Protokoll des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands

 

Erster Verhandlungstag
Montag, den 30. Dezember 1918
Nachmittagssitzung

Genosse Pieck eröffnete gegen 3 Uhr [1] die Sitzung. Es wird vor Eintritt in die Tagesordnung die Absendung nachstehenden Telegramms an die streikenden oberschlesischen Bergarbeiter beschlossen:

Der heutige Parteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund) sendet Euch zu Eurem Kampfe den Ausdruck herzlicher Sympathie. Erst die Niederkämpfung des Kapitalismus und die Durchführung des Sozialismus werden die volle Befreiung des arbeitenden Volkes bedeuten. Im Kampfe für diese Zukunft und im Kampfe gegen die kapitalistische Regierung Ebert-Scheidemann, die Euch mit blauen Bohnen traktieren will, werdet Ihr uns immer an Eurer Seite finden.

Es lebe der Sozialismus! Es lebe die proletarische Revolution!

 

 

2. Punkt der Tagesordnung:
Die Nationalversammlung

Genosse Dr. Levi [Berlin Zentrale]: Ich weiß, es ist keine leichte Aufgabe, wenn ich eintrete für die Wahlen zur Nationalversammlung. Ich weiß, daß wir die mißliche Lage selbst verschuldet haben. Wir konnten in der Presse diese Frage nicht ohne Hemmung erörtern, ob Nationalversammlung, ob Rätesystem. Dabei ist in den Hintergrund getreten die Entscheidung, wie wir uns stellen, wenn die Entscheidung für die Nationalversammlung gefallen ist. Die ganze Wucht kommt zum Ausdruck in der Stimmung, die jetzt gegen die Nationalversammlung sich geltend macht ... [2], die zeigen wollen, daß der revolutionäre Geist in der Provinz herrscht und nach Berlin verpflanzt werden müsse, wo man schon beginne, vom rechten Wege abzuweichen. Die Frage muß kühl und ruhig überlegt werden.

Die ganze Macht müßte sich stützen auf die Räteregierung gegen die Nationalversammlung. Darin sind wir einig. Das Proletariat ist gezwungen, aus diesem Chaos herauszuschreiten und neue Formen zu schaffen in wirtschaftlicher und politischer Beziehung. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß der Gedanke der Räteverfassung, kommend aus dem Osten, dem revolutionären Proletariat vorgedacht im Osten, eine faszinierende Gewalt haben mußte auf die Sinne des deutschen Proletariats. Es ist eine Selbstverständlichkeit, das Proletariat ist sich tief bewußt, daß nur auf dem Boden des Rätesystems es kommen kann zu einer wirklichen Erfassung, zu einer wirklichen Ergreifung der politischen Macht im Staate und in der Gesellschaft. Es ist eine Selbstverständlichkeit, und jeder stimmt dem zu, daß nur das Gebilde der Räteverfassung jene wunderbare Vereinigung [ist], in der der Wille und die Tat beieinanderwohnen, in der das Proletariat nicht nur darauf beschränkt ist, durch Vertreter in einem Parlament Stimmen abzugeben und die ganze Exekutive zu überlassen einem eingelernten Stab von Technikern und Beamten, die ihm nur die Möglichkeit gibt, das ganze staatliche und wirtschaftliche Gebilde zu durchdringen mit sozialistischem Geist. Und es ist weiter für uns alle eine Selbstverständlichkeit, nur in dieser Betätigung selbst, nur in dem lebendigen Ergreifen aller staatlichen und wirtschaftlichen Gebilde wächst in dem Proletariat selbst der Gedanke des Sozialismus. Nur in jenem lebendigen Kampf wird auch in ihm der Sinn erweckt, der möglich ist, um das Gefäß des Sozialismus auszufüllen mit einem sozialistischen Geiste. Und, Parteigenossen, weiter: Wenn wir rein theoretisch auch nur eine Minute im Zweifel gewesen wären, den Vorzug zu geben der Räteverfassung oder der Nationalversammlung, so war die politische Entwicklung in Deutschland die, daß schon sie ohne weiteres Ausschlag geben müßte für das Proletariat. Die Nationalversammlung ist das Panier der Gegenrevolution. Die Nationalversammlung ist gedacht als die Burg, die die Gegenrevolution sich aufbauen will und in die sie sich zurückziehen will; mit allen ihren Schranzen, mit Ebert und Scheidemann, mit allen ihren Generälen, mit Hindenburg und Groener, mit allen ihren wirtschaftlichen Mächten, mit Stinnes und Thyssen und den Direktoren der Deutschen Bank, will sie ihre Unterkunft suchen in der Nationalversammlung. Sie braucht die Nationalversammlung, sie wird der Anker sein, an dem sie ihre schwimmenden Boote noch einmal wird festlegen können.

Genossen, über alles das sind wir uns vollständig klar. Da ist nicht [die] geringste Differenz zwischen Ihnen und uns. Wir wissen ganz genau, der Weg des Proletariats zum Siege, er kann nur gehen über die Leiche der Nationalversammlung hinweg. Ich gebrauche das Wort der Leiche, obgleich es in Berlin in gewissem Sinne in Mißkredit gekommen ist. [3] Auch über folgendes geben wir uns keinem Zweifel hin. Die Nationalversammlung wird ganz nach Wunsch der Bourgeoisie, ganz nach dem Wunsche ihrer Agenten Ebert und Scheidemann ein gefügiges Instrument in den Händen der Gegenrevolution sein. Es ist kein Zweifel, daß in dieser Nationalversammlung die Vertreter der entschlossenen revolutionären Richtung innerhalb des Proletariats in der Minderheit sich befinden werden.

Parteigenossen! Trotzdem schlagen wir Ihnen vor, die Nationalversammlungswahlen nicht beiseite liegen zu lassen. Wir schlagen Ihnen vor, in diese Wahlen zur Nationalversammlung einzutreten mit aller Kraft. (Rufe: „Niemals!“ „Nein!“) Lassen Sie mich ausreden! Sprechen Sie Ihr „Niemals!“ erst am Schluß. Wir schlagen Ihnen vor, in diese Wahlen einzutreten und sie durchzukämpfen mit aller Erbitterung und aller Energie und aller Kampfesfreudigkeit, sage ich Ihnen, die Sie gezeigt haben in jedem Kampfe, um jede Position, die die Gegenrevolution bis jetzt vor Ihnen aufgerichtet hat. (Rufe: „Vergeudung von Kraft!“)

Parteigenossen! Man sagt Vergeudung von Kraft. Ja, der Genosse hat recht. Wenn die Positionen, die die Gegenrevolution vor uns aufrichtet, genommen werden können ohne Kraftaufwand, ohne daß wir sie stürmen, dann hat der Genosse Kahlert recht. Solange die Bourgeoisie nicht bereit ist, das zu tun, solange wird sie uns den Kampf aufdrängen, solange sie freiwillig nicht einen Schritt zurückgeht, solange sie kämpft, solange ist es unsere Aufgabe, den Kampf mit der Bourgeoisie aufzunehmen um jede Position, in der sie sich befindet. ([Zwischenruf:] „Durch die Revolution!“) Ihre Einwürfe kommen im wesentlichen alle auf das gleiche hinaus, und Sie gestatten mir vielleicht, die Einwände, die nicht zu fern vom Wege abliegen, im voraus zu erörtern. Sie sagen, der Eintritt in die Nationalversammlung und die Beteiligung an den Wahlen ist ein unnützer Kräfteaufwand. Denn wenn ich Sie richtig Verstehe, soll das heißen, es wird eine richtige Schwatzbude, wie der Reichstag war. Man wird beieinander sitzen und miteinander reden, schöne Reden halten und dann wieder auseinandergehen, und für die Revolution ist nichts geschehen. Glauben Sie doch nicht, daß dieser Einwand ein so originaler sei, daß wir ihn hier nicht auch erwogen hätten. So weit vom Wege liegt der Einwand nicht ab. Ich bitte Sie, das Folgende zu erwägen: Bedenken Sie die Geschichte des Parlamentarismus des Deutschen Reichstags. Worin lag seine Schwäche? Seine Schwäche und die Schwäche der Sozialdemokratie im Reichstag bestanden darin, daß sie revolutionär wirken sollte in einem Parlament zu einer Zeit, wo keine revolutionäre Situation bestand. Lesen Sie etwa die Reden von Bebel aus den neunziger Jahren, noch aus dem Anfang dieses Jahrhunderts im Deutschen Reichstag. Es sollte Revolution gemacht werden, wo keine war. Man beschränkte sich darauf, zu reden und zu prophezeien von der drohenden Revolution, und jener klaffende Widerspruch zwischen einer revolutionären Phraseologie und einer mangelnden revolutionären Situation in der Arbeiterschaft und dem Staate, der mußte im letzten Ende die sozialdemokratische Fraktion in jene äußere Untätigkeit hineintreiben, die wir alle miteinander am Deutschen Reichstag verabscheuen.

Aber heute, wie ist denn heute die Situation? Ist es denn heute so? Wenn Ihre Vertreter in die Nationalversammlung eintreten, ist es denn so, daß sie nur stehen und von der kommenden Revolution prophezeien? Ist denn die Situation nicht vielmehr die, daß, und wenn es nur zwei Mann sind, die Sie vertreten, sie einmarschieren können in diesen Saal und sprechen können wie jener Gesandte Friedrichs des Großen in London: Hinter mir marschieren die Millionen des deutschen Volkes! Können sie nicht, wenn sie heute eintreten, eine ganz andere, nicht nur moralische, sondern auch physische Gewalt in die Waagschale werfen? Sie sagen, die Proletarier, sie sollen alles tun. Sie sollen mit Handgranaten auf die Straße gehen. Ja, Genossen, schließt denn eines das andere aus? Ist denn nicht, was Sie mir sagen, die notwendige und selbstverständliche Ergänzung einer Aktion im Parlament? Das ist ja gerade der Unterschied zwischen dem, was Sie im Parlament sehen und dem, was wir darunter verstehen. Sie sehen im Parlamente immer nur jenes lendenlahme Gebilde, das das Parlament war und sein mußte, solange das Proletariat nicht in einer revolutionären Situation war. Es ist heute ein anderes Ding geworden. Ihre Vertreter würden heute in das Parlament eintreten, nicht zum Reden, nicht zum Schwatzen, nicht zum Verbesserungsanträgestellen, nicht, um in Kommissionen mit den oder jenen Vertretern zu verhandeln, nicht, um hin und her zu lavieren. Sie werden stehen und fechten müssen mit der Androhung der offenen Gewalt, die hinter diesen proletarischen Vertretern steht. (Zwischenrufe: „Dann hätten wir in der USP bleiben können!“)

Nein, verehrte Genossen, nein, Genossen, das, was uns letzten Endes von der USP trennt und was den Genossen, der den Zwischenruf machte, unterscheidet von uns, das ist ja gerade, daß wir sagen, die USP war nie und nimmer bereit, das Hauptgewicht der revolutionären Opferfreudigkeit, der revolutionären Kraft in die Waagschale ZU Werfen, daß sie zurückgeschreckt ist vor den letzten Konsequenzen des revolutionären Kampfes, daß sie deswegen auch nicht bereit sein will, jene letzten Konsequenzen und Folgerungen zu ziehen, die gezogen werden müssen, und davor wird keiner von uns zurückschrecken.

