John Molyneux

Marxismus und Partei


3. Lenin: Vom russischen Bolschewismus
zur Kommunistischen Internationale


Wir sehen, Lenin entwickelte bis zum Jahr 1904 eine Vielzahl Ideen, die weit über die bislang geläufigen Ansichten zur Partei weisen. Deshalb und wegen der historischen Kontinuität der Bolschewiki von der Spaltung im Jahr 1903 bis zur Revolution im Jahr 1917 wird gemeinhin angenommen, Lenin habe von Anfang an seine eigene, klar ausgearbeitete Parteitheorie gehabt, die sich von der der Sozialdemokratie im Westen deutlich unterschied. Aber damit begeht man den Fehler, in die Vergangenheit Ideen hineinzulesen, die erst sehr viel später scharfe Konturen angenommen haben. In Wirklichkeit war Lenin eine grundlegende Abweichung von der sozialdemokratischen Orthodoxie gar nicht bewusst. Er identifizierte die Menschewiki mit Bernsteins „Revisionismus“ und sich selbst mit der Bebel-Kautsky-Strömung in der SPD.

In der gesamten Vorkriegszeit zitierte Lenin immer wieder Kautsky als die marxistische Autorität. Sogar dessen Bevorzugung der Menschewiki erschütterte seinen Glauben an ihn nicht, denn sie sei lediglich Folge seiner Unkenntnis der wirklichen Lage in Russland. Noch im August 1913 nannte Lenin Bebel das „Vorbild eines Arbeiterführers“ [122] und lobte ihn als Entwickler „der Parlamentstaktik der deutschen (und der internationalen) Sozialdemokratie, die den Gegnern nicht einen Fußbreit Boden überlässt [...] und die gleichzeitig prinzipiell und unversöhnlich und stets auf die Verwirklichung des Endziels gerichtet ist“. [123] Was die Wahrnehmung des Konservatismus der SPD angeht, war nicht nur Luxemburg, die ihre Führer persönlich kannte, sondern auch Trotzki Lenin weit voraus. Bereits 1906 warnte er:

Die europäischen sozialistischen Parteien, insbesondere die größte unter ihnen, die deutsche, haben einen eigenen Konservatismus entwickelt, der um so stärker ist, je größere Massen der Sozialismus ergreift, je höher der Organisationsgrad und die Disziplin dieser Massen sind. Infolgedessen kann die Sozialdemokratie als Organisation, die die politische Erfahrung des Proletariats verkörpert, in einem bestimmten Moment zum unmittelbaren Hindernis auf dem Weg der offenen Auseinandersetzung zwischen den Arbeitern und der bürgerlichen Reaktion werden. [124]

Dies nur als Korrektur zu der weitverbreiteten Tendenz, Lenins Denken als perfektes, „einheitliches“ System aufzufassen, in dem alles von Anfang an seinen Platz hatte. [125] Wie Trotzki einmal sagte: „Wenn Lenin im Jahre 1903 alles verstanden und formuliert hätte, was für künftige Zeiten erforderlich war, so hätte sein ganzes übriges Leben nur aus beständiger Wiederholung bestanden. In Wirklichkeit war es ganz anders.“ [126] Lenins Parteitheorie im Jahr 1903/04 unterscheidet sich ganz deutlich von der zur Zeit der Gründung der Kommunistischen Internationale im Jahr 1919. Lenins Theorie entstand nicht auf einmal, sie war das Produkt konkreter Antworten und Verallgemeinerungen im Verlauf des Klassenkampfs. Deshalb reicht es zum Verständnis nicht, ein paar Schlüsseltexte heranzuholen – Lenins gesamte Praxis muss berücksichtigt werden.
 

Auswirkungen von 1905

Nach der Spaltung von 1903 war das nächste große Ereignis, das Lenins Parteitheorie wesentlich beeinflusste, die Revolution von 1905. Ihre erste Auswirkung war, die Kluft zwischen Bolschewiki und Menschewiki noch weiter zu vertiefen. Bei der Trennung war es lediglich um die Frage der Organisation gegangen, anscheinend ohne Bezug zu Programm- oder Strategiefragen. Aber jetzt taten sich grundlegende Differenzen in der Einschätzung der eigentlichen Triebkräfte der Revolution auf. Wie bereits angedeutet, akzeptierte Lenin die These vom bürgerlichen Wesen der Revolution, vertrat aber die Meinung, sie müsse in Anbetracht des Konservatismus, der Schwäche und des Wankelmuts der russischen Bourgeoisie vom Proletariat im Bund mit der Bauernschaft durchgeführt werden. Bei dem Versuch, diese Position in konkrete revolutionäre Aktion zu übersetzen, entwickelte Lenin den Standpunkt, Sozialdemokraten müssten darauf hinwirken, den Einfluss der bürgerlichen Liberalen (Kadetten usw.) auf die Bauernschaft zu brechen, um dann einen gemeinsamen proletarisch-bäuerlichen Aufstand zum Sturz der Autokratie durchzuführen. Aus einer erfolgreichen Erhebung würde eine provisorische revolutionäre Regierung hervorgehen, die aus der revolutionären Arbeiterpartei (den Sozialdemokraten) und der Partei der revolutionären Bauern (den Sozialrevolutionären) bestünde und die „demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern“ verträte. Nach einer kurzen Phase energischer Maßnahmen zur Beseitigung aller Überreste des Feudalismus würde die provisorische Regierung eine verfassunggebende Versammlung einberufen, die aufgrund der Bauernmehrheit in der Bevölkerung unweigerlich antisozialistisch sein würde. Die Sozialdemokratie wäre dann auf die Rolle einer Oppositionspartei reduziert, die den Kampf für den Sozialismus weiterführt. Die russische Revolution würde somit wie die Große Französische Revolution konsequent zu Ende geführt werden, so Lenin, und wäre kein schäbiger Kompromiss wie die deutsche von 1848. Sie schüfe die bestmögliche Voraussetzung für die kommenden Kämpfe des Proletariats. [127]

Die Menschewiki lehnten eine solche Vorstellung jedoch ab. Sie vertraten immer entschiedener die Auffassung, dass wegen des bürgerlichen Charakters der Revolution ihre Triebkraft die Bourgeoisie sein müsse und dem Proletariat nur eine untergeordnete Rolle zufallen könne. Die Sozialdemokratie habe die Aufgabe, die bürgerlichen Liberalen anzutreiben und sie so zu „revolutionieren“, dürfe sie aber nicht verschrecken. Die Formel von der demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern und auch eine Teilnahme an einer revolutionären provisorischen Regierung lehnten sie kategorisch ab, weil sie „die bürgerlichen Klassen veranlassen würde, von der Revolution abzuschwenken, wodurch der Schwung der Revolution geschwächt würde“. [128] Solange der revolutionäre Aufschwung anhielt, ließen sich die Menschewiki zu großen Teilen von den Ereignissen mitreißen, aber als die Bewegung abzuebben begann, bedauerten sie immer mehr die extremen Positionen und Taten, in die sie hineingezogen worden waren. Die Quintessenz las sich in Plechanows berüchtigter Äußerung: „Man hätte nicht zu den Waffen greifen sollen!“ [129]

Das Verhalten der Menschewiki führte Lenin zu der Überzeugung, dass es eine Verbindung zwischen Opportunismus in der Organisationsfrage und Opportunismus in der Politik gab. Die gemeinsamen Aktionen der bolschewistischen und menschewistischen Arbeiter in den revolutionären Kämpfen beflügelten den Willen zur Wiedervereinigung und Lenin stimmte einer solchen formell zu, er war aber mehr denn je entschlossen, die unabhängige Organisation seiner Strömung zu stärken. Im Jahr 1910 schrieb er in seinem Artikel Der historische Sinn des innerparteilichen Kampfes in Russland: „[...] der Bolschewismus war im Frühjahr und Sommer 1905 [...] als Richtung schon völlig herausgebildet.“ [130]

Die zweite Auswirkung der Revolution war eine Akzentverschiebung in Lenins Auffassung von dem Verhältnis zwischen Partei und Klasse. In Was tun? hatte er seine Ansichten über die Partei mit dem Argument gerechtfertigt, der Sozialismus müsse „von außen“ in die Arbeiterklasse gebracht werden und die Arbeiterklasse könne sich nicht spontan über das Niveau des Gewerkschaftertums erheben. Angesichts der enormen und spontanen revolutionären Taten der russischen Arbeiterklasse änderte sich sein Ton grundlegend.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Revolution den Arbeitermassen in Russland den Sozialdemokratismus beibringen wird [...] In einem solchen Augenblick drängt die Arbeiterklasse instinktiv zur offenen revolutionären Aktion [...] 131

Die Arbeiterklasse ist instinktiv und spontan sozialdemokratisch [...] [132]

Nunmehr unterstreicht Lenin „wie der elementare Instinkt der Arbeiterbewegung die Konzeptionen der genialsten Denker zu berichtigen weiß“ [133], und distanziert sich fortan von manchen seiner Formulierungen in Was tun?.Was tun? korrigiert polemisch den ‚Ökonomismus‘, und es ist falsch, den Inhalt der Broschüre außerhalb dieser Aufgabe zu betrachten“, schreibt Lenin im Jahr 1907. [134] Diese Neubewertung bedeutete aber keinen Rückfall in eine spontaneistische oder fatalistische Haltung zu den Aufgaben der Partei. Gerade in dieser Frage bekämpfte Lenin die Menschewiki am heftigsten:

Eifrige Marschierer, aber schlechte Führer, würdigen sie die materialistische Geschichtsauffassung dadurch herab, dass sie außer acht lassen, welche wirksame, führende und leitende Rolle in der Geschichte die Parteien spielen können und müssen, die die materiellen Bedingungen der Umwälzung erkannt und sich an die Spitze der fortgeschrittenen Klassen gestellt haben. [135]

Den mithilfe der Schriften Was tun? und Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück erzielten Bruch mit dem ökonomistischen Fatalismus erhält Lenin aufrecht und vertieft ihn, aber ohne die ursprüngliche elitäre Begründung. Die Formulierungen in Zwei Taktiken sind ausgesprochen dialektisch. „Kein Zweifel, dass die Revolution uns belehren und dass sie die Volksmassen belehren wird. Doch für die kämpfende politische Partei steht jetzt die Frage so: Werden wir die Revolution etwas lehren können?“ [136]

Begleiterscheinung dieser theoretischen Neuorientierung war Lenins Kampf in der bolschewistischen Fraktion gegen den Einfluss der „Berufsrevolutionäre“ und „Komiteeleute“, denen er noch vor ein oder zwei Jahren so große Bedeutung beigemessen hatte. In der vorrevolutionären Periode der geheimen Tätigkeit sorgten diese „Komiteeleute“ für Stabilität und Fachwissen, ohne die die Partei unter solch schwierigen Umständen sich nicht hätte etablieren können. Aber sie verfielen in einen gewissen Alltagstrott, der seine reaktionären Züge bei Ausbruch der Revolution offenbarte. Sie waren die leibhaftige Verkörperung der Theorie von der „Einführung des Sozialismus in die Arbeiterklasse von außen“ und hatten als solche eine überhebliche Haltung Arbeitern gegenüber mit der Folge, dass es in den bolschewistischen Komitees praktisch keine Arbeiter gab. Die Frage, Arbeiter in die Komitees aufzunehmen, stellte sich im April 1905 auf dem Dritten Kongress der Bolschewiki. Krupskaja beschreibt die Debatte:

>Wladimir Iljitsch trat besonders warm für die Aufnahme der Arbeiter in die Komitees ein. Auch Bogdanow, die „Ausländer“ und die Literaten waren dafür. Aber die Komiteemitglieder waren dagegen. Wladimir Iljitsch regte sich auf, die Komiteemitglieder ebenfalls [...]

>In der Diskussion führte Wladimir Iljitsch aus: „Ich denke, die Sache muss weiter gefasst werden. Arbeiter in die Komitees aufzunehmen ist nicht nur eine pädagogische, sondern auch eine politische Aufgabe. Die Arbeiter haben Klasseninstinkt, und bei einiger politischer Übung werden sie ziemlich schnell standhafte Sozialdemokraten. Ich wäre sehr dafür, dass in unseren Komitees auf je zwei Intellektuelle acht Arbeiter kämen [...]“

Als Michailow (Pestolowski) einwarf: „In der Praxis werden also an die Intellektuellen nur geringe Anforderungen gestellt, an die Arbeiter aber übermäßig hohe“, rief Wladimir Iljitsch dazwischen: „Sehr richtig.“ Und sein Zwischenruf wurde von den Komiteeleuten im Chor übertönt: „Ganz falsch!“ Als Rumjanzew ausführte: „Im Petersburger Komitee gibt es nur einen Arbeiter, obwohl wir schon seit 15 Jahren dort arbeiten“, rief Wladimir Iljitsch: „Das ist ganz unerhört!“ [137]

Die Debatte über die Aufnahme von Arbeitern in die Komitees, in der Lenin auf dem Kongress übrigens unterlag, war nur ein Aspekt von Lenins Kampf gegen das konservative Sektierertum in den bolschewistischen Reihen. Eine andere Angelegenheit, in der er sich mit seinen Anhängern überwarf, war die Haltung der Partei zu den Sowjets. Trotzki, der Vorsitzende des Petersburger Sowjets, hat die ursprüngliche Reaktion der Bolschewiki auf diese historische Organisation beschrieben:

Das Petersburger Komitee der Bolschewiki war zuerst erschrocken über so eine Neuerung, wie es die nicht parteigebundene Vertretung der kämpfenden Massen war, und wusste nichts Besseres zu tun, als dem Sowjet ein Ultimatum zu stellen: entweder das sozialdemokratische Programm sofort anzuerkennen oder sich aufzulösen! Eine Forderung, über die sich der Petersburger Sowjet mit Einschluss seiner bolschewistischen Mitglieder ohne ein Wimpernzucken hinweg-setzte. [138]

Selbst aus dem Ausland sah Lenin die Sterilität dieser Einstellung. In einem Brief an die Parteizeitung Nowaja Shisn argumentierte er, die Frage sei nicht, Sowjet oder Partei, sondern: „Sowohl Sowjet der Arbeiterdeputierten als auch Partei.“ [139] Außerdem wäre es nicht zweckmäßig, „wenn sich der Sowjet voll und ganz irgendeiner einzigen Partei anschließen würde“. [140]

Meines Erachtens ist der Sowjet der Arbeiterdeputierten als politisch führendes revolutionäres Zentrum keine zu breite, sondern im Gegenteil, eine zu enge Organisation. Der Sowjet muss sich zur provisorischen revolutionären Regierung ausrufen oder eine solche bilden [...] [141]

Während die „Komiteeleute“ an dem vor der Revolution richtigen Parteikonzept festhielten, wollte Lenin die Partei komplett umorganisieren, um die neuen Kräfte einzubeziehen und die neuen revolutionären Aufgaben zu bewältigen. Das war im Kern die Differenz zwischen beiden Positionen.

