Jan Appel/Franz Jung

Bericht Der Nach Moskau Entsandten Delegation

1920


Veröffentlicht: 9. Juli 1920
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Unsere Delegation gründete sich auf die Einladung der Exekutive der III. Internationale an die „Opposition“, zwei Delegierte nach Moskau zu entsenden. Die „Opposition“ hatte sich inzwischen zur „Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands“ zusammengeschlossen und der Gründungsparteitag hatte auf Grund der Einladung beschlossen, eine Delegation nach Moskau zu senden. Das „Westeuropäische Sekretariat“ hatte der „Opposition“ vorher mitteilen lassen, daß es Anweisung erhalten habe, den Reiseweg für die Delegierten zu schaffen, desgleichen die finanziellen Mittel für die Reise zur Verfügung zu stellen. Auf eine Anfrage der Delegation bei dem W.S. wurde mitgeteilt, daß es nicht möglich sei, vor Anfang Juni einen Reiseweg zu beschaffen. Da die speziellen Aufgaben der Delegation im Hinblick auf die politische Situation ganz besonders dringlicher Natur waren, und insbesondere die einsetzende Wahlpropaganda des Spartakusbundes auf Kosten der neugegründeten K.A.P.D. gehen sollte, was zu einer weiteren Zermürbung der Front des revolutionären Proletariats in Deutschland führen mußte, so beschlossen wir, uns einen eigenen Weg zu suchen und auf die Beihilfe des W.S. zu verzichten.

Die Aufgaben der Delegation gliederten sich nach folgenden drei Gesichtspunkten: 1. Die Berichterstattung über die politische Lage und über die Entwicklung der sozialen Revolution in Deutschland. 2. Berichterstattung über die Gründung der Partei und über die Stellung der Partei, mit dem Hinblick auf den Beschluß, sich vorbehaltlos auf den Boden der III. Internationale zu stellen. 3. Aussprache über die Propagandatätigkeit, und Vorschläge zu unterbreiten für die stärkere Betonung des kommunistischen Gedankens, des Gemeinschaftsgefühles gegenüber der bürgerlichen Ideologie innerhalb der allgemeinen Propaganda. Wir haben dem W.S. in einer gemeinsamen Aussprache, die anläßlich der Gründung unserer Partei stattfand, auch von den speziellen Aufgaben unserer Delegation bereits Kenntnis gegeben.

Wir stellen fest, daß im allgemeinen unter den russischen Genossen, auch unter denjenigen, die unsern Standpunkt grundsätzlich nicht teilen und bekämpfen, lebhafteste Befriedigung darüber herrschte, die Gelegenheit zu haben, mit offiziellen Mitgliedern der „Opposition“ persönlich sich über alle schwebenden Fragen der deutschen Revolution aussprechen zu können. Man muß „offizielle“ betonen, da abgesehen von einigen ehrlichen und tüchtigen Genossen, die aus Gründen der Illegalität bei den russischen Genossen Zuflucht fanden, Abenteuerer und Hochstapler, die zum Teil gewaltsam aus der deutschen kommunistischen Bewegung entfernt worden sind, sich einen Weg nach Rußland gebahnt haben und sich dort als Vertreter der deutschen „Opposition“ eingeführt hatten. Obschon es natürlich den russischen Genossen nicht schwer war, bald den wahren Charakter dieser Elemente zu durchschauen, so haben sie doch eine heillose Verwirrung, sowohl über die Grundlage der Spaltung wie über die wahren Ziele der Opposition angerichtet, ein Moment, das uns die Tätigkeit unserer Berichterstattung von vornherein erschwert hat. Rechnet man hinzu, daß auch die Zentrale des Spartakusbundes sowie das W.S., insbesondere im Laufe des Jahres 1919 alles getan haben, um über die Heidelberger Konferenz und über die Ziele der „Opposition“ eine möglichst falsche Darstellung zu verbreiten, indem besonders alle die „Opposition“, die ja gar nicht organisch zusammengefaßt war, kompromittierenden Ausführungen einzelner unverantwortlicher Personen sorgfältigst gesammelt nach Moskau gesandt wurden, während Material über die sich allmählich herauskristallisierende Notwendigkeit des organischen Zusammenschlusses der „Opposition“, Material über die sich kristallisierenden Ziele und Aufgaben der K.A.P.D. aus der Opposition heraus, niemals nach Moskau gekommen ist. Wir bedauern, sagen zu müssen, daß auch wir selbst keinerlei schriftliche Festlegungen bei uns hatten als den Bericht des Parteitages und einen Zeitungsartikel, der sich in allgemeinen Umrissen mit dem Programm der K.A.P.D. befaßte. Der Fehler, den wir und die Partei begangen haben, so wenig Gewicht auf die Ausarbeitung einer Analyse der Entwicklung der sozialen Revolution in Berücksichtigung der Parteiund Organisationsbewegung innerhalb der Arbeiterschaft zu legen, mag erklärlich erscheinen, wenn man die scharfen und zermürbenden Auseinandersetzungen mit Personen und Ansichten innerhalb der kommunistischen Bewegung in Deutschland, wenn man die Angriffe und Verleumdungen berücksichtigt, gegen die jeder Einzelne sich fortgesetzt zu wehren hatte. Es mag erklärlich erscheinen, aber es entschuldigt uns nicht; denn das Fehlen solcher Analyse, die von uns gegeben und mitgebracht hätte werden müssen, hat der Delegation in den Verhandlungen mit der Exekutive sehr geschadet.

