Protokoll des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands

 

Erster Verhandlungstag
Montag, den 30. Dezember 1918
Vormittagssitzung

Genosse Ernst Meyer begrüßte im Namen der Zentrale den Parteitag.

Genosse Meyer [Zentrale]: An dem Tage, an dem wir zum ersten Male in aller Öffentlichkeit verhandeln, wollen wir einen kurzen Rückblick werfen auf die Geschichte unserer Bewegung. Bereits in den ersten Tagen des August 1914 fand sich ein kleiner Kreis, der jetzt noch bei uns weilt, zusammen, um zu beraten, wie man der imperialistischen Strömung begegnen könne. Dem Brief Liebknechts folgte eine Reihe von Publikationen im In- und Auslande. Zu gleicher Zeit, als die Genossen schriftlich zu werben versuchten, fanden eine Reihe von Versammlungen und Sitzungen statt. Wir suchten so viel wie möglich in den breiten Massen zu wirken. Im Winter 1914/15 Flugblatt (Die Welt speit Blut –), das im Ausland abgedruckt wurde und als erstes Zeugnis der Arbeiterklasse gegen den Krieg zu bewerten ist. Referentenmaterial. In den ersten Wochen war noch keine scharfe Trennung zwischen dem linken Flügel der USP und uns zu spüren. Sehr bald bildeten sich aber die Gegensätze heraus und zwangen uns, eigenes Material herauszugeben. Im Frühjahr 1916 wurden diese Publikationen zum ersten Male gezeichnet mit „Spartakus“. Dieser Name mehr zufällig. Infolge der wütenden Hetze namentlich der ? Korrespondenz. [1] Wir sind mit dem Namen verbunden und sind heute stolz darauf. Diese publizistische Tätigkeit wurde unterstützt von der parlamentarischen Tätigkeit der Genossen Liebknecht und Rühle. 1916 erste Konferenz in der Wohnung des Genossen Liebknecht. Dort die Leitsätze angenommen.

Ihr Zweck war die scharfe Scheidung von den Mehrheitssozialisten. Mit der Beitragssperre trieb der Spartakusbund einen scharfen Keil in die alte Partei. Weiter kam die Konferenz von Gotha, die Konstituierung der USP. Die Zentrale hat den Eindruck, daß diese Arbeitsgemeinschaft nicht von Schaden gewesen ist, solange sie gedauert hat, daß sie unserer prinzipiellen Klarheit nicht geschadet hat. Die Zentrale hat ihre Tätigkeit immer in erster Linie auf die Wirkung auf die Massen eingestellt. Sie hat großen Einfluß auf die Stimmung, das Urteil und die Aktivität der Masse ausgeübt.[2]

Die Konferenz beschloß, an die Genossen Mehring und Zetkin, die treuen Berater und Vorkämpfer des Spartakusbundes von seiner Entstehung ab, Begrüßungstelegramme zu senden.

 

 

l. Punkt der Tagesordnung:
Die Krisis in der USP

Genosse Liebknecht [Zentrale]: Genossen! Die USP, wie sie heute noch zu bestehen scheint, zu verstehen, bedarf es eines Rückblicks auf ihre Entstehung. Sie ist entstanden im Verlaufe der Zersetzung der alten Sozialdemokratie, die latent war und mehr oder weniger stürmisch eingesetzt hatte längst vor dem Kriege, die durch den Krieg mit außergewöhnlicher Geschwindigkeit bis zur Spitze getrieben worden ist und bisher noch nicht ihren Abschluß erreicht hat. Die USP ist schlechthin ein Produkt aus den prinzipiellen und taktischen Gegensätzen, die bestanden haben vor dem Kriege, sie ist als ein Gelegenheitsprodukt während des Weltkrieges entstanden. Die USP hat sich zusammengesetzt aus den allerverschiedensten Elementen. Sie ist entstanden aus der „Arbeitsgemeinschaft“, die zunächst nur einen mehr oder weniger parlamentarischen Charakter trug. Erst nach eineinhalb Jahren gelang es, die Mehrzahl der Fraktionsangehörigen auf eine bestimmte oppositionelle Basis zu bringen. Die Spaltung von den Regierungssozialisten erfolgte am 16. März 1916. [3] Das war bereits die zweite Spaltung. Ihr vorangegangen war die erste, prinzipielle Spaltung, die sich durch das Abtrennen des Genossen Rühle und meiner Wenigkeit kennzeichnete. Die Fraktion der „Arbeitsgemeinschaft“ hat lange Zeit, wie ich bereits hervorhob, nur ein parlamentarisches Dasein geführt. Eine selbständige Konstituierung der USP erfolgte erst im Jahre 1917. Die Art, in der die Kämpfe im Parlament geführt wurden von der „Arbeitsgemeinschaft“ und von der nun selbständig gewordenen Fraktion der USP, ist Ihnen bekannt. Sie ist keineswegs die Aktion einer zielklaren, rücksichtslos die Interessen des internationalen Proletariats vertretenden Klassenpolitik, sondern sie ist beherrscht von dem unausgesetzten Hinundherschwanken, Lavieren, von einer vollkommenen Aktionsunfähigkeit. Weder die „Arbeitsgemeinschaft“ noch die USP hatten ein Programm, hatten theoretisch klare Grundsätze, hatten ein taktisches Aktionsprogramm. Bis zum heutigen Tage besteht diese Tatsache, und diese Tatsache der völligen Prinzipienlosigkeit in den Grundsätzen und in der Taktik, in der Aktion, diese Tatsache ist nicht eine zufällige Wirkung irgendeiner persönlichen Nachlässigkeit, irgendeines äußeren Versehens, eines Versäumnisses, sondern ist die Wirkung dessen, daß die USP nach ihrer ganzen Zusammensetzung einfach unfähig ist, ein Programm zu schaffen und eine wirkliche Aktion zu führen. Diese Unfähigkeit erklärt sich aus der Zusammensetzung der Partei. Jeder Versuch, die Partei in ein klares Fahrwasser zu bringen, jeder Versuch, sie zu nötigen, eine rücksichtslos proletarische Politik zu betreiben, mußte scheitern, weil, wenn er durchgeführt worden wäre, er sofort zu einer Spaltung in der Partei geführt haben würde. Es gehören zur Partei Revisionisten reinsten Wassers, wie Eduard Bernstein und Genossen, die, durch die besondere Konstellation der Kriegspolitik, durch besondere Sympathien internationalen Charakters, durch Traditionen, von denen sie sich nicht mit der Geschwindigkeit der Umlerner vom 4. August haben losreißen können, [beeinflußt, der USP beitraten,] die [aber] in ihren grundsätzlichen reformistischen Auffassungen vollkommen die alten geblieben sind. Und derartige Mitglieder gibt es eine große Zahl. Das gilt sowohl von den sogenannten Führern wie von den Massen.

Dieser Charakter der USP hat es verhindert, daß sie im Parlament und außerhalb des Parlaments eine Politik treiben konnte, die den zum Klassenkampf bereiten Sozialisten und Proletarier befriedigen konnte. Sie war aber das unter den damaligen Verhältnissen relativ noch erträglichste, erschien jedenfalls in weiten Kreisen so, zumal es unserer Richtung durch die Verfolgungen, durch Inhaftsetzung einer großen Zahl der Mitglieder unmöglich wurde, mit ganzem Nachdruck in der Öffentlichkeit aufzutreten. Es ist kein Zweifel, daß diese Politik der scheinradikalen Impotenz, die die USP kennzeichnet, in der Tat nur in ganz bedingtem Sinne nützlich, vorantreibend gewirkt hat. Nur sehr bedingt, denn gerade die parlamentarische Tätigkeit der USP, die in erster Linie dazu beigetragen hat, sie in gewissen Kreisen populär zu machen, war doch gleichzeitig eine Tätigkeit im Sinne des parlamentarischen Kretinismus. („Sehr richtig!“) Eine Tätigkeit, die durchaus in den Bahnen der alten parlamentarischen Taktik aus der Vorkriegszeit sich bewegte und es geradezu peinlich vermied, mit derjenigen rücksichtslosen Schärfe aufzutreten, die notwendig war, die das Gebot der Stunde war. Es wurde vermieden, die einzige Politik zu führen, die in dieser Zeit im Parlamente geführt werden mußte: eine Politik antiparlamentarischen Charakters mit dem Ziel der Sprengung dieses Parlaments. Immer wieder der Gedanke, wenn wir zu heftig auftreten, dann werden wir Schwierigkeiten haben. Die wollen wir nicht haben. Und so werden wir im alten Trott weiterarbeiten. Und die radikalen Reden, die von Haase bis Ledebour gehalten wurden, sie konnten nach der ganzen Politik nur dazu beitragen, in den Massen den Eindruck zu erwecken, als ob etwas für sie geschehe.

Genossen, das ist ja das Kennzeichen des parlamentarischen Kretinismus, das ist seine schlimmste Wirkung, daß er, statt die Massen aufzupeitschen, die Massen beruhigt in dem Wahn, daß ja tüchtige Vertreter ihre Interessen im Parlament schützen. Genossen, die parlamentarische Tätigkeit der „Arbeitsgemeinschaft“, der USP hat sich in geradezu gefährlicher Weise gezeigt bei der Baralong-Affäre [4], in ihrer Haltung gegenüber der russischen Revolution, in ihrer schwächlichen Haltung gegenüber dem Zersetzungsprozeß, den Meuterungserscheinungen in der Armee und in der Marine, in ihrer Haltung gegenüber dem großen Januarstreik usw. In allen Fällen, wo es sich um wirklich revolutionäre Aktionen der Masse handelte, in allen diesen Fällen hat die Fraktion im Reichstag gänzlich versagt, und dem entsprach auch die außerparlamentarische Politik der USP.

Genossen, es ist bis zur Revolution vom November eine gewisse innere Wandlung eingetreten gewesen, insofern, als einzelne Mitglieder der USP und gerade aus der Leitung der USP sich sehr energisch beteiligt haben an der sogenannten Vorbereitung der Revolution. Sowenig ich die Bravheit und Tüchtigkeit der Genossen in dieser Beziehung bezweifeln will, es muß darauf hingewiesen werden, daß sich auch in dieser Tätigkeit eine außerordentlich beschränkte Auffassung zeigt über das Wesen der Revolution, über die Aufgaben, die eine politische Partei zu verrichten hat. Es wurde von einer geradezu kindlich-mechanischen Auffassung ausgegangen, wie man die Revolution zu machen habe. Es wurden technische Vorbereitungen als das wichtigste betrachtet. Man glaubte, bestimmte Tage im voraus festsetzen zu können, an denen man die Revolution programmäßig machen wollte, und man hielt es geradezu für ein Verbrechen an der Revolution, wenn man wünschte und verlangte, daß an einem früheren Tage die Revolution gemacht werden müsse. Wenn man früher anfinge, würde alles durcheinanderkommen. Diese kindliche Auffassung ist ein Kennzeichen für die prinzipielle Unklarheit auch dieser an sich verwendbaren und nicht wertlosen Mitglieder der USP. Sie zeigten den Hauptmangel ihrer ganzen Aktion, ihrer ganzen politischen Auffassung, die Verkennung der entscheidenden Bedeutung der Massenaktionen selbst, die Überschätzung der bürokratischen, parlamentarischen und anderer Arbeiten, von denen man das Heil erwartet.

