W.I. Lenin

 

Was tun?

 

IV
Die Handwerklerei der Ökonomisten und die Organisation der Revolutionäre

 

c) Die Organisation der Arbeiter und die Organisation der Revolutionäre

Deckt sich für einen Sozialdemokraten der Begriff politischer Kampf mit dem Begriff „ökonomischer Kampf gegen die Unternehmer und gegen die Regierung“, so ist natürlich zu erwarten, daß der Begriff „Organisation der Revolutionäre“ sich für ihn mehr oder weniger mit dem Begriff „Organisation der Arbeiter“ decken wird. Und das geschieht tatsächlich, so daß wir buchstäblich verschiedene Sprachen sprechen, wenn wir über Organisation reden. Ich erinnere mich zum Beispiel, als wäre es heute, an das Gespräch mit einem ziemlich konsequenten „Ökonomisten“, den ich bis dahin nicht gekannt hatte. [56] Das Gespräch kam auf die Broschüre Wer wird die politische Revolution vollbringen?, und wir waren uns sehr bald darüber einig, daß ihr Hauptmangel darin besteht, daß sie die Frage der Organisation ignoriert. Wir glaubten schon, völlig einig zu sein, aber ... das Gespräch geht weiter, und da stellt sich heraus, daß wir von verschiedenen Dingen sprechen. Während mein Gesprächspartner den Verfasser beschuldigte, die Streikkassen, Gesellschaften für gegenseitige Hilfe usw. ignoriert zu haben, hatte ich die Organisation der Revolutionäre im Auge, die notwendig ist, um die politische Revolution zu „vollbringen“. Und kaum war diese Meinungsverschiedenheit zutage getreten, da konnte ich mich, soweit ich mich erinnere, in keiner einzigen prinzipiellen Frage mehr mit diesem „Ökonomisten“ verständigen!

Worin bestand der Ursprung unserer Meinungsverschiedenheiten? Nun, gerade darin, daß die „Ökonomisten“ sowohl bei den organisatorischen als auch bei den politischen Aufgaben ständig vom Sozialdemokratismus zum Trade-Unionismus abgleiten. Der politische Kampf der Sozialdemokratie ist viel umfassender und komplizierter als der ökonomische Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer und die Regierung. Genauso (und infolgedessen) muß die Organisation der revolutionären sozialdemokratischen Partei unvermeidlich anderer Art sein als die Organisation der Arbeiter für diesen Kampf. Die Organisation der Arbeiter muß erstens eine gewerkschaftliche sein; zweitens muß sie möglichst umfassend sein; drittens muß sie möglichst wenig konspirativ sein (ich spreche natürlich hier und weiter unten nur vom autokratischen Rußland). Die Organisation der Revolutionäre dagegen muß vor allem und hauptsächlich Leute erfassen, deren Beruf die revolutionäre Tätigkeit ist (darum spreche ich auch von der Organisation der Revolutionäre, wobei ich die revolutionären Sozialdemokraten im Auge habe). Hinter dieses allgemeine Merkmal der Mitglieder einer solchen Organisation muß jeder Unterschied zwischen Arbeitern und Intellektuellen, von den beruflichen Unterschieden der einen wie der anderen ganz zu schweigen, völlig zurücktreten. Diese Organisation muß notwendigerweise nicht sehr umfassend und möglichst konspirativ sein. Gehen wir auf diesen dreifachen Unterschied näher ein.

In Ländern mit politischer Freiheit ist der Unterschied zwischen der gewerkschaftlichen und der politischen Organisation vollkommen klar, wie auch der Unterschied zwischen den Trade-Unions und der Sozialdemokratie klar ist. Natürlich gestalten sich notwendigerweise die Beziehungen der letzteren zu den ersteren in den verschiedenen Ländern verschieden, je nach den historischen, rechtlichen und sonstigen Bedingungen; sie können mehr oder weniger eng, kompliziert usw. sein (von unserem Standpunkt aus sollen sie möglichst eng und möglichst wenig kompliziert sein), aber davon, daß die Organisation der Gewerkschaften und die Organisation der sozialdemokratischen Partei zusammenfallen, kann in freien Ländern nicht die Rede sein. In Rußland aber wird auf den ersten Blick durch den Druck der Selbstherrschaft jeder Unterschied zwischen der sozialdemokratischen Organisation und dem Arbeiterverband verwischt, da alle Arbeiterverbände und alle Zirkel verboten sind und da das wichtigste Ausdrucksmittel und Werkzeug des wirtschaftlichen Kampfes der Arbeiter – der Streik – überhaupt als kriminelles (und mitunter sogar als politisches!) Vergehen gilt. So kommt es, daß durch unsere Verhältnisse einerseits die Arbeiter, die einen ökonomischen Kampf führen, nachdrücklich auf die politischen Fragen „gestoßen“ und anderseits die Sozialdemokraten zur Verwechslung von Trade-Unionismus und Sozialdemokratismus „gestoßen“ werden (und unsere Kritschewski, Martynow und Konsorten, die voller Eifer von dem „Gestoßenwerden“ der ersten Art reden, merken das „Gestoßenwerden“ der zweiten Art nicht). In der Tat, man stelle sich Leute vor, die zu 99 Prozent vom „ökonomischen Kampf gegen die Unternehmer und gegen die Regierung“ absorbiert sind. Die einen von ihnen werden im Verlauf der ganzen Zeit ihrer Tätigkeit (4 bis 6 Monate lang) kein einziges Mal auf die Frage stoßen, ob die kompliziertere Organisation der Revolutionäre notwendig sei; die anderen werden womöglich auf die verhältnismäßig weitverbreitete bernsteinianische Literatur „stoßen“, aus der sie die Überzeugung von der großen Bedeutung der „Vorwärtsbewegung des unscheinbaren Tageskampfes“ schöpfen werden. Die dritten schließlich werden sich vielleicht von der verführerischen Idee hinreißen lassen, der Welt ein neues Vorbild der „engen und organischen Verbindung mit dem proletarischen Kampf“, der Verbindung der gewerkschaftlichen mit der sozialdemokratischen Bewegung, zu zeigen. Je später ein Land die Arena des Kapitalismus und folglich auch der Arbeiterbewegung betritt – werden solche Leute sagen –, um so mehr können die Sozialisten an der Gewerkschaftsbewegung teilnehmen und ihr Unterstützung angedeihen lassen, um so weniger kann und muß es nichtsozialdemokratische Gewerkschaften geben. Bis hierher ist diese Betrachtung absolut richtig, doch schlimm ist, daß man noch weiter geht und von einer vollständigen Verschmelzung des Sozialdemokratismus mit dem Trade-Unionismus träumt. Wir werden gleich am Beispiel des „Statuts des St.-Petersburger Kampfbundes“ sehen, wie schädlich sich solche Träumereien auf unsere Organisationspläne auswirken.