Wir haben nun die uns zur Verfügung stehende Zeitausgiebig benutzt über unsere Aufgaben mit den russischen Parteiinstanzen, mit der Exekutive der III. Internationale, mit einzelnen russischen Parteigenossen, sowohl führenden wie einfachen Mitgliedern der Partei und schließlich mit den Vertretern der Bruderparteien im Ausland, die teilweise als Vertreter ihrer Partei im Büro der III. Internationale waren, teilweise zur Information Vertreter nach Moskau gesandt hatten, teilweise auch gegenüber der dritten Internationale eine ablehnende Haltung einnahmen, zu sprechen. Was unsere erste Aufgabe anlangt, den Bericht über die politische Situation, so können wir auf einen vollen Erfolg zurückblicken. In den Händen der Exekutive befand sich eine Darstellung des Spartakusbundes über die Märzereignisse, die später in der „Kommunistischen Internationale“ veröffentlicht wurde. Wir hatten nicht nötig, über die einzelnen Entstellungen der Tatsachen und irrtümlichen Verurteilung der politischen Lage während des Kapp-Putsches eingehende Gegenausführungen zu machen. Die russischen Genossen hatten selbst das Gefühl, daß dieses Machwerk aus der Verlegenheit entstanden war, die Unfähigkeit einer Zentralisierung zu verdecken. Sie wiesen uns selbst auf die sich widersprechenden, hilflosen Entschuldigungen hin, die nur mühsam hinter der Polemik gegen die „Opposition“ sich zu verbergen suchen. Wir können mitteilen, daß dieser Bericht in Rußland allgemeines Kopfschütteln, zum Teil aber auch allgemeine Heiterkeit ausgelöst hat. Da der Bericht in der „Kommunistischen Internationale“ im offiziellen Auftrag des Spartakusbundes veröffentlicht werden sollte, so wurden wir aufgefordert, einen neuen Bericht für die „Kommunistische Internationale“ zu schreiben. Andere und wichtigere Aufgaben traten indessen dazu, so daß wir diesen Auftrag nicht erfüllen konnten. Wir sind zudem der Ansicht, daß wir von dem Angebot, einen Bericht aus Deutschland in der „Kommunistischen Internationale“ zu geben, viel besser in einer neuen Situation Gebrauch machen können. Ueberdies erschien es uns auch peinlich, vor der gesamten Internationale den deutschen Kommunisten, mögen sie auch gespalten sein, das Armutszeugnis ausstellen zu müssen, selbst über die gegenwärtig wichtigste Frage: das Moment der Reise der Revolution -verschiedener Ansicht zu sein. Besonders beeinflußt wurde dieser Beschluß auch dadurch, daß die russischen Genossen unsern Standpunkt über die revolutionäre Reise in Deutschland voll und ganz teilten. Sie erklärten wörtlich, darunter insbesondere auch Karl Radek, der als der Stützpunkt des Spartakusbundes in Moskau anzusehen ist, daß dem Spartakusbund neue Anweisungen und Richtlinien übermittelt werden würden für die Beurteilung der revolutionären Situation in Deutschland. Im Zusammenhang damit behandelten wir auch die Frage der Einigung der gesamten revolutionären Arbeiterschaft für die Eroberung der politischen macht in Deutschland. Es wurde festgestellt, und man kann mit dem Blick von außen auf Deutschland dieser Ansicht nur ohne jeden Vorbehalt zustimmen, daß die Vorbedingung des Sieges und der Erhaltung der gewonnenen politischen Macht die Einigung der revolutionären Arbeiterschaft ist. Von Moskau gesehen, und von uns vollinhaltlich bestätigt, sieht man die Situation für eine Einigung der Arbeiterschaft, die um die Diktatur des Proletariats kämpft, nicht unter so großen Schwierigkeiten, wie das vom Inlande selbst aus erscheint. Die Entwicklung der ökonomischen und politischen Verhältnisse zwingt die Arbeiterschaft über kurz oder lang zusammen, indem sie gewisse grundsätzliche Kampfparolen schafft, die die Grundlage für eine gemeinsame Aktion bilden können, wenn die Arbeiterschaft sich zu dem Selbstbewußtsein durchringt, die persönlichen Gehässigkeiten der Führer untereinander, die Spitzfindigkeiten in der gewaltsamen Differenzierung revolutionärer Taktik zu verhindern oder zum mindesten an zweite Stelle zu rücken. Solche Richtlinien sind in Deutschland bereits vorhanden, so die Bewaffnung der Arbeiterschaft und die Entwaffnung der Reaktion, der Kampf der Arbeiterschaft um die Beherrschung der Produktion. Die taktischen Unterschiede der Parteiprogramme mögen im einzelnen noch so bedeutend sein, grundsätzlich ist eine Einheitsfront der überwiegenden Mehrzahl der deutschen Arbeiterschaft hierfür bereits gegeben. Wir erklärten uns gern bereit, bei unserer Partei dafür einzutreten, eine Aktionsgemeinschaft für den Endkampf auf dieser Grundlage fördern zu helfen, wobei wir überdies die Hoffnung aussprachen, daß unsere Partei für die Schaffung einer solchen Aktionsgemeinschaft sicherlich die Initiative übernehmen würde.