Und ich sage, Parteigenossen, wenn Sie heute der Bourgeoisie die Möglichkeit geben, eine Nationalversammlung zu bilden, zusammenzutreten, und Sie sind fern, welche Möglichkeiten haben Sie? Sie haben die Möglichkeit, mit Waffengewalt zu erscheinen, und, wenn es Ihnen gelingt, die Vertreter auseinanderzujagen. Die Möglichkeit steht vor Ihnen, Haben Sie die physische Gewalt, so mag es sein, daß es genügt, daß Sie die physische Gewalt haben in einem Orte, in dem die Nationalversammlung zusammentritt. Und was ist dann geschehen? Dann wird die Nationalversammlung auseinandergejagt sein, und dann wird Ihrer aller glühender Wunsch erfüllt sein. Und sage mir einer: Wird durch dieses Auseinanderjagen in irgendeinem Punkte die reale Macht der Bourgeoisie, die reale Macht der Gegenrevolution gebrochen sein? Ich sage nein! Sie können die Nationalversammlung auseinanderjagen. Sie können vierhundert deutsche Bourgeois verhaften und irgendwo in Sicherheit setzen, und die Konterrevolution wird trotzdem genauso weitermarschieren, wie wenn die vierhundert Mann noch vorhanden wären. Ihre Position ist eine andere. Sie müssen in jede Schanze, die die Bourgeoisie Ihnen aufbaut, eindringen und in zähem Kampfe Mann gegen Mann die Schanze erstürmen. Sie müssen auch in diesem Parlament gegenüber allen Anschlägen kämpfen und wieder kämpfen, und ich sage Ihnen, anders kämpfen als bisher, als mit Reden. Sie müssen auftreten in dem Bewußtsein, daß hinter Ihnen steht die Macht des Proletariats. Nur in diesen Kämpfen, Parteigenossen, können Sie moralisch überwinden den Feind, und nur in diesen Kämpfen wird es so weit kommen, daß, wenn Sie gezwungen sein sollten, physisch ihn zu überwinden, der physische Kampf den Erfolg haben wird, daß die Bourgeoisie in einer Zinne, die sie sich gebaut hat, eine politische Niederlage erleiden wird, die für sie wohl das Ende sein wird.

Sie können nun sagen, das ist keine politische Niederlage. Sie können sie im Kampfe überwinden, das ist der Punkt, in dem die Bourgeoisie dauernd ihre Machtposition in Deutschland verliert. In Rußland haben bekanntlich auch die Bolschewiki sich stets an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligt. Die Bolschewiki haben es getan, obgleich sie wußten, daß sie in der Nationalversammlung eine verschwindende Minderheit werden würden. Und erst als im Laufe der Nationalratswahlen die Situation so wurde, daß objektiv die Nationalversammlung überholt war durch den Zustand, in dem Rußland sich befand, haben sie die Nationalversammlung auseinandergejagt. ([Zwischenruf:] „Machen wir sofort!“)

Sie sagen, das machen Sie sofort. Woher wissen Sie, daß ganz Deutschland heute bereits in einem so vorgeschrittenen Stadium der Revolution ist, wie der Genosse es glaubt? Gewiß, es kann sein. Wir können es in Berlin machen, in Rheinland-Westfalen sind die Verhältnisse soweit, es kann auch sein, in Oberschlesien. Aber sind die drei Bezirke Deutschland? Ich sage nein! Ich sage, hinter dieser Macht, die die Nationalversammlung aufheben will und in der Auflösung glaubt bekunden zu können den völligen politischen Niederbruch der Bourgeoisie, muß mehr stehen als diese drei Zentren, von denen ich eben sprach und von denen Sie glauben, daß sie ein Abbild geben der deutschen Verhältnisse.

Die Bolschewiki zu Anfang, als keiner hinter ihnen stand, haben sich an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligt, und erst als der Zersetzungsprozeß so weit gediehen war, (laß am Schluß der ganzen Kampagne und beim Zusammentritt der Nationalversammlung sie die Macht hinter sich hatten, erst in diesem Moment haben sie sich darauf konzentriert, die Nationalversammlung auseinanderzujagen. Es ist nicht wahr, daß die Russen eine Taktik eingeschlagen hatten, wie die, daß sie von Anfang an gesagt hätten, kommt das Ding zusammen, so jagen wir es auseinander. Im Gegenteil, sie hatten sich vorbereitet, in die Nationalversammlung einzutreten, um dort zu reden und zu handeln. Mir scheint, daß die ganze Auffassung, die obwaltet, doch eine höchst äußerliche und rohe Auffassung ist von den Begriffen Revolution und Konterrevolution, die glaubt, daß man Revolution machen kann, und die glaubt, daß man die Gegenrevolution erwürgen kann, wenn man sich an irgendeinem beliebigen Symptom vergreift. So sind die Dinge nicht. Sie müssen jede Position, in denen die Bourgeoisie Ihnen die Stirn bietet, angreifen. Sie müssen von jeder Position im Wahlkampfe Besitz nehmen.

Parteigenossen! Ich bitte Sie doch nur, sich die Folgen vorzustellen, die eintreten würden im Falle der Nichtbeteiligung an den Nationalratswahlen. Ich bitte Sie, folgendes zu bedenken: Der Genosse aus Wilhelmshaven, der so eifrig hier Zwischenrufe macht, bedenke doch, gewiß es kann eine große Schar von Männern geben, die während des ganzen Krieges zu uns gehalten haben. Es mag sein, daß sie den Boykott der Wahlen verstünden. Aber denken Sie doch an die ungeheure Schar, die jetzt zum ersten Mal sich an den Wahlen beteiligt, sei es, daß sie zum ersten Mal durch die Revolution hineingerissen sind in den Strudel der politischen Betätigung, sei es jene ungeheure Schar von jugendlichen und Frauen, die jetzt zum ersten Mal das Wahlrecht in die Hand bekommen. Wenn Sie jetzt die Parole für Boykott der Wahlen ausgeben, so wird es Ihnen nie und nimmer gelingen, jene gewaltigen Scharen, die innerlich mit uns sympathisieren, die innerlich mit uns stehen und die wir in kurzer Zeit mit uns verbinden könnten [zu gewinnen], sie werden beiseite stehen. Und wir werden, Genosse Rühle, keinen Humbug mit ihnen treiben, sondern wir werden sie treiben in das Lager derer, wo wirklich Humbug mit ihnen getrieben wird. Das wird der Erfolg der ganzen Taktik sein.

Und, Genossen, Sie scheinen ja im wesentlichen Ihre Meinung schon gebildet zu haben. Ich möchte Ihnen nur ernstlich einmal folgendes vorstellen und Sie bitten, nicht aus von zu Hause mitgebrachten, vorgefaßten Meinungen zu entscheiden. Die Frage ist zu ernst. Wir sehen alle die Situation so an, daß an der Entscheidung dieser Frage für Monate hinaus das Schicksal unserer Bewegung sich entscheiden kann. Wir bestehen durchaus auf der tiefen und entscheidenden Bedeutung dieser Frage. Wir verkennen nicht, Parteigenossen, werden Sie die Frage in anderem Sinne entscheiden als wir, die deutsche Revolution wird daran nicht sterben, das ist selbstverständlich. Sie werden auf lange Zeit hinaus unsere Bewegung lähmen. Denn denken Sie doch nur an folgende Situation. Die Nationalversammlung wird zusammentreten. Sie wird, und das können Sie nicht verhindern, auf Monate hinaus vielleicht das gesamte politische Bild Deutschlands beherrschen. Sie wird im Zentrum der deutschen politischen Bewegung stehen. Sie werden nicht verhindern können, daß alle Augen darauf schauen, Sie werden nicht verhindern können, daß selbst Ihre besten Anhänger sich orientieren, sich informieren, zusehen müssen, was geht in der Nationalversammlung vor. Sie wird in das Bewußtsein der deutschen Proletarier eintreten, und gegenüber dieser Tatsache wollen Sie draußen stehen und von draußen wirken?

Parteigenossen! Sie wollen die Nationalversammlung auflösen. Was glauben Sie, wenn etwa die Nationalversammlung tagt an einem Orte wie Schilda? (Zwischenruf: „Dann ist sie von selbst gerichtet!“) Von selbst richtet sich kein Ding, das noch eine so gewaltige Macht repräsentiert wie die deutsche Bourgeoisie. Die deutsche Bourgeoisie konstituiert sich, faßt ihre ganze Macht zusammen, schafft sich ein Organ, um noch einmal die Revolution zu unterdrücken, und da kommen Sie und sagen, das richtet sich von selbst. Das richtet sich nicht von selbst. Es ist unsere Pflicht, in jenes Gebäude einzudringen, es ist unsere Pflicht, die Feuerbrände zu werfen in diese Schanzen, unsere Pflicht, auch so weit den Kampf aufzunehmen, wie wir ihn aufnehmen würden in jeder anderen Situation, wo die Bourgeoisie uns die Stirne bietet. Es kommt auf nichts anderes heraus als darauf, da, wo die Bourgeoisie sich aufbaut, wo sie noch einmal alle Kräfte zusammenballt, noch einmal bereit ist, den Kampf aufzunehmen, da sagen Sie, wir machen da nicht mit. Und ich sage Ihnen, Sie werden mit dieser Entscheidung sich selbst und unserer Bewegung den größten Schaden zufügen. (Lebhafter Widerspruch)

 

 

Diskussion

Genosse Preda [4] schlägt vor, in der Aussprache abwechselnd je einen Redner für und einen gegen die Wahlbeteiligung zu Worte kommen zu lassen. Es wird so beschlossen.

Genosse Rühle [Pirna]: Ich bin gegen den Vorschlag Levi, uns an den Wahlen zur Nationalversammlung zu beteiligen. Noch vor wenigen Tagen war ich der Meinung, daß die Frage der Wahlbeteiligung für uns überhaupt indiskutabel ist. Ich wurde zu meiner großen Überraschung durch den Artikel der Roten Fahne [5] eines anderen belehrt, und heute haben wir es erlebt, daß uns die Zumutung gestellt wurde, wir sollen uns an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligen. Gestern und heute haben wir uns von einem Leichnam befreit, den wir uns durch den Beschluß von Gotha aufgeladen haben, und betreten nun sofort wieder den Boden einer opportunistischen Kompromißpolitik. Wir haben mit Kompromissen und Opportunismus genug erlebt. Ich richte die dringende Mahnung an Sie, sich nicht auf diesen Boden zu begeben und die Beteiligung an den Nationalversammlungswahlen entschieden abzulehnen. Wir schweben dadurch vollständig in der Luft. Es ist selbstverständlich, daß mit dem Zustandekommen der Nationalversammlung die große Abwürgung der Arbeiter- und Soldatenräte vorgenommen wird. Müller vom Parteivorstand, Fräßdorf aus Dresden sind schon dafür eingetreten, daß mit dem Zustandekommen der Nationalversammlung das Ende der Räte gekommen ist. Wir müssen die lebende Politik der Straße immer weiter aufstacheln, wir dürfen die Bewegung nicht wieder einlullen, indem wir dem Arbeiter einen Stimmzettel in die Hand geben.