Die Organisationen der Arbeiter für den ökonomischen Kampf müssen Gewerkschaftsorganisationen sein. Jeder sozialdemokratische Arbeiter hat diese Organisationen nach Möglichkeit zu unterstützen und aktiv in ihnen zu arbeiten. Das ist richtig. Es liegt aber durchaus nicht in unserem Interesse, zu fordern, daß nur Sozialdemokraten Mitglieder der „Gewerk“verbände sein dürfen: das würde den Bereich unseres Einflusses auf die Massen einengen. Mag am Gewerkverband jeder Arbeiter teilnehmen, der die Notwendigkeit des Zusammenschlusses zum Kampfe gegen die Unternehmer und gegen die Regierung erkennt. Das eigentliche Ziel der Gewerkverbände wäre gar nicht zu erreichen, wenn sie nicht alle zusammenfaßten, denen diese, sei es auch nur diese eine, elementare Stufe der Erkenntnis zugänglich ist, wenn diese Gewerkverbände nicht sehr breite Organisationen wären. Und je breiter diese Organisationen sind, um so größer wird unser Einfluß auf sie sein, ein Einfluß, der nicht nur durch die „spontane“ Entwicklung des ökonomischen Kampfes ausgeübt wird, sondern auch durch die direkte, bewußte Einwirkung der sozialistischen Mitglieder des Verbandes auf ihre Kollegen. Aber bei einer breiten Mitgliedschaft der Organisation ist strenge Konspiration unmöglich (die eine viel größere Schulung erfordert, als für die Teilnahme am ökonomischen Kampf notwendig ist). Wie ist dieser Widerspruch zwischen der Notwendigkeit einer breiten Mitgliedschaft und einer strengen Konspiration zu beheben? Wie ist es zu erreichen, daß die Gewerkorganisationen möglichst wenig konspirativ sind? Dafür kann es, allgemein gesprochen, nur zwei Wege geben: entweder die Legalisierung der Gewerkverbände (die in manchen Ländern der Legalisierung der sozialistischen und der politischen Vereinigungen voranging) oder: die Organisation bleibt geheim, ist aber so „frei“, so locker, so lose <“lose“ bei Lenin deutsch. Die Red.>, wie die Deutschen zu sagen pflegen, daß die Konspiration für die Masse der Mitglieder fast Null ist.

Die Legalisierung der nichtsozialistischen und nichtpolitischen Arbeiterverbände hat in Rußland bereits begonnen, und es kann keinem Zweifel unterliegen, daß jeder Schritt unserer rasch wachsenden sozialdemokratischen Arbeiterbewegung diese Legalisierungsversuche mehren und fördern wird, Versuche, die hauptsächlich von Anhängern des bestehenden Regimes, zum Teil aber auch von den Arbeitern selber und von der liberalen Intelligenz ausgehen. Das Banner der Legalisierung ist bereits von den Wassiljew und Subatow erhoben worden, die Herren Oserow und Worms haben schon ihre Unterstützung zugesagt und sie gewährt, unter den Arbeitern gibt es bereits Anhänger der neuen Strömung. Und wir können von jetzt an nicht umhin, mit dieser Strömung zu rechnen. In welcher Weise das geschehen soll, darüber kann es unter Sozialdemokraten wohl kaum zwei Meinungen geben. Wir sind verpflichtet, unentwegt jede Teilnahme der Subatow und Wassiljew, der Gendarmen und Pfaffen an dieser Strömung zu entlarven und die Arbeiter über die wahren Absichten dieser Teilnehmer aufzuklären. Wir sind auch verpflichtet, alle Töne der Versöhnung und „Harmonie“ anzuprangern, die aus den Reden der liberalen Politiker in öffentlichen Arbeiterversammlungen klingen werden – einerlei, ob sie diese Töne anschlagen, weil sie aufrichtig überzeugt sind, daß eine friedliche Zusammenarbeit der Klassen erwünscht sei, oder weil sie sich bei der Obrigkeit lieb Kind machen wollen, oder weil sie einfach ungeschickt sind. Wir sind schließlich verpflichtet, die Arbeiter vor einer Falle zu warnen, die ihnen oft von der Polizei gestellt wird: die Polizei hält in diesen öffentlichen Versammlungen und polizeilich genehmigten Vereinen nach „Heißspornen“ Umschau und ist bemüht, mittels der legalen Organisationen ihre Lockspitzel auch in die illegalen Organisationen hineinzubringen.