Was die Behandlung des 2. Punktes „Berichterstattung über die Gründung der Partei und über die Stellung der Partei mit dem Hinblick auf den Beschluß, sich vorbehaltlos auf den Boden der III. Internationale zu stellen“ anlangt, so standen die offiziellen Verhandlungen unter dem Einflusse der eingangs erwähnten Schwierigkeiten und Mängel. Es fehlten uns, wie gesagt, schriftlich genügend fixierte, - detaillierte Grundlagen über das Parteiprogramm und die Entwicklung der Spaltung, so daß es leicht war, unsere Darstellungen als Einzelmeinungen der Personen aufzufassen und zu behandeln. Es wurden uns die Auslassungen aller möglichen unverantwortlichen Personen, zum Teil aus weitzurückliegender Zeit vorgehalten; und unsere Erklärung, daß die Partei als solche nicht für die Vorgänge aus der „Opposition“ in früheren Monaten verantwortlich zu machen sei, und daß insbesondere die K.A.P.D., die aus der Notwendigkeit wieder zur Aktionsfähigkeit zu gelangen, entstanden ist, sich zu der straffen Organisationsform, erst im praktischen Tageskampf durchringen und festigen muß, wurde nicht der Wert beigemessen, den sie nach unserer Ansicht verdient hätte. Und zwar wurde uns von der Exekutive erklärt, daß keine Veranlassung bestanden hätte, der K.A.P.D. insgesamt mit Mißtrauen zu begegnen. Sie könnten aber im gegenwärtigen Moment doch nicht unserer Organisation das Vertrauen schenken, das an und für sich selbstverständlich gewesen wäre, und zwar auf Grund der Mai-Adresse der Hamburger Organisation, gezeichnet von Genossen Laufenberg und Wolffheim, die zudem die offizielle Billigung der gesamten Partei für sich in Anspruch nahmen. Die Mai-Adresse wurde uns bei Beginn der einsetzenden Diskussion über unsern Antrag vorgelesen und blieb der Rahmen, in dem sich auch weiterhin die gesamten Verhandlungen bewegten. Die in dieser Adresse enthaltenen Ausführungen über die Erdolchung der Front, den Bürgerkrieg und den nationalen Aufstand, erschienen uns so ungeheurlich, daß wir von vornherein erklärten, es könne sich bei diesem Manifest nur um eine grobe Fälschung handeln. Wir beugten uns schließlich den Tatsachen, die Echtheit dieses Manifestes anerkennen zu müssen, und erklärten, daß wir es abgelehnt haben würden, eine Partei in Moskau zu vertreten, die derartige Ansichten in ihren Reihen duldet. Mag es sich hierbei um eine bewußte Provokation der Hamburger Laufenberg und Wolffheim gehandelt haben, zum Zwecke, die Partei ihren besonderen Ansichten dienstbar zu machen und die Delegation vor fertige Tatsachen zu stellen, so wollen wir nicht in den alten Fehler der Parteien verfallen, diese Angelegenheit zu persönlichen Differenzen auswachsen zu lassen. Wir erklärten, daß wir dafür eintreten würden, die Entfernung derartiger Tendenzen aus unserer Partei zu betreiben. Unsere Genossen werden verstehen, daß trotzdem eine solche Erklärung für die Tendenz der Verhandlungen, sofern sie unter dem Vorsitz eines Genossen geführt wird wie Karl Radek, der ein offeneingestandenes Interesse daran hat, die Politik des Spartakusbundes uns gegenüber zu verteidigen, davon wenig mehr beeinflußt wird. Wir waren von vornherein in eine aussichtslose Verteidigungsstellung gedrängt, die insofern aussichtslos war, weil wir naturgemäß keine Möglichkeit hatten, im Augenblick eine offizielle Erklärung der Gesamtpartei gegen diese Tendenzen vorlegen zu können, so daß unsere Meinungen immer nur als private aufgefaßt werden mußten. Die Exekutive gab uns offen zu verstehen, daß sie infolgedessen berechtigtes Mißtrauen gegen die Einheitlichkeit unserer Organisation hegen und dementsprechend auch ihre Beschlüsse fassen müsse.

