aunis et Angoumois, avec les airs orginaux, recueillis et annotés, Niort 1866).

22. Vergleich im Bezug auf diesen Vers das deutsche Lied (G. Scherer: Deutsche Volkslieder, S.135):

Wenn and’re Mädchen
Mit ihren grünen Kränzen
Wohl auf den Tanzboden geh’n
Da mußt du junges Weibchen
Mit deinem schneeweißen Häubchen
Wohl an der Wiege steh’n.
Mußt singen: Ru-Ru-Rinnchen.
Schlaf ein, mein liebes Kindchen,
Tu’ deine Äuglein zu,
Und schlaf’ in guter Ruh’!

23. * Ehemalige französische Provinz mit der Hauptstadt Tolouse, benannt nach der provencalischen Sprache langue d’oc.

24. Champ-Fleury: Chansons populaires des provinces de France (* accompagnement de piano par J.B. Wekerlin, Paris) 1860. * Der Novellist und Ethnologe hieß richtig Jules Fleury-Husson (1821-1889).

25. * Historische Landschaft im Südwesten Frankreichs, die ihren Namen von den Basken (Vascones) hat.

26. E(*ugène Robillard) de Beaurepaire: Etude sur la poesie populaire en Normandie (* et specialment dans l’Avranchin, Avranches) 1856.

27. (* Theodore) Cte. de Puymaigre: Chants populaires recuellis dans le pays Messin (* mis en ordre et annotes, Paris) 1881.

28. * Historische Landschaft im Nordosten Frankreichs um Metz.

29. * böses Weib von „megaire“, die Neidische (eine der Erynnien).

30. Die boshaften Witze des Aristophanes (* 445-385 [?]; Anspielung auf die drei Weiberkomödien des Dichters – Thesmophorizusen, Lysistrate und Ekklesiazusen) haben bewirkt, daß heute noch die Historiker sich verpflichtet glauben, die griechischen Frauen wegen ihrer Trunksucht anzuklagen. Wenn man allen Impertinenzen solche Bedeutung beimessen wollte, die von Schöngeistern ausgehen, dann wären alle Frauen als Säuferinnen anzusehen, denn man hat sie in diesen Ruf selbst bei Völkern gebracht, die wegen ihrer Abstinenz bekannt sind. Ein Panurge (* Name des listigen Schurken in Francois Rabelais’ Roman Gargantua und Pantagruel [1532]) des Baskenlandes, der mit sich zu Rate geht, ob er heiraten soll oder nicht, macht folgende Bemerkung: „Heirate ich ein feingebildetes Frauenzimmer, so wird sie nicht arbeiten wollen; heirate ich ein rotbackiges Weib, so wird sie trinken; heirate ich eine Blasse, so wird sie kränklich sein“ (Cancioneros Vasco, Poesias en lengua Euskara, gesammelt und in das Spanische übersetzt von J manterola, 1878) – Da ich vom Trinken rede, sei bemerkt, daß die Volksdichtung, die so reich ist an Liebesliedern, so viel ich weiß, keine Trinklieder aufzuweisen hat. Im Mittelalter besangen die Mönche des Orients und Okzidents, eifrige Verehrer des Nichtstuns und der Tafel, mit Begeisterung den Rebensaft. Die religiösen Hymnen lieferten ihrem lyrischen Enthusiasmus die Melodie und den Rhythmus. Das sonderbare Lied, das wir unten als Beispiel mitteilen, und das die Leser der Neuen Zeit kaum aus der seltenen Sammlung lateinischer Poesien von Du-Meril (siehe Anm.6) ausgraben werden, ist nach einer Hymne auf die heilige Jungfrau komponiert. Es war in in den Klöstern sehr populär, den man hat es in Varianten in Deutschland, England Belgien gefunden.

Wein, so gut und lieblich,
Gut den Guten, schlecht den Schlechten,
sei gegrüßt, o Schlaftrunk, süß für alle,
Du irdische Freude,
Sei gegrüßt, segensreiches Erzeugnis,
Daß die reine Rede hervorgebracht,
Von jeder Tafel verschwindet die Sorge
In deiner Gegenwart.
Sei gegrüßt, du Farbe des klaren Weins,
Sei gegrüßt, Blume sondergleichen,
Laß dich herab mit deiner Kraft
Uns zu berauschen.
Sei gegrüßt, dessen Farbe so lieblich,
Sei gegrüßt, dessen Blume so duftend,
Sei gegrüßt, der so wohlschmeckend im Munde,
Du süsse Fessel der Zunge.
Sei gegrüßt, du Tröster der Mühseligen,
Verderber der Schlemmer:
Wenn einmal der Rock vertrunken,
Ist der Galgen nicht weit,
Der Mönche Gott geweihte Schar,
Jeder Stand und jede Art,
Alles trinkt den gleichen Trank
Jetzt und in Ewigkeit.
Gesegnet der Leib, in den du fließt,
Gesegnet die Zunge, die du benetzt,
Gesegnet der Mund, den du badest,
Und selig die Lippen!
Wir beten hier: Mach’ den vollen Tisch
Zu einem glücklichen,
Und mögen wir mit frohem Lied,
Unsere Freude würzen!