Wenn wir es nicht verstehen, kühn und mit Initiative neue Organisationen zu schaffen, dann müssen wir die inhaltlosen Ansprüche auf die Rolle der Vorhut aufgeben. Wenn wir hilflos bei den bereits erreichten Grenzen, Formen und Rahmen der Komitees, Gruppen, Versammlungen und Zirkel stehenbleiben, beweisen wir damit unser Unvermögen. Tausende von Zirkeln entstehen jetzt überall, ohne unser Zutun, ohne irgendein bestimmtes Programm oder Ziel, einfach unter dem Einfluss der Ereignisse [...] Mögen alle solche Zirkel, außer den bewusst nicht sozialdemokratischen, entweder direkt in die Partei eintreten oder sich der Partei anschließen. Im zweiten Fall darf man weder die Annahme unseres Programms noch bindende organisatorische Beziehungen zu uns verlangen; es genügt der bloße Protest, die bloße Sympathie mit der Sache der internationalen revolutionären Sozialdemokratie – dann werden solche sich anschließenden Zirkel, wenn die Sozialdemokraten energisch auf sie einwirken, unter dem Druck der Ereignisse zunächst zu demokratischen Helfern und dann zu überzeugten Mitgliedern der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. [142]

Die Parteimaschine widerstand Lenins Ermunterungen, aber der Gang der Ereignisse spielte ihm in die Hände. Im November 1905 konnte er zufrieden feststellen:

Ich habe auf dem III. Parteitag den Wunsch ausgesprochen, dass in den Parteikomitees auf etwa acht Arbeiter zwei Intellektuell kommen sollen.

Wie veraltet ist dieser Wunsch! Jetzt wäre zu wünschen, dass in den neuen Parteiorganisationen auf ein Parteimitglied der sozialdemokratischen Intelligenz einige hundert sozialdemokratische Arbeiter kommen. [143]

Genauso wenig wie Lenins theoretische Neubewertung der spontanen Möglichkeiten des Proletariats eine Rückkehr zum ökonomistischen Fatalismus bedeutete, genauso wenig bedeuteten seine neuen Ansichten zur Parteiorganisation die Annahme der menschewistischen Position einer allumfassenden Partei. Das rapide Wachstum, für das Lenin in der revolutionären Periode eintrat, war nur möglich auf Grundlage der soliden Vorbereitung der Partei in der Zeit davor.

Droht der Sozialdemokratie Gefahr, wenn der von uns vorgelegte Plan durchgeführt wird?

Eine Gefahr könnte man darin sehen, dass mit einem Mal Massen von Nichtsozialdemokraten in die Partei strömen. Dann würde die Partei in der Masse aufgehen, sie würde aufhören, der bewusste Vortrupp der Klasse zu sein, sie würde in den Nachtrab geraten. Das wäre unbedingt eine beklagenswerte Periode. Und diese Gefahr könnte zweifelsohne höchst ernste Bedeutung erlangen, wenn bei uns Neigung zur Demagogie vorhanden wäre, wenn die Grundlagen des Parteilebens [...] völlig fehlten oder schwach und brüchig wären. Aber der springende Punkt ist eben, dass dieses „Wenn“ gar nicht vorhanden ist. Bei uns Bolschewiki hat es keinerlei Neigung zu Demagogie gegeben, im Gegenteil, wir haben [...] von den in die Partei Eintretenden Klassenbewusstsein verlangt, die gewaltige Bedeutung der Kontinuität in der Parteientwicklung stets unterstrichen, Disziplin und Erziehung aller Parteimitglieder in einer der Parteiorganisationen propagiert [...] Vergesst nicht, dass es in jeder lebendigen und sich entwickelnden Partei stets unbeständige, wankelmütige und schwankende Elemente geben wird. Aber diese Elemente lassen sich von dem erprobten und fest zusammengeschweißten sozialdemokratischen Kern beeinflussen und werden sich weiterhin von ihm beeinflussen lassen. [144]

Die Erfahrung mit der „Generalprobe“ der russischen Revolution hob Lenins Parteitheorie auf eine neue Ebene. Sie vertiefte seinen Widerstand gegen den Opportunismus und stärkte ihn in seinem Entschluss, eine eindeutig revolutionäre Partei aufzubauen. Auch trug sie zur Klärung seines Verständnisses von dem Verhältnis zwischen Partei und Klasse bei. Die Partei bleibt eine Vorhut, im Unterschied zur Klasse als Ganze, aber jetzt ist sie die Partei der fortschrittlichen Arbeiterinnen und Arbeiter – ein Teil der Klasse und keine Partei der deklassierten Intelligenz, die den Sozialismus „von außen“ hineinträgt. Aber nicht nur der revolutionäre Aufschwung beeinflusste Lenin, die darauffolgende Zeit der Reaktion fügte seiner Parteitheorie ebenfalls wichtige Elemente hinzu.
 

Die Reaktion wappnet sich

Nach der Niederschlagung der Revolution von 1905 wurde Russland in eine jahrelange und schreckliche Reaktion gerissen. Überall setzte Entmutigung ein, und die bolschewistischen Organisationen waren zerrüttet.

Es ist interessant, Lenins Reaktion auf diese Situation mit der von Marx nach der Niederlage der Revolution von 1848 zu vergleichen. Marx löste den Kommunistischen Bund auf, überließ die Emigranten ihrem Zank und zog sich zum Studium zurück. Lenin aber hielt an den Überresten seiner Parteiorganisation und an der Parteiidee fest und verteidigte sie leidenschaftlich gegen alle Angriffe:

Mögen die erzreaktionären Schwarzhunderter [...] triumphieren und heulen, mag die Reaktion wüten [...]. Die Partei, die es verstehen wird, sich noch stärker zur zielbewussten Arbeit in enger Verbindung mit den Massen zu konsolidieren, die Partei der fortgeschrittenen Klasse, die es verstehen wird, deren Vorhut zu organisieren, die ihre Kräfte so lenken wird, dass sie jede Lebensäußerung des Proletariats im sozialdemokratischen Geiste beeinflussen wird – diese Partei wird siegen, komme, was da wolle. [145]

Lenin musste viele Fraktionskämpfe führen, um die Partei in der gewünschten Form zu bewahren und aufzubauen. Die drei wichtigsten richteten sich gegen a) das rechte „Liquidatorentum“, b) den ultralinken „Otsowismus“ (Abberuflertum“) [146] und c) das zentristische „Versöhnlertum“. Diese Dispute waren sehr hitzig und verworren, und das theoretische Niveau der Polemiken war meist nicht sehr hoch. Es ist daher nicht notwendig, auf die Details einzugehen. Einige Resultate sind dennoch erwähnenswert, vor allem wegen ihres Nutzens für Lenin noch Jahre später.[147] Erstens: Die Partei ist nicht nur eine Organisation für den Angriff, sondern auch eine für den geordneten Rückzug. „Von allen geschlagenen oppositionellen und revolutionären Parteien haben sich die Bolschewiki in größter Ordnung zurückgezogen, mit geringsten Verlusten für ihre ‚Armee‘, bei größter Erhaltung ihres Kerns [...]“ [148] Zweitens betonte er die Taktik, „die illegale Arbeit mit unbedingter Ausnutzung der ‚legalen Möglichkeiten‘ zu verbinden“. [149] Und drittens hielt er an dem Grundsatz fest, den Kampf gegen den Opportunismus bis zur organisatorischen Konsequenz zu führen und einen Bruch mit allen nicht revolutionären Elementen zu vollziehen.

Dieser letzte Punkt war das eigentliche Merkmal des Leninismus und führte im Jahr 1912 zur formellen Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) als völlig selbstständige und unabhängige Partei. Kautsky hatte Bernstein theoretisch bekämpft, aber die Revisionisten wurden nie aus der SPD ausgeschlossen. Rosa Luxemburg bekämpfte Kautsky und das sozialdemokratische Zentrum, baute aber keine gesonderte Organisation auf. Trotzki trat sowohl dem Liquidatorentum entgegen als auch den „Abberuflern“ und stand der politischen Linie der Menschewiki ebenso kritisch gegenüber wie Lenin [150], arbeitete jedoch aktiv gegen die Spaltung. Es war auch ein Fortschritt gegenüber Lenins eigener früherer Position, insofern die Spaltung von 1903 größtenteils das Werk der Menschewiki gewesen war und Lenin wiederholt eine Wiedervereinigung ins Auge gefasst hatte, während er jetzt endgültig mit den Menschewiki brach.

Als Ergebnis des entschiedenen Kampfs Lenins in der Zeit der Reaktion betraten die Bolschewiki just in dem Moment als völlig unabhängige Partei die Bühne, als die Arbeiterbewegung langsam wieder auflebte. Entscheidender Anstoß war das Massaker an den Bergarbeitern der Goldgruben an der Lena im April 1912, dem Hunderte Streiks, Protestveranstaltungen und Demonstrationen im ganzen Land und schließlich ein Massenstreik von 400.000 Menschen am 1. Mai folgten. In dieser Situation intervenierte Lenin mit der Herausgabe einer legalen Tageszeitung, der Prawda, die bereits 18 Tage nach dem Lena-Massaker zum ersten Mal erschien. Die Prawda verband eine kompromisslos revolutionäre Haltung [151] mit zahlreichen Reportagen von Arbeitern selbst, die von ihren Alltagsbedingungen und ihren Kämpfen berichteten – in einem einzigen Jahr wurden 11.000 Briefe und Beiträge von Arbeitern veröffentlicht. [152] Die tägliche Auflage der Prawda erreichte über 40.000 Exemplare, und die Bildung von Arbeitergruppen, die Geld für die Zeitung sammelten, entschädigte für das Fehlen einer legalen Massenpartei. Lenin widmete sich einer sorgfältigen Analyse dieser Geldsammlungen, die ergab, dass die Bolschewiki die klare Hegemonie über die politisch bewussten Arbeiter gewonnen hatten. Im Jahr 1913 erhielt die Prawda Spenden von 2.181 Arbeitergruppen verglichen mit 661 für die menschewistischen Zeitungen. In den ersten Monaten von 1914 (bis 13. Mai) erhielt die Prawda 2.873 Spenden von Arbeitergruppen, gegenüber 671 für die Menschewiki. [153] Daraus schloss Lenin: „Der &bsquo;Prawdismus‘, die prawdistischen Beschlüsse, die prawdistische Taktik haben in 2½ Jahren ⅘ der klassenbewussten Arbeiter Russlands vereinigt.“ [154] Lenin hatte als erster Marxist eine nur aus Revolutionären bestehende, in der Arbeiterklasse verankerte Partei ohne reformistischen oder opportunistischen Flügel geschaffen.
 

Die revolutionärste Sektion der Zweiten Internationale

An dieser Stelle lohnt eine Untersuchung, wie Lenins Vorstellung von Partei sich in der konkreten Praxis der bolschewistischen Partei niederschlug im Unterschied zu den „orthodoxeren“ sozialdemokratischen Parteien.

Erstens operierten die Bolschewiki in einem Land ohne demokratische Freiheiten oder nennenswerte Gewerkschaften notgedrungen als illegale Partei, während die meisten westlichen Sozialdemokratien zugelassen waren. Die Bolschewiki entwickelten daher nicht die für die SPD typische breite Funktionärsschicht aus Ortsvertretern, Gewerkschaftsführern, Abgeordneten, Ratsmitgliedern und so fort. Eine solche Schicht ist unweigerlich einem enormen „mäßigenden“ Einfluss ihrer Umgebung unterworfen. Sie hat gegenüber der Arbeiterbasis eine privilegierte Stellung und ihre Träger machen frühzeitig die Erfahrung, dass sie nicht nur innerhalb der Arbeiterbewegung eine bestimmte Rolle erfüllen, sondern im Kapitalismus überhaupt, nämlich als Vermittler zwischen den Klassen. Sie entwickelt als solche ein direktes Interesse am Erhalt des sozialen Friedens und wird zu einer bedeutenden konservativen Kraft. In der internationalen Sozialdemokratie bildete diese Schicht eine feste Basis für den Reformismus. Dass die bolschewistische Führung und ihre örtlichen Kader fernab von Minister- oder Gewerkschaftsposten mit einem Fuß in der Gefängniszelle oder im sibirischen Exil standen und der Parteiapparat äußerst klein war, machte die Bolschewiki weitgehend unempfänglich für bürokratische Routine.

Zweitens war die bolschewistische Partei in ihrer Zusammensetzung höchst proletarisch. David Lane errechnete, dass sich die Mitgliedschaft der Bolschewiki im Jahr 1905 aus 61,9 Prozent Arbeitern, 4,8 Prozent Bauern, 27,4 Prozent Angestellten und 5,9 Prozent anderen zusammensetzte [155], sodass sich „bezogen auf die untersten Parteigliederungen und ihre Anhängerschaft über die eigenen Reihen hinaus sagen lässt, dass die Bolschewiki eine Arbeiterpartei“ waren, während „die Mitgliedschaft der Menschewiki wahrscheinlich vergleichsweise ‚kleinbürgerlicher‘ war und sie auf unterer Ebene weniger Anhänger aus der Arbeiterschaft hatten“. [156] In der Zeit der Reaktion flüchteten die Intellektuellen massenweise aus der Bewegung, während die Fabrikzellen trotz ihrer Isolation besser überlebten, was den Grad der Proletarisierung in der Partei noch weiter erhöhte. Lenins Auflistung der Geldsammlungen in den Jahren 1912 bis 1914 bestätigt dieses Bild. 87 Prozent aller Spenden für die Prawda im ersten Quartal des Jahres 1914 stammten aus Arbeitersammlungen und 13 Prozent von Nichtarbeitern, während nur 44 Prozent der Spenden für die menschewistischen Blätter von Arbeitern und 56 Prozent von Nichtarbeitern kamen. [157]

Die Arbeit in der Illegalität gepaart mit der proletarischen Zusammensetzung der Partei bedingten eine radikal andere Organisationsstruktur als die der traditionellen Sozialdemokratie. Bei aller revolutionären Rhetorik waren die meisten Parteien der Zweiten Internationale auf das Erringen einer Mehrheit im Parlament fixiert. Die Grundeinheiten dieser Parteien gliederten sich daher nach Ortszugehörigkeit und geografischen Grenzen, um die Mobilisierung der Mitglieder für die Wahlkämpfe in den jeweiligen Bezirken zu erleichtern. Mangels parlamentarischer Wahlen in Russland (die Arbeitervertreter in der Duma wurden auf Fabrikebene gewählt) und wegen der Erfordernisse der Geheimhaltung stützten die Bolschewiki ihre Organisation auf die Fabriken. Ossip Pjatnizki, altgedienter bolschewistischer Organisator, hält fest, dass „die untere Parteiorganisation der Bolschewiki während aller Phasen vielmehr am Arbeitsplatz als am Wohnort bestand“. [158] Obwohl die bolschewistische Partei klein war, sorgte diese Struktur für ein innigeres Verhältnis zwischen ihr und dem Proletariat als bei den westlichen sozialdemokratischen Parteien der Fall, die in der Regel nur auf indirektem Weg, über ihre Kontrolle über die Gewerkschaften, Kontakt zu den Fabriken unterhielten, und eine gewisse Arbeitsteilung zwischen dem von der Gewerkschaft geführten industriellen Kampf und dem von der Partei angeleiteten politischen Kampf herrschte. Diese Trennung gab es bei den Bolschewiki nicht.

Pjatnizki beschrieb die Arbeit der bolschewistischen Fabrikzellen wie folgt:

Im zaristischen Russland griffen die Zellen [...] alle Missstände im Betrieb – Grobheit der Vorarbeiter, Lohnabzüge, Geldstrafen, fehlende medizinische Versorgung bei Unfällen usw. – in ihrer mündlichen Agitation an der Werkbank, in Flugblättern, auf Versammlungen vor den Fabriktoren oder auf dem Werksgelände und auf gesonderten Treffen der klassenbewussteren und revolutionären Arbeiter auf. Die Bolschewiki wiesen immer auf die Verbindung zwischen der schlechten Behandlung in der Fabrik und der Herrschaft der Autokratie hin [...] Gleichzeitig wurde die Autokratie in der Agitation der Parteizellen mit dem kapitalistischen System in Zusammenhang gebracht, so dass die Bolschewiki schon ganz zu Anfang der Entwicklung der Arbeiterbewegung eine Verbindung zwischen ökonomischem und politischem Kampf zogen. [159]

Statt bloß politischer Vertreter der Arbeiterklasse zu sein, waren die Bolschewiki eine interventionistische Kampfpartei, die sich bemühte, die Klasse in all ihren Kämpfen zu führen und anzuleiten.