Im Zusammenhang damit wurde uns eine Resolution des Genossen Rühle, die vom Wirtschaftsbezirk Ostsachsens angenommen worden war, vorgelegt, die sich gegen die Einheitlichkeit der Partei richtet, und die dem Mißtrauen der Exekutive uns gegenüber als einheitlicher Organisation neuen Nährboden gab. Der Standpunkt der Exekutive, daß im gegenwärtigen kritischen Augenblick der sozialen Revolution, wo gewissermaßen in der letzten Phase vor der Entscheidungsschlacht alle Kräfte zusammengefaßt werden müssen, eine straffe politische Partei als Kampfgruppenorganisation unbedingt notwendig sei, und daß die Tendenzen zur Auflösung der Partei im jetzigen Augenblick, mitten in den Vorbereitungen zum Endkampf, unbedingt lähmend wirken müßten, erkannten wir vollständig an. Wir gaben die Erklärung ab, daß auch die Mitglieder unserer Wirtschaftsbezirke, die sich für Autonomie der Organisation und für Umwandlung des Parteibegriffes in einen Gemeinschaftsbegriff eines mehr föderalistischen Bundes erklärt haben, nicht so verstanden zu werden wünschen, daß sie die disziplinierte Führung des Kampfes ablehnen, und die Notwendigkeit der zentralen politischen Partei, wie sie auch das Programm der K.A.P. anerkennt, in jedem Fall verneinen. Die Erklärung dieser Revolution aber, nur in der Partei zu bleiben, um die Partei aufzulösen, sprach, in den Worten vielleicht mißverständlich, zu sehr das Gegenteil. Wir sind davon überzeugt, daß nur durch rücksichtslose Offenheit der Ziele und Organisation einer Partei das Mißtrauen der deutschen Kommunisten gegen Parteien überhaupt, das zum großen Teile der Taktik des Spartakusbundes zuzuschreiben ist, überwunden werden kann und überwunden werden muß, wenn diese deutschen Kommunisten als tatsächliche Mitkämpfer in der Entscheidungsphase der sozialen Revolution wirken wollen. Es wird die Notwendigkeit an jeden einzelnen herantreten einer stärkeren Selbstdisziplinierung, um die erforderliche Disziplin der Kampfführung nicht als Autorität von oben erzwungen, sondern als die Gemeinschaftsbasis aller Kämpfer in disziplinarer Organisation von unten nach oben zu empfinden. Wir erklärten, daß wir diese parteizerstörenden Tendenzen als im Widerspruch stehend mit dem Programm unserer Partei betrachten, und daß wir dafür eintreten würden, von derartigen Tendenzen die Partei zu reinigen. Auch in diesem Fall wird es sich nicht darum handeln können, persönliche Differenzen und Beschimpfungen in die zu erwartenden Auseinandersetzungen hereinzutragen.