Was sollen wir den Leuten sagen? Wählt uns in die Nationalversammlung, damit wir sie von innen aushöhlen und sprengen können, damit wir sie sabotieren, damit wir sie dem Gelächter der Welt preisgeben. Das verstehen die Leute einfach nicht. Wenn man gesagt hat, man muß den Frauen und Jugendlichen die Möglichkeit geben zu wählen. Ich weiß nicht, wie man ihnen klarmachen soll, daß sie uns hineinwählen sollen. Wir können diesen Parlamentarismus nicht mehr als unser Instrument ansehen. Wir wählen nicht zu einer Nationalversammlung. Ihr werdet Gelegenheit haben zu wählen, wenn es gilt, Vertreter aus Euren Betrieben zu den Räten zu wählen. Dieses allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht haben wir von der bürgerlichen Gesellschaft verlangt. Wenn wir erst einmal in der Macht sind, werden wir etwas anderes wollen, etwas anderes schaffen. Wir sind doch im Begriff, die Macht an uns zu reißen. Wenn wir die Macht haben, werden wir sie uns nicht wieder entwinden lassen durch die Nationalversammlung. jedenfalls liegen die Dinge so, wenn zwei oder drei Leute von uns in die Nationalversammlung hineinkommen, sie auch nicht die Tribüne haben werden, die sie erwarten. Der Reichstag ist auch nicht mehr die Tribüne für uns gewesen. Die kleinen Anfragen sind verschwunden, sind nicht mehr durchgelassen worden, die Zurufe sind nicht mehr ins Stenogramm hineingekommen, der Reichstag war längst nicht mehr die Tribüne für uns. Genosse Levi sagte, daß wir diese Tribüne brauchten. Wir haben jetzt andere Tribünen. Die Straße ist die großartigste Tribüne, die wir errungen haben und die wir nie wieder aus den Händen geben, wenn man auch auf uns schießt, wir geben sie nie wieder aus der Hand. Wir vergleichen sie gar nicht mit dieser lächerlichen, armseligen Parlamentstribüne, die wir in der Nationalversammlung haben, wo es vielleicht einem von unseren Rednern gelingt, zu sprechen. In den Zeitungen werden zwei bis drei Zeilen von seiner Rede stehen, das einzige Blatt, das die Rede wiedergibt, wird Die Rote Fahne sein. Und Die Rote Fahne kann Dutzende und Hunderte ihrer wunderbaren Artikel bringen. Dadurch ist der Sache ganz anders gedient als durch eine Parlamentsrede.

Genosse Levi sagt, die Frage ist ernst und das Schicksal unserer Bewegung steht auf dem Spiel. Wenn das Schicksal unserer Bewegung von unserer Beteiligung an den Wahlen abhängig ist, dann muß es um unsere Bewegung jämmerlich bestellt sein. Wenn man die Nationalversammlung nach Krähwinkel verlegt, dann richtet sie sich selbst. Genosse Levi sagt, sie richtet sich nicht von selbst. Nun, Genossen, laßt die Nationalversammlung nach Schilda verlegen, dann werden wir hier in Berlin eine andere Regierung haben, dann wird es unsere Aufgabe sein, zunächst zu versuchen, sie zu sprengen. Und wenn das nicht gelingt, dann laßt sie nach Schilda gehen. Dann etablieren wir uns hier in Berlin als neue Regierung. Wir haben noch 14 Tage Zeit. In diesen 14 Tagen können wir in die entlegensten Gebiete gehen und können den Genossen klarmachen, um was es sich handelt. Das Organ der Bourgeoisie mag die Nationalversammlung sein. Unser Organ sieht anders aus. Unser Organ schaffen wir uns entweder nach der Nationalversammlung oder, wenn es nicht geht, sie zu sprengen, zugleich mit der Nationalversammlung. Nun werden wir den Kampf in allen Formen aufnehmen können.

Ich richte den dringenden Appell an Sie, lassen Sie sich auf diese opportunistische Politik nicht ein. Ich sage nicht, daß es eine gewollte opportunistische Politik sei. Aber in ihrer Wirkung wird sie eine opportunistische sein. Sie läuft für die breite Masse der Landbewohner, der Kleinstädter auf eine Kompromißpolitik hinaus. Ich richte den dringenden Appell an Sie, lassen Sie sich darauf nicht ein, verfolgen Sie den gradlinigen Weg einer ganz konsequenten Politik, die die einzige Forderung erhebt: Rätesystem!

Genossin Luxemburg [Zentrale] (von lebhaftem Beifall begrüßt): Jeder von uns, einschließlich des Genossen Levi, betrachtet vor allem den stürmischen Widerspruch und die Stimmung, die sich hier während seines Referats entwickelte, mit der inneren Freude über die Quelle, aus der dieser Widerspruch kommt. Wir verstehen alle und schätzen ungeheuer hoch den revolutionären Elan und die Entschlossenheit, die aus Euch allen spricht, und wenn Genosse Rühle Euch alle vor unserem Opportunismus warnte, so lassen wir diese Rüge über uns gehen. Wir haben vielleicht nicht umsonst gearbeitet, wenn wir so entschlossene Parteigenossen finden. Die Gefahr unseres Opportunismus ist nicht so groß, wie sie Genosse Rühle hier ausgemalt hat. Ich habe die Überzeugung, daß es unsere Pflicht ist, auch dann zu Euch laut und deutlich zu sprechen, wenn wir eine Meinung zu vertreten haben, die der Euren entgegengeht. Wir wären traurige Vertreter des Spartakusbundes, der gegen die ganze Welt im Trotz auftritt, wenn wir nicht den Mut hätten, unseren eigenen Genossen entgegenzutreten.

Die Freude, der ich soeben Ausdruck gegeben habe über die Stimmung, die Ihr so stürmisch ausdrückt, ist nicht ungemischt. Ich betrachte sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich habe die Überzeugung, Ihr wollt Euch Euren Radikalismus ein bißchen bequem und rasch machen, namentlich die Zurufe „Schnell abstimmen!“ beweisen das. Es sind nicht die Reife und der Ernst, die in diesen Saal gehören. Es ist meine feste Überzeugung, es ist eine Sache, die ruhig überlegt und behandelt werden muß. Wir sind berufen zu den größten Aufgaben der Weltgeschichte, und es kann nicht reif und gründlich genug überlegt werden, welche Schritte wir vor uns haben, damit wir sicher sind, daß wir zum Ziele gelangen. So schnell übers Knie brechen kann man nicht so wichtige Entscheidungen. Ich vermisse das Nachdenkliche, den Ernst, der durchaus den revolutionären Elan nicht ausschließt, sondern mit ihm gepaart werden soll.

Ich will ein kleines Beispiel dafür geben, wie unüberlegt Sie entschließen wollen über Dinge, die einer reifen Überlegung bedürfen. Einer von den Genossen, der besonders heftig und von revolutionärer Ungeduld getrieben hier Zwischenrufe macht, verlangt, man solle überhaupt keine Zeit verschwenden. Eine Diskussion über eine der wichtigsten Fragen nennt man Zeitverschwendung. Dieser Genosse hat sich auf Rußland berufen, und dieses Beispiel kann Euch zeigen, daß man sich keine Zeit nimmt, die Argumente, die man vorbringt, auf ihre Richtigkeit zu prüfen. In Rußland war die Situation, als man die Nationalversammlung ablehnte, ein bißchen ähnlich der heutigen in Deutschland. Aber habt Ihr vergessen, daß vor Ablehnung der Nationalversammlung im November etwas anderes stattgefunden hat, die Machtergreifung durch das revolutionäre Proletariat? Habt Ihr vielleicht heute schon eine sozialistische Regierung, eine Trotzki-Lenin-Regierung? Rußland hatte vorher eine lange Revolutionsgeschichte, die Deutschland nicht hat. In Rußland beginnt die Revolution nicht im März 1917, sondern bereits im Jahre 1905. Die letzte Revolution ist doch nur das letzte Kapitel, dahinter liegt die ganze Periode von 1905 an. Da erreicht man eine ganz andere Reife der Massen als heute in Deutschland. Ihr habt nichts hinter Euch als die elende halbe Revolution vom 9. November. Wir haben sehr reif zu überlegen, was der Revolution jetzt am meisten frommt und wie ihre nächsten taktischen Aufgaben aussehen und zu formulieren sind.

Nicht so eilig, habt Geduld, zu Ende zu hören. Im Parlament mit Schlagworten will man arbeiten. Nicht das ist das entscheidende. Welcher Weg ist der sicherste, um die Massen in Deutschland zu erziehen zu den Aufgaben, die sie haben? Ihr geht aus in Eurer Taktik von der Konstellation, daß man in 14 Tagen, wenn die Leute aus Berlin herausgehen, in Berlin eine neue Regierung machen kann. „Wir machen in 14 Tagen hier eine neue Regierung.“ Ich würde mich freuen, wenn das der Fall wäre. Aber als ernster Politiker kann ich meine Taktik nicht auf eine Spekulation aufbauen. Es sind allerdings alle Möglichkeiten nicht ausgeschlossen. Ich werde Ihnen zu entwickeln haben, daß überhaupt durch die neue Wendung in der Regierung die nächste Phase eine sehr starke Auseinandersetzung mit sich bringen wird. Aber ich bin verpflichtet, die Wege zu gehen, die sich aus meiner Auffassung über die Zustände in Deutschland ergeben. Die Aufgaben sind gewaltig, sie münden in die sozialistische Weltrevolution. Aber was wir bisher in Deutschland sehen, das ist noch die Unreife der Massen. Unsere nächste Aufgabe ist, die Massen zu schulen, diese Aufgaben zu erfüllen. Das wollen wir durch den Parlamentarismus erreichen. Das Wort soll entscheiden. Ich sage Ihnen, gerade dank der Unreife der Massen, die bis jetzt nicht verstanden haben, das Rätesystem zum Siege zu bringen, ist es der Gegenrevolution gelungen, die Nationalversammlung als ein Bollwerk gegen uns aufzurichten. Nun führt unser Weg durch dieses Bollwerk hindurch. Ich habe die Pflicht, alle Vernunft dagegen zu richten, gegen dieses Bollwerk anzukämpfen, hineinzuziehen in die Nationalversammlung, dort mit der Faust auf den Tisch zu schlagen, des Volkes Wille ist das höchste Gesetz. Hier haben wir zu entscheiden. Wenn die Masse so reif ist, so wird sieh ja das kleine Häuflein, die Minderheit, zur herrschenden Macht gestalten, so werden sie uns die Macht geben, von innen heraus diejenigen aus dem Tempel zu weisen, die nichts darin zu suchen haben, unsere Gegner, die Bourgeoisie, die Kleinbürger usw. Dazu kommen sie nicht.

Sie müssen konsequent sein. Auf der einen Seite spekulieren Sie auf eine solche Reife der Verhältnisse, auf eine solche revolutionäre Macht und Bewußtsein der Massen, daß Sie in 14 Tagen versprechen, an Stelle der Nationalversammlung eine sozialistische Regierung zu setzen, auf der anderen Seite sagen Sie, kommt die Nationalversammlung zustande, so wird der Druck der Straße sie hinwegfegen. Bilden Sie sich doch nicht ein, daß, wenn wir ihnen vorschlagen, ihren Stimmzettel nicht in die Urne zu werfen, daß dann die Wahlen anders aussehen werden. Die Wahlen stellen ein neues Instrument des revolutionären Kampfes dar. Sie sind befangen in der alten Schablone. Für Sie existiert nur das Parlament des Deutschen Reichstags. Sie können sich nicht vorstellen, dieses Mittel zu gebrauchen im revolutionären Sinne. Sie verstehen: entweder Maschinengewehre oder Parlamentarismus. Wir wollen etwas verfeinerten Radikalismus. Nicht bloß dieses grobkörnige Entweder-Oder. Es ist bequemer, einfacher, aber das ist eine Vereinfachung, die nicht der Schulung und Erziehung der Massen dient.