Ebenso wichtig war das junge Alter der Parteimitglieder. Im Jahr 1907 waren schätzungsweise 22 Prozent unter zwanzig Jahre alt, 37 Prozent waren zwischen 20 und 24, und 16 Prozent zwischen 25 und 29 Jahre alt. [160] Trotzki hob diesen Umstand besonders hervor:

Der Bolschewismus war in der Illegalität stets eine Partei von jungen Arbeitern. Die Menschewiki stützten sich auf die biederen Facharbeiter, die Oberschicht des Proletariats, prahlten sehr damit und sahen die Bolschewiki von oben herab an. Die späteren Ereignisse zeigten ihnen unbarmherzig ihren Fehler auf: Im entscheidenden Augenblick riss die Jugend die reiferen Schichten und sogar die Alten mit sich. [161]

Und Lane hält fest, dass „die Bolschewiki auf den untersten Ebenen der Parteiorganisation jünger waren als die Menschewiki, was auf die ‚Aktivisten‘ noch mehr zutraf als auf die gewöhnlichen Mitglieder. Das legt den Schluss nahe, dass die bolschewistische Organisationsstruktur es den Jüngeren ermöglichte, einfacher auf verantwortungsvolle Positionen vorzudringen, als es die menschewistische tat [...] Diese jungen Menschen haben die bolschewistische Fraktion politisch dynamischer und tatkräftiger angeführt.“ [162] Mit Sicherheit war die Altersstruktur der Partei ein Hauptfaktor für ihre Befreiung vom konservativen Alltagstrott.

Schließlich war die bolschewistische Partei eine disziplinierte Organisation. Ihr inneres Regime wurde als demokratisch-zentralistisch charakterisiert, aber dieser Ausdruck hat an sich keine große Bedeutung. Als Organisationsformel war der demokratische Zentralismus keine Besonderheit des Leninismus, denn er wurde theoretisch sowohl von den Menschewiki als auch vielen anderen sozialdemokratischen Parteien akzeptiert. [163] Wichtig war die Auslegung des demokratischen Zentralismus in der Praxis. Für Lenin bedeutete er „Einheit der Aktion, Freiheit der Diskussion und der Kritik“ [164], womit er Freiheit der Kritik innerhalb der Grenzen des Parteiprogramms und bis zur Erreichung einer klaren Entscheidung meinte, die dann von der Partei als Ganze umgesetzt werden sollte. Eine Partei mit einem reformistischen neben einem revolutionären Flügel mit ihren grundlegend abweichenden Zielen kann in der Praxis nicht diszipliniert sein. Die deutsche Sozialdemokratie, die dem Verwaltungszentralismus und der Parteieinheit ansonsten große Bedeutung beimaß, hatte eine lockere Einstellung zu Disziplinbrüchen seitens der Parteioberen oder Gewerkschaftsführer. Disziplin ist dafür da, Einheit in der Aktion zu erreichen, aber wenn die organisatorische Einheit über die Grundprinzipien gestellt wird, dann verschwindet notwendigerweise auch die Disziplin.

Ohne Organisation der Massen ist das Proletariat nichts. Organisiert ist es alles. Organisiertheit ist Einheit der Aktion, ist Einheit des praktischen Handelns. Selbstverständlich sind aber alle Aktionen und alles Handeln nur deshalb und nur insoweit von Wert, als sie vorwärtsbringen und nicht zurückwerfen [...] Organisation ohne ideologischen Inhalt ist ein Unfug, der die Arbeiter in der Praxis in klägliche Nachläufer der machthabenden Bourgeoisie verwandelt [...] Deshalb dürfen klassenbewusste Arbeiter niemals vergessen, dass es so ernsthafte Verletzungen der Prinzipien geben kann, dass der Bruch aller organisatorischen Beziehungen zur Pflicht wird. [165]

Die bolschewistische Partei war einerseits durch die äußeren Bedingungen zur Disziplin gezwungen und andererseits dank ihrer politischen Einigkeit dazu auch fähig. Diese Disziplin schloss aber keineswegs unabhängige Initiativen an der Parteibasis aus, wie so oft behauptet wird. Denn dieselben Unterdrückungsverhältnisse, die die Einheit in der Aktion erfordert, nötigte die Gliederungen vor Ort zu selbständigem Handeln. Pjatnickij schreibt:

Die Initiative der Parteiorganisationen vor Ort, der Zellen, wurde gestärkt. Hätten die Bolschewiki Odessas, Moskaus, Bakus oder Tiflis immer auf die Direktiven des Zentralkomitees, der Provinzkomitees usw. gewartet, die während der Jahre der Reaktion und des Krieges wegen Verhaftungen häufig gar nicht existiert haben, was wäre das Resultat gewesen? Die Bolschewiki hätten die Arbeitermassen nicht für sich gewonnen und keinerlei Einfluss auf sie ausgeübt. [166]

All diese Faktoren zusammen machten aus Lenins bolschewistischer Partei am Vorabend des Ersten Weltkriegs mit Trotzkis Worten die „revolutionärste – in der Tat die einzige revolutionäre – Sektion der Zweiten Interna-tionale“. [167]
 

Der Bruch mit der Sozialdemokratie

Trotzkis Charakterisierung der Bolschewiki als die einzig revolutionäre Sektion der Zweiten Internationale deutet aber auch die Grenzen von Lenins Errungenschaften an, weil sie klar macht, dass die Bolschewiki eben nur eine Sektion der Sozialdemokratie bildeten. Lenin hatte in der Praxis eine Partei aufgebaut, die deutlich von der sozialdemokratischen Norm abwich, diese Erfahrung aber noch nicht bewusst zu einer eigenen und neuen Parteitheorie verallgemeinert. Erst der Zusammenbruch der Internationale im Vorfeld des Ersten Weltkriegs brachte Lenin dazu, mit dem alten Sozialismus auf theoretischer Ebene vollends zu brechen und eine spezifische leninistische Parteitheorie zu entwickeln.

Es ist hinreichend bekannt, dass Lenin über die plötzliche Abkehr aller bedeutenden europäischen sozialistischen Parteien von ihrer Antikriegshaltung hin zu offener Kriegsunterstützung völlig überrascht war. Die Nachricht auf der Titelseite der Vorwärts, dass die SPD für die Kriegskredite gestimmt hatte, hielt er zunächst für eine Fälschung. Als ihm dann das Ausmaß der Kapitulation bewusst wurde, verlor er keine Zeit. In seinem ersten Artikel nach Kriegsausbruch, „Die Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie im europäischen Krieg“, den er spätestens am 24. August 1914 verfasste, verdammte er nicht nur die Führer der internationalen Sozialdemokratie wegen ihres „Verrats am Sozialismus“ und hielt den „ideologischen und politischen Zusammenbruch dieser Internationale“ fest [168], sondern er sah in diesem Verrat und der Aufgabe alter Positionen eine Fortsetzung von schon in der Vorkriegszeit vorhandenen Tendenzen. Der Sozialchauvinismus wird als Produkt und Entwicklung des Opportunismus identifiziert:

Die Hauptursache dieses Zusammenbruchs ist darin zu suchen, dass in ihr faktisch der kleinbürgerliche Opportunismus überwiegt [...] Das sogenannte „Zentrum“ der deutschen sozialdemokratischen Partei und der anderen sozialdemokratischen Parteien hat praktisch vor den Opportunisten feige kapituliert. Aufgabe der künftigen Internationale muss es sein, sich dieser bürgerlichen Richtung im Sozialismus unwiderruflich und entschieden zu entledigen. [169]

Von da an lehnte Lenin Pläne zur Wiedervereinigung oder Belebung der alten Internationale rundweg ab. „Man muss diesen Zusammenbruch im Gegenteil offen zugeben und seine Ursachen begreifen, damit man einen neuen, festeren sozialistischen Zusammenschluss der Arbeiter aller Länder herbeiführen kann.“ [170] Am ersten November gab das bolschewistische Zentralkomitee die Parole aus: „Es lebe die vom Opportunismus befreite proletarische Internationale!“ [171] Im Dezember fragte Lenin: „[W]äre es dann nicht besser, auf den von ihnen beschmutzten und erniedrigten Namen ‚Sozialdemokrat‘ zu verzichten und zur alten marxistischen Bezeichnung Kommunist zurückzukehren?“ [172], und im Februar 1915 legte sich die bolschewistische Parteikonferenz offiziell auf die zeitnahe Gründung einer „Dritten Internationale“ fest. [173]

Bis 1914 hatte Lenin sich selbst als orthodoxen Sozialdemokraten betrachtet, der Kautskys und Bebels erprobte Theorien und Methoden lediglich auf die besonderen Bedingungen des zaristischen Russlands anwendete. Mit der jetzt gefällten Entscheidung zugunsten einer Dritten Internationale sollte allerdings die von ihren Führern aufgegebene Tradition der Zweiten Internationale nicht zu neuem Leben erweckt, sondern endgültig ausgemustert werden. Lenin richtete zwei Anschuldigungen gegen die Zweite Internationale: a) sie sei das Produkt einer lang andauernden „Friedenszeit“ – „Frieden“ nicht nur im Sinne von Frieden zwischen Nationen, sondern auch von relativem Frieden zwischen den Klassen –, in der sie sich an den Aufbau legaler Massenorganisationen im Rahmen des Gesetzes gewöhnt hatte und nicht willens und auch nicht fähig war, den erforderlichen Schwenk zu Methoden illegaler Arbeit zu vollziehen; und b) sie stelle ein Bündnis von Revolutionären und Opportunisten zum Vorteil Letzterer dar.

Der Typus der sozialistischen Parteien in der Epoche der II. Internationale war die Partei, die in ihrer Mitte einen Opportunismus duldete, der sich in den Jahrzehnten der „friedlichen“ Periode immer mehr ausbreitete [...] Dieser Typus hat sich überlebt. Wenn der Krieg 1915 enden sollte, werden sich dann wohl Sozialisten von Verstand finden, die sich 1916 an den Wiederaufbau der Arbeiterparteien zusammen mit den Opportunisten machen möchten, nachdem sie aus Erfahrung wissen, dass diese Opportunisten bei der nächsten, wie immer gearteten Krise alle ohne Ausnahme [...] aufseiten der Bourgeoisie sein werden [...]? [174]

Verglichen mit der Zweiten Internationale, die Kautsky lapidar als „Instrument des Friedens, aber kein Mittel gegen den Krieg“ bezeichnete [175], sollte die Dritte Internationale gerade Kriegsinstrument für den internationalen Bürgerkrieg gegen die imperialistische Bourgeoisie sein. Sie konnte daher in ihren Reihen keine fünfte Kolonne oder Unentschlossene dulden. In seiner Kritik an der Sozialdemokratie knüpfte Lenin an seinen Erfahrungen im Kampf gegen den Menschewismus an. Aber jetzt verallgemeinerte er diese Erfahrungen und die zahlreichen theoretischen Einsichten, die er daraus gewonnen hatte, zu einer übergreifenden Parteitheorie, mit deren Hilfe die alten Organisationsformen allseits ersetzt werden sollten.

Es brauchte aber mehr als nur eine neue Parteitheorie. Der Marxismus insgesamt musste neu aufgestellt werden. Denn eine Parteitheorie ist bloß die Anwendung einer Analyse des Klassenkampfs im Ganzen auf die Organisation im Besonderen. Die sozialdemokratischen Parteien waren Erzeuger und zugleich Ergebnis eines mechanistischen und fatalistischen Marxismusverständnisses, nach dem der Zusammenschluss des Proletariats und das Anwachsen seiner politischen Partei infolge der kapitalistischen Entwicklung sich harmonisch, reibungslos und unaufhaltsam in einer stets aufstrebenden Linie vollziehen würde. Nach diesem Schema galt für Marxisten: „Ausbau der Organisation, Gewinnung aller Machtpositionen, die wir aus eigener Kraft zu erobern und festzuhalten vermögen, Studium von Staat und Gesellschaft und Aufklärung der Massen: andere Aufgaben können wir uns und unseren Organisationen auch heute noch nicht bewusst und planmäßig setzen“, so Karl Kautsky. [176] Das Ziel sei „die Eroberung der Staatsmacht durch die Gewinnung einer Parlamentsmehrheit und die Erhebung des Parlaments zum Herrn der Regierung“. [177] Letzteres würde notwendigerweise gelingen, wenn die Partei es nur vermied, sich in alberne und vorzeitige Auseinandersetzungen ziehen zu lassen und so einer Zerschlagung ihrer so geschätzten „Organisationen“ aus dem Weg ging. Die Vermeidung solcher Risiken wurde in der Tat zur Hauptsorge vieler sozialdemokratischer Führer.

In den ersten Kriegsjahren setzte sich Lenin mit dieser Auffassung systematisch auseinander, um das theoretische Fundament für die künftige Dritte Internationale zu schaffen. Dieses Unterfangen führte ihn auf drei Forschungsgebiete: a) Philosophie, b) Ökonomie (Analyse des Imperialismus) und c) Politik (Staat). Alle drei prägten maßgeblich seine Parteitheorie. Wenn es auch unmöglich ist, detailliert auf sie einzugehen, so ist es doch wichtig, die wesentlichen Verbindungslinien aufzuzeichnen.

Wir haben schon gesehen, dass sein ursprünglicher Bruch mit den Menschewiki in deren fatalistischer, nachtrabenden Haltung zur Organisationsfrage begründet lag. Seine Formulierungen in Materialismus und Empirokritizismus [178] zeigen allerdings, dass dieser eher Lenins politischem Instinkt und praktischem Urteilsvermögen geschuldet war und keine philosophische Zäsur mit dem mechanistischen Materialismus darstellte. Ende 1914 hingegen vertiefte Lenin sich in Hegels Schriften, vor allem in seine „Wissenschaft der Logik“. Lenin verfasste zwar genauso wenig wie Marx eine eigene Dialektik, seine Randnotizen zu Hegel [179] zeugen aber von einer regelrechten philosophischen „Revolution“. Jetzt begreift und eignet sich Lenin zum ersten Mal die marxistische Dialektik wirklich an. Indem er Dialektik und Praxis wieder zu ihrem Platz in der marxistischen Philosophie verhalf [180], legte Lenin den Grundstein für eine Partei, die sich nicht damit abfand, Spiegelbild der Arbeiterklasse zu sein und die Wirkung eherner historischer Gesetze abzuwarten, sondern die aktiv in das geschichtliche Geschehen eingriff.

Auf dem Gebiet der Ökonomie versuchte Lenin aufzuzeigen, dass die objektive Situation eine neue internationale Partei erforderte, die nicht nur in ihrem Endziel revolutionär war, sondern ganz unmittelbar dafür warb und sich auf den Einsatz revolutionärer Kampfmethoden vorbereitete.

In seiner Broschüre „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ argumentierte Lenin, die Revolution stünde im Weltmaßstab auf der Tagesordnung. Seine Kerntheorie lautete: Der Kapitalismus der freien Konkurrenz habe sich infolge des Gesetzes der wachsenden Kapitalkonzentration nach und nach in sein Gegenteil, den Monopolkapitalismus, verwandelt und damit den Imperialismus hervorgebracht. Begleiterscheinungen seien die Vorherrschaft des Finanz- über das Industriekapital und die Akkumulation eines Kapitalüberschusses, der nur in den rückschrittlichen Ländern mit ihren billigen Arbeitskräften und ihrem Kapitalmangel profitabel angelegt werden konnte. Als Folge teilten sich die großen Monopolen mit ihren jeweiligen „Heimat“-Regierungen im Rücken die Welt auf. Und weil diese Aufteilung nur der momentanen, letztlich militärischen Stärke der jeweiligen Monopole entsprach und weitere Machtverschiebungen unvermeidlich waren, war das ein instabiler Zustand, der früher oder später neue Kriege um die Neuaufteilung der Welt hervorbringen musste. Frieden unter diesen Umständen war bloß das Vorspiel für erneute Kriege. Der Imperialismus habe vor allem den Widerspruch zwischen der Vergesellschaftung der Produktion und ihrer privaten Aneignung auf die Spitze getrieben und kündige daher den beginnenden Niedergang des Kapitalismus und eine Ära von „Kriegen und Revolutionen“ an.