Aber all das tun heißt durchaus nicht vergessen, daß die Legalisierung der Arbeiterbewegung letzten Endes eben uns, und nicht den Subatow, Nutzen bringen wird. Im Gegenteil, gerade durch unsere Enthüllungskampagne sondern wir das Unkraut vom Weizen. Das Unkraut haben wir bereits genannt. Der Weizen, das bedeutet, daß die Aufmerksamkeit noch breiterer, auch der rückständigsten Arbeiterschichten auf soziale und politische Fragen gelenkt wird, das bedeutet, daß wir Revolutionäre von solchen Funktionen befreit werden, die ihrem Wesen nach legal sind (Verbreitung von legalen Schriften, gegenseitige Hilfe usw.) und deren Entwicklung uns unvermeidlich immer mehr Agitationsmaterial liefern wird. In diesem Sinne können und müssen wir zu den Subatow und den Oserow sagen: Macht nur weiter, ihr Herren, macht nur weiter! Soweit ihr den Arbeitern (durch direkte Provokation oder durch „ehrliche“ Demoralisierung der Arbeiter mit Hilfe des „Struvismus“) eine Falle stellt, werden wir schon für eure Entlarvung sorgen. Soweit ihr einen wirklichen Schritt vorwärts tut – wenn auch nur in der Form eines „schüchternen Zickzacks“, aber immerhin einen Schritt vorwärts –, werden wir sagen: Bitte sehr! Ein wirklicher Schritt vorwärts kann nur eine tatsächliche, wenn auch nur winzige Erweiterung der Ellenbogenfreiheit für die Arbeiter sein. Und jede solche Erweiterung wird für uns von Nutzen sein und die Entstehung legaler Vereine beschleunigen, in denen nicht die Lockspitzel Sozialisten fangen, wohl aber die Sozialisten sich Anhänger fangen werden. Mit einem Wort, unsere Sache ist es jetzt, gegen das Unkraut zu kämpfen. Nicht unsere Sache ist es, in Blumentöpfen Weizen zu ziehen. Indem wir das Unkraut jäten, säubern wir den Boden, damit der Weizensamen aufgehen kann. Während die Afanassi Iwanytsch und Pulcheria Iwanowna [57] ihre Zimmerpflanzen ziehen, müssen wir Schnitter ausbilden, die imstande sind, heute Unkraut zu jäten und morgen Weizen zu ernten. [E]

Also, mit Hilfe der Legalisierung die Frage lösen, wie eine möglichst wenig konspirative und möglichst breite Gewerkschaftsorganisation zu schaffen sei, das können wir nicht (aber wir wären sehr froh, wenn die Subatow und Oserow uns wenigstens zum Teil die Möglichkeit einer solchen Lösung eröffneten, dazu aber müssen wir sie möglichst energisch bekämpfen!). Es bleibt der Weg der geheimen Gewerkschaftsorganisationen, und wir müssen die Arbeiter, die (wie wir genau wissen) diesen Weg bereits beschreiten, in jeder Weise unterstützen. Die Gewerkschaftsorganisationen können nicht nur für die Entwicklung und Verstärkung des ökonomischen Kampfes von gewaltigem Nutzen sein, sie können auch zu einem sehr wichtigen Helfer für die politische Agitation und revolutionäre Organisation werden. Um dieses Resultat zu erreichen, um die aufkommende Gewerkschaftsbewegung in ein für die Sozialdemokratie erwünschtes Fahrwasser zu lenken, muß man sich vor allem über die Unsinnigkeit des Organisationsplanes im klaren sein, mit dem sich die Petersburger „Ökonomisten“ nun schon fast fünf Jahre beschäftigen. Dieser Plan ist dargelegt sowohl im Statut einer Arbeiterkasse vom Juli 1897 (Listok Rabotnika Nr.9/10, S.46, aus Rabotschaja Mysl Nr.1) als auch im Statut einer Arbeiterverbandsorganisation vom Oktober 1900 (besondere Flugschrift, gedruckt in St. Petersburg und erwähnt in Nr.1 der Iskra). Der Hauptmangel dieser beiden Statuten liegt darin, daß die Form der breiten Arbeiterorganisation bis ins Detail festgelegt und diese Organisation mit der Organisation der Revolutionäre verwechselt wird. Nehmen wir das zweite Statut, das genauer ausgearbeitet ist. Sein Hauptstück besteht aus zweiundfünfzig Paragraphen: In 23 Paragraphen werden der Aufbau, die Regeln für die Arbeit und die Kompetenzgrenzen der „Arbeiterzirkel“ dargelegt, die in jedem Betrieb einzurichten sind („nicht mehr als zehn Personen“) und die „zentrale (Betriebs-) Gruppen“ zu wählen haben. „Die zentrale Gruppe“, lautet § 2, „verfolgt alles, was in ihrer Fabrik oder ihrem Betrieb vor sich geht, und führt eine Chronik dieser Ereignisse.“ „Die zentrale Gruppe erstattet monatlich Bericht an alle zahlenden Mitglieder über den Stand der Kasse“ (§ 17) usw. Zehn Paragraphen sind der „Bezirksorganisation“ gewidmet und neunzehn der äußerst komplizierten Verflechtung des „Komitees der Arbeiterorganisation“ mit dem „Komitee des St.-Petersburger Kampfbundes“ (gewählte Vertreter jedes Bezirks und der „Vollzugsgruppen“ – „der Propagandistengruppen, der Gruppen für die Verbindung mit der Provinz, für die Verbindung mit dem Ausland, zur Verwaltung der Lager, für die Verlagsarbeit, für die Kasse“).

Sozialdemokratie = „Vollzugsgruppen“ für den ökonomischen Kampf der Arbeiter! Man könnte wohl kaum prägnanter zeigen, wie die Gedanken des „Ökonomisten“ vom Sozialdemokratismus zum Trade-Unionismus abgleiten, wie ihm jede Vorstellung davon fremd ist, daß der Sozialdemokrat vor allem an eine Organisation von Revolutionären denken muß, die fähig sind, den gesamten Befreiungskampf des Proletariats zu leiten. Von der „politischen Befreiung der Arbeiterklasse“, vom Kampf gegen die „zaristische Willkür“ reden und, solche Organisationsstatuten verfassen heißt absolut keinen Begriff von den wirklichen politischen Aufgaben der Sozialdemokratie haben. Von dem halben Hundert Paragraphen zeigt auch kein einziger nur einen Schimmer von Verständnis dafür, daß die breiteste politische Agitation unter den Massen notwendig ist, eine Agitation, die alle Seiten des russischen Absolutismus, das ganze Gepräge der verschiedenen Gesellschaftsklassen in Rußland beleuchtet. Ja, nicht nur politische, auch trade-unionistische Ziele lassen sich mit einem solchen Statut nicht erreichen, denn sie erfordern eine Organisation nach Berufen, die nicht einmal erwähnt wird.