Aus rein praktischen Gesichtspunkten heraus, könnt Ihr wirklich mit ruhigem Gewissen sagen, wenn Ihr den Boykott beschließt, Ihr seid der beste Kern der deutschen Arbeiterschaft, und als Vertreter der revolutionärsten Schicht habt Ihr die Möglichkeit, mit ruhigem Gewissen zu versichern, die gewaltigen Massen der Arbeiterschaft werden wirklich Eurer Boykottparole folgen und sich nicht beteiligen? Ich spreche von den gewaltigen Massen, nicht von den Gruppen, die zu uns gehören. Es kommen Millionen in Betracht, Männer, Frauen, junge Leute, Soldaten. Ich frage klar, ob Sie mit gutem Gewissen sagen können, daß diese Massen, wenn wir hier beschließen, die Nationalversammlung zu boykottieren, den Wahlen den Rücken kehren werden oder noch besser, ihre Fäuste gegen die Nationalversammlung richten werden? Das könnt Ihr nicht mit gutem Gewissen behaupten. Wir kennen die Zustände, die in den Massen herrschen, wie sehr sie noch unreif sind. Die Tatsache besteht, daß Sie uns gerade, die wir in diese Hirne revolutionären Geist hineintragen wollen, ausschalten von der Möglichkeit, der Gegenrevolution die Herrschaft zu entreißen. Während wir für die Aktivität im revolutionären Sinne sind, macht Ihr es Euch bequem, wendet den gegenrevolutionären Machenschaften den Rücken, überlaßt die Massen den gegenrevolutionären Einwirkungen. Sie fühlen selbst, daß Sie das nicht können.

In welcher Weise wollen Sie die Wahlen beeinflussen, wenn Sie von vornherein erklären, wir halten die Wahlen für null und nichtig? Wir müssen den Massen zeigen, daß es keine bessere Antwort gibt auf den gegenrevolutionären Beschluß gegen das Rätesystem, als eine gewaltige Kundgebung der Wähler zustande zu bringen, indem sie gerade Leute wählen, die gegen die Nationalversammlung und für das Rätesystem sind. Das ist die aktive Methode, um die gegen uns gerichtete Waffe gegen die Brust des Gegners zu richten. Sie müssen begreifen, daß derjenige, der den Verdacht des Opportunismus gegen uns ausspricht, sich im Drängen der Zeit und Arbeit nicht Zeit genommen hat, ruhig und gründlich zu prüfen sowohl seine wie unsere Auffassung.

Es kann sich nur darum handeln, welche Methode die zweckmäßigere ist zu dem gemeinsamen Zweck der Aufklärung der Massen. Von Opportunismus ist in diesem Saale keine Rede, merken Sie sich das, Genosse Rühle! Es liegt ein tiefer Widerspruch in Ihrer eigenen Argumentierung, wenn Sie sagen, ich fürchte die nachteiligen Folgen des Parlamentarismus auf die Massen. Auf der einen Seite sind Sie der revolutionären Reife der Massen so sicher, daß Sie darauf bauen, in 14 Tagen bereits eine sozialistische Regierung hier aufzurichten, also bereits den endgültigen Sieg des Sozialismus. Auf der anderen Seite befürchten Sie für dieselben so reifen Massen die gefährlichen Folgen des Wählens. Ich muß Ihnen offen sagen, ich fürchte mich überhaupt vor gar nichts. Ich bin überzeugt, daß die Masse von vornherein durch die gesamte Lage dazu geschaffen und geboren ist, daß sie richtig verstehen wird unsere Taktik. Wir müssen die Massen im Sinne unserer Taktik erziehen, daß sie verstehen, das Instrument des Wählens zu gebrauchen nicht als eine Waffe der Gegenrevolution, sondern als klassenbewußte, revolutionäre Massen zur Niederschmetterung mit derselben Waffe derjenigen, die sie uns in die Hand gedrückt haben.

Ich schließe mit der Formulierung: Es ist zwischen uns im Zweck und in der Absicht gar kein Unterschied, wir stehen alle auf demselben Boden, daß wir die Nationalversammlung als ein gegenrevolutionäres Bollwerk bekämpfen, daß wir die Massen aufrufen und erziehen wollen, um die Nationalversammlung zunichte zu machen. Es ist die Frage der Zweckmäßigkeit und der besseren Methode. Die Eure ist die einfachere, die bequemere, die unsere ist etwas komplizierter, und gerade deshalb schätze ich sie, um die geistige Revolutionierung der Massen zu vertiefen. Außerdem, Eure Taktik ist eine Spekulation auf die sich überstürzenden Verhältnisse der nächsten Wochen, unsere behält im Auge den noch weiten Weg der Erziehung der Massen. Unsere Taktik berechnet die nächsten Aufgaben im Zusammenhang mit den Aufgaben der ganzen uns bevorstehenden Revolution, bis die deutschen proletarischen Massen so reif sind, um die Zügel zu ergreifen. Sie kämpfen gegen Windmühlen, wenn Sie mir solche Argumente unterstellen. Wir werden dann doch zur Straße greifen müssen, unsere Taktik fußt darauf, daß wir auf der Straße die Hauptaktion entwickeln. Dies beweist also, daß Sie entweder Maschinengewehre anwenden wollen oder in den Deutschen Reichstag einziehen. Umgekehrt! Die Straße soll überall zur Herrschaft und zum Triumph kommen. Wir wollen innerhalb der Nationalversammlung ein siegreiches Zeichen aufpflanzen, gestützt auf die Aktion von außen. Wir wollen dieses Bollwerk von innen heraus sprengen. Wir wollen die Tribüne der Nationalversammlung und auch diejenige der Wählerversammlungen. Ob Sie so oder anders beschließen, Sie stehen auf dem gemeinsamen Boden mit uns, auf dem Boden des revolutionären Kampfes gegen die Nationalversammlung. (Schwacher Beifall)

Genosse Gelwitzki (Berlin): Sie haben alle Ausführungen gehört, die in der Frage der Nationalversammlung uns vorgelegt wurden. Ich möchte bitten, daß Ihr Euch an den Genossen Rühle anschließt. Ich bitte Sie, folgende Resolution anzunehmen, die eine Anzahl Berliner Bezirksversammlungen angenommen haben. Dann lege ich noch eine zweite Resolution vor. [6]

Diese beiden Resolutionen sind einstimmig in meinem Bezirk angenommen worden trotz aller Machinationen, die man angewendet hat, die Arbeiter einen anderen Weg zu führen. Es würde vielleicht ein anderer Genosse auf dieser Konferenz als Delegierter fungieren, wenn ich nicht den Standpunkt vertreten hätte, der sich mit diesem Standpunkt der Resolutionen deckt. Das unglückselige Referat, das heute Genosse Levi gehalten hat, wird in Erinnerung des Vormittags, den wir anwesenden Genossen niemals aus dem Gedächtnis verlieren werden, keinen Eindruck hinterlassen. In Anbetracht dessen halte ich den Nachmittag, wenn man das Fazit zieht, für beschämend, daß diese Frage noch stundenlang diskutiert werden muß. Wenn die Sache so liegt, wie die Genossen im Reich bekundet haben, braucht es keine großen Diskussionen mehr, das Urteil ist gefällt. Wenn man Argumente anführt bezüglich der hohen Warte der Gedanken, die uns tragen, diese Warte steht uns überall zur Verfügung. Die brauchen wir nicht auf der Tribüne der Nationalversammlung, die haben wir auf jeder Straßenecke, auf jedem Balkon, überall haben wir die Tribünen, um zu den Massen zu sprechen, die Massen aufzurufen. Wir halten die Beteiligung an der Nationalversammlung für eine Verwirrung in der jetzigen Situation. Die Zielklarheit, mit der wir bisher die Massen gewonnen haben, die darf nicht erschüttert werden durch die Machinationen irgendeiner zentralen Funktion. Es ist erfreulich, daß wir heute erklären können, wir haben uns frei gemacht von der Autoritätsduselei unserer Führer. Man hat mit allen autoritativen Mitteln gearbeitet, um die Massen den verkehrten Weg zu führen, sie haben die Gefolgschaft nicht geleistet. Es wird erklärt, wenn wir uns an den Wahlen nicht beteiligen, dann werden die Stimmen, die uns eventuell zugute kämen, den Unabhängigen zugute kommen. Das Argument ist so wurmstichig wie nur etwas. Das ist weiter nichts als wie Stimmenfang. Wollen wir Stimmenfang betreiben? Nein, wir wollen keine Stimmen, wir wollen Kämpfer. Zehn Mann auf der Straße sind mehr wert als tausend Stimmen bei den Wahlen.

Dann haben wir gleichzeitig die Pflicht zu überlegen: Was tun wir als Ersatz dafür? Als Ersatz tun wir das: Die ganze Macht den Arbeiter- und Soldatenräten! Diese Parole, die man uns gegeben hat, mit der wir die Massen erst gewonnen haben, hinter die sich die revolutionären Elemente Groß-Berlins stellen, diese Parole müssen wir sehen durchzuführen bis zum 19. Januar. Bis zum Tage der Nationalversammlung haben wir die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, mit äußerster Energie zu arbeiten, diesen Gedanken in die Massen zu tragen, nicht bloß in den Fabriken. Die größte Pflicht liegt darin, daß wir in die Kasernen gehen, daß wir den Unterschied klarlegen: hie Räteversammlung, hie Nationalversammlung. Die Räteversammlung ist die Regierung des Weltproletariats, und die Nationalversammlung ist die Regierung der Gegenrevolution. Das müssen wir den Arbeitern klar und deutlich zeigen. Dann werden wir den Erfolg haben, wenn wir in eine intensive Tätigkeit bis zum 19. Januar eintreten. Das ist die folgerichtige Taktik, die wir unbedingt durchzuführen haben. Der größte Schaden liegt darin, wenn wir uns an den Wahlen beteiligen, das muß jedem klar sein, das ist eine Verwischung des Grundprinzips. Das ist eine tatsächlich verschwommene Politik. Ich gebe Ihnen zu bedenken, die bürgerlichen Blätter würden mitsamt den Scheidemännern über uns herfallen. Ein lautes Geheul würde durch die ganze internationale Welt gehen, wenn wir uns nicht dazu hergeben, unseren Standpunkt klar zu präzisieren. Es wurde sogar die Äußerung getan, daß die Genossen, die vielleicht hineingehen, sich der Gefahr aussetzen würden, einen Orden zu bekommen. Wir müssen Aufklärung treiben und Aktionen veranstalten, um alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten zuzuführen. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Arbeiter- und Soldatenräte, wie sie jetzt zusammengesetzt sind, nicht die Vertretung sind, die wir haben müssen, um die proletarische Revolution zu verankern. Wir müssen diese Räte so ausbauen, daß sie auch tatsächlich das Proletariat fest und sicher verankern. Das ist momentan nicht der Fall. Wenn man der Konferenz der Räte beiwohnte und gesehen hat, wie die meisten Soldatenvertreter aus Offizieren bestanden, daß Chargierte und Wachtmeister im Zirkus Busch gewählt wurden, daß man Liebknecht nicht zu Worte kommen ließ. Dieses Lebenselement der sozialen Revolution muß von Grund auf anders gestaltet werden, so daß wir die Gewähr haben, daß das proletarische Deutschland auch richtig vertreten ist. Das ist jetzt nicht der Fall.