Lenins Imperialismusanalyse lieferte nicht nur eine objektive Basis für eine neue revolutionäre Internationale, sondern auch eine ökonomische Grundlage für seine Kritik an der Zweiten Internationale. Unter Bezug auf Engels’ Kommentare zur Verbürgerlichung eines Teils des englischen Proletariats dank dem Verteilungsspielraum, den Großbritanniens Industrie- und Kolonialmonopol schuf [181], argumentierte Lenin, dass imperialistische Monopole „Extraprofite“ aus der Ausbeutung der Kolonien erwirtschafteten, weshalb die „Bourgeoisie einer imperialistischen ‚Groß‘macht ökonomisch in der Lage [ist], die oberen Schichten ‚ihrer‘ Arbeiter zu bestechen“. [182] Im 19. Jahrhundert sei das nur in England möglich gewesen und hatte dort über viele Jahrzehnte seine korrumpierende Wirkung auf die Arbeiterbewegung entfaltet. Mittlerweile könne „jede imperialistische ‚Groß‘macht kleinere (als in England 1848–1868) Schichten der ‚Arbeiteraristokratie‘ bestechen und besticht sie auch“. [183] Auf diese Weise habe die Bourgeoisie „schon in allen Ländern ‚bürgerliche Arbeiterparteien‘ der Sozialchauvinisten hervorgebracht, aufgezogen und sich dienstbar gemacht“. [184] So stand für Lenin fest, dass der Opportunismus oder Reformismus in der Arbeiterbewegung nicht bloß eine andere Denkschule, ein Zeichen der Unreife oder dem Druck der bürgerlichen Ideologie geschuldet war, er „besteht nicht zufällig, sondern ist ‚ökonomisch begründet‘“. [185] Opportunismus war die Aufopferung der Gesamtinteressen des Proletariats zugunsten unmittelbarer Partikularinteressen eines Teils von Arbeitern. Mit seinem Konzept von der „bürgerlichen Arbeiterpartei“ begreift er den Opportunismus als Agent des Klassenfeindes in den Reihen des Proletariats.

Diese Definition von Opportunismus, von keinem Marxisten zuvor so klar formuliert, ist zentral für Lenins Parteitheorie. Sie erklärt, warum die revolutionäre Arbeiterpartei alle reformistischen Strömungen aus ihren Reihen fernhalten muss und warum sie sich nicht nur für den Kampf gegen die Bourgeoisie aufstellen muss, sondern (auf andere Weise) auch gegen bürgerliche Organisationen in der Arbeiterklasse. Sie bietet eine materialistische Erklärung für die Beschwerlichkeit des Wegs von der Klasse an sich zur Klasse für sich. Lenin hatte dieses Problem bereits im Jahr 1901 erkannt, es aber mit der Unfähigkeit der Arbeiterklasse erklärt, sozialistisches Bewusstsein aus eigenem Antrieb zu entwickeln. Jetzt erklärte es im Sinne eines Widerspruchs zwischen den historischen und den unmittelbaren Interessen des Proletariats, wobei die unmittelbaren Interessen in bestimmten Schichten und für eine begrenzte Zeit das letztendliche Bedürfnis nach Klasseneinheit überlagern können. Die sozialistische Vereinigung der Arbeiterklasse entwickelt sich dialektisch, durch inneren Kampf. Als Agent dieses Kampfs muss die revolutionäre Partei ihre Mitgliedschaft auf diejenigen beschränken, für die das Gesamtinteresse des Proletariats höher steht als Partikularinteressen, mit einem Wort, auf Internationalisten.

Die Debatten über Imperialismus und Krieg warfen schließlich die Frage nach dem Wesen des Staats auf. [186] Die sozialistische Revolution stellt im Wesentlichen den Übergang der Staatsmacht von der Bourgeoisie auf das Proletariat dar. Da die Organisationsweise der Partei notwendigerweise von ihren Aufgaben in einer Revolution mit bestimmt wird, ist es für die Parteitheorie von größter Bedeutung, wie dieser Machttransfer ins Auge gefasst wird. Die Theoretiker der Zweiten Internationale schlossen Gewalt nicht aus, insbesondere nicht, wenn es darum ging, sich zu verteidigen, erwarteten aber, dass die Revolution den Staatsapparat selbst nicht antastete. Die Aufgabe der Partei bestünde darin, den bestehenden Staat zu übernehmen, wobei sie sicherlich das Führungspersonal auswechseln, den Staatsapparat umorganisieren und anderes mehr müsse, ohne jedoch seine grundlegende Struktur infrage zu stellen. Eine solche Betrachtung der revolutionären Aufgaben in Bezug auf den Staat verlagert ganz unvermeidlich den Klassenkampf auf das Parlament und auf Wahlen. Kautsky in seinem Weg zur Macht schreibt, dass sich „die ‚direkte Aktion‘ der Gewerkschaften nur als Ergänzung und Verstärkung nicht als Ersetzung der parlamentarischen Tätigkeit zweckmäßig betätigen“ kann. [187] „Kämpfe ums Parlament [...] gehören zu den wirksamsten Hebeln, das Proletariat aus seiner wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und moralischen Erniedrigung zu erheben“. [188] Daraus folgt, dass die Führung der Partei in die Hände ihrer parlamentarischen Vertreter gelegt wird, weil die revolutionäre Regierung das Ergebnis einer Parlamentsmehrheit sein wird. Der Parteibasis und noch mehr den Arbeitern außerhalb der Partei wird lediglich eine passive Rolle zugewiesen: Sie mögen gelegentlich zum Kampf gerufen werden, aber es wird nicht von ihnen erwartet, dass sie eigene Machtstrukturen aufbauen und anführen. Das bürokratische Revolutionskonzept der Sozialdemokratie hat eine bürokratische Parteiorganisation zur Folge.

Wie bereits festgestellt, traf all das nicht für die Bolschewiki zu, weil es in Russland noch keinen modernen „demokratischen“ Staat gab. Sie mussten von Anfang an in der Illegalität arbeiten. Aber angesichts der Aufgabe, eine neue Internationale aufzubauen, musste Lenin das Problem nun theoretisch angehen. Das Ergebnis war die Wiederentdeckung, Klärung und Systematisierung von Marx’ Schriften über die französischen Revolutionen von 1848 bis 52 und 1871 und der darin enthaltenen Erkenntnis: „[D]ie Arbeiterklasse kann nicht [...] die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen.“ [189] In seinen Notizen fasste Lenin die Frage wie folgt zusammen:

Veränderung nach 1871? Alle liegen in der Linie, ihr Charakter, ihr Ergebnis sind im Allgemeinen so, dass der Bürokratismus überall ungeheuer zugenommen hat (sowohl im Parlamentarismus, innerhalb desselben, als auch in der örtlichen Selbstverwaltung, als auch in den Aktiengesellschaften, im Trust usw.), das zum Ersten. Zweitens aber: die „sozialistischen“ Arbeiterparteien sind zu ¾ in einen ebensolchen Bürokratismus „hineingewachsen“. Die Spaltung in Sozialpatrioten und Internationalisten, in Reformisten und Revolutionäre hat folglich noch eine tiefere Bedeutung: Reformisten und Sozialpatrioten „vervollkommnen“ die bürokratische Staatsmaschine [...], die Revolutionäre hingegen müssen sie, diese „bürokratisch-militärische Staatsmaschine“, „zerbrechen“, müssen sie zerbrechen und an ihre Stelle die „Kommune“, den neuen „Halbstaat“ setzen.

Kurz, drastisch ließe sich die ganze Sache wohl so ausdrücken: Ersetzung der alten („fertigen“) Staatsmaschine und der Parlamente durch Sowjets von Arbeiterdeputierten und deren Vertrauensleute. Das ist das Wesentliche! [190]

Eine Partei, die das Ziel verfolgt, den Staat zu zerschlagen, kann nicht auf dieselbe Weise organisiert werden wie eine Partei, die ihn übernehmen will. Ihr Schwerpunkt wird nicht in den Parlamenten liegen, sondern in den Fabriken, aus denen heraus der neue Staat hervorgehen wird. Die Parteibasis kann nicht bloß aus passiven Wählern oder nur aus Propagandisten bestehen. Die einfachen Mitglieder müssen selbst zu Führern ihrer Arbeitskollegen werden, zu Baumeistern ihres eigenen neuen Staats. Die These, dass der bürgerliche Staat zerschlagen werden muss, schloss die Alternative einer friedlichen oder verfassungsmäßigen Revolution sogar in den „freiesten“ demokratischen Republiken aus. [191] Jede proletarische Revolution, die ihren Namen verdient, ist ein Massenkampf um die Macht, und eine revolutionäre Partei muss so aufgestellt sein, diesen Kampf führen zu können. Das bedeutet Schaffung von parallel funktionierenden legalen und illegalen Apparaten, Organisierung von Kampfabteilungen, Errichtung von Parteizellen innerhalb der Streitkräfte und so fort.

Lenins Staatstheorie beinhaltete auch eine radikale Abkehr von den gängigen Vorstellungen von dem Verhältnis Partei zu Arbeiterstaat während und nach der Machtübernahme. Wenn Revolution gleichgesetzt wird mit der Übernahme des bestehenden Staates, dann wird sein Klassencharakter als Arbeiterstaat allein durch die ihn beherrschende Partei bestimmt. Partei und Staat werden eins. Für die Sozialdemokratie war die Partei bereits der neue Staat im Werden. Lenins Theorie, wonach Arbeiterräte (Sowjets) an die Stelle des bestehenden Staats treten sollten, erforderte eine klare Unterscheidung zwischen Arbeiterstaat und revolutionärer Partei. Der neue Staat ist die Schöpfung der gesamten Arbeiterklasse, deren Wirken auf allen Ebenen ihn zu einem Arbeiterstaat macht. „Im Sozialismus [...] wird sich die Masse der Bevölkerung zur selbständigen Teilnahme nicht nur an Abstimmungen und Wahlen, sondern auch an der laufenden Verwaltungsarbeit erheben.“ [192] Die Partei hat nicht die Aufgabe, den Arbeiterstaat zu bilden, sondern als fortschrittliche Minderheit eine leitende Rolle bei seiner Errichtung und Festigung zu übernehmen. Chris Harman sagt dazu: „Der Sowjetstaat ist die höchste konkrete Verkörperung der Selbstaktivität der gesamten Arbeiterklasse; die Partei ist der Teil der Klasse, der sich der welthistorischen Bedeutung seiner Selbstaktivität am bewusstesten ist.“ [193] Und weil Partei und Staat nicht identisch sind, können mehr als nur eine Partei im Rahmen der Institutionen des Arbeiterstaats um Einfluss und Regierungsbeteiligung ringen.

Lenins Staatstheorie war somit eine unentbehrliche Ergänzung zu seiner Parteitheorie. Sie stellte sicher, dass die Beschränkung der Partei auf die fortschrittliche Minderheit des Proletariats nicht dazu führte, dass die Partei an die Stelle der Klasse trat und als Minderheit die Macht ergriff. Mit der Staatstheorie brachte Lenin seine Parteitheorie in Einklang mit dem marxistischen Grundsatz, wonach „die Emanzipation der Arbeiterklasse durch die Arbeiterklasse selbst erobert werden muss“. [194]

Nach nur wenigen Jahren intensiver theoretischer Arbeit hatte Lenin das Theoriegebäude der Zweiten Internationale eingerissen und eine ausgereifte Parteitheorie an seine Stelle gesetzt – mit Raum für Ergänzungen und Weiterentwicklungen natürlich. Sie war weitaus mehr als nur ein isolierter Durchbruch, sie war das krönende Ergebnis einer umfassenden Erneuerung der marxistischen Weltanschauung. Sie kam auch keine Minute zu früh: Der Ausbruch der russischen Revolution im Februar 1917 stellte sie sogleich auf die Probe. Hat sie diesen Test bestanden? Dieser Frage wollen wir uns als nächstes widmen.
 

Die Partei in der Revolution

Die bedeutsamen Ereignisse der Russischen Revolution bestätigten Lenins Parteitheorie auf zweifache Weise. Sie bewiesen, dass eine anfänglich kleine Organisation in der Hitze des Gefechts extrem schnell wachsen und, wichtiger noch, die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Arbeiterklasse gewinnen kann. Im Januar 1917 hatte die bolschewistische Partei 23.600 Mitglieder, Ende April waren es 79.204 und im August schätzungsweise 200.000. [195] Vermutlich waren es im Oktober noch mehr. Gemessen an der Gesamtbevölkerung Russlands waren 200.000 Mitglieder eine unbedeutende Zahl, aber sie verteilten sich auf die kleine, dafür politisch alles entscheidende Arbeiterklasse. Leonard Schapiro sagt dazu: „Eine Auswahl an Rückmeldungen von den Organisationen in 25 Städten zeigt, dass der Anteil der organisierten Bolschewiki an den Fabrikarbeitern in den Städten zu diesem Datum (August 1917) bei eins bis zwölf Prozent lag – der Durchschnitt für die 25 Städte lag bei 5,4 Prozent.“ [196] Für eine disziplinierte und aktivistische Partei war das ein sehr hoher Anteil. Diese Zahlen belegen, dass die Bolschewiki in den ausschlaggebenden Industriezentren, vor allem in Petrograd, unangefochten die politische Führung des Proletariats innehatten. Die Bolschewiki waren zum ersten Mal auf einer Konferenz Petrograder Fabrikdelegierter Ende Mai in der Mehrheit. An einer Demonstration am 18. Juni, zu der die von Menschewiki und Sozialrevolutionären dominierte sowjetische Exekutive aufgerufen hatte, beteiligten sich 400.000 Menschen, wobei 90 Prozent der Transparente mit bolschewistischen Parolen versehen waren. Und was den Oktober betrifft, schrieb Lenins alter Gegner Martow: „Versteh das bitte richtig, was wir erleben, ist ein siegreicher Aufstand des Proletariats – fast das gesamte Proletariat unterstützt Lenin und erwartet seine gesellschaftliche Befreiung von dem Aufstand.“ [197] Innerhalb von nur neun Monaten hatten sich die Bolschewiki von einer augenscheinlich unbedeutenden Splittergruppe zur stärksten politischen Kraft in Russland entwickelt.