Genossen! Dasjenige, was ich Ihnen zur Kritik der USP bisher mitgeteilt habe, ist nicht etwas, was uns überrascht hat. Wir waren uns von vornherein klar über dieses Wesen der USP. Wir kannten die Grenzen ihrer Wirksamkeit, ihre schweren Mängel vollkommen. Trotzdem, Genossen, schlossen wir uns, wie Ihnen bekannt, in Gotha der Partei an, wenn auch in einer sehr lockeren Weise mit vielen Vorbehalten. Das Wesentliche war, daß wir uns, wie in allen Aktionen früher, die absolut freie Initiative und Selbständigkeit in der Aktion vorbehielten. Es wurde erklärt: Wir sind mit Euch, wenn Ihr ernstlich kämpft. Wir werden ohne Euch handeln, wo Ihr versagt. Wir werden gegen Euch sein, wenn Ihr Eure Pflicht vernachlässigt. In diesem Sinne ist unsere Tätigkeit in der USP gewesen. So ist wenigstens mit unserem Willen nicht in einem Augenblick durch diese Zugehörigkeit unterbunden worden, verhindert worden dasjenige, was geboten war durch die Pflicht des revolutionären Sozialismus.

Genossen! Wir haben der USP angehört, um aus der USP herauszuschlagen, was herausgeschlagen werden kann, um die wertvollen Elemente der USP voranzutreiben, um sie zu radikalisieren, um auf diese Weise schließlich bei einem Zersetzungsprozeß, bei weiterem Fortgang des Zersetzungsprozesses zu erreichen, daß möglichst starke revolutionäre Kräfte gewonnen werden könnten für die Zusammenfassung in einer geschlossenen, einheitlichen, revolutionären proletarischen Partei. Wir haben uns an dieser Arbeit abgemüht, es war eine Sisyphusarbeit schwierigster Art. Ich habe einmal aus dem Zuchthaus heraus geschrieben, geheim natürlich: „Ich zerbreche mir jetzt seit Wochen und Wochen Tag und Nacht den Kopf, wie man aus Sandsäcken oder Mehlsäcken Feuer schlagen kann. Es gelingt nicht, beim besten Willen nicht.“ [5] Das, was erreicht wurde, war außerordentlich gering. Und trotzdem, Genossen, wir haben die Mitgliedschaft der USP benutzt, um die Massen zu gewinnen für unsere Grundsätze, wenn wir die Führer nicht gewinnen konnten. Da ist es uns schon besser gelungen, da haben wir in der Tat Proselyten gemacht, und das Ergebnis wenigstens dieses inneren Kampfes in der USP, den wir geführt haben bis zum heutigen Tage, ist, daß wir heute bei einer so stattlichen Korona von Vertretern aller größeren Orte Deutschlands verhandeln können über die weiteren Schicksale der USP, über unser weiteres Schicksal.

Genossen! Seit dem November hat sich die Politik der Prinzipienlosigkeit, Halbheit, Unentschlossenheit, die Politik des heimlichen Verrats in den maßgebenden Instanzen der USP gesteigert bis zu einem Grade, der uns vor die Entscheidung stellt, wie wir künftig unser Verhältnis zur USP einrichten wollen. Mitglieder der Leitung der USP sind in das Kabinett Ebert-Scheidemann eingetreten, in ein Kabinett mit Mehrheitssozialisten, obwohl die Mehrheit bereits am Abend des 9. November zum Ausdruck brachte, daß sie keine klare, proletarisch-revolutionäre Politik zu treiben gedächte, nachdem ich sie vor diese Frage gestellt hatte. Sie haben seit dem 9. November mit Ebert-Scheidemann zusammengewirkt und damit zweierlei getan. Sie haben erstens als Feigenblatt gedient für die Ebert-Scheidemann. Sie haben den Eindruck der Einigkeit, die Parole der Einigkeit vertreten, der Einigkeit mit den Mehrheitssozialisten durch ihre Zusammenarbeit. Sie haben in den Massen das Gefühl für einen Unterschied zwischen der Politik der USP und [der] der Mehrheitssozialisten geradewegs verwischt. Sie haben damit als Feigenblatt gedient nicht nur für die Ebert-Scheidemann, sondern für die ganze Gegenrevolution, deren geheime Agenten die Herren Scheidemann, Ebert und Genossen sind. Sie haben damit in die Massen der Arbeiter Verwirrung getragen, ein Verbrechen, das gerade in einer revolutionären Periode auf das schwerste wiegt. Sie haben sich aber damit nicht begnügt. Sie haben allen den infamen Akten, die von der sogenannten sozialistischen Regierung seit dem Anfang November vorgenommen worden sind, sei es durch Duldung Vorschub geleistet, sei es geradezu durch Mittäterschaft ihren eigenen Stempel mitaufgedrückt.

Genossen! Die Politik des Kabinetts hat eine gerade, klare Linie vom ersten Tage an gehabt. Das war die Linie der Niederhaltung der sozialistischen Revolution, der Niederhaltung der revolutionären Strömung im Proletariat, der Wiederaufrichtung und Befestigung der kapitalistischen Klassenherrschaft. Vom ersten Tage an wurde die Heiligkeit des Privateigentums proklamiert. Sie stellten sich vor die Geldsäcke des großen Kapitals. Es wurde von der Regierung ein Feldzug inszeniert zur Beruhigung der Arbeiter, gegen Streikbewegungen, und es war ein unabhängiges Mitglied der Regierung, Barth, das sich herumschicken ließ von Ebert-Scheidemann als Wanderredner, überallhin, wo Unruhen in der Arbeiterschaft auszubrechen drohten, uni die Arbeiterschaft zu beruhigen und [ihr] ihre Pflicht klarzumachen, still und ruhig unter dem Joche des Kapitalismus weiterzuschuften. Genossen! Es ist ein Mitglied der USP gewesen, das sich dazu hergegeben hat, mit Billigung aller Mitglieder des Kabinetts. Die Regierung hat sich damit nicht begnügt, sondern im Einverständnis mit den USP-Mitgliedern ist der ganze alte bürokratische Apparat wieder in seine Funktionen eingesetzt worden und damit den herrschenden Klassen eine ihrer stärksten Machtpositionen zurückgegeben worden. Es ist weiterhin mit Billigung der USP-Mitglieder die Kommandogewalt wiederhergestellt worden und damit den gegenrevolutionären Offizieren das Schwert in die Hand gedrückt worden, um die Revolution niederzuschlagen. Es wurde von der Regierung unter der Hand und öffentlich alles getan, um die herrschenden Klassen und die Klassenherrschaft wieder fest in den Sattel zu setzen, und nichts wurde dagegen von den Haase und Genossen getan, wohl aber vieles dafür getan. Wir brauchen uns nur die Vorgänge vom 6. Dezember zu vergegenwärtigen: das Blutbad, der Versuch, ein Präsidium Ebert zu schaffen. [6] Alle die Ereignisse vom 6. Dezember, sie sind veranlaßt durch die Politik des Kabinetts in seiner Gesamtheit. Es kann kein Zweifel obwalten, daß mindestens die Mitglieder Ebert, Scheidemann, Landsberg Mitwisser des Putsches waren, wenn nicht seine Organisatoren. Es waren Dinge, die die Spatzen von den Dächern pfiffen, die dokumentarisch bewiesen werden konnten. Die Haase und Genossen blieben im Kabinett.

Es kam der Rätekongreß. Auf dem Rätekongreß wurden die reaktionärsten Beschlüsse gefaßt unter Mitwirkung der unabhängigen Mitglieder. Auf dem Rätekongreß wurde der Zentralrat zu einer Marionette herabgewürdigt, ohne daß die Unabhängigen die Folgerung daraus zogen, aus dem Kabinett auszutreten. Es war die Frage Nationalversammlung oder Rätesystem. In dieser Frage kann es Meinungsverschiedenheiten nicht geben in einer proletarischen Partei. Hier scheiden sich die Wege schlechthin. Rätesystem heißt Diktatur des Proletariats, heißt alle Macht in den Händen des Proletariats zur Durchführung der sozialen Revolution, der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Nationalversammlung heißt Wiederherstellung des bürgerlichen Parlamentarismus, Wiedereinsetzung der Klassenherrschaft, Erdrosselung der sozialen Revolution. Das ist eindeutig. Aber unter Schändung des Wortes Demokratie wurde von der großen Mehrheit der Unabhängigen Sozialdemokratie die Nationalversammlung propagiert und das Rätesystem, die Parole: Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten, bekämpft. Das war Hochverrat an der Revolution. Und dieser Hochverrat wurde vollendet auf dem Rätekongreß.

Genossen! Es wurde längst vor dem Rätekongreß die Forderung erhoben, daß über diese wichtige Frage, Nationalversammlung oder Rätesystem, daß über die ganzen Fragen der inneren Politik ein Parteitag bestimmen soll. Es war nicht möglich, einen Parteitag zusammenzubringen. Es wurde von den zuständigen Instanzen schlechterdings abgelehnt, einen Parteitag zusammenzuberufen.

Genossen! Aus der ganzen Politik, die ich eben gekennzeichnet habe, erwuchs eine Verwirrung in den Arbeitermassen, erwuchs eine Verwirrung in den Soldatenmassen. Die Unabhängigen duldeten es, daß eine wahnsinnige Hetze gegen die revolutionären Elemente der deutschen Arbeiterschaft betrieben wurde, daß die Fronttruppen geradezu gereizt wurden durch falsche Vorstellungen über die Vorgänge im Innern Deutschlands. Es wurde von der Regierung unterlassen, revolutionäre Aufklärung, revolutionäre Begeisterung in die Arbeiter- und Soldatenmassen zu tragen. Und all das haben mitgemacht, haben mitgeduldet und geradezu mitverschuldet die unabhängigen Leute in der Regierung. Sie sind es, die dadurch geschaffen haben die Voraussetzungen, unter denen sich die gegenrevolutionären Mächte so rapid entwickeln konnten, wie sie es getan haben bis zum heutigen Tage. Sie haben damit den Untergrund geschaffen für den Konflikt vom 6. Dezember, für den 23. und 24. Dezember in Berlin. [7] Auch die Blutschuld dieser Tage liegt mit auf den Mitgliedern der USP. Sie sagen, sie haben davon nichts gewußt. Sie mußten davon wissen. Sie sagen, sie haben nichts davon gewußt; wenn sie nichts davon wußten, so wußten sie doch und mußten sie doch wissen, daß durch ihre ganze bisherige Politik die gegenrevolutionären Mächte dermaßen gewachsen waren, daß man jeden Augenblick mit ihrem Eingreifen zu rechnen hatte. So durften sie nun und nimmer mit Ebert-Scheidemann weiter Gemeinschaft machen. Sie hätten längst ausgetreten sein müssen, wenn sie nicht die Verantwortung trugen. Sie trugen die Verantwortung für alles, was Ebert-Scheidemann, wenn auch hinter ihrem Rücken, getan haben, weil sie, wenn sie nicht pflichtvergessen und gänzlich mit Blindheit geschlagen waren, wußten und wissen mußten, daß sie von Ebert-Scheidemann das zu erwarten hatten, was diese getan haben. Sie sind nicht getäuscht worden, denn es ist nicht wahr, daß die Ebert-Scheidemann sich geändert hätten zum Schlechten. Sie haben einfach ihre Politik fortgesetzt. Genossen, deshalb ist es vollkommen eindeutig, daß die Verantwortung für alle diese Vorgänge die Haase-Dittmann-Barth und damit die ganzen Unabhängigen in ihren Repräsentanten trifft.