Man sagt, wir müssen die Entwicklung ihre Wege gehen lassen. Wer ist die Entwicklung? Sind nicht wir die Entwicklung? Wir sind die ausführenden Organe, die die Entwicklung vorwärtszutreiben haben. Wir haben die Pflicht, mit allen Mitteln dafür zu sorgen, daß zum Durchbruch kommt, was wir wollen, alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten. Ich bitte Sie, unsere Resolution einstimmig anzunehmen. Beteiligen Sie sich nicht an den Nationalversammlungswahlen. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist und wir können die Wahlen nicht verhindern, müssen wir in die Lage versetzt sein, durch unsere Aktion uns ein Parlament zu schaffen, denn wir wollen keine Vernichtung der Revolution, sondern eine durchgreifende Fortführung der Revolution.

Genossin Duncker [Berlin Zentrale]: Für mich ist die Frage der Beteiligung an den Wahlen keine prinzipielle, sondern eine taktische Frage. In der Beurteilung der Nationalversammlung sind wir uns einig. Darüber wird zwischen uns kein Streit sein. Aber, Genossen! Sie kennen unser Programm. Sie werden sich erinnern der sehr klaren und deutlichen Ausführungen am Schluß. Wir werden die Macht nur dann ergreifen, wenn der bewußte, der klare Wille der Mehrzahl der Proletarier Deutschlands hinter uns steht. Glauben Sie, daß wir heute schon so weit sind? O nein! Dann irren Sie sich! Noch nicht einmal in Worten sind wir so weit. Und wir sitzen gewissermaßen hier wie die Kinder, die Knospen mit den Fingern aufmachen wollen, ohne zu warten, bis sie von selbst aufgehen.

Wie wollen wir das erreichen, daß wir die Majorität der Proletarier hinter uns bekommen? Wir können es nur dadurch erreichen, daß wir jede Gelegenheit benutzen, die uns für die Agitation für unsere Ziele gegeben ist. Und eine solche Gelegenheit ist auch die Wahlbewegung. Glauben Sie, daß, wenn wir Versammlungen jetzt abhalten mit der Devise: Wir beteiligen uns nicht, daß uns in diese Wahlversammlungen noch Leute hineinkommen, außer denen, die schon auf unserem Boden stehen? Wenn wir dagegen eine formelle Beteiligung beschließen, dann haben wir die Möglichkeit, in den Versammlungen zu den Massen zu sprechen, die Nationalversammlung als das hinzustellen, was sie ist, als die nackte Interessenvertretung der Bourgeoisie, und das Rätesystem in seiner ganzen Überlegenheit zu charakterisieren. Wenn wir mit den Massen sprechen, dann haben wir auch die Möglichkeit, das Rätesystem erst einmal zu dem zu bilden, was es sein soll. Da hat ja Genosse Liebknecht ganz recht, das Rätesystem, als was es sich bis jetzt darstellt, so hat es versagt. Das hat doch die Nationalversammlung beschlossen. Es sind doch die Räte zum großen Teil gewählt in der Weise, wie wir es wünschen. Es ist nicht möglich, wir können nicht anders die Macht gewinnen, als indem wir eben überall jede Möglichkeit der Agitation benutzen.

Eins möchte ich hineinwerfen. Wir müssen doch auch denken an die eine große Hälfte der Wähler, die Frauen, die bis jetzt irgendeine politische Berechtigung nicht hatten, denen jetzt zum ersten Mal das politische Wahlrecht gegeben wird. Glauben Sie, daß die Frauen, nachdem man ihnen Jahrzehnte hindurch gesagt hat, ihr müßt dieses Recht erkämpfen, daß sie uns jetzt folgen werden, wenn wir ihnen sagen, jetzt benutzt es nicht? Das wird eine kleine Zahl derer tun, die aufgeklärt ist. Die großen Massen werden sich hinter die USP stellen, soweit sie überhaupt proletarisch fühlen und denken, und werden die Wahllisten der USP wählen. Die Frauen werden sich dieser Parole in ihrer Majorität nicht fügen. Aber wenn wir die Möglichkeit haben, in unseren Wahlversammlungen mit ihnen zu sprechen, sie aufzuklären, in unseren Wahlversammlungen.

Wir können allgemein aufklärende Versammlungen haben, da werden uns aber gerade die nicht kommen, die sich danach sehnen, zu erfahren, wen sollen wir wählen. Jetzt haben wir das Wahlrecht. Glaubt Ihr nicht, daß die Frauen dann zu großen Haufen den anderen nachlaufen werden? Dann sagen Sie, wir wollen die Nationalversammlung auseinanderjagen. Ja, haben wir schon die Macht dazu, sie auseinanderzujagen? Gewiß, man kann es heute tun, so wie Sie den Vorwärts einmal besetzten, und den anderen Tag lassen Sie ihn wieder zurückkommen. Die Macht ergreift man erst, wenn man die Massen hinter sich hat. Wir müssen in anderer Weise aufklären, ein Stück Anschauungsunterricht geben.

Ich glaube, eines der wichtigsten Anschauungsunterrichtsmittel, das ist diese Nationalversammlung. Wenn sie zustande kommt, gleich am ersten Tage, zeigt sie, was sie ist, als was wir sie denunzierten, eine nackte Interessenvertretung der Bourgeoisie, und wenn das die proletarischen Massen sehen, werden sie sich nicht mehr von Ebert-Scheidemann gängeln lassen. Sie werden sich abkehren von ihren Führern, sie werden zu uns kommen, und sie werden sagen: Die hatten recht, die sagten, die Geschichte taugt nichts. Ohne diesen Anschauungsunterricht werden Sie die Leute nicht überzeugen. Ich wünsche diesen Anschauungsunterricht den Proletariern, die jetzt auf die Nationalversammlung als einziges Heilmittel schwören, dann ist unsere Zeit gekommen. Dann werden wir diese große Majorität des Proletariats hinter uns haben, die uns die Möglichkeit geben wird, die Macht zu ergreifen, die Macht., die nicht eine Diktatur einer kleinen Minderheit des Proletariats, sondern die Macht des Proletariats selbst ist.

Vorsitzender Pieck: Es sind hier drei Anträge eingelaufen, ein Antrag Rogg (Duisburg), einheitliche Stimmzettel abzugeben, auf denen mir die beiden Namen Liebknecht und Luxemburg vermerkt sind, zweitens ein Antrag Rühle [Pirna] der die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung ablehnt, und drittens ein ähnlicher Antrag von mehreren Berliner Genossen. [7]

Antrag ROGG (Duisburg): Die Reichskonferenz wolle beschließen, sich an der Wahl der Nationalversammlung zu beteiligen und für das ganze Reich einheitliche Stimmzettel abzugeben, worauf nur die Namen Liebknecht und Rosa Luxemburg stehen sollen. In diesen Namen verkörpert sich die ganze Stellung zur Nationalversammlung.

Antrag RÜHLE (Pirna): Die Reichskonferenz des Spartakusbundes lehnt die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung mit Entschiedenheit ab, verpflichtet ihre Anhänger im Reiche zur Wahlenthaltung und ruft sie auf, das Zustandekommen und die gegenrevolutionäre Tätigkeit dieses Parlaments mit allen Mitteln zu verhindern.

Antrag Fränkel (Königsberg), die Redezeit auf fünf Minuten zu beschränken.

[Genosse] Schubert (Charlottenburg) spricht dagegen.

 

Antrag wird abgelehnt.

Genosse Leviné (Neukölln): Genossen! Ich möchte mit den Worten meiner Vorrednerin beginnen. Die Frage der Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung ist keine prinzipielle Frage. Aber sie ist eine wichtige Frage. Es ist nämlich so, daß von Seiten einiger Gegner der Wahlbeteiligung Argumente aufgestellt werden, die nicht stichhaltig sind und daher von den Freunden der Wahlbeteiligung leicht widerlegt werden können, die die Beteiligung an den Wahlen in den Bereich des Notwendigen rücken. Es wird unseren Genossen, die für die Wahlbeteiligung eintreten, der Vorwurf gemacht, sie wollten sich wieder an Parlamentsaktionen beteiligen. Es ist selbstverständlich davon keine Rede, und ich möchte gerade dieses Argument ausscheiden und andere anführen, die gegen die Beteiligung sprechen.

Unter Parlamentärismus versteht man die Beteiligung im Parlament, die Aktionen außerhalb des Parlamentes ausschließt, Verlegung des Schwerpunktes des politischen Kampfes in das Parlament. Selbstverständlich haben die Genossen, die für die Wahlbeteiligung eintreten, nicht diese Absicht gehabt, sie haben nicht gewollt, die Massen außerhalb der Nationalversammlung lahmzulegen. Weisen wir nun diesen Einwand zurück, so bleiben uns deswegen nicht weniger gewichtige Einwände gegen die Wahlbeteiligung.

Um einen Entschluß zu fassen, müssen wir uns die Frage vorlegen: Welche Aufgaben stellt uns die allernächste Zukunft, und ist mit ihnen die Beteiligung an der Nationalversammlung vereinbar? Es ist nicht etwa die Frage, schickt man einen Redner in eine feindliche Diskussionsversammlung, es ist nicht aus dem Grunde gegen den Genossen Levi polemisiert worden. Wir wollten keine Kraftvergeudung. Die Frage lautet: Sind die Aufgaben der nächsten Zukunft zu vereinbaren mit der Beteiligung an den Wahlen? Wir wissen, daß in beiden Fällen, ob wir uns beteiligen oder nicht, eine kleine Minderheit der arbeitenden Massen hinter uns stehen wird. Im Falle der Beteiligung werden es nur wenige sein, und das hat selbst unsere Zentrale gefühlt, indem sie erklärt, es liegt uns ja nicht daran, etwas im Mehrheitsverhältnis zu verändern. Wir wollen nur ein paar sturmerprobte Genossen hineinbringen. Ich glaube aber auch, daß im Falle eines Boykotts uns nur wenige folgen werden. Womit hängt das zusammen? Es hängt nicht damit zusammen, daß der Spartakusbund etwa nicht die Kraft gehabt hat, genügend Anhänger zu werben, daß er nicht die Kraft gehabt hat, seine Organisation so weit hinauszuschieben. Es hängt mit der frühen Stufe der Revolution zusammen, welche es den Massen noch nicht erlaubt, an unsere Seite zu treten.