Die Russische Revolution bestätigte Lenin in einer zweiten Hinsicht: die Unentbehrlichkeit einer zentralisiert organisierten revolutionären Partei zur Eroberung der Staatsmacht durch die Arbeiterklasse. Die Februarrevolution, die den Zarismus stürzte und die Sowjets ins Leben rief, hatte noch unter der Führung keiner Partei gestanden. So kommentiert Edward H. Carr:

Die Februarrevolution [...] war der spontane Ausbruch einer Menge, die erschöpft war von den Entbehrungen des Kriegs und der schreienden Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten. [...] Die revolutionären Parteien hatten keinen direkten Anteil an der Durchführung der Revolution. Sie hatten sie nicht erwartet und waren anfangs einigermaßen verwirrt. Die Bildung des Petrograder Sowjets der Arbeiterdeputierten im Moment der Revolution war ein spontaner Akt von Gruppen von Arbeitern ohne zentrale Leitung. [198]

Aber gerade deshalb legte die siegreiche, von Arbeitern und Soldaten (Bauern in Uniform) gemachte Revolution die Macht nicht in die Hände der Arbeiterklasse. Im Gegenteil, sie überließ der Bourgeoisie die Macht in Gestalt der Provisorischen Regierung, und das vollkommen freiwillig. Die Arbeiter und Soldaten befürworteten diese Entwicklung keineswegs und es „begannen die Meetings der Soldaten und Arbeiter schon seit dem 3. März vom Sowjet zu fordern, unverzüglich die Provisorische Regierung der liberalen Bourgeoisie zu beseitigen und die Macht selbst in die Hand zu nehmen.“ [199] Aber ohne Organisation und politische Führung konnten sie ihren Willen nicht durchsetzen. Erst als die Bolschewiki zu einer Massenpartei wurden und in den Sowjets die Mehrheit innehatten, konnten diese Vorstufen der Arbeitermacht ihr volles Potenzial entfalten. Nur eine Partei konnte ein klares und bündiges Programm – „Brot, Land und Frieden!“ und „Alle Macht den Räten!“ – ausformulieren, das die Gefühle der Massen greifbar machte und die unterschiedlichen Akteure – Arbeiter, Bauern und Soldaten – zusammenführte.

Die Partei spielte auch eine entscheidende Rolle bei der erfolgreichen Durchführung des Aufstands selbst. Zuvor hatte sie noch ein verfrühtes Losschlagen während der „Julitage“, was die ungestümen Arbeiter und Soldaten Petrograds vom Rest des Landes abgeschnitten hätte, verhindern können. Das war nur möglich, weil sie die russische Situation insgesamt richtig einschätzen konnte, weil sie diszipliniert war und weil sie das Vertrauen der Arbeiter besaß. Wären die Bolschewiki nicht so diszipliniert gewesen und nicht so verwurzelt, hätten sie sich von den Ereignissen einfach treiben und in einen hoffnungslosen Aufstand hineinziehen lassen. Dasselbe Schicksal hätte die Russische Revolution ereilt wie zuvor die Pariser Kommune und später die Deutsche Revolution von 1919. [200] Als nach der Niederlage des Kornilow-Putsches die Stimmung im ganzen Land, und nicht mehr nur in Petrograd, zu ihren Gunsten umschlug und sich abzeichnete, dass die Bolschewiki auf dem zweiten Sowjetkongress eine Mehrheit bekommen würden, konnte die Partei den günstigen Moment abpassen und die Macht schnell und reibungslos erringen. Carr schreibt: „Für die Organisation des fast unblutigen Sieges vom 25. Oktober bis 7. November 1917 waren der Petrograder Sowjet und sein militärisch-revolutionäres Komitee verantwortlich.“ [201] In diesem Sowjet verfügten allerdings die Bolschewiki über die Mehrheit und in dem militärisch-revolutionären Komitee gab es nur einen Nichtbolschewik (einen jungen linken Sozialrevolutionär). Mehr noch, der Beschluss, den Aufstand einzuleiten, wurde nicht vom Sowjet, sondern auf einer Geheimsitzung des Zentralkomitees der Partei getroffen. [202] Es hätte auch gar nicht anders sein können, denn die Abstimmung des Zeitpunkts und die Geheimhaltung waren von höchster Bedeutung. Eine öffentliche Debatte im Sowjet hätte die Provisorische Regierung in Alarmbereitschaft versetzt und ihr die Gelegenheit gegeben, vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Der Sowjet war naturbedingt politisch heterogen. Nur ein disziplinierter und politisch einheitlicher Körper, die Partei, konnte das taktische Für und Wider eines Aufstands diskutieren und seine Durchführung planen. Auch unmittelbar nach der Machtergreifung besaß nur die bolschewistische Partei den einheitlichen Willen und die nötige Entschlusskraft zur Bildung einer fähigen Regierung, um die gewaltigen Probleme anzupacken, vor der die Revolution stand.

Die vorherrschende Rolle der bolschewistischen Partei im Oktoberaufstand, die relativ kleine Teilnehmerzahl an den Kämpfen und die kurze Dauer der Aktionen (zumindest in der Hauptstadt) haben viele Kommentatoren veranlasst, die Revolution letztlich als Staatsstreich einer kleinen aber entschlossenen Minderheit zu beschreiben, die völlig unabhängig von der Klasse handelte, die sie zu vertreten behauptete. [203] Diese Einschätzung stützt sich auch auf Lenins wiederholter Beteuerung: „Wir müssen die konstitutionellen Illusionen und die Hoffnungen auf den Sowjetkongress bekämpfen, die vorgefasste Meinung, der Sowjetkongress müsse unbedingt ,abgewartet‘ werden, aufgeben [...]“. [204] Stand der Verlauf des Aufstands nicht in einem diametralen Widerspruch zu der weiter oben diskutierten Anforderung, zwischen Partei und Staat strikt zu trennen? Und war das nicht das Eingeständnis, dass Lenins Vorstellung von der Partei als einer fortschrittlichen Minderheit in der Praxis zur Machtergreifung eben dieser Minderheit führen musste? Um diese Fragen zu beantworten, dürfen wir nicht nur die für das Schicksal der Revolution entscheidenden Oktobertage betrachten, sondern wir müssen die Entwicklung von Lenins Politik während des gesamten Jahres 1917 untersuchen. Zunächst gewann Lenin die Bolschewiki mit seinen Aprilthesen für die Perspektive der Machtergreifung, wobei er sich von Anfang an „von jedem blanquistischen Abenteuer abgegrenzt“ hat:

Ich habe in den Thesen mit größter Bestimmtheit den Kampf um den Einfluss innerhalb der Sowjets, der Arbeiter-, Landarbeiter-, Bauern- und Soldatendeputierten in den Mittelpunkt gestellt. Um auch nicht den leisesten Zweifel in dieser Beziehung aufkommen zu lassen, habe ich in den Thesen zweimal die Notwendigkeit der geduldigen, beharrlichen, ‚den praktischen Bedürfnissen der Massen angepassten‘ ‚Aufklärungs‘arbeit betont. [205]

„Geduldige Aufklärung“ blieb während des Frühlings und des Sommers 1917 die politische Linie Lenins und der Bolschewiki, der Kampf um die Macht ging stets einher mit Überzeugungsarbeit in den Sowjets. Selbst als er im Juli zu der Einschätzung gelangte, dass die Sowjets ins antirevolutionäre Lager übergewechselt waren, und er daher die Parole „Alle Macht den Sowjets“ zurückziehen wollte, mahnte er, dass „der Entscheidungskampf nur möglich ist bei einem neuen Aufschwung der Revolution, der breiteste Massen erfasst“. [206] Auch dann verwarf er nicht die Idee von den Arbeiterräten: „Sowjets können und müssen in dieser neuen Revolution in Erscheinung treten, aber nicht die jetzigen Sowjets, nicht Organe des Paktierens mit der Bourgeoisie, sondern Organe des revolutionären Kampfes gegen die Bourgeoisie. Dass wir auch dann für den Aufbau des ganzen Staates nach dem Typ der Sowjets eintreten werden, das stimmt.“ [207] Lenin setzte den Aufstand erst dann auf die Tagesordnung, als die Bolschewiki die Mehrheit in den Sowjets errungen hatten.

Die Tatsache, dass der Aufstand selbst primär das Werk der Partei vermittels des Petrograder Sowjets war, steht dabei nicht im Widerspruch zu der Vorstellung der uneingeschränkten Sowjetmacht, weil es sich im Wesentlichen nur um Abwicklungsarbeiten handelte. Die neuen Staatsstrukturen, die Sowjets, bestanden ja bereits, und Arbeiter und Soldaten erkannten sie als die höchste Autorität im Land an. Die planmäßig durchgeführte Absetzung der Provisorischen Regierung in der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober ließ die Sowjets als einziges Machtorgan übrig. Und es war ihre Mehrheit im Sowjet und nicht das Recht des Waffensieges, auf die die Bolschewiki ihren Anspruch stützten, die Regierung zu bilden.

In Russland darf es keine andere Regierung geben als die Sowjetregierung. In Russland ist die Sowjetmacht erkämpft worden, und es ist gewährleistet, dass die Regierung aus den Händen der einen Sowjetpartei in die Hände einer anderen ohne jede Revolution, durch einfachen Beschluss der Sowjets, durch einfache Neuwahlen der Sowjetdeputierten übergehen kann. Der Zweite Gesamtrussische Sowjetkongress hat der Partei der Bolschewiki die Mehrheit gebracht. Nur eine von dieser Partei gebildete Regierung ist deshalb eine Sowjetregierung. [208]

Lenins Parteitheorie hatte die Prüfung der Russischen Revolution bis dahin glänzend bestanden. Sie bestätigte auf der ganzen Linie seine Überzeugung, dass eine prinzipientreue und disziplinierte Vorhut eine entscheidende Rolle spielen würde, die sozialistische Revolution zu vollenden. Allerdings muss festgehalten werden, dass der bolschewistischen Partei diese Rolle keinesfalls automatisch zufiel.

Denn vor Lenins Rückkehr nach Russland erklärte sich die bolschewistische Führung für die bedingte Unterstützung der provisorischen Regierung und des Kriegs. Für seine Forderung nach Sturz der Provisorischen Regierung und den Schlachtruf „Alle Macht den Räten!“ bekam Lenin innerhalb der Parteiführung zunächst keine Unterstützung. Die Parteiführung suchte Zuflucht in der alten Formel von der „demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“ und verurteilte Lenins Position als „inakzeptabel“ in der Prawda. Selbst die bestvorbereitete revolutionäre Partei konnte nicht alle konkreten Erscheinungsformen der Revolution voraussehen und musste daher von der Realität und den Arbeitern lernen. Innerhalb der Parteiführung war Lenin der Vermittler dieses Lernprozesses. „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum“ [209], schrieb Lenin, als er jene „alten Bolschewiki“ verurteilte, „die schon mehr als einmal eine traurige Rolle in der Geschichte unserer Partei gespielt haben, indem sie sinnlos eine auswendig gelernte Formel wiederholten, anstatt die Eigenart der neuen, der lebendigen Wirklichkeit zu studieren“. [210] Dass Lenin von einer Position der scheinbaren Isolation heraus die ganze Partei so schnell für seinen Standpunkt gewinnen konnte, ist zum Teil seinem persönlichen Ansehen geschuldet, aber vor allem, weil er die Ansichten der fortschrittlichen Arbeiter, die in die Partei strömten, theoretisch artikulierte. Lenins Tiraden gegen die „alten Bolschewiki“ paarten sich mit dem Druck aus den Industriebezirken. Es war nicht das letzte Mal im Lauf des Jahres 1917, dass er feststellen musste, dass die Partei links vom Zentralkomitee, und die Massen links von der Partei standen.

Auch nachdem Lenin auf der Aprilkonferenz sich im Prinzip durchsetzen konnte, blieben Teile der Partei schwankend. Das zeigte sich am deutlichsten in der Frage des Aufstands. Kamenew, Sinowjew, Nogin, Miljutin und Rykow bildeten eine oppositionelle Gruppierung innerhalb der Führung, die sich der Durchführung des Aufstands widersetzte. [211] Kamenew und Sinowjew waren, neben Lenin, die Parteiführer mit der größten Autorität, und taten sich im entscheidenden Moment mit Zaghaftigkeit hervor! Um diesen Widerstand zu überwinden und das Zentralkomitee aus seiner Trägheit zu reißen, musste Lenin einen ganzen Monat lang kämpfen und sogar mit Rücktritt drohen und damit, dass er sich direkt an die Parteibasis wenden würde. [212] Als die Sinowjew-Kamenew-Gruppe dann unmittelbar nach der Machtübernahme eine Koalitionsregierung von Bolschewiki, Menschewiki und Sozialrevolutionären forderte, drohte Lenin wieder mit Spaltung: „[...] eine ehrliche und offene Spaltung ist jetzt unvergleichlich besser als Sabotage innerhalb der Partei, als die Hintertreibung der eigenen Beschlüsse, als Desorganisation und Entkräftung.“ [213] Er erklärte, sollte die Opposition eine Mehrheit in der Partei bekommen, dann solle sie ihre Koalitionsregierung bilden und er werde „zu den Matrosen gehen“.

Die Schwankungen von Teilen der Partei und bisweilen der gesamten Partei sprechen natürlich nicht gegen die Grundsätze, auf denen sie aufbaute. Keine Arbeiterpartei hat unter Bedingungen des revolutionären Aufstands ihre Sache jemals so gut gemacht. Aber es zeigt, dass eine leninistische Parteiorganisation noch keine Garantie für Erfolg bietet. Sie ist kein Generalschlüssel zur Öffnung aller Türen der Geschichte. Die revolutionäre Partei ist unentbehrlich, aber selbst die revolutionärste der Parteien neigt zu einer gewissen konservativen Routine, schon weil sie für organisatorische Stabilität sorgen muss. Allein die Gründung einer Partei als eigenständige Organisation birgt das Risiko in sich, dass sie sich von der Klasse entfernt. Die leninistische Partei konnte diese Gefahren zwar nicht ausschließen, aber zumindest auf ein Minimum reduzieren. Lenins Bedeutung in der Russischen Revolution lag darin, dass er – der Parteimensch schlechthin – sie im gewissen Sinne überragte. Er erreichte die russischen Arbeiter- und Soldatenmassen über die Köpfe der Partei hinweg, nicht so sehr durch Ansprachen, sondern indem er auf sie hörte und die Partei zwang, ebenfalls auf sie zu hören. Theoretisch verallgemeinert ließe sich sagen, dass die Partei für Lenin zwar ihre Unabhängigkeit gegenüber der Arbeiterklasse bewahren und hohe Ansprüche an die Disziplin ihrer Mitglieder stellen musste, letztendlich aber der Klasse untergeordnet und auf sie angewiesen blieb. Die leninistische Parteitheorie läuft keineswegs darauf hinaus, aus der Parteiloyalität einen Fetisch zu machen, wie es die Sozialdemokratie und später in grotesker Weise die offiziellen kommunistischen Parteien der Sowjetunion und der Welt taten.
 

Eine Weltpartei

Die leninistische Parteitheorie war, wie wir dargelegt haben, bereits Anfang 1917 in ihren Grundzügen völlig ausgereift. Nachdem sie die Feuerprobe der Oktoberrevolution bestanden hatte, erlaubten es Lenins theoretisches Ansehen und sein Einfluss, diese Theorie beim Aufbau der Kommunistischen Internationale zu ihrem logischen Abschluss zu bringen. Der Erste Kongress der Kommunistischen Internationale wurde am 2. März 1919 in Moskau eröffnet. Mit nur 35 Delegierten, die meisten aus den kleinen, vormals dem russischen Imperium angehörenden Nationen, war er allerdings nicht viel mehr als das Hissen einer Fahne, eine Absichtserklärung. Erst auf dem Zweiten Kongress im Juli 1920 mit 217 Delegierten nahm die neue Internationale als Kampforganisation der Massen Gestalt an. Die Führung der Kommunistischen Internationale lag naturgemäß in vielen Händen und es gab immer wieder Zeiten, in denen Lenin sich eher im Hintergrund hielt. Sinowjew war ihr Vorsitzender und Trotzki verfasste viele ihrer wichtigsten Manifeste. Trotzdem gibt es Grund, die Arbeit der Kommunistischen Internationale im Rahmen einer Studie über Lenins Parteitheorie zu betrachten, weil er sowohl ihr Gründer als auch ihr glühendster Verfechter (manchmal sogar gegen seine eigenen Anhänger) war und zweifellos ihre wichtigsten strategischen Entscheidungen entweder inspirierte oder guthieß. [214] An dieser Stelle kann ich nur sehr kurz und unzulänglich darauf eingehen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens würde eine angemessene Behandlung all der parteistrategischen, taktischen und organisatorischen Fragen ein eigenes Buch erfordern. [215] Zweitens ging es hier hauptsächlich um die Entwicklung von Lenins Parteitheorie, und die Arbeit der Internationale stellte vor allem die Anwendung der Ideen dar, die wir schon behandelt haben. Daher können hier nur die Grundzüge aufgezeigt und diejenigen Aspekte der Komintern hervorgehoben werden, die in mancherlei Hinsicht neue Ansätze darstellten.