Genossen! Wir haben uns, wie Ihnen gesagt, von vornherein keine Illusionen gemacht über den Charakter der USP. Wir haben trotzdem die Überzeugung gehabt, daß die Massen der USP unendlich besser sind als die sogenannten Führer. Wir haben die Massen zu gewinnen versucht, und wir haben, je mehr sich dieser unerträgliche Zustand in der USP entwickelte, um so mehr den Versuch unternommen, durch den Appell an die Massen der USP zu erzwingen eine Entscheidung darüber, ob die USP künftig eine revolutionäre, sozialistische Politik führen wird, ein Urteil der Massen zu provozieren über die durch die bisherige Politik der USP kompromittierten Mitglieder. Wir haben gefordert, daß ein Parteitag zusammenberufen wird. Die Forderung ist ergebnislos geblieben. Die revolutionären Obleute Berlins haben den gleichen Antrag erhoben, ebenfalls ergebnislos. Wir haben dann, um einen endgültigen Entschluß fassen zu können, [um] eine klare Situation zu schaffen, am 22. Dezember noch einmal ein Ultimatum an die Parteileitung gerichtet, mit der Forderung, einen Kongreß einzuberufen. Dieses Ultimatum ist, wie Ihnen bekannt, nicht beantwortet worden, außer durch eine Notiz der Freiheit [vom 24. Dezember] abgelehnt. Es ist kein Parteitag zustande gekommen bis zum heutigen Tage. Die USP will weiterwursteln. Damit sind wir vor eine Lage gestellt, in der es gilt, eine klare Entscheidung zu treffen.

Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob durch die neuesten Ereignisse eine andere Lage geschaffen worden ist. Haase und Genossen sind, wie Ihnen bekannt, aus dem Kabinett ausgetreten. Angeblich sind auch die Mitglieder des preußischen Kabinetts der USP ausgetreten. Klarheit über das letztere habe ich noch nicht. [8] Ist dadurch eine neue Lage geschaffen? Genossen, wie ist der Austritt zustande gekommen? Die Freiheit bringt heute die charakteristische Überschrift über diese Meldung: „Herausgedrängt“. [9] Sie beklagt sich darin, daß sie herausgedrängt worden sind. (Lachen.) Auch die Erklärung der Kabinettsmitglieder zur Krisis ist eine Lamentation darüber, daß sie vom Zentralrat in letzter Stunde im Stich gelassen worden sind. Sie wären also gern im Kabinett geblieben, es wurde ihnen aber vom Zentralrat der Stuhl vor die Türe gesetzt. Genossen! Kann ein derartiges Verhalten uns die Gewähr dafür bieten, daß die USP künftig eine andere Politik führen wird? Ich denke, im Gegenteil, gerade die Art, wie dieser Hinauswurf erfolgte, ist ein Beweis dafür, daß sie heute noch genau dieselbe ist wie früher. Dieser Vorgang ist charakteristisch als der Ausdruck der Prinzipienlosigkeit und Aktionsunfähigkeit, die die ganze Politik der USP kennzeichnen. Im übrigen, es wäre ja ganz oberflächlich, wenn wir durch einen einzelnen politischen Akt uns bestimmen ließen in unserer Haltung. Und die Politik der USP ist nicht zufällig, nicht durch das Verschulden dieser oder jener Persönlichkeiten hervorgerufen, sondern durch die innere Struktur der USP zu einem Verhängnis für diese Partei geworden. Die Zusammensetzung der USP ist noch die alte. Und die Faktoren, die darin wirken, gegen die Interessen des Proletariats, [die] schwankend verhüllt und offen verräterisch wirken, sind nach wie vor vorhanden und werden nicht ausgeschaltet durch die Tatsache des Hinauswurfs aus dem Kabinett.

Wir sehen hier, wie die USP nicht nur in ihren Führern verderbt ist, sondern, allerdings wesentlich mit durch die Politik ihrer Führer, auch in den Massen sich der Zersetzungsprozeß in einer sehr deutlichen, in einer geradezu unerträglichen Weise geltend macht. Die Mitgliedschaften, und zwar hier unter Förderung durch den Parteivorstand, der dieser Politik noch nicht abgeschworen hat, sie gehen bei den Wahlen zusammen mit den Mehrheitssozialisten. Die Mitgliedschaften verschmelzen sich in immer größerem Umfange. Wir haben in dem einen seltenen, aber wahrscheinlich bald nicht mehr so seltenen Falle Eduard Bernsteins einen Fall der Zugehörigkeit zu beiden Parteien. Dieser Vorgang kennzeichnet die innere Zersetzung, die absolute Unhaltbarkeit der ganzen Partei, nicht nur in bezug auf einzelne Personen, sondern auch in bezug auf die Zusammensetzung der Mitgliedschaften selbst. Es ist eine Scheidung notwendig. Im Grunde ist die USP bereits heute tot, und im Grunde ist dieser Austritt aus dem Kabinett nichts anderes als ein mißglückender Versuch, den Leichnam noch einmal zum Leben zu erwecken.

Genossen, wir stehen vor der Tatsache, daß ein weiteres Verbleiben im Verbande der USP geradezu bedeutet eine Solidarisierung mit der Gegenrevolution, eine Preisgabe der Ehre des Sozialismus. Wir stehen vor der Tatsache, daß trotz aller radikal scheinenden, in Wirklichkeit opportunistischen Eskapaden die USP in ihrer Gesamtheit heute bedeutet eine schwere Gefährdung der Revolution und daß eine Trennung von ihr geboten wird durch die Treue zur Revolution. Genossen, können wir uns noch länger solidarisch erklären mit Leuten wie Haase, Barth, Dittmann, mit Leuten, die der Vereinigung der beiden Parteien das Wort reden, mit Leuten, die all das geduldet haben, was ich aufgezählt habe, die natürlich bereit sein werden, weiterhin Gleiches zu dulden, die jedenfalls keine Gewähr dafür bieten, daß künftig nicht Gleiches von ihnen geduldet werde? Es ist heute eine Ehrensache für uns – es würde geradezu eine Selbstbefleckung sein, eine Selbstbeschimpfung, wenn wir weiter der USP unter den gegenwärtigen Umständen angehören würden –, es ist ein Gebot der Reinlichkeit, sich jetzt von der USP zu scheiden, und es kann keinen Aufschub mehr ertragen, es muß sofort gehandelt werden. Das ist die Auffassung, die sich aus unseren gestrigen Erörterungen ergeben hat, die auch Sie in Ihrer großen Mehrheit erfüllt. Es gilt nun heute, jetzt, vor aller Öffentlichkeit den großen Trennungsstrich zu ziehen.

Wir haben keine Gemeinschaft mehr mit der USP, wir müssen eine selbständige Partei werden. Wenn wir heute auseinandergehen, muß eine neue Partei gegründet sein, eine Partei, die im Gegensatz zu den scheinsozialistischen Parteien steht, zu denen auch die USP zu rechnen ist, im Gegensatz zu den Parteien, die das Wort Sozialismus mißbrauchen, um die Massen zu verwirren und den herrschenden Klassen in die Hände zu arbeiten, eine Partei, die entschlossen und rücksichtslos die Interessen des Proletariats vertritt, eine Partei, die geschlossen und einheitlich zusammengesetzt ist im Geiste und im Willen, eine Partei, die ein klares Programm hat, eine Partei, in der das Ziel und die Mittel zum Ziele gewählt sind mit klarer Entschlossenheit, mit einer Entschiedenheit, die nicht verwirrt werden kann, [in der] die Mittel gewählt worden sind nach den Interessen der sozialistischen Revolution, nach den Interessen, die die sozialistische Weltrevolution erfordert.

Genossen, wir haben ein Programm nötig, wir haben taktische Grundsätze nötig, aber das Programm und die taktischen Grundsätze, die von Ihnen festzulegen sein werden auf diesem Kongreß, sie werden für uns nichts Neues sein. Wir haben alle diese Grundsätze der Taktik und des Programms, der Prinzipien, wir haben alle diese Grundsätze bereits verfochten im Verlaufe unserer gesamten Entwicklung. Unsere ganze Geschichte ist Bestätigung der Grundsätze, deren Festlegung, deren Bestätigung jetzt durch Sie zu erfolgen haben wird. Wir haben nicht uns als etwas Neues zu schaffen, wir sind bereits da. Nicht nur wir selbst wissen, was wir wollen, sondern auch die Massen des Volkes, die Massen der Arbeiterschaft, die herrschenden Klassen in Deutschland und im Auslande, sie alle wissen bereits, ehe wir nötig hatten, ein Programm zu machen, wer wir sind und was wir wollen. Deshalb fürchten sie uns. Was wir heute zu tun haben, ist nichts weiter als das, was längst gewesen ist, nunmehr förmlich zu bestätigen: die Konstituierung einer neuen Partei, die das Werk fortsetzt auf breiter Basis, das von dem Spartakusbund bisher geführt worden ist. Genossen, ich schlage Ihnen vor, eine Resolution anzunehmen, die ich Ihnen verlesen möchte:

 

 

Resolution

Die USP ist zwar aus der allgemeinen Krisis in der deutschen Sozialdemokratie hervorgegangen, in ihrer Zusammensetzung jedoch das Erzeugnis der besonderen Gegensätze in der Kriegspolitik. Sie entstand durch Zusammenschluß verschiedenartiger Elemente, die weder in den Grundsätzen noch in der Taktik übereinstimmen und in den offiziellen Instanzen überwiegend eine verhängnisvolle scheinradikale Impotenz verkörpern. Die Politik der USP war von Anbeginn niemals eine solche der sozialistischen Klarheit, des entschlossenen Klassenkampfes, des konsequenten Internationalismus, sondern nur eine solche der opportunistischen Verworrenheit, der ängstlichen Kompromisselei, der nationalen Rechnungsträgerei und so von Anfang an zur Aktionsunfähigkeit verdammt.

Seit der Novemberrevolution hat sich die Halbheit und Unsicherheit dieser Politik bis zur völligen Prinzipienlosigkeit gesteigert. Obwohl die Mehrheitssozialisten schon am 9. November unzweideutig erklärten, daß sie eine proletarisch-revolutionäre Politik auch künftig ablehnen würden, traten Vertreter der USP in das paritätische Kabinett ein. Sie haben damit der Verwirrung und Versumpfung der Arbeiter- und Soldatenmassen stärksten Vorschub geleistet, indem sie den Ebert-Scheidemann als Feigenblatt dienten. Sie haben sich acht Wochen lang aller Verbrechen und Verrätereien der „sozialistischen“ Regierung, deren Ziel die Wiederherstellung und Erhaltung der kapitalistischen Klassenherrschaft ist, durch Duldung oder offene Mittäterschaft mitschuldig gemacht. Sie haben die Voraussetzungen für ein rapides Anwachsen der gegenrevolutionären Mächte schaffen helfen und in verderblichster Weise dazu beigetragen, die revolutionäre Kraft der Arbeiter zu schwächen.

Sie haben damit auch die Mitverantwortung für die traurigen Vorgänge am 23. und 24. Dezember auf sich geladen.

Der jetzige erzwungene Austritt ihrer Mitglieder aus der Regierung ist nicht geeignet, die USP zu entlasten und zu rehabilitieren. Noch weniger vermag dieser verspätete Akt für die Zukunft eine Abkehr von der bisherigen Politik der Grundsatzlosigkeit und Schwäche zu gewährleisten, die vielmehr auch gerade diesem Akte den charakteristischen Stempel aufdrückt.

Die offizielle Politik der USP hat zur Folge gehabt, daß die Mitglieder der USP in immer größerem Umfang sich für die bevorstehenden Wahlen mit der Mehrheitspartei verbinden und selbst völlig verschmelzen.

Alle Versuche, im Rahmen des Organisationsstatuts eine Entscheidung und ein Urteil der Masse der Parteigenossen selbst über diese verderbliche Politik herbeizuführen, alle Bemühungen, die Einberufung eines Parteitages zu erzwingen, der eine proletarisch-revolutionäre Politik durchsetzen und ein Gericht über die kompromittierten Mitglieder der USP abhalten sollte, sind an dem Widerstand der Instanzen gescheitert, ein Ergebnis, das wiederum die Zerfahrenheit und Aktionsunfähigkeit der USP selbst eklatant bestätigt.

Damit ist ein Zustand eingetreten, der nicht länger ertragen werden kann. Die USP hat das Recht verwirkt, als Partei des sozialistischen Klassenkampfes anerkannt zu werden.