Es ist nur verständlich, daß nach diesen Auseinandersetzungen, die einen Verhandlungstag vollständig in Anspruch nahmen, unsere Verhandlungen über taktische Fragen wie unsere Stellung zum Parlamentarismus und zur Gewerkschaftsfrage viel von der Intensität, mit der sie hätten behandelt werden müssen, verloren hatte. In einem zweiten Verhandlungstag wurde diese Frage behandelt, und der Standpunkt der Exekutive, die eingehend in dem offenen Schreiben an die Mitglieder der K.A.P.D. niedergelegt ist, bekanntgegeben. Sie gipfeln im wesentlichen in der Behauptung, daß die Taktik der K.A.P.D. zum Sektierertum dränge, insofern die Gefahr bestünde, daß sie sich von den Massen entferne. Wir vertraten eingehend den Standpunkt der K.A.P.D. und wiesen insbesondere darauf hin, daß unsere Taktik gerade bestrebt wäre, an die Massen agitatorisch mit neuen Leistungen entgegen der früheren leeren Kritik heranzutreten, und daß es beispielsweise eine Aufgabe der „Allgemeinen ArbeiterUnion“ sei, den Kampf gegen die Gewerkschaften dadurch zu führen, daß den Mitgliedermassen die neue Organisationsform bereits in der Praxis vorgeführt wird. Sie stellen also als Organistion ein neues Kampfmittel gegenüber den bisher angewendeten dar. Wir hatten die Genugtuung, feststellen zu können, daß das Interesse über die Entwicklung und Ziele der „Allgemeinen Arbeiter-Union“ trotz des ablehnenden Standpunktes der Sekretäre ein sehr großes ist, und auch hier wieder zeigte sich das Fehlen grundsätzlicher eingehender Darstellungen über die Entwicklung und Ziele der „Allgemeinen Arbeiter-Union“. Es wurde uns eine Broschüre von Lenin, die sich „Kinderkrankheiten der linken Kommunisten“ betitelt, überreicht, und die im wesentlichen für die Beweglichkeit und Elastizität der. Taktik im revolutionären Kampf eintritt. Wir erklärten uns im Prinzip mit den darin enthaltenen Leitsätzen einverstanden, und wir gaben auch zu, daß eine gewisse Erstarrung in unserer Taktik, im Abwehrkampf, den wir gegen die gegensätzlichen Meinungen zu führen haben, bei uns eingetreten ist. Soweit sich die Broschüre aber mit einer Kritik der deutschen Verhältnisse befaßt, die wie Lenin selbst uns gegenüber zugegeben hat, auf einseitige Darstellung über die Entwicklung der deutschen Arbeiterschaft zur sozialen Revolution zurückzuführen ist, haben wir nicht versäumt, auf die darin enthaltenen Irrtümer hinzuweisen. Was die Frage des Parlamentarismus angeht, so vermißt man in Rußland gleichfalls eine eingehende Analyse der politischen Situation, die unsern Standpunkt, daß die Wahlen zum Parlament unter besonderer Berücksichtigung der Gedankenrichtung der deutschen Arbeiterschaft und vor allem hier wiederum der außerhalb des politischen Kampfes stehenden Indifferenten, auf die Entwicklung der sozialen Revolution lähmend wirken muß, recht gibt. Zusammenfassend läßt sich hierüber sagen, daß die Formulierung der taktischen Grundeinstellung der 3. Internationale erst auf dem jetzt stattfindenden Kongreß entschieden werden wird. Es erscheint trotz des zweifellosen Uebergewichts der russischen Genossen auf diesem Kongreß keineswegs sicher, daß der Kongreß die Thesen der Exekutive unverändert annehmen wird, zum mindesten kaum mit zwingendem Charakter auf die augenblicklichen deutschen Verhältnisse und auf die taktischen Ziele unserer Partei. Es wird unsere Aufgabe sein, nicht nur eingehend unseren Standpunkt zur Gewerkschaftsfrage über die leere Kritik hinaus, darzulegen, sondern in Fühlungsnahme mit den Bruderorganisationen Amerikas, Hollands, Norwegens und der Schweiz, die im wesentlichen auf unserm Standpunkt stehen in Verbindung mit den russischen Gewerkschaften, die vollkommen auf dem Prinzip der „Allgemeinen Arbeiter-Union“ aufgebaut sind, entsprechende Anträge und Leitsätze dem Kongreß vorzulegen, die, ohne den auch von uns begrüßten einheitlichen Kampfcharakter der 3. Internationale zu sprengen, Raum lassen für unsere Taktik in der Gewerkschaftsfrage und in der Behandlung des Parlamentarismus. In diesem Sinn haben wir die Erklärung abgegeben, bei unserer Partei dafür einzutreten, daß wir uns den Beschlüssen des Kongresses der 3. Internationale unterwerfen werden.