Der auffallendste Unterschied zwischen der Zweiten und der Dritten Internationale als Organisationen lag in der Tatsache, dass erstere ein lockerer Zusammenschluss unabhängiger Nationalparteien war, wohingegen letztere strikt zentralisiert sein sollte. So besagten die auf dem Zweiten Kongress angenommenen Statuten: „Die Kommunistische Internationale muss wirklich und in der Tat eine einheitliche Kommunistische Partei der ganzen Welt darstellen. Die Parteien, die in jedem Lande arbeiten, erscheinen nur als ihre einzelnen Sektionen.“ [216] Die höchste Instanz war der einmal jährlich stattfindende Weltkongress, während zwischen den Kongressen die Internationale von einem gewählten Exekutivkomitee geführt werden sollte, das mit umfassenden Befugnissen ausgestattet wurde.

Das Exekutivkomitee leitet die gesamte Arbeit der Kommunistischen Internationale von einer Tagung bis zur anderen [...] und gibt für alle der Kommunistischen Internationale angehörenden Organisationen und Parteien bindende Richtlinien. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale hat das Recht, von den ihr angehörenden Parteien den Ausschluss von Gruppen und Personen zu verlangen, die die internationale Disziplin verletzen, und ebenso diejenigen Parteien aus der Kommunistischen Internationale auszuschließen, welche gegen die Beschlüsse des Weltkongresses verstoßen. [217]

Dieses Konzept einer Internationale als kommunistische Weltpartei war ein gewaltiger Fortschritt. Sie sollte eine Wiederholung der nationalistischen Aufspaltung von 1914, die die Zweite Internationale zugrunde richtete, verhindern. Ein positiveres Ziel war, einen vereinigten Generalstab für die bald erwartete Weltrevolution zu bilden. Trotzki hat klar den Gedanken umrissen, der dieser Organisationsform zugrunde lag:

Lenins Internationalismus ist keineswegs eine Formel zur Verbindung des Nationalen mit dem Internationalen in Worten, sondern eine Formel der internationalen revolutionären Tat. Das von der sogenannten zivilisierten Menschheit besetzte Weltgebiet wird als ein einziges riesiges Kampffeld betrachtet, das Feld eines Kampfes, in dem die einzelnen Völker und ihre Klassen nur Teilelemente darstellen. [218]

Wenn es ein Kampffeld war, brauchte es eine Armee unter einem Oberkommando. Wie Lukacs schrieb, die Kommunistische Internationale „ist die bolschewistische Partei. Lenins Parteikonzeption im Weltmaßstabe“. [219]

Um dieses Ziel zu verwirklichen, mussten echte revolutionäre Organisationen in allen bedeutenden kapitalistischen Ländern schnell heranwachsen. Die Komintern kämpfte dafür, existierende kommunistische Gruppen und Strömungen zusammenzuführen und zu stabilen Parteien zu vereinigen und dabei größtmögliche Teile der Mitgliedschaft sozialdemokratischer Parteien (vor allem der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands [USPD], der Sozialistischen Partei Italiens [PSI] und der Sozialistischen Partei Frankreichs [SFIO]) zu gewinnen. In diesem Prozess war der Hauptfeind der „Zentrismus“. [220] Die zentristischen Führer mussten bloßgestellt werden, um ihre Anhänger zu gewinnen, und es musste zugleich verhindert werden, dass führende Zentristen in die neue Internationale übertraten und sie infizierten. Gerade der Druck der Parteibasis, die in die Internationale drängte, zog auch Reformisten an, was zu einer echten Gefahr werden konnte. Lenin warnte auf dem Zweiten Kongress: „Die Kommunistische Internationale wird in gewissem Grade zur Mode [...] Unter Umständen kann [ihr] die Gefahr drohen, durch wankelmütige und halbschlächtige Gruppen verwässert zu werden, die sich von der Ideologie der II. Internationale noch nicht freigemacht haben.“ [221] Lenin hatte im Jahr 1903 auf Paragraf 1 der Parteistatuten als Waffe gegen den Opportunismus bestanden, jetzt stellte er 21 Bedingungen für die Aufnahme in die Kommunistische Internationale auf. Diese waren außerordentlich streng. In der zweiten Bedingung wurde verlangt: „Jede Organisation, die der Komintern angehören will, muss die Reformisten und ‚Zentristen‘ von allen irgendwie verantwortlichen Posten in der Arbeiterbewegung [...] planmäßig und systematisch entfernen“. [222] In der vierten Bedingung hieß es: „Man muss in der Armee hartnäckig und systematisch Propaganda und Agitation treiben und in jedem Truppenteil kommunistische Zellen bilden [...]“ [223] Die 14. Bedingung legte fest: „Die kommunistischen Parteien derjenigen Länder, in denen die Kommunisten legal arbeiten, müssen periodisch Reinigungen (Umregistrierungen) des Mitgliederbestandes der Parteiorganisationen vornehmen, um die Partei systematisch von kleinbürgerlichen Elementen zu säubern, die sich unweigerlich an sie an-schmieren.“ [224] Sinowjew fasste die 21 Bedingungen so zusammen: „Wie es dem Kamel nicht leicht ist, durch ein Nadelöhr zu gehen, so wird es, hoffe ich, auch den Anhängern des Zentrums [...] nicht leicht sein, durch diese von der Kommunistischen Internationale aufgestellten 21 Bedingungen durchzuschlüpfen.“ [225] Prominente Führer des Zentrums, Arthur Crispien und Wilhelm Dittmann von der USPD und Giacinto Seratti von der PSI, waren ebenfalls anwesend auf dem Kongress, aber ihre Einwände wurden von Lenin als „durch und durch kautskyanisch“ und „ganz und gar durchdrungen von einem bürgerlichen Geist“ [226] energisch zurückgewiesen.

Parallel zu dem Kampf gegen den Zentrismus wurden auch Verhandlungen mit verschiedenen revolutionären – allerdings ultralinken oder syndikalistischen – Strömungen aufgenommen. Diese verliefen wesentlich freundlicher. Die Fehler der „Linken“ wurden primär ihrer „Jugend“ und Unerfahrenheit zugeschrieben. Manche der „Linken“ – bei Angel Pestana von den spanischen Syndikalisten und bei Jack Tanner von der britischen Vertrauensleutebewegung gut zu beobachten – waren von dem Opportunismus der sozialdemokratischen Parteien dermaßen angewidert, dass sie die Notwendigkeit einer proletarischen Partei gleich ganz bestritten. Als Antwort legten Lenin, Trotzki und Sinowjew geduldig das ABC der leninistischen Parteitheorie dar, vor allem den Unterschied zwischen einer sozialdemokratischen und einer kommunistischen Partei. [227] Auffallend ist der Verzicht auf Tiraden gegen den „Ökonomismus“, und von dem „Hineintragen des Sozialismus in die Arbeiterklasse von außen“ fehlt jede Spur. Die angenommenen Thesen besagten: „Die revolutionären Syndikalisten sprechen oft von der großen Rolle einer entschlossenen revolutionären Minderheit. Nur eine wirklich entschlossene Minderheit der Arbeiterklasse, eine Minderheit, die kommunistisch ist, die handeln will, die ein Programm hat, die den Kampf der Massen organisieren will, ist eben die kommunistische Partei.[228]

Schwieriger und aufschlussreicher war die Diskussion mit denjenigen, die die Notwendigkeit einer revolutionären Partei zwar akzeptierten, aber von ihr eine absolut kompromisslose Politik ohne taktische Manöver und ohne Teilnahme am bürgerlichen Parlament oder Mitgliedschaft in den reaktionären Gewerkschaften verlangten – das war die Linie der KAPD (einer jungen Abspaltung von der deutschen KP), von Amadeo Bordiga in Italien, Herman Gorter und Anton Pannekoek in Holland, William Gallacher und Sylvia Pankhurst in Großbritannien. Für Lenin war das alles „alter, längst bekannter Plunder“ [229], aber seine Antwort „Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus“, speziell für den Zweiten Kongress verfasst, war seine gründlichste und klarste Darlegung von Strategie und Taktik einer revolutionären Partei. Mit Bezug auf einige weniger bekannte Episoden aus der Geschichte des Bolschewismus argumentierte er für den Verbleib in den Gewerkschaften, um „in ihnen um jeden Preis kommunistische Arbeit zu leisten“ [230], und an die Adresse der Linksradikalen gerichtet meinte er: „Solange ihr nicht stark genug seid, das bürgerliche Parlament und alle sonstigen reaktionären Institutionen auseinanderzujagen, seid ihr verpflichtet, gerade innerhalb dieser Institutionen zu arbeiten [...].“ [231] „Denn die ganze Aufgabe der Kommunisten besteht darin, dass sie es verstehen, die Rückständigen zu überzeugen, unter ihnen zu arbeiten, und sich nicht durch ausgeklügelte, kindische ,linke‘ Losungen von ihnen absondern“. [232] Denn „es kommt gerade darauf an, dass wir das, was für uns erledigt ist, nicht als erledigt für die Klasse, nicht als erledigt für die Massen betrachten“. [233]

Das in „Der ‚linke Radikalismus‘“ vorgestellte Parteikonzept ist keins einer Gruppe Dogmatiker mit Scheuklappen, die immer streng geradeaus marschieren, sondern das einer höchst bewussten und politisch klugen Körperschaft, die zu taktischen Schritten und nötigenfalls zu Kompromissen und Rückzügen fähig ist, um niemals den Kontakt zu der Klasse zu verlieren, die sie führen will. Kommunisten zeichnen sich dadurch aus, dass sie „durch alle Zwischenstationen und Kompromisse [...] das Endziel klar hindurchsehn und verfolgen“. [234] Natürlich würde die Unterscheidung zwischen notwendigen und verräterischen Kompromissen nicht immer leicht fallen, aber ein „Rezept oder eine allgemeine Regel, brauchbar für alle Fälle (‚keinerlei Kompromisse!‘), fabrizieren zu wollen wäre Unsinn“. [235] Erforderlich ist immer eine Untersuchung der konkreten Situation, argumentierte Lenin.

Gerade darin besteht unter anderem die Bedeutung der Parteiorganisation und der Parteiführer, die diesen Namen verdienen, dass man durch langwierige, hartnäckige, mannigfaltige, allseitige Arbeit aller denkenden Vertreter der gegebenen Klasse die notwendigen Kenntnisse, die notwendigen Erfahrungen, das – neben Wissen und Erfahrung – notwendige politische Fingerspitzengefühl erwirbt, um komplizierte politische Fragen schnell und richtig zu lösen. [236]

Während der Jahre 1919 und 1920 lag das Hauptaugenmerk der Komintern auf dem Kampf gegen den Opportunismus, während der ultralinke Radikalismus als viel harmlosere Abweichung angesehen wurde. Das änderte sich aber im Jahr 1921. Die Arbeiterbewegung in ganz Europa war gespalten, nachdem die Opportunisten und Zentristen aus der Internationale ausgeschlossen worden waren. Nun verschob sich der Schwerpunkt auf die Bekämpfung des „linken Radikalismus“. Ausschlaggebend war die veränderte objektive Lage. Unmittelbar nach dem Krieg war es in vielen Ländern zu offen revolutionären Kämpfen gekommen, die die Bourgeoisie in Panik versetzten. Die Internationale erwartete eine unmittelbar bevorstehende Weltrevolution. Aber in einem Land nach dem anderen wurde die Arbeiterklasse zurückgeschlagen und die Bourgeoisie gewann ihr altes Selbstvertrauen wieder. Nirgendwo war es den jungen kommunistischen Parteien gelungen, die Unterstützung der Mehrheit der Arbeiterklasse zu gewinnen.

Den Anlass für die Umorientierung der Komintern bot die katastrophale „Märzaktion“ der KPD im Jahr 1921. Die offensichtlich provokative Besetzung der Mansfelder Bergwerke durch die Polizei beantworteten die deutschen kommunistischen Führer mit einem übereilten Aufruf zum Generalstreik, der in einen Aufstand münden sollte – ohne jegliche Vorbereitung und ohne mehrheitliche Unterstützung. Als die Arbeiter nicht mitzogen, wurden Parteimitglieder angewiesen, sie auf die Straße zu holen, und die Arbeitslosen, unter denen die Partei stark verankert war, wurden dazu benutzt, die Fabriken gegen den Willen der Arbeiter zu besetzen. In der Folge kam es zu schweren Kämpfen zwischen kommunistischen und nicht kommunistischen Arbeitern, die Kommunisten erlitten eine schwere Niederlage und die Partei verlor massenhaft Mitglieder (die Mitgliedschaft ging um fast zwei Drittel zurück). Als ob das nicht genug gewesen wäre, versuchte die „linke“ Führung der KPD ihr aberwitziges Abenteurertum als „Offensivstrategie“ zu verallgemeinern. [237]

Es war an der Zeit, die Notbremse zu ziehen. Lenin erklärte, sollten die Anhänger der „Offensive“ eine „gewisse Richtung“ bilden, dann sei „ein rücksichtsloser Kampf gegen diese Richtung notwendig, denn andernfalls gäbe es keinen Kommunismus und keine Kommunistische Internationale“. [238] Der Dritte Kongress der Internationale im Juni/Juli 1921 nahm die Losung „Zu den Massen“ an und bekundete: „Die Eroberung des ausschlaggebenden Einflusses auf die Mehrheit der Arbeiterklasse [...] ist gegenwärtig die wichtigste Frage der Kommunistischen Internationale.“ [239] Besondere Aufmerksamkeit sollte Teilkämpfen und Teilforderungen gewidmet werden:

Es ist die Aufgabe der kommunistischen Parteien, diese unter der Losung konkreter Forderungen sich entwickelnden Kämpfe auszubreiten, zu vertiefen und zu verbinden. [...] Bei der Aufstellung ihrer Teilforderungen haben die kommunistischen Parteien darauf zu achten, dass diese in dem Bedürfnis der breitesten Massen verankerten Forderungen nicht nur diese Massen in den Kampf führen, sondern auch, dass sie ihrem Wesen nach die Massen organisierende Forderungen sein müssen. [240]

Die logische Schlussfolgerung dieser neuen Linie war die Politik der Einheitsfront, die von der Exekutive der Internationale im Dezember 1921 verkündet und vom Vierten Kongress 1922 bestätigt wurde. Die Idee der Einheitsfront bestand darin, den sozialdemokratischen Parteien gemeinsame Aktionen vorzuschlagen auf Grundlage gemeinsam beschlossener, zentraler ökonomischer und politischer Forderungen, die den direkten Bedürfnissen der Arbeiter entsprangen. Stimmten die Sozialdemokraten zu, hatten die Kommunisten die Chance, ihre Überlegenheit als Verteidiger des Proletariats zu beweisen. Lehnten sie ab, trügen sie die Verantwortung für das Nichtzustandekommen der Einheit. Über ihren Nutzen als indirekte Waffe gegen die Sozialdemokratie hinaus war die Einheitsfront dazu gedacht, die getrennt bestehenden kommunistischen Parteien mit dem Bedürfnis der Arbeiterklasse nach Einheit im alltäglichen Kampf gegen die Unternehmer und den Staat in Einklang zu bringen. [241]

Um die Parteien der Internationale in die Lage zu versetzen, ihre Agitation für Tagesforderungen effektiver zu gestalten und dieser zugleich revolutionären Charakter zu verleihen, und um insgesamt für künftige revolutionäre Möglichkeiten besser gewappnet zu sein, wurde es für notwendig erachtet, dass sie nicht nur ihre Ideologie, Strategie und Taktik „bolschewisieren“, sondern auch einzelne Aspekte ihrer Organisation und Arbeitsmethoden. Wir haben die Unterschiede zwischen der Organisation der vorrevolutionären bolschewistischen Partei und den europäischen sozialdemokratischen Parteien bereits erörtert. Im Jahr 1921 funktionierten viele westliche kommunistische Parteien noch nach dem sozialdemokratischen Modell. Als Korrektur nahm der Dritte Kongress die „Leitsätze über den organisatorischen Aufbau der Kommunistischen Parteien“ an, die für jede nationale Sektion verpflichtend waren. Neben allgemeinen Bemerkungen zum demokratischen Zentralismus betonten sie die Pflicht aller Parteimitglieder, aktiv zu sein, ferner die Schlüsselrolle der Fabrik- und Gewerkschaftszellen, die Bedeutung einer sorgfältigen Berichterstattung über alle Aktivitäten und die Notwendigkeit illegaler Kommunikationsnetze. Sie enthielten auch Anweisungen, wie man Parteitreffen am besten vorbereitet und die Arbeit in Gewerkschaftsgruppen vor Ort gestaltet.
 