Die revolutionäre Lage gebietet mehr als je klare Entscheidung, unzweideutige Haltung, Lossagung von allen lauen und opportunistischen Elementen, Zusammenschluß aller ehrlich und entschlossen proletarisch-revolutionären Kämpfer. Ein Länger in der USP Verweilen hieße die Pflichten gegen das Proletariat, den Sozialismus und die Revolution aufs schwerste verletzen.

Wir haben uns niemals irgendwelchen Illusionen über das Wesen der USP hingegeben, dieses Gelegenheitsproduktes des Weltkrieges, das mit dem Abschluß des Weltkrieges dem Zerfall geweiht ist.

Jetzt hat die Stunde geschlagen, in der alle proletarisch-revolutionären Elemente der USP den Rücken kehren müssen, um eine neue, selbständige Partei mit klarem Programm, festem Ziel, einheitlicher Taktik, höchster revolutionärer Entschlossenheit und Tatkraft zu schaffen, als ein starkes Instrument zur Durchführung der beginnenden sozialen Revolution.

Indem die Reichskonferenz des Spartakusbundes das kämpfende Proletariat aller Länder brüderlich begrüßt und zur gemeinsamen Tat der Weltrevolution aufruft, beschließt sie:

Unter Lösung seiner organisatorischen Beziehungen zur USP konstituiert sich der Spartakusbund als selbständige politische Partei unter dem Namen: Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund).

Genossen, ich möchte Sie bitten, diese Resolution anzunehmen und damit hinauszurufen in die Welt, daß wir entschlossen sind, mit unserem Fleisch und Leben einzutreten für die Revolution, zu sorgen, daß dasjenige, was bisher verraten worden ist, was die letzten Monate und Wochen zu unserer Pflicht machten, zur geschichtlichen Aufgabe des Proletariats in Deutschland, daß die soziale Revolution durchgeführt werde, daß niedergerungen werden die Klassenherrschaft, die Ebert-Scheidemann, daß niedergerungen werden auch die halben Elemente, die falschen Freunde der Arbeiterschaft, die das Werk der Befreiung der Arbeiterklasse hemmen, daß die Revolution zur Tat werde, die die Welt aufruft, die das Proletariat aller Länder aufruft, daß der Weltimperialismus, der zu triumphieren glaubte, am Schlusse dieser revolutionären Periode am Boden liegen wird, zertrümmert durch die Macht des in Einheit zusammengeschlossenen Proletariats der ganzen Welt! (Lebhaftes „Bravo!“)

 

 

Vorsitzender Pieck [Berlin Zentrale]: Wir haben alle ein Interesse daran, daß diese wuchtigen Anklagen gegen die von der Leitung der USP geführte Politik nicht durch eine endlose Diskussion abgeschwächt werden. Bei der Reichhaltigkeit der Tagesordnung schlagen wir Ihnen vor, von jeder Diskussion Abstand zu nehmen. Wir haben uns bereits gestern unterhalten über die Notwendigkeit, eine Trennung von der USP herbeizuführen. Ich glaube, daß wir am besten unsere Trennung, unseren Widerstand gegen diese Politik bekunden durch eine geschlossene Abstimmung, unter Abstandnahme von jeder Diskussion.

Nur über den Namen der neuen Partei bestehen Meinungsverschiedenheiten. Ich würde die Namensnennung zunächst von der Abstimmung ausscheiden. Außer dem Antrag der Kommission, den Namen „Revolutionäre Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund)“ [anzunehmen], liegt ein Vorschlag von Heckert und 28 Genossen vor, den Namen „Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund)“ zu wählen.

Ich will Ihnen noch mitteilen, daß sich die Kommunisten [10] bereit erklärt haben, sobald wir die Trennung von der USP vollziehen, geschlossen der neuen Partei beizutreten. Da gegen meinen Vorschlag kein Widerspruch erfolgt, lasse ich über die Resolution insgesamt, mit Ausschluß der Namensnennung, abstimmen.

 

Der Antrag ist gegen eine Stimme angenommen.

Zu dem Antrag des Genossen Heckert, die neue Partei „Kommunistische Partei Deutschlands“ zu nennen, erhält der Antragsteller das Wort.

Genosse Heckert [Chemnitz] bemängelt die Länge des Namens „Revolutionäre Kommunistische Partei Deutschlands“, das ist fast ein Referat, und der Redner wird müde, wenn er diesen Namen oft aussprechen soll. Der Kommunismus ist doch eine revolutionäre Sache, es ist in der heutigen Zeit undenkbar, daß man eine kommunistische Partei gründen könnte, die nicht politisch revolutionär wäre. Der Name „Spartakusbund“, der nachgesetzt wird, sagt alles. Wir haben keine Veranlassung, einen allzulangen Namen zu nehmen.

Genosse Pieck: Das wäre also der einzige Differenzpunkt, und ich bitte Sie, auch hier von einer Debatte Abstand zu nehmen und über die drei Namen „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“, „Revolutionäre Kommunistische Partei Deutschlands“ und „Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund)“ abzustimmen.

Ich konstatiere, daß Sie mit großer Mehrheit sich für den Namen „Kommunistische Partei Deutschlands (Spartakusbund)“ entschieden haben. Damit ist der erste Punkt der Tagesordnung erledigt.

Ich teile Ihnen mit, daß auf unsere Einladung hin vier Genossen als Vertreter der russischen Sowjetrepublik sich hier befinden, und ich begrüße diese Genossen als unsere besten Mitkämpfer. Zur Begrüßung der Konferenz selbst wird ein Vertreter der russischen Sowjetrepublik, Karl Radek, das Wort nehmen. [11]

 

 

[Genosse Radek:] Genossen! Der Zentralausschuß der russischen Arbeiter- und Soldatenräte hat eine sechsgliedrige Delegation zum Kongreß der deutschen Arbeiter- und Soldatenräte entsandt. Die freundliche Aufnahme seitens des Generals Falkenhayn und der Regierung Ebert-Haase – wir wurden mit Maschinengewehren in Molodetschno empfangen – hat uns verhindert, an dem Kongreß teilzunehmen. Mir ist es gelungen, hierherzukommen, um Euch. dem Gründungstag der Kommunistischen Partei, die herzlichsten Grüße und die Erklärung der Solidarität des Arbeiter-Rußlands zu überbringen.

Als die Nachricht von der deutschen Revolution zu uns gelangte, ergriff ein wahrer Freudentaumel die Arbeiterschaft Rußlands. Nicht nur deshalb, weil der Sieg der deutschen Revolution ein für allemal dem deutschen Imperialismus den Tod brachte, den Ring der imperialistischen Mächte sprengte und auf diese Weise die russische Revolution von der Umklammerung befreite, sondern auch aus dem Grunde, weil die viel jüngere, organisatorisch viel weniger erfahrene Arbeiterschaft Rußlands sich voll bewußt ist, daß ohne die sozialistische Revolution in Deutschland die russische Arbeiterrevolution, allein auf sich gestellt, nicht die genügenden Kräfte haben würde, um auf den Trümmern, die der Kapitalismus hinterlassen hat, ein neues Haus zu bauen. Das Gefühl, daß der ältere Bruder, von dem wir gelernt haben, jetzt zusammen mit uns an das Werk der Befreiung herangetreten ist, daß dadurch die Welle der Arbeiterrevolution über die Grenzen Rußlands hinweg nach dem Westen getragen wird, hat die russischen Arbeiter mit tiefer Freude erfüllt. Die schmähliche Politik der sogenannten sozialistischen Regierung Deutschlands der sozialistischen Republik Rußland gegenüber hat keinesfalls irgendwelche Enttäuschung in den Massen geweckt. Als die Regierung Ebert-Haase das Brot zurückwies, das die russischen Arbeiter, obwohl selbst hungernd, freudigen Herzens den deutschen Arbeitern sandten, um ihnen zu zeigen, daß sie gewillt sind, alles mit ihnen zu teilen, mit allen Mitteln an dem gemeinsamen Werk der Befreiung mitzukämpfen [12], da sagten die russischen Arbeiter: Wir haben das Brot nicht den Herren Ebert und Haase gesandt, die es ja gewiß mit Leichtigkeit im Schleichhandel bekommen können, sondern wir haben es den deutschen Arbeitern gesandt und sind weiter gewillt, alle Kräfte anzustrengen, um diese symbolische Brotsendung in der Zukunft in einen regen Austausch alles dessen zu verwandeln, was das russische Volk hat, mit dem, was das deutsche Volk hat, zum gemeinsamen Kampf, zum Schutz- und Trutzbündnis mit den Arbeitern Deutschlands. Und der Augenblick wird bald kommen, wo das Angebot der Hilfe, das die russische Arbeiterklasse macht, nicht mit Hohn zurückgewiesen, sondern freudig und brüderlich empfangen wird.

Die russischen Arbeiter waren durch das Benehmen der Ebert-Haase nicht enttäuscht, denn das, was sie jetzt in Deutschland beobachten, das haben sie selbst vor einem Jahre in Rußland erlebt. Wir sahen in diesen vorübergehenden Erscheinungen und in den schwankenden Gestalten, die jetzt auf der Oberfläche des deutschen Lebens herumhuschen, sich als die Leiter des deutschen Volkes aufspielen, alte Bekannte wieder. Wir hatten auch eine Regierung, die der Arbeiterschaft erklärte, die Arbeiterklasse könne nicht mit eigener Kraft das Werk der Befreiung vollziehen, sie könne sich nicht mit eigener Kraft von den Nöten des Krieges, von dem furchtbaren Elend des Zusammenbruches des Kapitalismus befreien. Sie müsse dazu die Hilfe des Bürgertums haben.

Das Wesen der Politik unserer kleinbürgerlichen Sozialisten, der Menschewiks und Sozialisten-Revolutionäre [13], bestand eben darin, daß sie in der Zusammenarbeit mit dem Bürgertum, der sogenannten Koalition, den Weg zur Befreiung der Arbeiterklasse sahen. Die Ebert und Haase treiben seit dem ersten Tage der Revolution dieselbe Politik des Mißtrauens gegen die Arbeiterklasse und des Vertrauens zur Bourgeoisie, deren Vertreter sie als „Fachminister“ in allen entscheidenden Ämtern zulassen, so daß die groteske Situation entsteht, daß der kaiserliche Sklavenverwalter, Herr Solf, die auswärtige Politik der deutschen Revolution leitet, während Karl Kautsky, der Theoretiker der II. Internationale, zu seinen Füßen als jüngerer Hilfsarbeiter sich in der Staatskunst übt. [14] Acht Monate lang herrschte die Koalitionspolitik in Rußland. Die Verräter des Sozialismus suchten die „lebendigen Kräfte“ des Bürgertums für die Sache der Befreiung der Arbeiterklasse auszunützen und stießen nur Tag für Tag große Teile der Arbeiterklasse ab. Um die Opposition der Arbeiterklasse zu brechen, suchten sie ihre Führer, die Kommunisten Rußlands, als deutsche Spione vor dem Volke verächtlich zu machen. Als das nicht half, suchten sie diese Opposition mit Waffengewalt niederzuwerfen. Es floß kostbares Arbeiterblut, aber nach acht Monaten hatten wir die erdrückende Mehrheit der Arbeiter und Bauern hinter uns, die erdrückende Mehrheit aller derer, die Elend litten, alles, was ächzte unter dem Joch des Krieges und des Kapitalismus. Wie kam dies? Die Koalition der Arbeiterklasse und des Bürgertums war nicht imstande, den Krieg zu beenden, sie war nicht imstande, dem Volke freie Bahn zu schaffen aus allem Elend, das der Krieg uns hinterließ, denn das Bürgertum, das für den Krieg verantwortlich war und das den Krieg durch seine Politik des Eigennutzes herbeigeführt hatte, wollte trotz der Revolution das Volk ausbeuten, wie es dies unter den blutigen Fittichen des Krieges getan hat. Wenn der Krieg liquidiert wird, steht vor den Volksmassen die Frage der ungeheuren Kriegsschuld, die Frage, ob die Arbeitermassen, die doch gegen den Krieg waren, die Kriegslasten zu tragen haben. Wenn der Krieg zu Ende ist, stehen wir vor der Frage: Wie soll die ganz zerrüttete Wirtschaft wiederhergestellt werden? Soll das verarmte Volk noch Parasiten ernähren? Oder soll es, eben weil es ärmer geworden ist, alles, was es in den Händen hat, dazu benutzen, um die Tränen der Witwen zu stillen, um die Millionen der zurückgebliebenen Waisen und Krüppel zu ernähren, um sich aus den Trümmern den Weg zu ebnen zu einem neuen Leben, wo eine kleine Clique nicht mehr imstande ist, das Volk in das Gemetzel des Weltkrieges zu werfen und es auszubeuten? Die Arbeiter sahen die Tatsache, daß dieses „Zusammenarbeiten“ mit dem Bürgertum nur ihre Leiden verlängern würde.