In der Antwort, die uns erst kurz vor der Abreise übergeben wurde, so daß wir keine Gelegenheit mehr hatten, uns dazu zu äußern, wird als weiterer Punkt die Schaffung eines gemeinsamen Organisations-Komitees mit dem Spartakusbund vorgesehen. Das offene Schreiben enthält in der Frage der Spaltung nachweisbare Irrtümer, die wir leicht hätten bei vorhergehender Fühlungsnahme, auf die wir immer gedrängt haben, aufklären können. Wir haben in den verschiedenen persönlichen Besprechungen mit russischen Genossen wie Lenin, Sinowjew, Bucharin, ferner in den offiziellen Verhandlungen mit den Mitgliedern der Exekutive immer wieder sachlich und eingehend auseinandergesetzt, was uns vom Spartakusbund trennt, und warum die Spaltung, vom Spartakusbund provoziert, schließlich auch für uns eine absolute Notwendigkeit geworden ist. Wir erklärten, daß die Fragen der Taktik, in denen sich die Parteien unterscheiden, beinahe unterordneter Bedeutung sind, weil sie schließlich nur ein Ausfluß des Grundprinzipes des Spartakusbundes sind, dem des absoluten autoritativen Machtprinzipes einer Führerschaft gegenüber der Arbeiterschaft. Die taktischen Unterschiede haben sich entwickelt durch die schwankende Haltung, durch die Unfähigkeit der damaligen und jetzt noch gebliebenen Führer des Spartakusbundes gegenüber allen Fragen der sozialen Revolution nach den Monaten der ersten Niederschläge, Anfang 1919. Wir können mitteilen, daß die russischen Genossen mit unserer Auffassung darüber ziemlich allgemein einverstanden sind. Sie sind nur der Meinung, daß in Deutschland die kommunistische Partei durch das moralische Uebergewicht der russischen Partei und der Exekutive gestützt werden muß, und daß es möglich sein muß, allmählich auch unfähige Führer zu fähigeren Instrumenten der Weltrevolution zu erziehen. Sie sind der Meinung, daß die Zeit, neue Führer, die „autoritativen“ Charakter bei der Arbeiterschaft tragen, zu erziehen und zu erproben, nicht gegeben wäre. Karl Radek gab gegenüber Anfragen seiner russischen Parteigenossen über die Führer des Spartakusbundes die Erklärung ab, daß sie in der verhältnismäßig kurzen Zeit der intensiveren Entwicklung der Revolution nicht genügend Gelegenheit gefunden hätten, sich Autorität bei der Arbeiterschaft zu sichern, und daß aus diesem Grunde die Exekutive darin nachhelfen müsse. Interessant ist weiter die ausdrückliche Erklärung Karl Radeks, daß er selbst, nachdem er anfänglich für die Spaltung eingetreten sei, im Momente des Zusammentretens der Heidelberger Konferenz an Dr. Paul Levi einen Brief gerichtet habe, der auf Grund neu gewonnener Erkenntnisse über die Entwicklung der deutschen Arbeiterschaft in der Phase der Sozialen Revolution verfaßt ist, und worin er dringend von einer Spaltung abriet, da die Zeit für die Spaltung in der deutschen kommunistischen Partei damals noch nicht gegeben sei. Er hätte vor übereilter Spaltung gewarnt, solange die damals im Vordergrund stehenden angeblich syndikalistischen Tendenzen noch nicht genügend in der Arbeiterschaft ausgereift seien, um eine Spaltung verantworten zu können. Nachdem aber Dr. Levi diesen Brief nicht rechtzeitig erhalten habe, sei an den Tatsachen nichts mehr zu ändern gewesen, und man müsse sich jetzt eben mit diesem taktischen Fehler abfinden. Und gerade deswegen benötige auch der Spartakusbund um so mehr der moralischen Unterstützung der Exekutive.