Aber am charakteristischsten ist wohl die erstaunliche Schwerfälligkeit dieses ganzen „Systems“, das versucht, eine ständige Verbindung von jeder einzelnen Fabrik zum „Komitee“ durch gleichförmige und geradezu lächerlich kleinliche Regeln, auf Grund eines dreistufigen Wahlsystems zu schaffen. Erdrückt durch den engen Gesichtskreis des „Ökonomismus“, verfängt sich der Gedanke hier in Einzelheiten, die nach Bürokratismus und Amtsschimmel geradezu stinken. In der Wirklichkeit werden natürlich drei Viertel all dieser Paragraphen nie angewandt, dagegen aber wird es durch eine solche „konspirative“ Organisation mit einer Zentralgruppe in jedem Betrieb den Gendarmen leicht gemacht, Massenverhaftungen größten Ausmaßes vorzunehmen. Die polnischen Genossen haben die Periode der Bewegung bereits hinter sich, in der sich alle für eine breit angelegte Gründung von Arbeiterkassen begeisterten, aber sie gaben sehr bald diese Idee auf, da sie sich überzeugen mußten, daß sie nur den Gendarmen eine reiche Ernte verschafften. Wenn wir breite Arbeiterorganisationen und keine Massenverhaftungen wollen, wenn wir nicht den Gendarmen Vergnügen bereiten wollen, so müssen wir danach streben, daß diese Organisationen nur ganz lose aufgebaut sind. – Werden sie dann funktionieren können? – Man sehe sich diese Funktionen an: „... alles verfolgen, was in der Fabrik vor sich geht, und eine Chronik dieser Ereignisse führen.“ (§ 2 des Statuts.) Muß das denn unbedingt in einer festen organisatorischen Form geschehen? Kann das nicht noch besser erreicht werden durch Zuschriften an die illegalen Zeitungen, ohne daß besondere Gruppen zu diesem Zweck gebildet werden? „... den Kampf der Arbeiter um die Verbesserung ihrer Lage im Betrieb leiten.“ (§ 3 des Statuts.) Auch hier ist eine feste organisatorische Form überflüssig. Welche Forderungen die Arbeiter aufstellen wollen, kann jeder einigermaßen tüchtige Agitator aus einer einfachen Unterhaltung genau erfahren, und sobald er das weiß, wird er es schon an die enge – und nicht breite – Organisation der Revolutionäre weiterleiten, damit sie das entsprechende Flugblatt liefert. „... eine Kasse organisieren.., mit einem Zweikopekenbeitrag je Rubel“ (§ 9) – und dann monatlich über die Kasse allen Bericht erstatten (§ 17), die nichtzahlenden Mitglieder ausschließen (§ 10) usw. Das ist für die Polizei geradezu ein wahres Paradies, denn nichts ist leichter, als in die ganze Konspiration der „zentralen Betriebskasse“ einzudringen, das Geld zu beschlagnahmen und die besten Leute zu verhaften. Wäre es nicht einfacher, Einkopeken- oder Zweikopekenmarken mit dem Stempel der bekannten (sehr engen und sehr konspirativen) Organisation auszugeben oder ganz ohne Marken Sammlungen zu veranstalten, über die das illegale Blatt unter einem bestimmten verabredeten Stichwort Berichte veröffentlicht? Es wird das gleiche Ziel erreicht werden, den Gendarmen aber wird es hundertmal schwerer sein, die Fäden aufzufinden.

Ich könnte die Analyse des als Beispiel gewählten Statuts noch weiter fortsetzen, glaube aber, daß das Gesagte genügt. Ein kleiner, festgefügter Kern der zuverlässigsten, erfahrensten und gestähltesten Arbeiter, der in den wichtigsten Bezirken Vertrauensleute hat und nach allen Regeln der strengsten Konspiration mit der Organisation der Revolutionäre verbunden ist, kann, unter weitestgehender Mitwirkung der Masse und ohne der Sache feste organisatorische Formen zu geben, sämtliche Funktionen durchaus erfüllen, die der Gewerkschaftsorganisation obliegen, und sie zudem so erfüllen, wie es für die Sozialdemokratie erwünscht ist. Nur auf diesem Wege kann, allen Gendarmen zum Trotz, eine Festigung und Entfaltung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung erreicht werden.

Man wird mir erwidern: Eine Organisation, die so lose <“lose“ bei Lenin deutsch. Die Red.> ist, daß sie überhaupt keine bestimmte Form hat, daß sie nicht einmal eingetragene und registrierte Mitglieder hat, kann auch nicht als Organisation bezeichnet werden. – Mag sein. Mir ist es nicht um den Namen zu tun. Aber alles, was notwendig ist, wird diese „Organisation ohne Mitglieder“ tun, und sie wird von Anfang an eine feste Verbindung unserer künftigen Gewerkschaften mit dem Sozialismus sichern. Wer aber unter dem Absolutismus eine breite Arbeiterorganisation mit Wahlen, Berichten, allgemeinen Abstimmungen usw. haben will, der ist einfach ein unverbesserlicher Utopist.