Solange die Industrie in den Händen des Bürgertums blieb und der Profit, nicht die Bedürfnisse des Volkes das Wirtschaftsleben beherrschten, mußte die Vergeudung der Volkskräfte weiterdauern und die wirtschaftliche Zerrüttung sich steigern. Solange man mit dem Bürgertum zusammenging, konnte man nicht an die Abschüttelung der Kriegsschulden denken. Solange man mit dem Bürgertum ging, konnte der Krieg nicht beendet werden, da es, verbunden mit dem Ententekapital, von ihm sein Heil erwartend, den Krieg verlängerte. Die Arbeitermassen, die Bauernmassen überzeugten sich immer mehr, daß diese sogenannte Mitarbeit mit dem Bürgertum eine Unterwerfung unter den Kapitalismus bedeutet, und sie zerrissen im November 1917 die Schlinge. Das „kleine Häuflein“ der Warner kam zur Macht.

Hier in Deutschland liegen die Sachen in manchem anders. Die Bourgeoisie ist bereit, sich dem Ententekapital zu unterwerfen, um nur seine Hilfe gegen das Proletariat zu erlangen. Die Ententeräuber wollen ihr nur einen Teil ihres Kapitaleigentums wegnehmen, und sie tröstet sich, daß sie sich schadlos halten wird, indem sie aus der Haut des deutschen Volkes Riemen schneiden wird. Die Arbeiter strecken aber die Hand nach dem ganzen Kapitalbesitz, der ein Produkt ihrer Hände ist.

Die Friedensfrage wird in Deutschland als Faktor des Abwirtschaftens der Koalition der Sozialpatrioten mit den Kapitalisten nicht die Rolle wie in Rußland spielen. Die Volksmassen werden sich gegen diese „Koalition“ aufbäumen, wenn es sich zeigt, daß die Eberts Polizeihunde der Kohlen- und Eisenbarone, Verteidiger der junkerlichen Brotwucherer sind. Das wird schneller kommen, als mancher glaubt: Die Entwicklung in Oberschlesien, Rheinland-Westfalen zeigt es. Die Lebensmittelfrage, die Arbeitslosenfrage werden die Arbeiter sehr bald vor die Frage des rücksichtslosesten Kampfes gegen die Bourgeoisie stellen, die Illusionen der „Mitarbeit“ werden zusammenbrechen, und die Nationalversammlung, die alle Klassen des Volkes zur „gemeinsamen Arbeit“ vereinigen soll, sie wird die Kluft, die sie voneinander trennt, täglich demonstrieren. Dieselben Arbeiterräte, die sich heute degradieren lassen zu einem Feigenblatt der Diktatur Eberts, des Diktators im Interesse des Kapitals, sie werden genötigt sein, die Macht in ihre Hände zu nehmen.

Da sind Erfahrungen, die wir während des Jahres, wo sich die Macht in den Händen der Arbeiterklasse befindet, gemacht haben, von größter historischer und praktischer Bedeutung für das Proletariat Deutschlands wie aller anderen Länder. Nicht, als ob die russische Revolution sich kopieren ließe. Die Verhältnisse in den verschiedenen Ländern weichen voneinander ab. Die soziale und politische Struktur der einzelnen Länder ist verschieden. Der Weg der Arbeiterklasse wird in einzelnen Ländern voneinander abweichen. Trotzdem bedeutet die russische Revolution, das Jahr der Arbeiterdiktatur in Rußland, eine große Probe auf das grundsätzliche Exempel: auf die Frage der Herrschaft der Arbeiterklasse überhaupt. Die deutsche bürgerliche Presse, die jetzt zusammen mit der Ententepresse heult und keinen größeren Feind sieht und kennt als die Bolschewiki, das heißt die kommunistische Arbeiterrevolution, die Presse der Verräter des Sozialismus, die sich deshalb als Sachverständige in den Fragen des Sozialismus aufspielen, weil sie alle seine Grundsätze mit Füßen getreten haben, sie erklären, die russische Revolution zeige, daß man den Weg der Revolution nicht betreten darf denn sie hat nur zerstört und Rußland ins Unglück geworfen. Deshalb müssen die Arbeiter Deutschlands gewarnt werden vor diesem Wege. Dasselbe behauptet auch Wilson, das Haupt der amerikanischen Finanzoligarchie, dasselbe behauptet der bekannte „Arbeiterfreund“ Clemenceau, dasselbe behauptet ein dritter „Freund“ der Arbeiter, Lloyd George. Diese Herren, die niemals an etwas anderes gedacht haben, als wie sie der darbenden Arbeiterschaft die schweren Prüfungen ersparen könnten, sie sind ganz derselben Meinung wie die Scheidemann, Ebert, Kautsky. jeder Arbeiter, der sich nur daran erinnert, daß diese so um sein „Wohl“ bekümmerten Staatshäupter bisher nur daran dachten, wie die Arbeiterklasse auszubeuten und unter der Fuchtel zu halten ist, daß die mit ihnen um die Wette heulenden Scheidemänner keine Lippe riskierten, als das Arbeiterblut in Strömen floß für die Interessen der Kapitalisten, wird sich sagen müssen: Ich fürchte die guten Ratschläge dieser Danaer. [15] Aber [für] uns handelt es sich nicht nur darum, Mißtrauen zu den neuen „Arbeiterfreunden“ zu streuen, sondern um klare Antwort auf ihre Warnungsrufe. Der erste lautet: Hütet Euch vor dem Bürgerkriege!

Als wir noch vor zwei bis drei Wochen an die deutschen Soldaten herantraten und ihnen die Frage erklärten, mußten wir diese Frage theoretisch behandeln und sie an den Tatsachen aus der russischen Wirklichkeit erklären. jetzt, nachdem die Herren Wels und Ebert sich als Strategen des Bürgerkrieges schon bewährt haben, jetzt, nach dem 6. und 24. Dezember [16], brauchen wir nicht mehr theoretisch darüber zu sprechen, die deutsche Arbeiterklasse hat schon die erste praktische Lehre des Bürgerkrieges bekommen. Und wenn heute die ganze bürgerliche Presse schreit, man solle die oberschlesischen Grubenarbeiter mit blauen Bohnen traktieren, weil diese Parias der kapitalistischen Gesellschaft, die bisher in den Schächten Millionen für die Kohlenbarone anhäuften, die Revolution in erster Linie als Besserung ihrer elenden Lage verstehen, da können die deutschen Arbeiter auf die Frage, was ist der Bürgerkrieg, leicht die Antwort geben: Es ist die bewaffnete Verteidigung der Geldsäcke der Bourgeoisie! Niemals in der Geschichte der Menschheit hat eine besitzende Klasse ihre Vorrechte abgegeben ohne den Kampf bis zum Äußersten. Wer behauptet, daß eine besitzende Klasse sich jemals dem Beschluß einer Mehrheit unterwirft, spricht eine bewußte Lüge aus. Wenn jetzt das Wort „sozialistische Republik“ keine Phrase sein soll, die das Volk einlullt, so bedeutet es, daß die Arbeiterschaft auf diesem oder jenem Wege die Produktion in ihre Hände zu bekommen suchen wird, und wenn das der Fall ist, so stehen wir vor der größten Umwälzung, die die Geschichte je gesehen hat, und eine solche kann sich nicht schiedlich-friedlich abwickeln. Alle bisherigen Revolutionen bedeuteten, daß die Produktionsmittel aus der Hand einer Minderheit in die Hand einer anderen Minderheit übergingen. Heute soll zum ersten Male in der Geschichte die besitzende Klasse gänzlich abgeschafft werden. Und das kann nicht geschehen durch parlamentarische Verhandlungen und Beschlüsse. Das hat die russische Erfahrung klar bewiesen.

Die Kerenski-Regierung wurde nicht gestürzt, sie brach in sich zusammen. Wenn Sie jetzt die Erinnerungen des Ministers Maljantowitsch lesen, der Justizminister unter Kerenski war, so sehen Sie vor sich ein Häufchen von Menschen, hinter denen niemand steht, die nicht einmal mehr ihrem Chauffeur zu befehlen hatten. Eine solche Regierung brauchte man nicht zu stürzen. In dem Endkampfe gegen Kerenski sind fast keine Opfer gefallen. Die Regierung wurde vom Volke einfach im Stich gelassen. Der Kongreß der Sowjets, also die Vertretung der erdrückenden Mehrheit des russischen Volkes, bildete eine neue Regierung, den Rat der Volkskommissare, aber die ersten, die sich nicht unterwarfen, die die Waffen gegen sie erhoben, das waren die Vertreter der Bourgeoisie und der Junker. Das war General Krasnow, der jetzt die Truppen am Don gegen uns leitet und 16.000 Bergarbeiter füsilieren ließ und den die Arbeiter im Oktober 1917 im ersten Dusel des Sieges laufen ließen, als er das Offizierswort gab, nicht mehr gegen sie zu kämpfen.

Den Bürgerkrieg begannen das Bürgertum, das seine Fabriken zurückhaben wollte, die Offiziere, die sich nach der Zeit zurücksehnten, wo sie die Soldaten als ihre Knechte behandelten, die Großgrundbesitzer, die den Bauern den Boden entreißen wollten. Wenn man bei uns gegen den Bürgerkrieg predigt, so antworten die russischen Arbeiter: Ihr Herren Mörder, legt Ihr zuerst die Waffen aus der Hand! Solange die besitzenden Klassen das nicht tun, solange wird der Arbeiter Rußlands die Waffen nicht aus der Hand legen. Er hat die Eroberungen der Revolution mit seinem Blut gemacht, und er wird sie nicht lassen, möge eine Welt gegen ihn anstürmen. Die den Arbeitern die Fabriken, den Bauern Grund und Boden, dem Volke die Macht aus der Hand nehmen wollen, sie sollen nur kommen und sich holen, was sie haben wollen.