Wir begrüßten diese offene Aussprache, wiesen aber darauf hin, daß Autorität, die im Kampfe Trägerin der Disziplinargewalt sein soll, nur dann auch von uns verstanden und gebilligt werden könnte, wenn Autorität gleichbedeutend ist mit Vertrauen. Wir wiesen ferner darauf hin, daß der Führerschaft des Spartakusbundes unter der überwiegenden Mehrheit der Arbeiterschaft, die 1919 als Vortrupp in die soziale Revolution in Deutschland eingetreten ist, dieses Vertrauen fehlt, zum mindesten, daß sie dieses Vertrauen sich durch ihre Methoden der Kampfführung innerhalb der Parteien und der Meinungskämpfe verscherzt habe. Die Entwicklung der Auseinandersetzungen mit dem Spartakusbund zeigt, daß es sich nicht um gelegentliche Entgleisungen überreizter Personen handelt, sondern daß ein System zugrunde liegt. Es ist eine neue Krise, in die die deutsche Arbeiterschaft gestoßen wird, die den revolutionären Kampf will und möglichst wenig mit Systemfragen der Psychologie und ihren Auswirkungen zu tun haben will, jetzt darüber entscheiden zu sollen, ob sie einer autoritären Organisation von oben nach unten angehören will oder ob sie den dornenvollen Weg der Selbstbewußtseinsentwicklung vorher durchmachen will, um reif zu werden für den Vortrupp der sozialen Revolution. Die Verhältnisse in Deutschland haben es, vielleicht zum Glück, mit sich gebracht, daß ein Teil dieser Fragen schon im Werden der Revolution zur Entscheidung steht. Und es ist nicht so sehr eine rein deutsche Angelegenheit, sondern es ist ein Problem der gesamten westeuropäischen Arbeiterschaft, das hier zur Behandlung steht. Wir wollen nicht die Augen verschließen vor der Schwierigkeit, hier eine Lösung schnell zu finden. Als sicher darf aber gelten, daß, wer den Unterschied der Grundeinstellung beider kommunistischer Parteien erkannt hat, es für eine Unmöglichkeit hält, einer etwaigen und kommenden Verschmelzung beider kommunistischer Parteien jetzt das Wort zu reden. Es bedeutet den revolutionären Willen und das Rückgrat der Selbstbewußtseinsentwicklung unserer Mitglieder, die mit den häßlichsten Mitteln angefeindet worden sind, zu brechen, ihnen den Gedanken nahelegen zu wollen, mit dem Spartakusbund eine einheitliche Organisation, die eine große kommunistische Familie jetzt zu bilden. Wir sind uns bewußt, daß auch auf unserer Seite im Abwehrkampf mit häßlichen Mitteln gearbeitet worden ist. Wir sind ferner davon überzeugt, daß die Auseinandersetzungen mit dem Spartakusbund, die im Grunde internationale Bedeutung haben, in ein sachliches Fahrwasser gebracht werden müssen. Wir sind weiter davon überzeugt, daß es ein Leichtes sein kann, wenn der gute Wille, zum Endziel der gegenwärtigen Revolution zu gelangen, die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse, vorhanden ist, genau abzugrenzen, wie weit eine Verbindung innerhalb der Aktion mit dem Spartakusbund möglich ist und wie weit sie möglich sein muß. Wir glauben daher empfehlen zu können, den Vorschlag der Schaffung eines Organisations-Komitees anzunehmen. Die russischen Genossen haben uns erklärt, daß eine neue Persönlichkeit, die durch den Parteikampf nicht kompromittiert und belastet worden ist, an die Spitze, in den Vorsitz dieses Aktions-Komitees als Vertreter der Exekutive delegiert werden wird.

Schließlich bringen wir die Aufforderung mit an die Partei, Delegierte zu dem neuen Kongreß zu entsenden. Wir bitten auf Grund eigener Erfahrungen, diese Delegierten mit eingehendem Material und genauen Instruktionen der Mitgliedschaft zu versehen. Der Kongreß wird eine internationale Bedeutung erlangen, insofern der allgemeine Wunsch besteht, auf dieser Tagung erst gewissermaßen die Internationale in Wirksamkeit treten zu lassen. Es ist bekannt, daß die Gründung der 3. Internationale eine taktische Notwendigkeit war, die bis zu einem gewissen Grade der Entscheidung des internationalen Proletariats selbst vorweggenommen werden mußte. Unzweifelhaft wird die Entscheidung des revolutionären klassenbewußten Proletariats für die 3. Internationale ausfallen; und die dort gefaßten Beschlüsse werden dazu angetan sein, der Entwicklung der Weltrevolution durch straffe Zusammenfassung ein neues Tempo vorzuschreiben. Die K.A.P.D. wird gewiß dem nicht hindernd entgegenstehen wollen. Wir dürfen aus Kenntnis der Verhältnisse unserer Partei sagen, daß kein sogenannter Führer unserer Partei den Ehrgeiz hat, seine Person in den Vordergrund zu stellen, wie es in dem erwähnten offenen Brief angedeutet wird, noch sich eine Minute überlegen würde, zurückzutreten, wenn seine Person der Entwicklung der Einigung der revolutionären Arbeiterschaft für den Endkampf entgegenstehen würde.