Es ergibt sich hieraus die einfache Moral: Beginnen wir mit einer festgefügten Organisation der Revolutionäre, so werden wir die Widerstandsfähigkeit der Bewegung als Ganzes sichern und sowohl die sozialdemokratischen als auch die eigentlich trade-unionistischen Ziele verwirklichen können. Beginnen wir aber mit der der Masse angeblich „zugänglichsten“, breiten Arbeiterorganisation (die aber in Wirklichkeit für die Gendarmen am zugänglichsten ist und die Revolutionäre für die Polizei am zugänglichsten macht), so werden wir weder diese noch jene Ziele verwirklichen, werden uns von der Handwerklerei nicht frei machen und werden dadurch, daß wir zersplittert sind und immer wieder hochgehen, die Trade-Unions vom Subatowschen oder Oserowschen Typ für die Massen am zugänglichsten machen.

Worin sollen nun eigentlich die Funktionen dieser Organisation der Revolutionäre bestehen? Darüber werden wir uns gleich ausführlicher unterhalten. Analysieren wir aber zunächst noch eine sehr typische Ausführung unseres Terroristen, der wiederum (welch trauriges Los!) in nächster Nachbarschaft mit dem „Ökonomisten“ anzutreffen ist. In der Zeitschrift für Arbeiter Swoboda (Nr.1) ist ein Artikel mit der Überschrift „Die Organisation“ enthalten, dessen Verfasser die ihm bekannten Anhänger des „Ökonomismus“ unter den Arbeitern von Iwanowo-Wosnessensk in Schutz nehmen möchte:

Es ist schlimm – schreibt er –, wenn die Menge stumm, unaufgeklärt ist, wenn die Bewegung nicht von unten kommt. Man sehe sich das an: Die Studenten verlassen die Universitätsstadt und fahren für die Feiertage oder die Sommerferien nach Hause – und die Arbeiterbewegung kommt zum Stillstand. Kann denn eine Arbeiterbewegung, die von außen angetrieben wird, eine wirkliche Kraft darstellen? In keiner Weise ... Sie hat noch nicht gelernt, auf eigenen Füßen zu gehen, sie wird noch am Gängelband geführt. Und so ist es in allem: Die Studenten sind fort – und alles steht still; man hat die Fähigsten herausgegriffen, den Rahm abgeschöpft – und die Milch wird sauer; das „Komitee“ ist verhaftet, und bis ein neues zustande kommt, tritt wieder Stillstand ein; und wer weiß, was für ein Komitee zustande kommt, vielleicht wird es dem bisherigen absolut nicht ähnlich sehen; jenes hat dies gesagt, dieses wird das Gegenteil sagen. Der Zusammenhang zwischen gestern und heute geht verloren, die Erfahrung der Vergangenheit ergibt keine Lehre für die Zukunft. Und all das nur, weil die Wurzeln in der Tiefe, in der Menge fehlen; nicht ein Hundert Dummköpfe ist am Werk, sondern ein Dutzend Schlauköpfe. Ein Dutzend kann immer vom Hecht geschnappt werden, erfaßt aber die Organisation die Menge, kommt alles aus der Menge – dann vermag bei allem Eifer niemand die Sache zu zerstören. (S.63.)

Die Tatsachen sind richtig geschildert. Das Bild unserer Handwerklerei ist nicht übel. Aber die Schlußfolgerungen sind sowohl ihrem Unverstand als auch ihrer politischen Taktlosigkeit nach der Rabotschaja Mysl würdig. Sie sind der Gipfel der Unvernunft, denn der Verfasser verwechselt die philosophische und die sozialhistorische Frage nach den „Wurzeln“ der Bewegung in der „Tiefe“ mit der technisch-organisatorischen Frage, wie der Kampf gegen die Gendarmen besser zu führen ist. Sie sind der Gipfel politischer Taktlosigkeit, denn anstatt sich von den schlechten Führern abzuwenden und an die guten Führer zu appellieren, wendet sich der Verfasser von den Führern überhaupt ab und appelliert an die „Menge“. Das ist in organisatorischer Beziehung der gleiche Versuch, uns nach rückwärts zu zerren, wie es in politischer Beziehung der Gedanke ist, die politische Agitation durch den exzitierenden Terror zu ersetzen. Ich empfinde wahrhaftig einen Embarras de richesses < Verlegenheit aus Überfluß. Die Red.> und weiß nicht, womit ich die Analyse dieses Durcheinanders, das uns die Swoboda auftischt, beginnen soll. Der Anschaulichkeit halber will ich versuchen, mit einem Beispiel zu beginnen. Nehmen wir die Deutschen. Man wird doch hoffentlich nicht leugnen wollen, daß ihre Organisation die Menge erfaßt, daß alles von der Menge ausgeht, daß ihre Arbeiterbewegung gelernt hat, auf eigenen Füßen zu gehen? Und wie versteht diese millionenköpfige Menge es trotzdem, ihr „Dutzend“ bewährter politischer Führer zu schätzen, wie fest hält sie zu ihnen! Im Parlament kam es wiederholt vor, daß Abgeordnete der feindlichen Parteien die Sozialisten hänselten: „Schöne Demokraten seid ihr! Nur in Worten habt ihr eine Bewegung der Arbeiterklasse, in Wirklichkeit aber tritt immer dieselbe Führersippe auf. Immer derselbe Bebel, derselbe Liebknecht, jahraus, jahrein, von einem Jahrzehnt zum anderen. Eure angeblich gewählten Abgeordneten der Arbeiterschaft sind noch weniger absetzbar als die vom Kaiser eingesetzten Beamten!“ Doch die Deutschen hatten nur ein verächtliches Lächeln für diese demagogischen Versuche übrig, die „Menge“ gegen die „Führer auszuspielen, in der Menge schlechte und eitle Instinkte zu entfachen, der Bewegung durch Erschütterung des Vertrauens der Masse zu einem „Dutzend Schlauköpfen“ die Widerstandsfähigkeit und Festigkeit zu rauben. Das politische Denken der Deutschen ist schon entwickelt genug, sie haben genügend politische Erfahrung gesammelt, um zu verstehen, daß es ohne ein „Dutzend“ talentvoller (Talente aber kommen nicht zu Hunderten zur Welt), bewährter Führer, die mit den notwendigen Kenntnissen ausgerüstet sind, eine lange Schule durchgemacht haben und die ausgezeichnet zusammenarbeiten, in der heutigen Gesellschaft keinen beharrlichen Kampf einer Klasse geben kann. Die Deutschen haben auch in ihrer Mitte Demagogen gesehen, die einem „Hundert Dummköpfen“ schmeichelten, indem sie sie über das „Dutzend Schlauköpfe“ stellten, die der „schwieligen Faust“ der Masse schmeichelten, sie (wie Most oder Hasselmann) zu unüberlegten „revolutionären“ Aktionen anstachelten und Mißtrauen gegen die bewährten und standhaften Führer säten. Und nur dank dem unentwegten und unversöhnlichen Kampf gegen alle demagogischen Elemente innerhalb des Sozialismus ist der deutsche Sozialismus so gewachsen und erstarkt. Zu einer Zeit, wo die ganze Krise der russischen Sozialdemokratie daraus zu erklären ist, daß die spontan erwachten Massen keine genügend geschulten, durchgebildeten und erfahrenen Führer besitzen, verkünden unsere Neunmalklugen mit der Tiefgründigkeit des dummen Hans: „Es ist schlimm, wenn die Bewegung nicht von unten kommt“!