Der Bürgerkrieg wird mit der größten Erbitterung geführt, mit einer Erbitterung die weit die des imperialistischen Krieges übersteigt. Zwischen den Ausbeutern verschiedener Länder kann es ein Kompromiß geben: Sie teilen die Beute, sie ziehen den Arbeitern aller Länder gemeinsam die Haut über die Ohren. Zwischen den Ausgebeuteten und den Ausbeutern kann es kein Kompromiß geben: Es gibt nur Sieg oder Vernichtung. Die besitzenden Klassen, die uns der verschiedensten Greuel anklagen, sie führen den Bürgerkrieg mit dem Blutdurst wilder Tiere. Als die ukrainischen Bourgeois Kiew mit Hilfe der deutschen Truppen eroberten, haben sie 1.500 Arbeiter füsiliert ohne jedes Gerichtsverfahren: Wer am Tage des Einzuges des Siegers auf der Straße getroffen wurde und schwielige Arbeiterfäuste hatte, der wurde füsiliert. Die siegreichen finnischen Bourgeois ermordeten über 30.000 Arbeiter, Krasnow am Don 16.000. Eine entthronte, bisher herrschende Klasse rächt sich bitter für die erlebte Erniedrigung ihres Machtbewußtseins, wenn sie wieder zur Macht gelangt. Die Arbeiterklasse hat es noch nicht in sich entwickelt, sie ist voll von Sentimenten, sie läßt sich noch durch das Geschrei der bürgerlichen Presse einschüchtern. Die „wilden Bolschewiki“ haben in all ihren Kämpfen, von der Gefahr umgeben, keine paar tausend Bourgeois getötet. Nicht nur, weil sie Menschenleben schonen wollten, sondern weil ihre Bestrebungen auf die Änderung der sozialen Einrichtungen, nicht auf Ausrottung der Menschen gerichtet sind. Und selbst die paar tausend, sie sind gefallen im gerechten Abwehrkampf gegen die Konterrevolution, die, gestützt auf fremde Bajonette, das russische Volk versklaven will. Wenn die Vertreter dieser Bajonette, wenn die Herren Scheidemann, die Lakaien des deutschen Imperialismus, Zeter und Mordio schreien gegen den bolschewikischen Terror, so sagen wir ihnen: Eure Hände, o Verächter des bolschewikischen Terrors, sie triefen noch vom Blute nicht nur der vielen Millionen der in diesem Kriege Gefallenen, sondern von Zehntausenden lettischer, finnischer, ukrainischer und russischer Arbeiter, die die Generale ermorden ließen, denen Ihr die Kriegskredite bewilligt habt. Und Ihr, Gegner des Abwehrkampfes der Arbeiterklasse, des Bürgerkrieges für den Sozialismus, Ihr mordet schon deutsche Arbeiter im Interesse des Kapitals. Und gestützt auf das ausgezeichnet organisierte deutsche Kapital, auf die ausgezeichnet organisierten Junker, bereitet Ihr einen viel blutigeren Bürgerkrieg [vor], als ihn je die russische Revolution gesehen hat, und gleichzeitig sucht Ihr Eure zukünftigen Opfer mit dem Geschrei gegen den Bürgerkrieg einzulullen, damit sie keine Abwehr vorbereiten! Das wird Euch aber nicht gelingen!

Die Verräter des Sozialismus erklären, der Bürgerkrieg zerstöre die Produktion und auf diese Weise die Voraussetzung des Sozialismus, und die Arbeiterklasse werde am Schlusse ihres siegreichen Bürgerkrieges in einer Wüstenei sitzen. Parteigenossen! Der schwere, opferreiche Bürgerkrieg in Rußland hat während eines Jahres nicht so viele Menschen gekostet und nicht so viele Werte vernichtet, wie ein Tag des „glorreichen Krieges“, in dem auszuharren die Scheidemänner die Arbeiter aufforderten. Wir schließen die Augen nicht vor der Tatsache, daß der Bürgerkrieg vieles vernichtet, daß er den schöpferischen Prozeß der Schaffung einer neuen, kommunistischen Gesellschaftsordnung ohne Unterdrückte und Unterdrücker, daß er diesen schöpferischen Prozeß aufhält, ihn schädigt. Aber wir stehen vor der Tatsache der Unvermeidlichkeit des Bürgerkrieges, und in dieser Lage wird sich die Arbeiterklasse aller Länder befinden, daß sie mit einer Hand den Feind abwehren muß, der die ganze schöpferische Arbeit zerstören will, und nur die andere Hand frei hat für den aufbauenden, schöpferischen Prozeß. Wir sind überzeugt, daß der weitere Gang der Weltrevolution bestätigen wird, daß die große systematische, aufbauende Arbeit im vollen Umfange erst dann möglich sein wird, nachdem die Arbeiterklasse die Feinde niedergeworfen haben wird, nachdem sich in diesen schöpferischen Prozeß keine frevelhafte Hand mehr störend einmischt. Und trotzdem können wir auf die Arbeit, die wir geleistet haben, stolz zurückblicken.

Gestern brachte der Vorwärts einen Aufruf gegen den Bolschewismus, in dem es heißt, die deutschen Arbeiter sollen nach Rußland gehen und sich dort die Trümmerhaufen ansehen. Ich kann im Namen des Zentralausschusses der russischen Sowjetregierung [17] erklären, daß er die Vertreter der deutschen Regierung und des Zentralvollzugsrates nur begrüßen würde, wenn sie nach Rußland kommen, um die Verhältnisse zu studieren. Bisher waren es nicht wir, die die deutschen Arbeiter von den russischen absperrten, um ihnen die „schreckliche Wirklichkeit“ Rußlands zu verhüllen. Vielmehr umgekehrt. Die Maschinengewehre in Molodetschno sollten uns den Zutritt zum „Paradies“ der deutschen Arbeiter verhindern. Die russische Arbeiterschaft hat die Fabriken in ihren Händen. Da sagen die Herren: Aber Ihr habt doch keine Kohle, kein Eisen. Die Fabriken stehen still. Das nimmt sich sehr gut aus im Munde der Vertreter einer Partei, die die alte imperialistische Regierung in ihrem Raubzuge gegen die Ukraine unterstützte, wo 70 Prozent der russischen Kohle und des Eisens samt dem Brot, das die russischen Arbeiter bisher ernährte, sich befinden. Trotzdem wir durch den Raubzug des imperialistischen Deutschland von den Hauptquellen des Rohstoffmaterials abgeschnitten waren, obwohl uns jetzt die Entente von einem anderen Teil unserer Rohstoffe abschneidet, trotzdem arbeitet ein Teil der russischen Industrie und beweist entscheidend, daß, nachdem die Revolution die kapitalistische Zwangsdisziplin vernichtet [hat], sie eine neue, freiwillige Disziplin schafft. In unseren Fabriken finden während der Arbeit keine Meetings statt, unsere Arbeiter leisten ein Maximum dessen, was für die gegebene Industrie von der Zentralbehörde festgesetzt worden ist. Würden die Vertreter der jetzigen deutschen Regierung sehen, wie in den russischen Fabriken gearbeitet wird, so würden sie den deutschen Arbeitern sagen: Die russischen Arbeiter halten Ordnung, und bei Euch geht es drunter und drüber. Sie würden dabei nur eines vergessen, namentlich die Tatsache, daß die russischen Arbeiter eben Herren in ihrem eigenen Lande sind und wissen, daß sie sich in den eigenen Leib schneiden, wenn sie keine Ordnung halten. Sie sind von dem Kadavergehorsam bewußt zur selbstbewahrten, freiwilligen Disziplin, zur Schöpfung eines neuen Lebens übergegangen. Wäre dies nicht der Fall, so könnte gar nicht erklärt werden, wie in dem durch den Krieg ausgeplünderten, dann durch den deutschen und Ententekapitalismus von neuem ausgeraubten Rußland das Getriebe des sozialen Lebens, das Eisenbahnwesen usw. überhaupt aufrechterhalten wird. Unsern Anklägern sagen wir: Die Wunden, aus denen Rußland blutet, die hat ihm das Weltkapital geschlagen; wenn es aber nicht verblutet, so hat es dies der Arbeit des Sozialismus zu verdanken.

Auf dem Dorfe hat ein tiefer Prozeß der sozialen Differenzierung stattgefunden. Der russische Bauer, der Dünger der russischen Geschichte, beginnt bewußt seine Geschichte zu machen. Die Dorfbourgeoisie kämpft gegen uns für den Privatbesitz an Grund und Boden. Wir verstanden es in einem Jahre unserer Regierung, Millionen armer Bauern zu mobilisieren, die zusammen mit den städtischen Arbeitern darangingen, Brot für sich und die hungrigen Arbeiterkinder zu erobern. Diesen armen Bauern, die ohne Inventar, ohne landwirtschaftliche Geräte dastehen, helfen wir, Kommunen zu gründen. Und die Privatbesitzgier, die im Bauern steckt und die man ihm mit Agitation nicht austreibt, sie weicht der Sprache der Tatsachen, die dem armen Bauern sagen, daß er nur gemeinsam wirtschaftend ein menschliches Leben erreichen kann. Der Klassenkampf auf dem Dorfe, der Kampf um Brot für die Hungernden, die Organisation der armen Bauern, dies alles, was die kapitalistische Presse als Raub und Totschlag bezeichnet, es ist ein kultureller Faktor von ungeheurer Bedeutung: Er schüttelt den Bauern aus seiner Gleichgültigkeit, reißt ihn aus der Provinzidiotie heraus, weckt in ihm Hunger nach Wissen. Rußland wird jetzt mit einem Netz von Schulen bedeckt, wie sie in keinem Lande existieren. Die russische Arbeiterklasse, die russischen Bauern haben zwar die große Lügenpresse der Bourgeoisie vernichtet, sie haben sich aber eine eigene Presse geschaffen, die in das letzte Dorf hineinkommt, um dorthin die Kunde von allen revolutionären Begebenheiten, von dem großen Emanzipationskampf des Proletariats zu bringen. Wenn es Euch vergönnt wäre, in den großen Sälen der ersten früheren Opernhäuser, der Restaurants, in denen die russischen Kapitalisten das Volksgut verjubelten, jetzt die Abende zuzubringen mit den russischen Arbeitern, denen die besten künstlerischen Kräfte Rußlands es ermöglichen, auch nur ein Gefühl zu bekommen, was Schönes und Großes die alte, gestürzte Welt hinterlassen hat, dann würden alle Warnrufe vor dem Bolschewismus verschallen, sie würden nicht den geringsten Eindruck machen. Die deutschen Kriegsgefangenen, die mit uns gearbeitet haben, sie haben dieses Rußland kennengelernt als würdig, ihr Blut für dieses Rußland zu vergießen. Ich will damit nicht sagen, daß die Lage der Volksmassen in Rußland leicht ist. Sie ist äußerst schwer: Auf den Ruinen läßt sich nicht im Nu ein wohnliches Haus hervorzaubern. Wir sind dort erst in den Anfängen des Aufbaues. Große Not lastet über dem Volke, oft drohte der Zusammenbruch. Was ich sagen will ist das, daß die Arbeiterklasse mit größter Zähigkeit kämpft, weil sie versteht, daß sie nicht um die Herrschaft einer Clique von Phantasten, sondern um ihre Zukunft kämpft.