Es ist selbstverständlich, daß alle die Tausende Frauen und Mädchen, die jetzt zum ersten Male wählen, ihre Stimmen nicht für uns abgeben. Es ist selbstverständlich, daß sie auch unserem Boykottruf nicht Folge leisten werden. Aber es ist unsere Aufgabe, die Verhältnisse so zu beeinflussen, daß zwischen dieser und jener Periode, wenn wir die Mehrheit haben, ein möglichst geringer Zeitraum liegt. Wir müssen durch Propaganda und durch Agitation und durch politisches Erleben zeigen, daß aus der ganzen Anarchie der jetzigen Verhältnisse es keinen anderen Ausweg gibt als Kämpfe um die sofortige Sozialisierung. Das ist unsere Stärke im Kampfe gegen die Abhängigen und Unabhängigen, daß wir auf dem Boden der sofortigen Sozialisierung stehen. Und sobald die Arbeitslosigkeit noch mehr wächst, desto mehr können wir auf dieses Mittel hinweisen. Aber das ist ja die Erfahrung, die wir durch die russische Revolution gewonnen haben, daß politische Prinzipien sich nicht gewinnen und aneignen lassen durch Erlasse und Erklärungen, es bedarf eines Anschauungsunterrichts. Auch im politischen Leben gibt es jenes System der Arbeitsschule, wo man durch die Mitarbeit lernt. Das sind die Räte. Wir haben keinen andern Ausweg jetzt in der politischen und wirtschaftlichen Situation, als unsere ganze Macht einzusetzen für die Räte. Uns wird erklärt, die Räte sind im Absterben. jene Zweige sterben ab, die von fremden Bäumen abgeschnitten und in schlechter Weise aufgepfropft worden sind, jene Offiziers- und Koalitionsräte, entstanden aus Verabredungen der Führer der Abhängigen und Unabhängigen. Das sind fremde Treibhausgewächse. Aber jene andern Räte stehen kräftig da, und kein Sturm wird sie entwurzeln. Unsere Aufgabe besteht darin, die Organisation von unten aufzubauen, die Betriebsräte auszubilden, gerade weil die örtlichen Räte jetzt ein Schattendasein führen, weil sie sich von der Regierung Ebert-Haase an die Wand haben drücken lassen. Wir müssen unser Augenmerk darauf richten, die Betriebsräte für den wirtschaftlichen Kampf einzurichten, jeden Arbeiter heranzuziehen zur Mitarbeit. jede Beteiligung an einer Wahl ist für diese Zusammenfassung der Massenorganisation von unten auf unvereinbar. Wären die Massen so hochstehend, wie viele der Genossen es wünschen, dann würden sie versuchen, in den Betriebsräten tätig zu sein, statt einen kleinen Spaziergang zu machen, um ihren Wahlzettel in die Urne zu werfen. Gerade die Genossen von der Zentrale sagen, daß die Massen noch nicht genügend aufgeklärt sind, das spricht gegen die Wahlbeteiligung. Wir könnten es hier den Genossen vielleicht erklären, wie man gegen die Nationalversammlung und für die Beteiligung an den Wahlen sein kann. Aber diese Genossen werden nicht mehr fähig sein, in den Betrieben ihren Kollegen dasselbe beizubringen . Es ist ganz richtig, die Massen denken primitiv, und soweit sie nicht politisch aufgeklärt sind, haben sie vielleicht einen Gedankengang, der nicht streng logisch ist, daß es absolut nicht notwendig ist, daß man gegen die Nationalversammlung und deswegen gegen die Wahlen sein soll.

Aber die Masse denkt so. In dem Augenblick, wo man ihr sagt, beteiligt Euch an den Wahlen, verwischt sich ihre strenge Gegnerschaft zur Nationalversammlung, und der Schwerpunkt verlegt sich von der Aufgabe des Ausbaus der Betriebsräte auf die Hoffnung, in der Nationalversammlung etwas erringen zu können. Es ist daher eine große Gefahr, dieses Schlagwort zu brauchen. Es ist viel davon gesprochen worden, daß all der agitatorische Widerhall, den wir zu finden glaubten durch unsere Wahlbeteiligung, jetzt wegfalle. Man zeigt uns von einer Seite das russische Beispiel, von der anderen Seite wird uns ... [8] Wie ist denn die Lage? Die Partei der Bolschewisten hat sich niemals Illusionen gemacht über die Nationalversammlung. Aber sie sagt, die russische Bevölkerung mußte die Beteiligung durchmachen. Warum? Weil in der russischen Bevölkerung seit Jahrzehnten von den anderen sozialistischen Parteien die Nationalversammlung als ein gewisses Heiligtum propagiert worden war, was in den breitesten Schichten der Bevölkerung tatsächlich den Glauben ausgelöst hatte, daß die Nationalversammlung etwas tun könne. Sie mußten daher eigentlich erst enttäuscht werden. Aber wie liegt die Sache hier? Hier ist eigentlich die Nationalversammlung dem Fühlen der meisten Schichten des Volkes genauso fremd wie das Rätesystem. Allerdings, die Spitzen des Proletariats haben den Gedanken der Nationalversammlung erlebt. Für sie bedeutet das Rätesystem kein Losreißen von liebgewordenen Gedanken.

Die Situation liegt so, ob wir wollen oder nicht: Die Massen werden in die Nationalversammlung gehen, die Massen werden unsere Gegner wählen, die Bürgerlichen, die Abhängigen und die Unabhängigen. Wie können wir es jetzt durch unsere Stellung zur Nationalversammlung bewirken, daß die Massen später zu uns zurückkehren? Wir stehen jetzt in der nächsten Zeit vor der Möglichkeit einer Diktatur Ebert-Scheidemann. Es stehen uns die schwersten Kämpfe bevor. Es hängt davon ab, ob diese Kämpfe erfolgreich sind oder ob wir zurückkehren werden müssen zur illegalen Arbeit. Auf jeden Fall müssen wir versuchen, der Nationalversammlung, der Koalition des Bürgertums mit den Mehrheitssozialisten eine reale Macht entgegenzusetzen. Diese reale Macht ist der Ausbau des Rätesystems. Glaubt Ihr etwa, die reale Macht des Bürgertums wird gebrochen, wenn Ihr Maschinengewehre gegen sie auffahren laßt? Sie wird auch nicht gebrochen, wenn Ihr ein paar Genossen hineinsetzt, sondern nur durch den Kampf von außen, durch den Kampf im Betrieb und auf der Straße. Diese Kämpfe müssen wir organisieren. Wenn es uns gelingt, dann wird das Problem überhaupt nicht aktuell, dann verschwindet die Nationalversammlung. Gelingt es uns aber nicht, und werden wir zunächst niedergeworfen, dann wird etwas anderes eintreten: Die Massen werden eine Enttäuschung erleben, und sie werden sagen. Die Spartakusleute und Kommunisten hatten doch recht, als sie uns sagten: Geht nicht hinein in die Nationalversammlung! Baut an Euren Räten! Organisiert Eure ganze Macht außerhalb, bereitet Euch vor zu einem Kampfe!

Genossin Duncker sagt uns, wir sind wie die Kinder, die Knospen frühzeitig zum Reifen bringen. Ich glaube, es ist die Wucht der Ereignisse, die wie ein Sprühregen im Frühjahr die Knospen auf einmal sich öffnen läßt. Wenn man aber schon jemand mit Kindern vergleichen will, so sind es diejenigen, die, anstatt jetzt daranzugehen, die Blüte der Revolution, das Rätesystem, zu hegen und zu pflegen und zum Wachstum zu bringen, bunten Schmetterlingen nachjagen, den Wahlen zur Nationalversammlung. Oder, ich möchte richtiger sagen, das Rätesystem, die Revolution ist nicht bloß eine Blüte, es ist eigentlich, als ob man in einem Urwald gehen müßte und unsere Genossen legen die Axt beiseite und wollen ihren Schmetterlingen nachjagen. Da sage ich ihnen, laßt Eure bunten Schmetterlinge und legt Eure Axt an das Gebäude der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.

Genosse Heckert (Chemnitz): Aller Opportunismus ist schändlich, der Opportunismus der Realpolitiker wie der revolutionäre Opportunismus, der gemacht wird von den Genossen, die gegen die Wahlbeteiligung sprechen. Wenn wir ihre Argumente hören und den Elan, mit dem sie hier gegen die Nationalversammlung arbeiten, möchte man fast zu der Überzeugung kommen, man hätte die 4½ Jahre Weltkrieg verträumt, ganz Deutschland wäre schon während des Krieges angefüllt mit einer Schar von Helden. Einzelne sind es gewesen, die in den 4½ Jahren geradegestanden haben, es hat mühseliger Arbeit bedurft, um ein größeres Häuflein zu schaffen. Der Radikalismus vor dem 9. November hat sich nicht breitgemacht. Nach dem 9. November haben die Heldenbrüste angefangen zu schwellen. Das muß festgestellt werden. Was hat es für einen Sinn, sich in blumen- und schmetterlingsreichen Phrasen zu ergehen? Leviné war gestern noch für die Nationalversammlung, und heute mittag hat er sich zu einem Gegner derselben bekehrt. Das ist keine besondere Schande, wenn sich einer zu einer anderen Meinung bekehrt. Diese Politik, die Sie empfehlen, ist allerdings die bequemste, nicht für Sie, aber wenigstens für die Mehrzahl unserer Anhänger. Wir wissen es genau, wir erfahren es täglich, die wir die Agitation betreiben, daß der Elan für eine wirkliche positive Arbeit in unserem Sinne durchaus nicht so üppige Blüten treibt. Die Genossen drücken sich gern von der Arbeit und vor allem von gefährlicher Arbeit und nicht nur in der Kriegszeit, das tun sie zum Teil noch jetzt. ([Zwischenruf:] „Was hat das mit der Nationalversammlung zu tun?“) Die Genossen sind zu einem wesentlichen Teil abgeneigt, Arbeit zu leisten, darum, wenn Sie kommen und Ihnen sagen werden, wir wollen uns nicht an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligen, werden sie herzlich erfreut sein. Sie können uns aber nicht versprechen, in derselben Zeit, die wir benutzt hätten, um im Wahlkampfe tätig zu sein, daß Sie die Genossen auf die Beine bringen werden, um gegen die Nationalversammlung tätig zu sein.

Keiner der Genossen, die gesprochen haben für die Nationalversammlung, hat Ihnen die Nationalversammlung als ein Allheilmittel empfohlen. Wir haben sie alle nicht gewollt. Es kommt aber darauf an, daß wir in diesen Wahlkampf eintreten und den Massen sagen, daß die Nationalversammlung der größte Schwindel ist. Ich brauche mich nicht gegen irgendeinen Opportunismus zu verteidigen. Ich habe auf dem Rätekongreß meine Meinung gegen die Nationalversammlung zum Ausdruck gebracht.

Auch in Rußland setzten sich die Bolschewiki für die Wahlen zu der Nationalversammlung ein, weil die russischen Arbeiter und Bauern erst die Erfahrung machen mußten. Hier gilt das nicht, sagt Leviné. Dieses Argument hinkt. Die drei Stunden, die sie Ihrer Meinung nach tagen wird, wird sie nicht beweisen können, ob sie gut oder schlecht ist. Dem deutschen Volk ist eingedrillt worden, von einem freien Parlament etwas zu erhoffen. Wir haben 50 Jahre in Deutschland in der Sozialdemokratie einen Kampf geführt für das gleiche Wahlrecht in Preußen, und wir sagten durchaus nicht den Arbeitern, der ganze Parlamentarismus ist eine Phrase. Wir sagten den Arbeitern, der Reichstag ist deshalb so miserabel, weil in der Junkerkammer des preußischen Staates die Politik gemacht wird. Wir haben 50 Jahre für das gleiche Wahlrecht gekämpft, wir haben mit einer Stimmung zu rechnen, die in den Massen steckt. So notwendig, wie in Rußland das Experiment war, so notwendig ist es in Deutschland, damit die Arbeiter überzeugt sind, daß die Nationalversammlung ihnen kein Heil bringen kann. Wir werden die Massen gar nicht vom Wählen abhalten können. Wir können ihnen nur sagen, wenn Ihr in die Nationalversammlung wählt, dann werdet Ihr eine konterrevolutionäre Institution schaffen, die die Probleme nicht lösen wird.