„Ein Komitee aus Studenten taugt nichts, es ist nicht widerstandsfähig.“ – Sehr richtig. Aber hieraus muß der Schluß gezogen werden, daß man ein Komitee aus Berufsrevolutionären braucht, einerlei, ob es ein Student oder ein Arbeiter versteht, sich zum Berufsrevolutionär zu entwickeln. Ihr aber zieht den Schluß, die Arbeiterbewegung dürfe keinen Antrieb von außen erhalten! In eurer politischen Einfalt merkt ihr nicht einmal, daß ihr damit unseren „Ökonomisten“ und unserer Handwerklerei in die Hände spielt. Worin bestand, mit Verlaub zu fragen, der „Antrieb“, den unsere Studenten unseren Arbeitern gegeben haben? Einzig und allein darin, daß der Student dem Arbeiter die Bruchstücke politischen Wissens übermittelte, die er selber besaß, die Brocken sozialistischer Ideen, die ihm zugefallen waren (denn die geistige Hauptnahrung des heutigen Studenten, der legale Marxismus, konnte ja nichts als das Abc, als Brocken geben). Dieser „Antrieb von außen“ war für unsere Bewegung nicht zu stark, sondern, im Gegenteil, zu schwach, heillos und sträflich schwach, denn wir schmorten nur zu sehr im eigenen Saft, beteten überaus sklavisch den elementaren „ökonomischen Kampf der Arbeiter gegen die Unternehmer und gegen die Regierung“ an. Mit diesem „Antrieb“ müssen wir Berufsrevolutionäre uns in hundertmal stärkerem Maße beschäftigen und werden dies auch tun. Aber eben weil ihr ein so niederträchtiges Wort wie „Antrieb von außen“ wählt, das unbedingt im Arbeiter (wenigstens im Arbeiter, der ebenso unentwickelt ist, wie ihr es seid) Mißtrauen gegen alle weckt, die ihm politisches Wissen und revolutionäre Erfahrung von außen bringen, das instinktiv bei ihm den Wunsch hervorruft, allen solchen Leuten die Tür zu weisen – eben darum seid ihr Demagogen, die Demagogen aber sind die ärgsten Feinde der Arbeiterklasse.

Ja, ja! Habt es nicht so eilig, über die „unkameradschaftlichen Methoden“ meiner Polemik ein Geschrei zu erheben! Ich denke gar nicht daran, die Lauterkeit eurer Absichten anzuzweifeln, ich habe schon gesagt, daß man allein schon aus politischer Naivität zum Demagogen werden kann. Aber ich habe gezeigt, daß ihr bis zur Demagogie herabgesunken seid. Und ich werde nie müde werden zu wiederholen, daß die Demagogen die ärgsten Feinde der Arbeiterklasse sind. Eben darum die ärgsten, weil sie die schlechten Instinkte der Menge schüren, weil die unentwickelten Arbeiter nicht die Möglichkeit haben, diese Feinde richtig zu erkennen, die – manchmal aufrichtig – als ihre Freunde auftreten. Die ärgsten, weil in einer Zeit der Zerfahrenheit und Schwankungen, in einer Zeit, wo sich die Physiognomie unserer Bewegung erst herausbildet, nichts leichter ist, als demagogisch die Menge mitzureißen, die später nur durch die bittersten Erfahrungen über ihren Irrtum belehrt werden kann. Darum muß für den heutigen russischen Sozialdemokraten die Tageslosung sein: energischer Kampf sowohl gegen die bis zur Demagogie hinabsinkende Swoboda als auch gegen das bis zur Demagogie hinabsinkende Rabotscheje Delo (hiervon wird weiter unten noch ausführlich die Rede sein [F]).