Im Innern haben wir die gegenrevolutionären Kräfte niedergerungen. Nur am Don, in der Ukraine und im Kaukasus unter dem Schutze der Entente wagen sie, uns Widerstand zu leisten. Im Kampfe gegen sie steht eine disziplinierte Armee, im Lande wird fieberhaft gerüstet, die Arbeiter lernen nach der Fabrikzeit noch das Kriegshandwerk. Ich habe mir einmal die Freude gemacht, einen Vertreter der Berliner Disconto-Gesellschaft, Herrn Dr. Golmer, in Moskau in eine Versammlung mitzunehmen. Als wir um 10 Uhr abends zurückkehrten, erblickte der Vertreter der deutschen Bankwelt erstaunt und erschrocken eine Marschkolonne ohne Waffen. Er fragte mich, was es sei. Ich wußte es selbst nicht und fragte einen der Marschierenden. Und da erfuhren wir, daß die Arbeiter in diesen Vorstädten, wenn sie aus den Versammlungen heimkehren, in geschlossenen Kolonnen marschieren, um die Marschbewegungen zu lernen. Was bedeutet das? Man sagt, die bolschewistische Herrschaft stütze sich auf die Bajonette. Diese Bajonette liegen doch in den Händen von Menschen. Warum stürzen uns diese Menschen nicht, wenn wir ihr Land in eine Wüstenei verwandelt haben? Die Zahl der eingeschriebenen Mitglieder der Bolschewiki ist nicht sehr groß, und doch haben wir die moralische Kraft, die ungeheuren Massen um uns geschart zu halten. Diese Frage ist die wichtigste Frage, die sich jeder deutsche Arbeiter beantworten muß. Die „Gewaltherrschaft“ besteht darin, daß die Arbeitermassen es verstehen – und sie verstehen es ausgezeichnet –, daß der Sturz der bolschewistischen Herrschaft nichts anderes bedeutet, als daß die russische Arbeiterklasse dezimiert wird durch die Konterrevolution, daß ihr die Fabriken entrissen werden, daß sie zur Sklavin des Kapitalismus erniedrigt wird, daß sie die Kosten des Krieges zu tragen haben wird. Die russischen Bauern, denen wir die Möglichkeit geben, zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit bewußt einen kulturellen Aufstieg zu nehmen, sie verstehen es, daß, wenn der Bolschewismus gestürzt wird, der Grund und Boden mit Hilfe der Ententebajonette dem Großgrundbesitz zurückgegeben werden würde. Um die Führer der Gegenrevolution sammelt sich das ganze Gesindel, das das russische Volk jahrhundertelang ausbeutete. Das ist die größte Lehre, die die Arbeiter und Bauern verstehen, die uns Kraft gibt im Kampfe. Wir haben Samara, Kasan genommen, die Wolga befreit von den gut organisierten gegenrevolutionären tschechoslowakischen Heeren, die zum Konzentrationspunkt der ganzen Konterrevolution wurden. jetzt stehen wir vor einem neuen, größeren Kampfe.

Die größte Gefahr, die der russischen Revolution drohen konnte, bestand darin, daß es dem internationalen Kapitalismus gelingen konnte, den Krieg durch ein Kompromiß abzuschließen. Würden der deutsche und der englische Imperialismus einen Verständigungsfrieden geschlossen haben, dann würden die Prinz von Baden und die Scheidemänner nichtfürstlichen Geblüts, ohne mit der Wimper zu zucken, sich als Henker an die Entente vermietet haben, um das russische Volk zu erdrosseln. Die Ausweisung der russischen Botschaft aus Berlin sollte den Weg zu einem solchen Kompromiß frei machen, dessen Opfer die russischen Arbeiter werden sollten. Nur waren die Pläne schon durchkreuzt in dem Moment, wo sie in dem Jovishaupte von Scheidemann und Ebert reiften. Die deutschen Arbeiter und Soldaten haben dem deutschen Imperialismus den Genickfang gegeben, und das ermöglicht uns, mit voller Zuversicht in die Zukunft zu schauen. Im März 1918 mußten wir mit dem deutschen Imperialismus einen erniedrigenden Frieden schließen, weil wir, erst kurz an der Macht, keine Kraft hatten, diesem durch seine Nähe und Organisation so machtvollen Gegner bewaffneten Widerstand zu leisten. Um seine Gier zu stillen, rissen wir Stücke von unserem eigenen Fleische und warfen sie blutend dem Untier zu. Dann organisierten wir unsere Kräfte, arbeiteten rastlos, um mit ihm den Kampf aufnehmen zu können, wenn er schwächer, wir aber stärker werden. Unsere Haupthoffnungen gingen auf die deutsche Arbeiterklasse, zu der wir das Vertrauen selbst in den schwersten Tagen nicht verloren haben und die wir nicht durch Worte, sondern durch unsere Taten mitzureißen suchten. Unsere Hoffnungen wurden nicht betrogen. Die deutsche Arbeiterklasse hat von uns die Last des Kampfes gegen den deutschen Imperialismus genommen, die Gefahr seiner Koalition mit der Entente gegen die russische Arbeiterklasse gebannt. jetzt haben wir als einzigen außenpolitischen Feind das Ententekapital, denn wenn auch die Lakaien der Entente, Herr Ebert und Scheidemann, gerne mithelfen würden, den bolschewikischen Herd der Revolution auszustampfen, es fehlen ihnen die Kräfte zu diesem löblichen Tun. Die Entente hat uns außerhalb des Gesetzes gestellt. Wir haben mit einem verständnisvollen Lachen quittiert. Die Kapitalisten haben gegen die kämpfende Arbeiterklasse niemals irgendwelche Gesetze geachtet. Im Jahre 1848 und 1871 dezimierten und füsilierten sie die besiegten Arbeiter von Paris, und ohne daß uns Lloyd George, Clemenceau und Wilson, die Vertreter der Mammonherrschaft, ihren Abscheu ausdrückten, wußten wir ganz gut, was uns erwartet, wenn der Weizen dieser Herren blüht. Aber er wird nicht blühen. Der Sieger von heute wird das Opfer des morgigen Tages, wie der Sieger von Brest-Litowsk unter dem grünen Rasen ruht. Die Armee der Entente besteht nicht nur aus Maschinen, nicht nur aus Tanks. Die Tanks siegten über die deutsche Armee, weil Deutschland in Brest-Litowsk den europäischen Völkern das Medusenhaupt eines Räubers gezeigt hat und weil der Schandfriede von Brest-Litowsk den letzten französischen Arbeiter antrieb, seine schwindenden Kräfte zu sammeln gegen den deutschen Imperialismus. Das Arbeiter-Rußland bringt keinem Volke Vergewaltigung. Es hat das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkannt. Man mag über die Formel der Selbstbestimmung theoretisch streiten. Sie bedeutet eines: Wir wollen den Volksmassen keiner Nation irgend etwas aufzwingen, sie sollen sich frei entscheiden, ob sie mit uns gehen oder nicht. Jetzt, wo wir Litauen und Lettland wieder in den Händen haben, überlassen wir der Arbeiterklasse dieser Länder die Freiheit zu entscheiden, ob sie sich mit uns auf Leben und Tod verbinden wollen oder nicht. Und es ist unser Stolz, daß sie sich für uns entschieden haben, obwohl die Entente sie deswegen mit allen Strafen der Hölle bedroht. Das arbeitende Volk Rußlands bringt die Kunde von der Befreiung allen geknechteten Völkern, und wenn die Herren Lloyd George, Clemenceau und Wilson ihren Soldaten sagen: Tötet die Bolschewiki, weil sie Gewalttaten verüben!, so weiß doch jeder Arbeiter in Amerika, daß Sozialisten, wenn sie keine Lakaien der Kriegshetzer sind, sondern Rebellen, in Amerika auf dem elektrischen Stuhl getötet werden, so weiß jeder Arbeiter in Frankreich, daß Clemenceau ein Bluthund ist. Wir haben von französischen Soldaten erfahren, daß sie General Franchet d’Esperey, der die französischen Truppen im Süden Rußlands befehligen soll, „Assassin“, Mörder, nennen. Sie erzählen uns, daß dieser General die Soldaten nötigte, seinem Auto, auch wenn es leer war, zu salutieren, und dieser General Franchet d’Esperey, der Vertreter der blutigen Gamaschenknöpfe in Frankreich, der soll den französischen Soldaten den Abscheu vor der „Gewaltherrschaft“ beibringen ... [18], hinter der die russische Arbeiterschaft steht. Wenn die Leute die Soldaten unter der Losung der „Ordnung“ gegen uns aufzuputschen versuchen werden, so werden die Arbeiter sich umsehen und fragen, ob es eine Ordnung ist, daß man Millionen von Menschen hinmordet und die Zurückkehrenden zu Hause ohne Arbeit läßt und sie auseinanderjagt, wenn sie nach Brot rufen. Entweder wird die Entente ihre Truppenmassen nach dem Süden Rußlands senden, dann werden diese Truppen so zersetzt werden wie die deutschen. Die Revolution kam nicht zu ihnen, so kommen sie auf die Akademie der Revolution, nach Rußland. Wir können sie gut bearbeiten. Oder die Entente wird versuchen, mit dem toten Werk des Menschen, mit ihren Maschinen, uns niederzuwerfen. Dann werden wir den Kampf siegreich durchführen. Denn wenn Sie die Kriegsgeschichte studieren, von den Siegen der Karthager anfangend, niemals siegt das tote Material über den Menschengeist, der sich nicht knechten lassen will. Und die russische Arbeiterklasse wird sich nicht knechten lassen. Und wenn die Scheidemann-Ebert damit rechnen, daß wir bald auf der Strecke liegen werden, so kann ich heute vor Euch die Verpflichtung übernehmen, daß wir heil und gesund länger die Geschicke des russischen Volkes in der Hand behalten, als die starken Männer in der Wilhelmstraße in der Lage sein werden, das deutsche Volk zu knechten.

Die Menschewiki, die wir im Oktober niedergeworfen haben, welche die Nöte der Arbeiterschaft ausnutzten, um sie gegen uns aufzuputschen, obwohl sie wußten, daß unser Zusammenbruch der der Arbeiterklasse wäre, sie sahen sich jetzt genötigt, sich an die Arbeiterklasse der ganzen Welt mit einem Aufruf zu wenden, in dem sie sagen, der Kampf der Entente gehe nicht gegen die Bolschewiki, sondern gegen die gesamte Arbeiterklasse Rußlands und ihre Errungenschaften. Das bedeutet das glatte Eingeständnis dieser Leute, die uns eine neue Gewaltherrschaft nannten, daß die Arbeiterregierung die Schutzwehr des russischen Volkes ist. Das bedeutet das Eingeständnis, daß diese Leute jetzt selbst die Arbeiter aufrufen müssen zu der Verteidigung der russischen Sowjetregierung. Wir haben daraus die Konsequenzen gezogen. Wir haben sie verfolgt, als sie der Konterrevolution dienten; als sie sich in den Dienst der Revolution stellten, mögen sie noch so schwankend sein, haben wir sie aus den Gefängnissen befreit, ihre Presse und Organisationen legalisiert. Ich sage Ihnen dies nicht deshalb, um Ihnen unsere Toleranz in schönen Farben zu zeigen. Wir sind nicht tolerant. Wir sind Kämpfer des Sozialismus, und wir haben nicht verheimlicht, daß der Versuch, gegen die Revolution zu kämpfen, die Leute dort finden wird, woher sie gekommen sind. Das Kleinbürgertum schwankt zwischen zwei Lagern. Die Lehre aber, daß wir uns nicht niederringen ließen, die Einsicht, daß die Befreiung vom Bolschewismus die Konterrevolution bedeutet, das hat diesen Überresten der kleinbürgerlichen Sozialdemokraten gezeigt, daß es kein Drittes gibt als entweder mit den Bolschewiki zu stehen und für die Revolution zu kämpfen oder auf der Seite der fremden Eindringlinge zu stehen und gegen die Revolution zu kämpfen. Sie wissen, wie die Menschewiki gewählt haben. Das beweist, die Kleinbürgerlichen verstehen, daß wir in diesem Kampf die Sieger sein werden. Das Kleinbürgertum geht mit den Stärkeren. Der Kampf wird sehr schwer sein. Unsere Munitionsindustrie arbeitet mit Volldampf, sie kann sich aber nicht messen mit den Fabriken Englands und Amerikas. Wir haben Mangel an allem. Unsere Armeen leiden oft Hunger. Aber wir sind überzeugt, wir werden so lange kämpfend das sozialistische Rußland verteidigen, bis die Entente genötigt sein wird, entweder den Kampf mit dem ganzen europäischen Proletariat aufzunehmen oder überhaupt auf den Kampf zu verzichten.