Wir werden mit Begeisterung für die Räte eintreten, es kommt aber nicht darauf an, ob wir wünschen, daß die Räte da sind, ob wir sie ausbauen wollen oder ob die anderen diese Räte noch gestatten. In aller Ruhe erkläre ich Ihnen, wenn wir gegen die Nationalversammlung jetzt auftreten, dann werden unsere Leute draußen sagen: Da beteiligen wir uns ebenfalls nicht an den Gemeinderatswahlen. Das eine entspricht dem anderen. Dazu möchte ich sagen, es gibt in Deutschland Proletariergemeinden, wo wir imstande wären, die Mehrheit zu bekommen. Das werden Sie nicht bestreiten wollen. Wenn wir erklären, wir beteiligen uns nicht an den Wahlen, wir sind für die Arbeiter- und Soldatenräte und die wollen wir ausbauen, so besteht die Möglichkeit, daß die Nationalversammlung beschließt: Es gibt keine Arbeiter und Soldatenräte mehr. (Zwischenruf: „Wir brauchen keinen großen Respekt davor zu haben!“) Dazu möchte ich bemerken, daß zum Beispiel im Sachsenlande unsere Macht nicht so groß ist, daß wir alle Machtmittel anwenden könnten. Die Maschinengewehre sind leider auch in größerer Anzahl bei den anderen. Es gibt Gemeinden, in denen keine Räte sind. Wenn wir uns nicht an den Wahlen beteiligen, so werden die Gemeinden, wo wir die Mehrheit haben könnten, den reaktionären Gegnern ausgeliefert werden. Wie lange, weiß ich nicht. Der Genosse Rühle kann mir nicht versprechen, daß der Zustand, in dem wir gegenwärtig leben, in 14 Tagen oder 3 Wochen schon erledigt ist. Mit schönen Beispielen wird immer operiert.

Die russischen Bolschewiki, die im Juli den Rätekongreß verließen, riefen: Es lebe die Nationalversammlung! Die haben dann die Nationalversammlung gesprengt. Es ist von der Genossin Luxemburg dargestellt worden, wie die russischen Genossen dazu übergingen, die Nationalversammlung zu sprengen, als sich bereits die Macht in den Händen der linken Gruppe befand, die Macht, die wir noch nicht haben, und es wird wohl eine Weile dauern, bis wir sie in unsere Hände bekommen.

Ich bin dafür, daß wir uns an den Wahlen beteiligen, weil wir jede Position ausnutzen müssen. Auch der Wahlkampf ist eine Position. Ich verspreche mir nicht viel Mandate davon, und diejenigen, die hineinkommen, werden drinnen gar nichts erreichen. Wir werden nur erreichen, daß das deutsche Volk sieht, die Nationalversammlung ist derselbe Schwindel wie der alte Reichstag. (Große Heiterkeit.) Verzeihen Sie, Ihnen kommt das lächerlich vor, der Mehrzahl der Arbeiter ist das gar nicht lächerlich. Die Mehrzahl der Arbeiter ist der Anschauung, daß die Dinge im Deutschen Reichstag anders lagen als heute in der Nationalversammlung. Ich habe nichts dagegen, daß Sie das den Massen täglich in die Ohren schreien, aber es kommt nicht darauf an, was Sie den Massen sagen, sondern was die Massen selber glauben. Und sie glauben an die Nationalversammlung. ([Zwischenruf:] „Die Masse will keine Nationalversammlung!“) Die Tatsache, daß die Masse keine Nationalversammlung will, wird bewiesen dadurch, daß die Demonstration der Scheidemänner größer war als die unsrige. In unserem Zuge waren keine 160 000 Mann wie bei den Scheidemännern. ([Zwischenruf:] „Lassen Sie sich das Zählen beibringen!“ Glocke des Präsidenten.) Es kann sein, daß ich mich geirrt habe, es war jedenfalls bei den anderen ein beträchtlicher Haufe beisammen. Chemnitz ist eine Arbeiterstadt, und für uns haben nur 7.000 Stimmen gewählt, während auf die anderen 10.000 Stimmen entfielen.

Wir haben bewiesen in unserer Gegend, daß wir für die Revolution gearbeitet haben, und es wird keinen Menschen der deutschen Arbeiterbewegung geben, der uns irgendeinen Vorwurf machen kann. Genosse Jacob ruft mir zu, daraus spricht der Geist Noskes. Ich weiß, von welchem Geist hier die Arbeiterschaft erfüllt ist. Wenn ein anderer Geist herrschte, so wäre es unmöglich gewesen, daß ein solch lächerliches Organ, wie es das Berliner Mitteilungs-Blatt war, die Arbeiter ein Jahr lang befruchtet hätte. Schaut doch hin, wohin Ihr mit dem Vorwärts-Boykott gekommen seid. Ich bin so wie Ihr der Anschauung, daß wir mit unserer ganzen Kraft einzutreten haben, um die Revolution vorwärtszutreiben, daß nur die Räte uns erlösen können aus dem Elend. Ich bin aber nicht dafür, daß wir uns passiv verhalten sollen, wo es darauf ankommt, die größte revolutionäre Tatkraft zu entfalten. (Zwischenruf: „Nein! Nie!“)

Sie sagen nein. Ich kann Sie nicht daran hindern. Ich habe nicht die Absicht, eine Position, die gegeben ist, zu verlassen. Die Argumente, die Sie vorgebracht haben, sind von demselben revolutionären Opportunismus diktiert wie früher die Argumente der Realpolitiker. Werden Sie in diesen Wahlkampf eintreten mit eigenen Listen, nicht mit kompromittierten Leuten aus der USP, sondern Liebknecht und Rosa Luxemburg, dann könnte niemand kommen und sagen, wir hätten die Absicht, die Revolution zu erwürgen. Die Kräfte, die im deutschen Arbeiter stecken, die ein Wahlkampf entwickelt, sollen für unsere Zwecke benutzt werden. Es soll im Wahlkampf gesagt werden, daß die Nationalversammlung ein Schwindel ist, wenn wir aber den Weg gehen, den Sie vorschlagen, dann werden wir zum 19. Januar nicht den fünften Teil der Leute auf die Beine bringen.

Genossin Naumann (Dresden): Wir in Dresden sind absolute Gegner der Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung. Das Referat der Genossin Luxemburg und der anderen Redner, die dafür gesprochen haben, konnten mich auch heute eines anderen nicht belehren. Wir stellen uns in direkten Widerspruch, wenn wir den Massen sagen müssen, die Nationalversammlung ist das Erbärmlichste und Schändlichste, was geschaffen wird, trotzdem wollen wir uns beteiligen, um agitatorisch besser wirken zu können. Das trifft nicht zu. Es wird von der Tribüne der Nationalversammlung noch weniger der Fall sein, als es den Genossen Liebknecht und Rühle im Reichstag möglich war. Dazu sind uns unsere besten Genossen viel zu schade, und es ist unnötige Kräftevergeudung. Wenn die Nationalversammlung zustande kommt, so wird es nicht allzulange dauern und die Verhältnisse werden wieder stärker sein und für sich selbst arbeiten, um die Nationalversammlung wieder auseinanderzujagen. Es wird uns bedeutend leichter werden, den Massen zu erklären, daß wir uns mit solchem Schmutz nicht bewerfen wollen. Deshalb bitte ich Sie alle, Ihre Kräfte dafür überall einzusetzen und gegen die Beteiligung einzutreten und den Antrag des Genossen Rühle anzunehmen.

Genosse Rogg (Duisburg): Genossen, ich ersuche Sie dringend, nicht in den Fehler zu verfallen, die Stimmung der Massen mit der Stimmung auf der Konferenz zu verwechseln. Sie würden eine arge Enttäuschung erleben. Die Aktivität der Massen ist erwacht, und wir müssen jedes Mittel anwenden, diese Aktivität im Flusse zu erhalten. Es würde ein Fehler sein, wenn wir uns an der Wahl überhaupt nicht beteiligen würden. Dieser Beschluß würde bei großen Teilen der Arbeiterschaft überhaupt nicht verstanden werden. Ich denke nicht im geringsten daran, einer Wahlbeteiligung aus Opportunität oder aus Neigung zu parlamentarischen Kompromissen das Wort zu reden, sondern ich denke an eine Wahlbeteiligung im Sinne des Protestes. Zu diesem Zwecke ersuche ich Sie, meinen Antrag anzunehmen, welcher besagt:

Die Reichskonferenz wolle beschließen daß wir uns an der Wahl beteiligen, einheitliche Stimmzettel für das ganze Reich herausgeben, auf denen nur die Namen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg stehen sollen. In diesen beiden Namen verkörpert sich unsere ganze Stellungnahme zur Nationalversammlung. Sie sind ein flammender Protest gegen dieselbe. Beteiligen wir uns an der Wahl nicht, so werden eine Menge Stimmen auf die Scheidemänner fallen, die sonst für uns abgegeben würden.

Genosse Tetens (Wilhelmshaven): Genossen! Wir müssen uns klarwerden über die Wirkungen, die hervorgerufen werden, wenn wir uns an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligen. Gestern haben wir uns als neue Partei konstituiert. Fassen wir heute den Beschluß, uns an der Nationalversammlung zu beteiligen, so tragen wir eine Totgeburt aus der Konferenz. Wir dürfen nicht in dieselben Fehler verfallen, wegen deren wir die Unabhängigen bekämpfen. Unsere Ziele müssen wir klar vor dem klassenbewußten Proletariat aufrichten, sonst verwirren wir unsere eigenen Anhänger und verlieren ihr Vertrauen. Die Nationalversammlung unter dem Protektorat Ebert-Scheidemann wird den Staatskarren genau wie Kerenski in Rußland nur noch fester hineinfahren, und daran dürfen wir uns nicht beteiligen. Die Nationalversammlung, der Tummelplatz der Bourgeoisie, wird das vorhandene Chaos und auch die Lebensmittelnot nicht bannen können. Das Chaos wird noch größer werden, die von der Nationalversammlung geohrfeigten, jetzt noch denkträgen Massen werden zu uns kommen, weil wir eine zielklare Politik verfolgt haben. Die wirtschaftliche Anarchie läßt von selbst die proletarische Revolution heranreifen. Dann wird auch unser Zeitpunkt gekommen sein, die Zügel in die Hand zu nehmen, und wir müssen dann durch die sofortige Verwirklichung unseres Programms das Vertrauen der breitesten Massen zu gewinnen suchen. Vor allen Dingen dürfen wir nicht vergessen, im Falle wir uns an den Wahlen beteiligen, was auch eine Kraftvergeudung unsererseits bedeutet, so verlieren wir alle Sympathien bei den revolutionären Genossen des Auslandes. Dagegen bestärken wir sie in ihrem Kampfe für die Weltrevolution, wenn auch wir unser Banner klar entfalten. Für uns gibt es nur einen Weg, die Massen für politische Aktionen heranzubilden, nur ein Ziel, für das wir alle Kräfte einzusetzen haben, die Räterepublik.

Genosse Kindl (Magdeburg): Genossen, ich kam hierher mit gebundenem Mandat. Ich habe mich eines anderen belehren lassen. Wir Magdeburger standen auf dem Standpunkt der Ablehnung der Nationalversammlung, aber Beteiligung an den Wahlen aus agitatorischen Rücksichten. Wir gingen von dem Standpunkt aus, daß die Nationalversammlung ein Schwindel ist, wie schon so vieles andere während der Kriegszeit, und haben das durch die [Teilnahme an den Wahlen zur] Nationalversammlung beweisen wollen, um jedes Argument der Gegner abzuschneiden, damit nicht gesagt werden könnte, Ihr habt Euch ja nicht an den Wahlen beteiligt, sonst wäre es anders gekommen. Wir haben die Absicht, uns an der Wahl zu beteiligen.