„Ein Dutzend Schlauköpfe kann leichter geschnappt werden als hundert Dummköpfe.“ Diese großartige Wahrheit (für die euch stets hundert Dummköpfe Beifall spenden werden) erscheint nur darum selbstverständlich, weil ihr im Laufe eurer Ausführungen von einer Frage auf die andere übergesprungen seid. Ihr habt begonnen und fahrt fort, davon zu sprechen, daß das „Komitee“ geschnappt wird, daß die „Organisation“ geschnappt wird, seid aber jetzt auf die Frage übergesprungen, daß die „Wurzeln“ der Bewegung „in der Tiefe“ geschnappt werden. Gewiß, unsere Bewegung ist nur darum nicht zu fassen, weil sie Tausende und aber Tausende Wurzeln in der Tiefe hat, aber darum handelt es sich ja gar nicht. Was die „Wurzeln in der Tiefe“ betrifft, so kann man uns, trotz all unserer Handwerklerei, auch jetzt nicht „schnappen“, und dennoch klagen wir alle darüber und müssen darüber klagen, daß die „Organisationen„ geschnappt werden und dadurch jede Kontinuität der Bewegung zerstört wird. Stellt ihr aber die Frage, daß die Organisationen geschnappt werden, und geht davon nicht ab, so will ich euch sagen, daß es viel schwieriger ist, ein Dutzend Schlauköpfe zu schnappen als hundert Dummköpfe. Und ich werde diesen Grundsatz verfechten, sosehr ihr auch die Menge wegen meines „Antidemokratismus“ usw. gegen mich aufhetzen möget. Unter den „Schlauköpfen“ sind, wie ich schon wiederholt betont habe, in organisatorischer Beziehung nur die Berufsrevolutionäre zu verstehen, einerlei, ob sie sich aus Studenten oder Arbeitern hierzu entwickeln. Und nun behaupte ich: 1. Keine einzige revolutionäre Bewegung kann ohne eine stabile und die Kontinuität wahrende Führerorganisation Bestand haben; 2. je breiter die Masse ist, die spontan in den Kampf hineingezogen wird, die die Grundlage der Bewegung bildet und an ihr teilnimmt, um so dringender ist die Notwendigkeit einer solchen Organisation und um so fester muß diese Organisation sein (denn um so leichter wird es für allerhand Demagogen sein, die unentwickelten Schichten der Masse mitzureißen); 3. eine solche Organisation muß hauptsächlich aus Leuten bestehen, die sich berufsmäßig mit revolutionärer Tätigkeit befassen; 4. je mehr wir die Mitgliedschaft einer solchen Organisation einengen, und zwar so weit, daß sich an der Organisation nur diejenigen Mitglieder beteiligen, die sich berufsmäßig mit revolutionärer Tätigkeit befassen und in der Kunst des Kampfes gegen die politische Polizei berufsmäßig geschult sind, um so schwieriger wird es in einem autokratischen Lande sein, eine solche Organisation „zu schnappen“, und 5. um so breiter wird der Kreis der Personen aus der Arbeiterklasse und aus den übrigen Gesellschaftsklassen sein, die die Möglichkeit haben werden, an der Bewegung teilzunehmen und sich in ihr aktiv zu betätigen.

Ich stelle unseren „Ökonomisten“, Terroristen und „ökonomistischen Terroristen“ [G] anheim, diese Sätze zu widerlegen, von denen ich die beiden letzten gleich näher betrachten werde. Die Frage, ob es leichter sei, ein „Dutzend Schlauköpfe“ als „hundert Dummköpfe“ zu schnappen, läuft auf die oben analysierte Frage hinaus, ob eine Massenorganisation möglich ist, wenn strengste Konspiration geboten ist. Eine breite Organisation werden wir nie auf die Höhe der Konspiration bringen können, ohne die von einem zähen und kontinuierlichen Kampf gegen die Regierung keine Rede sein kann. Die Konzentrierung aller konspirativen Funktionen in den Händen einer möglichst geringen Zahl von Berufsrevolutionären bedeutet keineswegs, daß die Berufsrevolutionäre „für alle denken werden“, daß die Menge keinen tätigen Anteil an der Bewegung nehmen wird. Im Gegenteil, die Menge wird diese Berufsrevolutionäre in immer größerer Anzahl hervorbringen, denn die Menge wird dann wissen, daß es nicht genügt, wenn sich ein paar Studenten und Arbeiter, die einen ökonomischen Kampf führen, zusammentun, um ein „Komitee“ zu bilden, sondern daß es notwendig ist, sich durch jahrelange Arbeit zu einem Berufsrevolutionär auszubilden; und die Menge wird nicht nur an Handwerklerei „denken“, sondern eben an eine solche Ausbildung. Die Zentralisierung der konspirativen Funktionen der Organisation bedeutet keineswegs die Zentralisierung aller Funktionen der Bewegung. Die aktive Mitarbeit der breitesten Massen an der illegalen Literatur wird nicht geringer, sondern zehnmal stärker werden, wenn ein „Dutzend“ Berufsrevolutionäre die konspirativen Funktionen dieser Arbeit zentralisieren. So und nur so werden wir es erreichen, daß das Lesen der illegalen Literatur, die Mitarbeit an ihr, zum Teil auch ihre Verbreitung fast aufhören werden, eine konspirative Angelegenheit zu sein, denn die Polizei wird sehr bald einsehen, wie sinnlos und unmöglich es ist, wegen eines jeden Exemplars der zu Tausenden verbreiteten Schriften endlose gerichtliche und administrative Verfahren einzuleiten. Und das gilt nicht allein für die Presse, sondern auch für alle Funktionen der Bewegung, einschließlich der Demonstrationen. Die aktivste und breiteste Teilnahme der Massen an einer Demonstration wird nicht nur keinen Abbruch erleiden, sondern, im Gegenteil, viel dadurch gewinnen, daß ein „Dutzend“ bewährter Revolutionäre, beruflich nicht schlechter geschult als unsere Polizei, die ganze konspirative Arbeit zentralisieren werden, wie z.B. die Herstellung von Flugblättern, die Aufstellung eines Planes in groben Umrissen, die Einsetzung eines Stabes von Leitern für jeden Stadtbezirk, für jedes Fabrikviertel, für jede Lehranstalt usw. (ich weiß, man wird mir entgegnen, meine Ansichten seien „undemokratisch“, aber ich werde auf diesen recht törichten Einwand weiter unten eingehen). Die Zentralisierung der konspirativsten Funktionen durch eine Organisation der Revolutionäre wird den Umfang und den Inhalt der Tätigkeit vieler anderer Organisationen, die auf ein breites Publikum berechnet und darum möglichst lose und möglichst wenig konspirativ sind, nicht vermindern, sondern vergrößern; dazu gehören sowohl die Gewerkschaftsverbände der Arbeiter als auch die Arbeiterzirkel für Selbstbildung und die Lesezirkel für illegale Literatur, ferner die sozialistischen und auch die demokratischen Zirkel in allen übrigen Bevölkerungsschichten usw. usf. Solche Zirkel, Verbände und Organisationen sind überall in möglichst großer Zahl und mit den mannigfaltigsten Funktionen erforderlich, aber es wäre unsinnig und schädlich, sie mit einer Organisation der Revolutionäre zu verwechseln, die Grenzen zwischen ihnen zu verwischen, in der Masse die ohnehin sehr verblaßte Erkenntnis auszulöschen, daß zur „Bedienung“ der Massenbewegung Menschen erforderlich sind, die sich speziell und uneingeschränkt der sozialdemokratischen Tätigkeit widmen, und daß diese Menschen sich mit Geduld und Zähigkeit zu Berufsrevolutionären heranbilden müssen.