Das Scheitern der Dritten Internationale

Durch das Zusammenfassen von Millionen Arbeitern in einer einzigen Weltpartei markiert die Kommunistische Internationale in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens in vielerlei Hinsicht den bisherigen Höhepunkt der marxistischen revolutionären Bewegung. Und trotzdem scheiterte sie. Sie brachte unmittelbar nicht nur keine Weltrevolution hervor, innerhalb von nur wenigen Jahren hörte sie auf, überhaupt eine revolutionäre Kraft zu sein und verwandelte sich in ein willfähriges Instrument der russischen Außenpolitik. Die russische Vorherrschaft war der Fels, an dem die Kommunistische Internationale zerschellte.

Natürlich wurde den Führern der ersten erfolgreichen Arbeiterrevolution fast unvermeidlicherweise Respekt gezollt. Das war in der Anfangszeit als durchaus positiv zu bewerten, weil die russischen Führer, allen voran Lenin und Trotzki, allen anderen in den neuen europäischen Parteien in Theorie wie Praxis weit voraus waren. Lenin gestand ganz offen ein, dass die russische Partei die Internationale führte, ging aber davon aus, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein würde. „Zeitweilig – selbstverständlich nur für kurze Zeit – ist die Hegemonie in der revolutionären proletarischen Internationale an die Russen übergegangen, wie sie in verschiedenen Perioden des 19. Jahrhunderts die Engländer, dann die Franzosen und dann die Deutschen innegehabt haben.“ [242] Solange die Russische Revolution ihr Schicksal mit der internationalen Revolution verband [243], war die Vorrangstellung der russischen Führer in der Internationale von Vorteil. Als diese Orientierung aufgegeben wurde, war die Internationale ruiniert.

Zwei Faktoren erklären die durchgehend passive Unterordnung der ausländischen kommunistischen Parteien unter die russische Führung: Der erste war die Serie von Niederlagen, die die internationale Arbeiterbewegung erlitten hatte. Nur die Russen genossen aufgrund ihres Erfolgs hohes Ansehen, während angesichts lauter Rückschläge keine andere Partei das nötige Selbstvertrauen oder die Autorität entwickelte, die russische Politik infrage zu stellen. Der zweite Faktor war die mangelnde Kommunikationsfähigkeit der Bolschewiki beziehungsweise die mangelnde Lernfähigkeit der ausländischen Parteien. Die Kommunisten Deutschlands, Italiens, Frankreichs und anderer Länder sahen sich ständiger Kritik und Korrekturen ausgesetzt, zuerst von links, dann von rechts. Sie scheinen dabei nicht die leninistische Methode übernommen zu haben, auf der die Kritik basierte, sondern nur das vage Gefühl, Moskau habe immer recht. Daher entwickelten sie nie die Fähigkeit zur unabhängigen, konkreten Analyse, was für Lenin die unabdingbare Voraussetzung für die Herausbildung einer eigenständigen Führung war. In seiner letzten Rede vor der Kommunistischen Internationale im November 1922 schien Lenin das Problem angehen zu wollen, aber er bekam nie Gelegenheit, seine Ideen zu entwickeln:

Auf dem III. Kongress 1921 haben wir eine Resolution angenommen über den organisatorischen Aufbau der kommunistischen Parteien und über die Methoden und den Inhalt ihrer Arbeit. Diese Resolution ist ausgezeichnet, aber sie ist fast ausgesprochen russisch, d. h., es ist alles den russischen Verhältnissen entnommen. Das ist das Gute an der Resolution, aber das ist auch das Schlechte. Das Schlechte deshalb, weil ich überzeugt bin, dass fast kein Ausländer sie lesen kann [...] wenn ein Ausländer sie auch ausnahmsweise versteht, so kann er sie nicht durchführen [...] Aber wir haben nicht verstanden, wie wir mit unserer russischen Erfahrung an die Ausländer heranzugehen haben [...] Ich glaube, für uns alle, sowohl für die russischen als auch für die ausländischen Genossen, ist das wichtigste, dass wir jetzt, nach fünf Jahren russischer Revolution, lernen müssen [...] Wir lernen im allgemeinen Sinne, sie [die ausländischen Genossen] dagegen müssen im speziellen Sinne lernen, um die Organisation, den Aufbau, die Methode und den Inhalt der revolutionären Arbeit wirklich zu verstehen. [244]

Das Scheitern der Internationale und ihr Umbau zu einem Werkzeug der entstehenden russischen Staatsbürokratie diskreditiert keineswegs das Konzept einer zentralisierten Weltpartei, denn dieses Konzept entsprach dem internationalen Charakter des Klassenkampfs. Aber es zeigt, dass die Schaffung einer Internationale nicht nur die Vorteile mit sich bringt, sondern auch die Gefahren erhöht, die die Bildung von Parteien ganz allgemein begleiten. Eine lebendige Internationale hätte als Gegengift zu den in Russland stattfindenden Verfallsprozessen gewirkt. Die Internationale, so wie sie war, diente als verlässliche Stütze für die stalinistische Bürokratie. Was von den frühen Jahren der Kommunistischen Internationale übrig blieb, war mit Trotzkis Worten „ein unermesslich wertvolles programmatisches Erbe“. [245] Hinzufügen lässt sich noch, dass ihre Dokumente, ihre Thesen, ihre Debatten und in gewisser Hinsicht auch ihre Praxis uns das vollständigste Bild von der ausgereiften leninistischen Parteitheorie liefern.
 

Die Essenz der Theorie Lenins

Aus dem Gesagten geht klar hervor, dass Lenins Parteitheorie hochkomplex und vielseitig war. Wir haben argumentiert, dass wir sie nur dann richtig nachvollziehen können, wenn wir ihre Entstehungsgeschichte verfolgen und jeden Schritt in Beziehung zu den praktischen und theoretischen Problemen setzen, mit denen Lenin konfrontiert war. Eben das haben wir hier versucht und können uns nun darauf aufbauend an eine kurze Zusammenfassung der Kernelemente seiner Theorie wagen.

Zwei grundlegende Themen prägen Lenins Parteitheorie: erstens, die Zusammenführung der fortschrittlichsten Arbeiter in einer vollkommen unabhängigen Organisation, die die Gesamtinteressen der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten und das letztendliche Ziel der internationalen sozialistischen Revolution unnachgiebig vertritt; zweitens, größte Nähe zu den Arbeitermassen, die nur zu erreichen ist, wenn die Partei in jedem Kampf, in den die Arbeiter verwickelt sind oder der ihre Interessen betrifft, praktische Führung bietet. Ersteres bedeutet entschiedenes Festhalten an Grundsätzen, die Bereitschaft, zeitweilig die Position einer kleinen und anscheinend isolierten Minderheit einzunehmen, und einen unerbittlichen Kampf innerhalb der Arbeiterklasse gegen alle Erscheinungen von Opportunismus zu führen. Letzteres bedeutet höchste taktische Beweglichkeit und nichts unversucht zu lassen, um Kontakt zu den Massen zu halten.

Diese beiden Elemente sind nicht getrennt voneinander, sondern stehen in einem dialektischen Wechselverhältnis und in gegenseitiger Abhängigkeit. Ohne feste Grundsätze und disziplinierte Organisation wird sich die Partei als unfähig erweisen, die notwendigen und plötzlichen taktischen Kursänderungen zu vollziehen, oder aber sie wird von ihnen aus dem Gleis geworfen. Und ohne lebendige Beteiligung an den Kämpfen der Arbeiterklasse wird sich die Partei als unfähig erweisen, die nötige Disziplin zu entwickeln und aufrechtzuerhalten, um dem Druck anderer Klassen zu widerstehen. Wenn der alltägliche Kampf der Arbeiterklasse nicht mit dem letztendlichen Ziel des Umsturzes des Kapitalismus verbunden ist, wird er seinen Zweck nicht erfüllen. Und wenn die Partei es versäumt, das letztendliche Ziel mit den konkreten Kämpfen zu verbinden, wird sie zu einer nutzlosen Sekte entarten. Je entwickelter die spontane Aktivität der Arbeiter ist, desto mehr erfordert sie bewusste revolutionäre Organisation, wenn sie keine katastrophale Niederlage erleiden sollen. Die sozialistische Organisation kann ihrerseits ohne Zufuhr frischer Kräfte aus dem spontanen Widerstand der Massen nicht erhalten und erneuert werden.

Alle den Bolschewismus kennzeichnenden Organisationsformen – seine genau beachtete Abgrenzung von anderen Strömungen, die Verpflichtung aller Mitglieder zur Aktivität, die strenge Disziplin, die volle innerparteiliche Demokratie, die vorrangige Stellung der Betriebszellen, die Verbindung von legaler und illegaler Arbeit –, leiten sich aus der Notwendigkeit ab, diese beiden Elemente miteinander zu verbinden. Die leninistische Partei ist der konkrete Ausdruck der marxistischen Synthese von Determinismus und Vo lun -tarismus (der Überbetonung des reinen Willens) in der revolutionären Praxis.

Lenins ganze revolutionäre Laufbahn hindurch waren beide Aspekte ständig vorhanden, aber zu verschiedenen Zeiten überwog mal der eine, mal der andere. In den Jahren 1903, 1914 und auf den ersten beiden Kongressen der Kommunistischen Internationale überwog die Sorge um die Unabhängigkeit der Partei. Im Jahr 1905 und auf dem Dritten und Vierten Kongress der Internationale war es das Verhältnis zu den Massen. Im Oktober 1917 gingen beide ineinander auf, weil die Revolution die kurzfristigen Forderungen der Arbeiterklasse mit ihren historischen Interessen verschmolz. Lenin wusste, wann er welchen Aspekt betonen, wie weit „das Ruder herumgerissen“ werden musste – darin lag seine besondere Begabung.

„Es genügt nicht“, schrieb er im April 1918, „Revolutionär und Anhänger des Sozialismus oder Kommunist überhaupt zu sein. Man muss es verstehen, in jedem Augenblick jenes besondere Kettenglied zu finden, das mit aller Kraft angepackt werden muss, um die ganze Kette zu halten und den Übergang zum nächsten Kettenglied mit fester Hand vorzubereiten [...]“ [246]

Von allen Marxisten leistete Lenin ohne Frage den größten und bedeutendsten Beitrag zur Parteitheorie. Seine Ideen veränderten die Organisation, Strategie und Taktik zuerst der russischen und dann der weltweiten Arbeiterbewegung. Sie sind der Maßstab und gewissermaßen auch der Rahmen, in dem alle anderen Beiträge zur Parteitheorie, einschließlich derjenigen von Marx selbst, beurteilt werden müssen.

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Anmerkungen

122. Lenin, Wladimir Iljitsch, August Bebel, Werke, Bd. 19, Berlin 1977, S. 291.

123. Lenin, August Bebel, Werke, Bd. 19, S. 288.

124. Trotzki, Leo, Die permanente Revolution. Ergebnisse und Perspektiven, Essen 1993, S. 274.

125. Die größten Missetäter waren in dieser Hinsicht die offiziellen sowjetischen Historiker und Theoretiker, denen Lenin als unfehlbarer Papst galt, aber auch in Werken wie Lukacs Lenin lassen sich solche Tendenzen finden.

126. Trotzki, Leo, Hände weg von Rosa Luxemburg, Aufsätze, Köln 1994, S. 23; http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/08/rosalux.htm.

127. Siehe Lenin, Wladimir Iljitsch, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, Werke, Bd. 9, Berlin 1957, 1–130.

128. Lenin, Zwei Taktiken,Werke, Bd. 9, S. 83.

129. Lenin verglich Plechanows Haltung im Jahr 1905 mit Marx’ Haltung zur Pariser Kommune in seinem Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von K. Marx and L. Kugelmann, Werke, Bd. 12, Berlin 1959, S. 99.

130. Lenin, Wladimir Iljitsch, Der historische Sinn des innerparteilichen Kampfes in Russland, Werke, Bd. 16, Berlin 1962, S. 387.

131. Lenin, Zwei Taktiken, Werke, Bd. 9, S. 3–4.

132. Lenin, Über die Reorganisation der Partei, Werke, Bd. 10, Berlin 1982, S. 16.

133. Lenin, Zwei Taktiken, Werke, Bd. 9, S. 128; Lenin zitiert an dieser Stelle Mehring.

134. Lenin, Wladimir Iljitsch, Vorwort zum Sammelband 12 Jahre, Werke, Bd. 13, Berlin 1982, S. 100.

135. Lenin, Zwei Taktiken, Werke, Bd. 9, S. 30.

136. Lenin, Zwei Taktiken, Werke, Bd. 9, S. 4.

137. Krupskaja, Nadeshda, Erinnerungen an Lenin, Berlin 1959, S. 142–143.; siehe auch Lenin, Rede über das Verhältnis zwischen Arbeitern und Intellektuellen in den sozialdemokratischen Organisationen, Werke, Bd. 8, Berlin 1959, S. 405.

138. Trotzki, Stalin, S. 89.

139. Lenin, Wladimir Iljitsch, Unsere Aufgaben und der Sowjet der Arbeiterdeputierten, Werke, Bd. 10, Berlin 1970, S. 3.

140. Lenin, Unsere Aufgaben, Werke, Bd. 10, S. 4.

141. Lenin, Unsere Aufgaben, Werke, Bd. 10, S. 7.

142. Lenin, Wladimir Iljitsch, Neue Aufgaben und neue Kräfte, Werke, Bd. 8, Berlin 1959, S. 209–210.

143. Lenin, Wladimir Iljitsch, Über die Reorganisation der Partei, Werke, Bd. 10, Berlin 1970, Fußnote S. 20.

144. Lenin, Über die Reorganisation der Partei, Werke, Bd. 10, S. 15–16.

145. Lenin, Auf den Weg, Werke, Bd. 15, S. 354–355. Schwarze Hundertschaften waren paramilitärische zaristische Sturmtruppen gegen Demokraten und Revolutionäre, die antisemitische Pogrome anzettelten.