Das Hauptargument in den Händen der Scheidemänner gegen die Kommunistische Partei Deutschlands ist, daß sie der Entente die Wege öffnet nach Deutschland. Niemals wurde eine größere Lüge in die Volksmassen hineingeworfen. Wenn die Entente heute kommen würde, sie würde keinen Widerstand im deutschen Volke finden. Wenn aber die deutschen Arbeiter die Besitzer der Fabriken sind, wenn die deutschen Arbeiter mit dem Elend den Kampf begonnen haben, wenn sie sich als die Herren des Landes fühlen, dann werden sie verstehen, daß der Kampf nicht der Verteidigung des Geldsacks, sondern der Verteidigung ihres eigenen Hauses, ihrer eigenen Zukunft gilt. Es gibt kein anderes Mittel, Deutschland wehrhaft zu machen und zu verteidigen gegen das Joch das ihm die Entente auferlegen will, als die deutschen Arbeiter zu Herren in Deutschland zu machen. Dieselbe russische Armee, die im März, als unsere Revolution noch jung war, in dem Volke noch keine tiefen Wurzeln gefaßt hatte, panikartig nach Hause flüchtete, dieselben Arbeiter und Bauern sterben jetzt mutig, weil sie wissen, daß sie etwas zu verteidigen haben. Nichts fürchten die Herren der Entente so, als mit Arbeitern, die wissen, was sie wollen, ihre Heere in Berührung treten zu lassen. Wenn die französischen Truppen nach Deutschland kommen, was haben sie da, was sie aufmuntern könnte zum Kampfe gegen die eigene Regierung? Sie haben hier eine Republik, die sich sozialistisch nennt, in der aber die streikenden Arbeiter mit blauen Bohnen behandelt werden. Wenn die französischen Arbeiter über Deutschland die rote Fahne der sozialistischen Revolution sehen, wenn sie sehen, daß die deutschen Arbeiter wirklich die Herren im Hause sind, dann werden sie fragen. Sollen wir, die Sieger, noch länger Sklaven bleiben? Dieser Gegensatz zwischen dem Sieg der Arbeiterschaft in dem besiegten Lande und ihrer Sklaverei im siegreichen, er wird Dynamit sein gegen die Pläne der Ententeregierungen. Die beste Verteidigung besteht darin, der deutschen Arbeiterklasse zur Macht zu verhelfen. Wer etwas anderes behauptet, sagt dein deutschen Volke: Ihr sollt Lakaien der deutschen Bourgeoisie sein, damit die Entente sich sagt: Diese Leute sind ungefährlich, und Euch schont. Niemals aber hat ein raubgieriges System Leute geschont, die den Rücken beugten. Es legte ihnen ein Joch auf. Deshalb sind wir tief überzeugt, daß der Weg, den Ihr geht, und Ihr geht ihn aus demselben Grunde, aus dem wir unseren Weg gewählt haben, daß dieser Weg nicht die Wehrlosmachung des deutschen Volkes, sondern die Wehrhaftmachung des deutschen Volkes bedeutet, daß Ihr die Träger der Zukunft des deutschen Volkes seid, nicht derjenigen Kultur, in der die einen im Keller wohnen und die anderen in der ersten Etage, sondern in der der deutsche Arbeiter zum ersten Male wirklich fähig sein wird zu verstehen und zu genießen, was deutsche Geistesarbeit Großes geschaffen hat.

Ihr werdet als Nachahmer der russischen Revolution dargestellt, Ihr werdet als Agenten des Sowjetrußlands dargestellt. Was die Nachahmung anbetrifft, so hat die russische Revolution unendlich viel gelernt von dem deutschen arbeitenden Volk. Das, was wir jetzt in Rußland verwirklichen, das ist nichts anderes als die große unverfälschte Lehre des deutschen Kommunismus, den Marx vor der Arbeiterklasse der ganzen Welt vertrat. Unsere Orientierung, der Gedanke des Rätesystems, ist empirisch aufgewachsen, aber die großen Auseinandersetzungen über die zukünftigen Kampfesformen der Arbeiterklasse, wie sie die deutsche Arbeiterwelt vor dem Kriege bewegten, sie haben unsere Gedanken genährt, und die russische kommunistische Partei ist stolz darauf, daß sie einst in naher Bundesgenossenschaft mit Rosa Luxemburg, Eurer geistigen Führerin, gearbeitet hat. Wenn Ihr beschimpft werdet als Agenten des bolschewistischen Rußlands, so sind wir gemeinsame Agenten einer großen Sache, die über Euch und uns steht, der Sache der Befreiung des arbeitenden Volkes vom Joche des Kapitalismus.

Und wenn sich jetzt keiner der großen Staatsmänner des Kapitals mehr sicher fühlt in seinem Palaste vor dem Geist des Bolschewismus, so nicht deswegen, weil in den Gepäckstücken der russischen Botschaft dieser Geist transportiert wird. Wir haben jetzt keine Gesandtschaften, die Welt des Kapitalismus sucht sich von uns hermetisch abzusperren. Aber umsonst. Nicht nur, weil wir Soldaten der Revolution überallhin gelangen werden, wo[hin] uns das Interesse der Weltrevolution ruft, sondern weil der Bolschewismus nichts anderes ist als die Tränen der Witwen und Kinder, der Schmerz um die Getöteten und die Verzweiflung der Zurückgekehrten. Und diesen Geist werden sie nicht töten. Dieser Geist wird die internationale Arbeiterklasse zu einer Armee vereinigen. Wir bieten den Scheidemann und Ebert keinen Waffenbund an. Die Herren irren, wenn sie meinen, wir möchten eine Kampfgenossenschaft mit ihnen schließen: Diese Leute sind für uns nicht bündnisfähig, sie können dem Kapitalismus nicht trotzen, aus dem einen Grunde, weil sie seine Lakaien sind. Euch aber brauchen wir kein Bündnis anzubieten. Wir stehen im Bündnis seit den ersten Tagen des Krieges, seit dem Tage, wo Liebknecht sein „Ich klage an!“ von der Tribüne des deutschen Reichstages in die Welt geschleudert hat. In dem Moment aber, wo Ihr zur Macht kommt, wird sich der Ring schließen, in dem Moment werden die deutschen und russischen Arbeiter Arm in Arm kämpfen. Nichts ruft einen solchen Enthusiasmus bei den russischen Arbeitern hervor, als wenn wir ihnen sagen, es kann die Zeit kommen, wo Euch die deutschen Arbeiter zu Hilfe ruf en und wo Ihr zusammen mit ihnen am Rhein kämpfen müßt, wie sie an unserer Seite am Ural kämpfen werden. Wir sind überzeugt, daß die Weltrevolution im Eilschritt gehen wird, wir sind überzeugt, daß es unwahr ist, der Bolschewismus sei die Krankheit der besiegten Völker. Das würde bedeuten, daß die Arbeiterklasse der siegreichen Nationen für immer Sklave bleiben muß. Wir sind überzeugt, daß der internationale Bürgerkrieg uns befreien wird vom Kampfe der Völker. Aber niemand kann das Tempo der Entwicklung berechnen. Wir mußten auf die deutsche Revolution ein Jahr lang warten. Wir haben gerüstet, gekämpft, wir haben uns selbst verteidigt, und wir haben den großen Tag erlebt, wo das erfüllt wurde, was Genosse Liebknecht uns zum Sowjetkongreß telegrafierte: „Genossen, wir kommen!“ [19] Als wir sein Telegramm dem Kongreß vorlasen, da hatten wir schon die Kunde davon, daß Ihr gekommen seid. Wir sind überzeugt, daß dasselbe bald mit den Italienern und Franzosen der Fall sein wird und daß die Pläne des Ententekapitalismus, die russische und deutsche Revolution zu erdrosseln, daran scheitern werden. Aber solange das nicht der Fall ist, seid sicher, wir stehen mit den Gewehren in der Hand und werden den Boden, den wir erobert haben, uns nicht entreißen lassen. Und wir sind überzeugt, daß Ihr inzwischen die Wacht der deutschen Revolution bildet. Und daß wir zusammen mit Euch den Tag erleben werden, wo hier in Berlin der internationale Arbeiterrat tagen wird, wo keiner uns mehr hindern wird, mit allen Völkern der ganzen Welt die Erfahrungen der neuen Zeit auszutauschen.

Auf Ihre Tagung blicken wir mit den größten Hoffnungen. Wir wissen, Ihr seid noch schwach. Wir waren noch schwächer im April vorigen Jahres. Die Überzeugung, daß Ihr siegen werdet, daß Ihr die Macht seid, um die die Arbeiter Deutschlands sich sammeln werden, schöpfen wir aus der geistigen Rücksichtslosigkeit, mit der Ihr mit der Vergangenheit gebrochen habt und Euch als selbständige kommunistische Partei konstituiert habt. Die Angst vor dem Bolschewismus wird wachsen. Man wird alles gegen Euch organisieren. Aber niemals hat eine Partei, die die Interessenvertretung des ganzen Proletariats darstellt, die bewußt, klar und rücksichtslos, keine Opfer scheuend, vorgeht, mit größerem Recht und Zuversicht in die Zukunft geschaut als Ihr. Denn Eurer Partei ist das Glück zuteil geworden, geboren zu werden in einer Zeit der größten Weltkrise, in der alle Masken fallen und die Massen die revolutionären Wahrheiten so nötig wie Brot haben. Die deutsche Sozialdemokratie, sie ist tot. Sie war die Autorität in der ganzen Arbeiterwelt. Die Autorität ist dahingeschwunden, kein Teil der Internationale wird jetzt diese Bedeutung haben, die die deutsche [Sozialdemokratie] hatte. Die Internationale wird ein Bund von Arbeiterklassen sein, in dem jede weiß, wofür sie kämpft, in dem jede den eigenen Weg marschiert und es trotzdem derselbe ist wie der der anderen. In diesem Bunde werden wir zueinander stehen, und es wird der Tag kommen, wo der Ruf, mit dem ich schließe, zur Wirklichkeit wird, der Tag, wo die Weltrevolution die Arbeiterklassen befreien wird, der Sozialismus nicht mehr das Objekt des Kampfes sein wird, sondern der Gegenstand unserer zielklaren Arbeit. Die russische Revolution ist von Euch abgeschnitten, aber ihr Geist lebt in Euch, Euer Geist beseelt die Massen der russischen Arbeiterklasse, dieser Geist der vorwärtsstürmenden Arbeiterklassen, die es satt haben, der Amboß der Geschichte zu sein, und jetzt einmal Hammer sein wollen.

Es lebe die internationale Revolution, es lebe die internationale Räterepublik! (Stürmischer Beifall.)

 

 

[Genosse] Liebknecht richtete darauf Worte des Dankes an die Vertreter der russischen Regierung. Wie Diebe und Verbrecher hätten sie sich in die angeblich sozialistische Republik Deutschland hineinschleichen müssen. Eine gewaltige Schuld habe das deutsche Proletariat gegenüber dem russischen abzutragen. Rußland sei die Geburtsstätte der deutschen Revolution. Erst wenn wir uns mit dem russischen Proletariat verbünden, erst dann würde die Stunde der Weltrevolution, die den Kapitalismus endgültig beseitigt, angebrochen sein. (Lebhafter Beifall.)

Einstimmig wurde beschlossen, der russischen Sowjetregierung ein Begrüßungstelegramm zu senden.

An die russische sozialistische Sowjetrepublik!

Die Reichskonferenz des Spartakusbundes, die heute die Kommunistische Partei Deutschlands gegründet hat, sendet die aufrichtigsten Grüße der russischen Räterepublik, den russischen Mitkämpfern gegen den gemeinsamen Feind der Unterdrückten aller Länder. Das Bewußtsein, daß bei Euch alle Herzen für uns schlagen, gibt uns in unserem Kampfe Kraft und Stärke.

Es lebe der Sozialismus! Es lebe die Weltrevolution!

 


Zuleztzt aktualisiert am 15.10.2003