Ja, diese Erkenntnis ist unglaublich verblaßt. Unsere größte Sünde in organisatorischer Beziehung besteht darin, daß wir durch unsere Handwerklerei das Ansehen der Revolutionäre in Rußland herabgesetzt haben. Schlaff und schwatzend in theoretischen Fragen, mit engem Horizont, seine Schlaffheit mit der Spontaneität der Massen rechtfertigend, eher dem Sekretär einer Trade-Union ähnlich als einem Volkstribun, unfähig, einen umfassenden und kühnen Plan aufzustellen, der auch den Gegnern Achtung abzwänge, unerfahren und ungeschickt in seiner beruflichen Kunst – im Kampf gegen die politische Polizei –, aber erlauben Sie! das ist doch kein Revolutionär, sondern ein kläglicher Handwerkler.

Kein Praktiker möge mir dieses schroffe Wort übelnehmen, denn soweit es sich um mangelnde Schulung handelt, beziehe ich es vor allem auf mich selber. Ich arbeitete in einem Zirkel [58], der sich sehr weite, allumfassende Aufgaben stellte, und wir alle, die Mitglieder dieses Zirkels, mußten es schmerzlich, qualvoll empfinden, daß wir uns als Handwerkler erweisen in einem so historischen Moment, wo man, den bekannten Ausspruch variierend, sagen könnte: Gebt uns eine Organisation von Revolutionären, und wir werden Rußland aus den Angeln heben! Und je öfter ich seitdem an dieses glühende Schamgefühl zurückdenken mußte, das ich damals empfand, um so mehr Bitternis sammelte sich in mir gegen jene Pseudosozialdemokraten, die durch ihre Predigten „dem hohen Beruf des Revolutionärs Schande machen“, die nicht verstehen, daß es unsere Aufgabe ist, nicht für die Degradierung des Revolutionärs zum Handwerkler einzutreten, sondern die Handwerkler auf das Niveau von Revolutionären emporzuheben.

 

 

Fußnoten von Lenin

E. Der Kampf gegen das Unkraut hat der Iskra vom Rabotscheje Delo einen wütenden Ausfall eingebracht: „Für die Iskra sind nicht so sehr diese großen (die Frühjahrs-) Ereignisse als vielmehr die kläglichen Versuche der Subatowschen Agenten, die Arbeiterbewegung zu ‚legalisieren‘, ein Zeichen der Zeit. Sie sieht nicht, daß eben diese Tatsachen gegen sie sprechen; gerade sie zeugen davon, daß die Arbeiterbewegung in den Augen der Regierung ganz bedrohliche Dimensionen angenommen hat.“ (Zwei Konferenzen, S.27.) Schuld an allem ist der „Dogmatismus“ dieser „den gebieterischen Befehlen des Lebens gegenüber tauben“ Orthodoxen. Sie wollen hartnäckig den meterhohen Weizen nicht sehen und bekämpfen das zollhohe Unkraut! Ist das nicht ein „entartetes Gefühl für die Perspektive der russischen Arbeiterbewegung“ (ebenda, S.27)?

F. Hier sei nur bemerkt, daß alles, was wir über den „Antrieb von außen“ wie auch über alle weiteren Ausführungen der Swoboda zur Organisation gesagt haben, sich voll und ganz auch auf sämtliche „Ökonomisten“ bezieht, einschließlich der „Rabotschedelenzen“, denn zum Teil predigten und verteidigten sie aktiv dieselben Auffassungen über die Fragen der Organisation, zum anderen Teil glitten sie zu solchen Auffassungen ab.

G. Diese Bezeichnung paßt vielleicht auf die Swoboda besser als die vorhergehende, denn in der Wiedergeburt des Revolutionismus wird der Terrorismus in Schutz genommen, in dem Artikel aber, von dem hier die Rede ist, der „Ökonomismus“. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach! – könnte man überhaupt von der Swoboda sagen. Die besten Ansätze und die besten Vorsätze, und im Resultat eine Konfusion, hauptsächlich deswegen eine Konfusion, weil die Swoboda, die für die Kontinuität der Organisation eintritt, von der Kontinuität des revolutionären Denkens und der sozialdemokratischen Theorie nichts wissen will. Danach streben, den Berufsrevolutionär zu neuem Leben zu erwecken (Wiedergeburt des Revolutionismus), und dazu erstens den exzitierenden Terror und zweitens die „Organisation der Durchschnittsarbeiter“ (Swoboda Nr.1, S.66ff.) vorschlagen, die möglichst wenig „von außen angetrieben werden“, das heißt wahrlich, zur Heizung seines Hauses das Holz verwenden, aus dem es gebaut ist.

 


Zuletzt aktualisiert am 20.7.2008