Dies Pröbchen der Düsterkeit des Mönchslebens im finsteren Mittelalter lautet im Original:

Vinum bonum et suave
Bonis bonum, pravis
prave,
Cunctis dulcis, sopor,
ave,

Mundana laetitia.
Ave felix creatura,
Quam produxist vitis pura,
Omnis mensa fit secura
In tua presentia.

Ave, color vini clari,
Ave, sapor sine pari,
Tua nos inebriari
Digneris potentia.
Ave, placens in colore,
Ave, fragans in odore,
Ave, sapidum in ore,
Dulce linguae vinculum.

 

Ave, sospes in molestis
In gulosis mala pestis:
Post amissionem vestis
Sequitur patibulum.

Monarchorum grex devotus,
Omnis ordo, omnis modus,
Bibiunt adaequales potus
Et nunc et in saeculum.
Felix venter, quem tu
intrabis,
Felix lingua, quem rigabis,
Felix os, quod tu lavabis,
Et beata labia!

Suppliciamus hic abunda
Per te mensa ist fecunda
Et bos cum voce jucunda
Deducamus gaudia.

31. * Département im Westen Frankreichs am Bai von Biskaya.

32. * französische Landschaft und historische Provinz am Nordwest-Rand des Zentralarchives um Limoges

33. feiner, scharlachfarbener Stoff.

34. * Département im Osten Frankreichs an der Grenze zur Schweiz.

35. * französische Landschaft von der oberen Oise bis zur Yvonne.

36. (* Justin Edouard Mathieu) Cenac-Moncaut: Littérature populaire de la Gascogne (* contes, mysteres, chansons, Paris) 1868.

37. F(*rederic) Rivares: Chansons (* et airs) populaires du Bearn, (* Pau) 1844.

38. Major-General Campell: Personal narrative of service etc. in Khondistan, 1864. * Der britische Administrator in Indien Sir George Campell (1824-1892) beschäftigte sich als Kolonialbeamter mit Ethnologie.

39. * Die Kirche von Husaby in Schweden ist eine bekannter Dreiturm-Westbau der Hochromanik.

40. * Fürstentum im südwestlichen Großbritannien mit keltischer Bevölkerung

41. Lord Kames: Sketches of the history of man, 1807. Zitiert bei Mac Lennan: Primitive marriage (* siehe Anm. 51).

42. * Lykurgus ist der legendäre Gesetzgeber Spartas.

43. Plutarch: Lykurgus XXIII. (* Diese Biographie beruht auf Legenden).

44. * Nach indischer Überlieferung ist Manu Stammvater und Gesetzgeber der Menschheit.

45. * Gebietshauptstadt in Rußland am gleichnamigen Fluß

46. J(*ean) F(*rancois) Bladé: Poesies populaires de la Gascogne, 1882. (* Bladé [1827-1900] erforschte die Literatur und Folklore Südostfrankreichs in der Antike und im Mittelalter). Wenn jemand geächtet (banni) heißt, so bedeutet das, daß er aus seiner Familie, seinem Dorf, seiner Gens wegen eines schweren Verbrechens ausgestoßen ist. Es ist bemerkenswert, daß man dafür den Ausdruck „horabandetund technische Ausdrücke des Kriegswesens, die in Vergessenheit geraten sind, und von den Bauern unverstanden wiederholt wurden, die sie für magische Worte halten, denen geheimnisvolle Eigenschaften innewohnen. Puymaigre glaubt, daß die unverständlichen Worte, welche in die Lieder der Bauern eingestreut sind, wie trairi, deluriot, delurot, misticodar, baleron, faridondaine usw. ehemals in den untergegangenen Dialekten einen Sinn hatten und wegen ihrer bizarren Laute erhalten wurden.

47. * Sextus Pompejus Festus ist Verfasser eine lexographischen Werkes, das wichtige Informationen über die ältere lateinische Sprache und altrömischen Einrichtungen enthält.

48. * Der Altphilologe und Archäologe Otfried Karl Müller (1797-1840) legte den Grundstein für die Erforschung der älteren griechischen Geschichte.

49. * Spartanerin.

50. Karl Müller: Die Dorier, 4. Buch. (* 1824).

51. Mac Lennan: Primitive Marriage (* An inquiry into the origin of the form of capture in marriage ceremonies, Edinburgh) 1865. Mac Lennan (* schottischer Ethnologe, 1827-1871) nimmt an, daß auf einer gewißen Entwicklungsstufe der Urzeit die Sitte geherrscht habe, Frauen ausschließlich aus fremden Stämmen zu nehmen; auf einer anderen Entwicklungsstufe wieder sei es verboten gewesen, eine Stammesfremde zu nehmen. Diese Einrichtung bezeichnet er als Endogamie (gameo, griech. = ich heirate; endon = innerhalb; ek ode ex = aus, außerhalb).

52. * Der Pfarrer und spätere Professor für Geschichte und politische Ökonomie Thomas Robert Malthus (1766-1834) entwickelte „Bevölkerungsgesetze“, wonach die Bevölkerung in geometrischer, die Nahrungsmittelproduktion hingegen nur in arithmetischer Reihe zunimmt.

 


Zuletzt aktualisiert am 23.8.2003