Wir teilen noch mit, daß die russischen Genossen uns bereitwilligst die Spalten ihrer Tageszeitungen zur Darlegung unserer Absichten über die politische und ökonomische Lage in Deutschland sowie über unsere Kampfmethoden zur Verfügung gestellt haben. Wir haben Aufsätze in den gewerkschaftlichen Fachblättern sowie in einer volkswirtschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht. Desgleichen auch einige Artikel in den Tageszeitungen. Wir haben fernerhin keine Gelegenheit versäumt, auch in persönlichen Kontakt mit den russischen Genossen zu treten, und haben in einer Betriebsversammlung der Prochorow-Fabrik, einer der größten russischen Textilmanufakturen, die über 8000 Arbeiter beschäftigt, sowie in einer von vielen Tausenden besuchten öffentlichen Versammlung des BresnayaRayon als Referenten gesprochen. In beiden Versammlungen wurden Resolutionen angenommen, die den Gruß der russischen Kommunisten und des russischen Proletariats an das deutsche Proletariat und an die K.A.P.D. aussprachen und die hofften, daß es der deutschen Arbeiterschaft gelingen wird, in einheitlicher geschlossener Front die Macht des Kapitals und der Gewerkschaftsbureaukratie zu brechen. In beiden Versammlungen kam in der Diskussion zum Ausdruck, daß das russische Proletariat von den deutschen Genossen erwartet, daß sie durch ihren Sieg imstande sein werden, beim Wiederaufbau Sowjet-Rußlands mitzuhelfen. Die Resolutionen brachten fernerhin zum Ausdruck, daß das russische Proletariat bereit ist, neue Opfer und Lasten auf sich zu nehmen und durch tatkräftige Unterstützung die Entwicklung der deutschen Revolution zu beschleunigen und im Falle des Sieges die Sicherung der gewonnenen Macht mit verteidigen zu helfen. Wir haben ferner unser Bestreben darauf gerichtet, Verbindungen mit den Bruder-Organisationen des Auslandes aufzunehmen und zu festigen. Wir haben solche Verbindungen angeknüpft und den beiden kommunistischen Parteien in Amerika sowie mit den I.I.W., mit der „British Socialist Party“, der Norwegischen Arbeiterpartei, den Jungsozialisten in Schweden und Dänemark, der Schweizer Kommunistischen Partei, der lettischen und tschechoslowakischen kommunistischen Partei und der in Gründung begriffenen kommunistischen Partei Finnlands. Es ist Aussicht vorhanden, daß wir das Netz unserer Verbindungen bald auch über die proletarischen Parteien der übrigen Länder, deren Vertreter wir nicht erreichen konnten, durch Mittelsleute inzwischen werden aufnehmen können.

Wir haben Euch, Genossen, unsere Meinungen offen ausgesprochen ohne Rücksicht auf taktische Erwägungen. Wir überlassen die Entscheidung Euch, wir empfehlen Euch, die erwähnten Punkte anzunehmen, damit sich auf dem kommenden Parteitag das Programm der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands aus den Kinderkrankheiten der Organisation klar und frei zu voller Aktionsfähigkeit entwickelt. Die Ansicht unserer Partei über die politische und ökonomische Lage in Deutschland hat sich als die richtige erwiesen. Die Zeit für die soziale Revolution ist in Deutschland gekommen. Jetzt gilt nur das eine Ziel: sich einzuordnen in die Reihen der proletarischen Kämpfer, alle Rücksichten auf persönliche Verstimmungen, alle Abweichungen, theoretischen Erwägungen zusammenzuschweißen, um der Revolution in Deutschland zum Siege zu verhelfen!

Es lebe die proletarische Revolution in Deutschland!
Es lebe die Weltrevolution!

 


Zuletzt aktualisiert am 15.5.2011