146. „Aber Bogdanow entsagte seiner Methodologie nicht und begründete in der Folge eine ganze Fraktion von ‚Ultimatisten‘ oder ‚Otsowisten‘ (Abberufern); diesen Namen erhielten sie, weil sie gewillt waren, die Bolschewiki aus all jenen Organisationen abzuberufen, die es ablehnten, das ihnen von oben gestellte Ultimatum ‚Akzeptiere im Voraus unsere Führerschaft‘ anzunehmen.“ Trotzki, Leo, Was nun? Schlüsselfragen des deutschen Proletariats, Schriften über Deutschland, Frankfurt am Main 1971, S. 207–208; http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1932/wasnun.

147. Lenin griff vor allem auf die Erfahrungen der bolschewistischen Partei in der Zeit der Reaktion zurück, um seine Argumente gegen linkes Sektierertum in Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im ‚Kommunismus‘ zu untermauern, Werke, Bd. 31, Berlin 1983, S. 1–106.

148. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S. 12.

149. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31,S. 13.

150. Siehe Trotzki, Leo, Unsere Meinungsverschiedenheiten, in: Die russische Revolution 1905, Dortmund, S. 222–231.

151. Wegen der Zensur mussten sie sich einer verschleiernden Sprache bedienen. So wurde das bolschewistische Programm als „die ungekürzten Forderungen von 1905“ bezeichnet.

152. Siehe Cliff, Tony, Lenins Pravda, in: International Socialism, Nr. 67, London 1974, S. 12.

153. Lenin, Wladimir Iljitsch, Arbeiterklasse und Arbeiterpresse, Werke, Bd. 20, Berlin 1961, S. 367.

154. Lenin, Arbeiterklasse und Arbeiterpresse, Werke, Bd. 20, S. 367.

155. Lane, David, The Roots of Russian Communism, Assen 1969, S. 26.

156. Lane, Roots, S. 50.

157. Lenin, Arbeiterklasse und Arbeiterpresse, Werke, Bd. 20, S. 370.

158. O. Pjatnitsky, The Bolshevisation of the Communist Parties by Eradicating the Social-Democratic Traditions, Communist International Publication 1934, herausgegeben von der London Alliance in Defence of Workers’ Rights (1932), S. 5.

159. O. Pjatnitsky, The Bolshevisation ..., S. 6.

160. Berechnet nach Angaben von Lane, Roots, S. 37.

161. Trotzki, Leo, Die Verratene Revolution, Essen 2009, S. 180.

162. Lane, Roots, S. 37.

163. Dazu Leonard Schapiro, Geschichte der Kommunistischen Partei: „Es muss daran erinnert werden, dass der Ausdruck im russischen Zusammenhang seinen Ursprung in der deutschen sozialdemokratischen Bewegung hatte und das erste Mal 1875 von J. B. Schweitzer benutzt wurde, einem der Hauptanhänger von Lassalle.“ (1970, S. 75, Fußnote 160).

164. Lenin, Wladimir Iljitsch, Der Kampf gegen die kadettisierenden Sozialdemokraten und die Parteidisziplin, Werke, Bd. 11, Berlin 1984, S. 314.

165. Lenin, Der Kampf, Werke, Bd. 11, S. 314–315.

166. Pjatnickij, S. 13.

167. Trotzki, Stalin, S. 251.

168. Lenin, Wladimir Iljitsch, Die Aufgaben der revolutionären Sozialdemokratie im europäischen Krieg, Werke, Bd. 21, Berlin 1984, S. 2.

169. Lenin, Aufgaben, Werke, Bd. 21, S. 2–3.

170. Lenin, Wladimir Iljitsch, Der Krieg und die russische Sozialdemokratie, Werke, Bd. 21, Berlin 1984, S. 18.

171. Lenin, Wladimir Iljitsch, Der Krieg, Werke, Bd. 21, S. 21.

172. Lenin, Wladimir Iljitsch, Eine deutsche Stimme über den Krieg, Werke, Bd. 21, Berlin 1984, S. 82.

173. Lenin, Wladimir Iljitsch, Konferenz der Auslandssektionen der SDAPR, Werke, Bd. 21, Berlin 1984, S. 151.

174. Lenin, Wladimir Iljitsch, Was weiter?, Werke, Bd. 21, Berlin 1984, S. 99.

175. Zitiert nach: Luxemburg, Rosa, Der Wiederaufbau der Internationale, Die Internationale, Heft 1, 15. April 1915, Gesammelte Werke, Bd. 4, Berlin 1990, S. 21.

176. Zitiert nach: Lenin, Wladimir Iljitsch, Marxismus und Staat, Berlin 1960, S. 103.

177. Lenin, Wladimir Iljitsch, Staat und Revolution, Werke, Bd. 25, Berlin 1974, S. 504.

178. Lenin, Wladimir Iljitsch, Materialismus und Empiriokritizismus – Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie, Werke, Bd. 14, Berlin 1975.

179. Lenin, Wladimir Iljitsch, Konspekt zu Hegels Wissenschaft der Logik, Werke, Bd. 38, Berlin 1964, S. 77–229.

180. Dieser Aspekt wird ausführlicher im Kapitel 6 über Gramsci behandelt.

181. Siehe Engels, Friedrich, an Karl Marx, 7. Oktober 1858, MEW, Bd. 29, Berlin 1984, S. 358 und Engels an Karl Kautsky, 12. September 1882, MEW, Bd. 35, Berlin 1979, S. 357.

182. Lenin, Wladimir Iljitsch, Der Imperialismus und die Spaltung des Sozialismus, Werke, Bd. 23, Berlin 1975, S. 112.

183. Lenin, Der Imperialismus, Werke, Bd. 23, S.

184. Lenin, Der Imperialismus, Werke, Bd. 23, S.

185. Lenin, Der Imperialismus, Werke, Bd. 23, S.

186. Da Lenin den Aufsatz Staat und Revolution erst im August/September 1917 fertigstellte, wird häufig angenommen, die Russische Revolution sei Anstoß für diesen theoretischen Fortschritt gewesen. Tatsächlich trat er für ein grundlegendes Studium des Staats erstmals in seiner Erwiderung auf einen Artikel Bucharins ein (siehe Jugend-Internationale (Notiz), Werke, Bd. 23, Berlin 1975, S. 165–66) und hatte alle Vorbereitungen bereits im Februar 1917 abgeschlossen. Seine Notizen wurden unter dem Titel Marxismus und Staat separat veröffentlicht (siehe Fn. 178) und sind nicht in den Werken enthalten. Eine Durchsicht dieses Materials zeigt, dass es alle wesentlichen Ideen von Staat und Revolution enthält.

187. Kautsky, Karl, Der Weg zur Macht, Berlin 1909, S. 79; http://www.marxists.org/deutsch/archiv/kautsky/1909/macht/8-versch.htm.

188. Kautsky, Karl, Das Erfurter Programm in seinem grundsätzlichen Teil erläutert, Stuttgart 1892, S. 225, http://library.fes.de/prodok/fa87-01370a.htm (Teil 4).

189. Marx, Karl, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW, Bd. 17, Berlin 1962, S. 607.

190. Lenin, Marxismus und Staat, S. 69–70 (Hervorh. im Original).

191. Was nicht heißt, dass viel Blut fließen muss Das hängt von den Kräfteverhältnissen und der Reaktion der herrschenden Klasse ab. Aber die Anwendung „illegaler“, „verfassungswidriger“ physischer Gewalt gehört dazu, gerade weil die Revolution das alte Recht, die alte Verfassung und die entsprechenden Machtstrukturen umstürzt.

192. Lenin, Wladimir Iljitsch, Staat und Revolution, Werke, Bd. 25, Berlin 1974, S. 503.

193. Harman, Chris, Partei und Klasse, S. 23.

194. In der Zeit nach der Revolution (auf die wir im Zusammenhang mit der Machtübernahme im Oktober zurückkommen) entsprach die Realität Russlands ganz und gar nicht diesem Schema. Anfangs langsam und dann zusehends schneller verschmolzen Partei und Staat miteinander, bis sie nach nicht allzu langer Zeit nahezu identisch waren. Das war allerdings keine allmähliche Umsetzung der Theorie in die Praxis, sondern Begleiterscheinng der Entartung der Revolution insgesamt als Folge der Isolation Russlands, seiner Rückständigkeit, der wirtschaftlichen Verwüstung, der Dezimierung und Demoralisierung der russischen Arbeiterklasse.

195. Die Zahl für den August war eine Schätzung des Parteisekretärs Swerdlow. Die Januar- und Aprilzahlen waren offizielle Parteiangaben, wenn auch nur Annäherungen.

196. Schapiro, Geschichte der Kommunistischen Partei, S. 173.

197. Julius Martow an Pawel Borissowitsch Axelrod, 19. November 1917, zitiert nach: Getzler, Israel, Martow, Cambridge 1967, S. 172.

198. Carr, Edward Hallett, A History of Soviet Russia, Bd. 1: The Bolshevik Revolution 1917–1923, Harmondsworth 1971, S. 81.

199. Trotzki, Leo, Geschichte der russischen Revolution, Bd. 1, Februarrevolution, Essen 2010, S. 187.

200. Dazu Trotzki: „Die Spartakuswoche im Januar 1919 in Berlin gehört zum gleichen Typ zwischenstuflicher Halbrevolutionen wie die Julitage in Petrograd. [...] Was fehlte, war eine bolschewistische Partei.“ Geschichte der russischen Revolution, Bd. 2: Oktoberrevolution, Essen 2010, S. 78.

201. Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Bd. 2, S. 109.

202. Mit zehn gegen zwei Stimmen wurde Lenins Antrag am 23. Oktober (nach dem russischen [julianischen] Kalender) angenommen. Zu dieser Diskussion siehe: Bone, Ann, The Bolsheviks and the October Revolution. Minutes of the Central Committee of the Russian Social-Democratic Labour Party (Bolsheviks) August 1917 bis February 1918, London 1974, S. 85–89.

203. So schreibt Leonard Schapiro: „Dies ist die Geschichte einer Gruppe entschlossener Männer, die in Russland 1917 die Macht an sich rissen und andere von ihr fernhielten.“ (The Origin of the Communist Autocracy, London 1966).

204. Lenin, Wladimir Iljitsch, Thesen zum Referat in der Konferenz der Petersburger Organisation, Werke, Bd. 26, Berlin 1972, S. 129.

205. Lenin, Wladimir Iljitsch, Briefe über die Taktik, Werke, Bd. 24, Berlin 1989, S. 31.

206. Lenin, Wladimir Iljitsch, Zu den Losungen, Werke, Bd. 25, Berlin 1974, S. 187.

207. Lenin, Zu den Losungen, Werke, Bd. 25, S. 188.

208. Lenin, Wladimir Iljitsch, Vom Zentralkomitee der SDAPR (Bolschewiki), Werke, Bd. 26, Berlin 1980, S. 298.

209. Lenin zitiert Goethes Faust in: Briefe über die Taktik, Werke, Bd. 24, Berlin 1959, S. 28.

210. Lenin, Briefe über die Taktik, Werke, Bd. 24, S. 26.

211. Siehe Lenins Brief an die Mitglieder der Partei der Bolschewiki vom 18. Oktober 1917, Werke, Bd. 26, Berlin 1980, S. 204–207; siehe auch: Kamenew und Sinowjew, The Current Situation (Die gegenwärtige Lage) in: The Bolsheviks and the October Revolution, S. 89–95.

212. Lenin, Wladimir Iljitsch, Die Krise ist herangereift, Werke, Bd. 26, Berlin 1980, S. 67.

213. Lenin, Wladimir Iljitsch, Ultimatum der Mehrheit des ZK der SDAPR (Bolschewiki) an die Minderheit, Werke, Bd. 26, Berlin 1980, S. 275–76.

214. Wir beziehen uns hier natürlich auf die ersten Jahre der Komintern, namentlich auf ihre ersten vier Kongresse.

215. Siehe dazu: Hallas, Duncan, Die Rote Flut – Aufstieg und Niedergang der Kommunistischen Internationale, Frankfurt am Main (ohne Jahr).

216. Die Kommunistische Internationale, Bd. 1: Manifeste, Leitsätze, Thesen und Resolutionen 1. und 2. Weltkongress 1919/1920, Köln 1984, S. 143.

217. Die Kommunistische Internationale, Bd. 1, S. 144.

218. Trotzki, Leo, Über Lenin, Essen 2009, S. 153.

219. Lukacs, Georg, Lenin, Neuwied, Berlin 1967, S. 56.

220. „Zentrismus“ – leninistische Bezeichnung für das kautskyanische „Zentrum“ in der deutschen Sozialdemokratie und weitere ähnliche Strömungen in anderen Ländern, wie Julius Martow in Russland, Giacinto Serrati in Italien und Ramsay MacDonald in Großbritannien sie repräsentierten.

221. Lenin, Wladimir Iljitsch, Bedingungen für die Aufnahme in die Kommunistische Internationale, Lenin, Werke, Bd. 31, Berlin 1983, S. 193–194.

222. Lenin, Bedingungen, Werke, Bd. 31, S. 194–195.

223. Lenin, Bedingungen, Werke, Bd. 31, S. 195.

224. Lenin, Bedingungen, Werke, Bd. 31, S. 197.

225. Protokoll des II. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale (Reprint), Erlangen 1972, S. 695; http://www.marxists.org/deutsch/archiv/hallas/1985/flut/2-masspar.htm.

226. Lenin, Wladimir Iljitsch, Rede über die Bedingungen für die Aufnahme in die Kommunistische Internationale, Werke, Bd. 31, Berlin 1983, S. 238–234.

227. Lenin, Wladimir Iljitsch, Rede über die Rolle der kommunistischen Partei, Werke, Bd. 31, Berlin 1966, S. 223–227; siehe auch Trotzki, Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale, Mehring-Verlag (Herausgabe voraussichtlich Nov. 2014).

228. Die Kommunistische Internationale, Bd. 1, S. 170.

229. Lenin, Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus, Werke, Bd. 31, Berlin 1983, S. 26.

230. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S.

231. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S.

>232. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S.

233. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S.

234. Lenin,Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S.

235. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S.

236. Lenin, Der linke Radikalismus, Werke, Bd. 31, S. 54–55.

237. Eine detaillierte Darstellung findet sich in: Harman, Chris, Die Verlorene Revolution – Deutschland 1918–1923, Frankfurt am Main 1998, S. 239–276.

238. Lenin, Wladimir Iljitsch, Rede zur Verteidigung der Taktik der Kommunistischen Internationale, Werke, Bd. 32, Berlin 1982, S. 492.

239. Die Kommunistische Internationale, Bd. 2, Teil III., S. 35.

240. Die Kommunistische Internationale, Bd. 2, Teil III., S. 47.

241. Auf die Einheitsfront wird in Kapitel 5 näher eingegangen.

242. Lenin, Wladimir Iljitsch, Die Dritte Internationale und ihr Platz in der Geschichte, Werke, Bd. 29, Berlin 1984, S. 299.

243. In dieser Frage bezog der Vierte Kongress sehr deutlich Stellung. In einer einstimmig angenommenen Resolution heißt es: „Der IV. Weltkongress mahnt die Proletarier aller Länder daran, dass die proletarische Revolution nie innerhalb eines einzigen Landes vollständig siegen kann, dass sie vielmehr international, als Weltrevolution siegen muss.“ (Die Kommunistische Internationale, Bd. 2, Teil IV, S. 36). Auf diese Frage wird in Kapitel 5 näher eingegangen.

244. Lenin, Wladimir Iljitsch, Fünf Jahre russische Revolution und die Perspektiven der Weltrevolution – Referat auf dem IV. Kongress der Komintern, 13. November 1922, Werke, Bd. 33, Berlin 1977, S. 416–418.

245. Trotzki, Leo, Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale, Erscheinungsdatum voraussichtlich November 2014.

246. Lenin, Wladimir Iljitsch, Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht, Werke, Bd. 27, Berlin 1960, S. 265.




Zuletzt aktualisiert am 21. Dezember 2022