Genosse Schubert (Charlottenburg): Die Ausführungen des heutigen Vormittags, sowohl des Genossen Liebknecht wie des Genossen Radek, haben bewiesen, daß man in revolutionären Zeiten klare Richtlinien und Parolen aufstellen soll. Die ganze Frage der Nationalversammlung am Nachmittag ist heute morgen durch den Genossen Liebknecht widerlegt worden. Er hat heute morgen den Standpunkt vertreten, der Sozialismus ist eine Frage der Macht, die in keinem Parlament, sondern auf der Straße und auf den Schlachtfeldern vertreten werden muß. Auch die Genossin Luxemburg hat auf der Berliner Verbandsgeneralversammlung [9] genau wie Liebknecht eine ganz andere Stellung zur russischen Revolution eingenommen als heute. Sie sagte dort, den letzten beißen die Hunde, heißt es sonst. Hier bei den russischen Genossen ist es anders gewesen, sie haben als erste versucht, den Kommunismus durchzuführen und den Parlamentarismus abzuschaffen. Aus diesem Grunde fangen wir da an, wo die russischen Genossen aufgehört haben. Genosse Levi sagt: Wenn wir uns an den Nationalversammlungswahlen nicht beteiligen, so lähmen wir unsere Bewegung. Dieser Standpunkt ist ein Standpunkt, den man als Revolutionär nicht vertreten kann und darf, wenn man nicht in Kollisionen kommen will mit der Masse, die auf dem Standpunkt steht, daß die Macht in den Händen der Arbeiter liegen muß. Es kann nur eines geben, die Verwirklichung des Sozialismus durch die Macht der Arbeiterräte.

Wenn wir uns heute in diesem Stadium der Revolution für das Parlamentarisieren erklären, so würden die Leute, die noch schwankend sind, sehen, daß keine Klärung zwischen Spartakus und Unabhängigen vor sich gegangen ist, weil wir in den althergebrachten Formen den Stimmzettel handhaben. Mögen sie Ebert und Scheidemann wählen, uns kann das nicht in unserm Tun beirren. Es steht fest, wenn wir in diesem Sinne arbeiten, werden wir ein schweres Feld haben, aber weil wir überzeugt sind, daß sich die Verhältnisse zu unseren Gunsten entwickeln, gibt es für uns keine andere Lösung als die Parole. Nieder mit dem Parlamentarismus, und kein Paktieren. Die Charlottenburger Genossen stehen auf dem Standpunkt, zum Spartakusbund überzutreten, wenn wir nicht heute zu dem Resultat kommen, der Spartakusbund will dasselbe wie die USP. Ihr Theoretiker könnt es anders auslegen, aber der Instinkt der Masse faßt das nicht so schnell. Pflicht der Arbeiter- und Betriebsräte ist es, die Führer, die uns von unserem Wege abbringen wollen, auf den rechten Weg zu lenken.

Antrag Schuhmacher (Halle) auf Schluß der Debatte wird abgelehnt.

[Genosse] Gehrke (Braunschweig): Parteigenossen, ich gönne der Zentrale die Niederlage, sie hat selbst schuld daran. Wir Braunschweiger können nicht anders, als für die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung sprechen. Die Braunschweiger Verhältnisse bedingen das, und wir können davon nicht abgehen. Wir sagen uns, es muß unbedingt diese Agitation für die Nationalversammlung zugleich auch eine Agitation für uns sein. Wenn wir jetzt zurückstehen, dann erleiden wir in Braunschweig ein Fiasko, wie es nicht auszudenken ist. Konsequent einer Sitzung muß ich dafür plädieren, daß die Versammlung für Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung ist.

[Genosse] Hirsch (Cuxhaven): Bevor ich zum Kongreß fuhr, hatte ich mit meinen Parteigenossen Rücksprache genommen über den Punkt Nationalversammlung. Die Stimmung war geteilt, eine Abstimmung erfolgte nicht. Die heutige Diskussion hat mich vollkommen davon überzeugt, daß wir uns an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligen müssen. Die Argumente, die gegen die Beteiligung an den Wahlen vorgebracht wurden, entbehren jeglicher Sachlichkeit. Wenn Genosse Rühle erklärte, daß die Beteiligung an den Wahlen ungefähr dasselbe sei wie die Bewilligung der Kriegskredite, so ist das zweifellos ganz verkehrt. Die Scheidemänner bestätigten die Kredite, damit Krieg geführt werden könne, wir beteiligen uns an den Wahlen, um auf diese Weise die Nationalversammlung besser sprengen zu können. Unsere Genossen werden immer Gelegenheit haben festzustellen, daß sie gegen die Nationalversammlung sind. Nicht weniger als fünf Redner haben erklärt, sie stimmen gegen die Nationalversammlung, während es sich doch nicht um die Nationalversammlung, sondern um die praktische Beteiligung an den Wahlen handelt.

Die Gegner der Beteiligung haben mehrfach die Unreife der Massen angeführt. Die Unreife der Massen aber gerade spricht dafür, daß wir heute die Nationalversammlung nicht verhindern können. Die politische Lage muß hier zweifelsohne maßgebend sein. Die politische Lage ist aber heute so, daß wir die Mehrheit des Proletariats noch nicht hinter uns haben. Wenn auch hier in Berlin die Demonstrationen der Spartakusleute bei weitem in der Mehrheit gegenüber den Scheidemännern waren, so ist das doch nur ein Berliner Zustand. In der Mehrheit des Landes sind die Proletariermassen, die für uns sind, heute noch in der Minderheit. Und das ist das ausschlaggebende. Ein Zeichen dafür sind doch die Beschlüsse des Zentralrates [10], daß wir eine Nationalversammlung haben sollen. Wir könnten eventuell hier in Berlin eine Regierung einrichten, wie es Genosse Rühle meint. Aber das ist nicht der Zustand, den wir erstreben. Ich setze mich dafür ein, daß wir die Herrschaft erst übernehmen wollen, wenn wir die geschlossene Mehrheit des Proletariats hinter uns haben. Wir wollen nicht die Masse des Proletariats vergewaltigen gegen ihren Willen, sondern wir wollen ihren Geist vergewaltigen, bis wir ihn auf unserer Seite haben. Wenn wir uns an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligen, haben wir jedenfalls eine Tribüne mehr; wir brauchen deshalb die anderen Tribünen der Straße nicht zu vernachlässigen.

Es wurde mehrmals gesagt, wenn wir unsere Genossen in die Nationalversammlung hineinbekommen, so wird es da nicht besser sein als im Reichstag. Ich meine, die Nationalversammlung wird noch schlechter sein als der Reichstag. Desto eher wird sie abgewirtschaftet haben. Ich meine, daß die nächste Zeit für diejenige Partei, die am Ruder ist, unglaubliche Schwierigkeiten bringen wird. Diese Schwierigkeiten würden wir auch mit unseren wirtschaftlichen Prinzipien nicht bewältigen können. Je schlimmer der wirtschaftliche Bankrott, den die Bourgeoisie und ihre Sklaven herbeiführen, und je schlimmer diese konterrevolutionäre Nationalversammlung, desto besser für uns, desto [eher] wird das Proletariat einsehen, daß diese Nationalversammlung und ihre Schöpfer seine Feinde sind, die wir bekämpfen müssen. Darum soll die Nationalversammlung kommen, und darum, weil sie kommen soll und wird, müssen wir uns an ihr beteiligen, damit wir nicht mundtot gemacht werden können. Ich spreche mich dafür aus, daß wir uns an den Wahlen beteiligen. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß dieser Beschluß wichtig ist, und bitte Sie, sich nicht dadurch beeinflussen zu lassen, wenn die Mehrheit der Diskussionsredner dagegen spricht.

[Genosse] Rieger (Berlin): Obgleich seit vielen Jahren Gegner des Parlamentarismus, habe ich doch eine Zeitlang geschwankt, ob wir gut daran tun, uns aus der Nationalversammlung auszuschalten und auf ihre Ausnutzung im Sinne der Revolution zu verzichten. Ich habe aus dem Grunde zunächst geschwankt, weil ich mir sagte, daß es ein Teil der Genossen sicher nicht verstehen könnte, daß man hier, wo es sich nicht direkt um eine dauernde gesetzgebende Körperschaft handelt, sondern um ein Zweckparlament, das einzig und allein die Aufgabe hat, den Bau der zukünftigen Gesellschaft aufzurichten, daß es möglicherweise nicht verstanden wird, wenn man bei dieser Zusammenkunft der Zimmermeister nicht zugegen sein könnte. Ich bin aber von diesem Schwanken abgekommen, und zwar durch die Erwägung, wenn wir zu diesem ausgesprochen gegenrevolutionären Schandstück gegen das Machtinstrument, auf dem wir unsere ganze Kraft und Zukunft aufzubauen willens sind, dieses Gegenstück gegen das Rätesystem, wenn wir uns an den Wahlen zur Nationalversammlung beteiligen, würde erst recht Verwirrung geschaffen werden. Eine gewisse geistige Konzession an den Gedanken der Nationalversammlung ... [11]

Wir müssen uns frei machen von der Phrase der Demokratie im althergebrachten, vergifteten Sinne. Es ist nicht Demokratie, wenn wir zwar gleiches Wahlrecht haben, aber im übrigen kein gleiches soziales Recht. Das gleiche Genußrecht ist viel wichtiger als alles andere. Wir müssen mit diesem Schwindel, mit dem Parlamentarismus im bürgerlichen Sinne, klipp und klar brechen. Die Mehrheit in den Arbeiterräten soll der sichtbarste Ausdruck der wahren Demokratie werden. Zwecklos reden ist Toren Vergnügen, sagte Wilhelm Liebknecht. Wir müssen den Kontakt mit den Massen draußen herstellen und uns den Einlaß erzwingen wie die Deputation der Soldatenräte in Berlin. Das Vertretungssystem müssen wir auf alle Fälle ablehnen. Wir müssen Mut haben zu bekennen, welchen reaktionären Zwecken die Nationalversammlung dienen soll, nämlich, die Arbeiterräte illusorisch zu machen. Es kann daher kein Paktieren mit irgendwelchen Institutionen der Bourgeoisie geben. Also bleiben Sie konsequent! Lassen Sie sich nicht abbringen, und lehnen Sie jede Wahlbeteiligung ab!

[Genosse] Widmann (Frankfurt am Main): Obwohl meine Mitgliedschaft in ihrer Mehrheit für eine Beteiligung an den Wahlen ist, kann ich nicht dafür stimmen. Die Gründe haben ja meine Vorredner bereits angeführt. Eins vermisse ich in der Debatte, wir sind gar nicht darauf eingegangen, wie wir die Agitation betreiben wollen während der Wahl. Das ist ein wichtiger Punkt, das müßte mehr besprochen werden. Vorübergehen dürfen wir diese Gelegenheit nicht lassen, ohne daß wir eintreten in eine rege Agitation. Das ist der günstigste Augenblick, unseren Standpunkt klarzustellen. Es geht doch nicht an, Wahlversammlungen einzuberufen, um den Leuten zu erklären, wählet nicht. Man würde uns dann eben auslachen. Es bleibt also nichts übrig, als in gegnerische Versammlungen zu gehen und dort unseren Standpunkt zu präzisieren. Dazu gehören Redner, und so muß Berlin auch einmal an die Provinz denken. Dann Flugblätter usw. in Massen hinauswerfen.

Es entspinnt sich hierauf eine längere Geschäftsordnungsdebatte über Schluß der Diskussion. Schließlich wird ein Antrag des Vorsitzenden angenommen, daß je ein Genosse aus Bayern, Rheinland und Berlin das Wort erhält.

Genosse Triebel [12] erklärt, daß sich die Mitgliedschaft seines Bezirks gegen eine Beteiligung an den Wahlen ausgesprochen hat.

Genosse Liebknecht (Zentrale): Glauben Sie wohl, daß es keine angenehme Aufgabe ist, in dieser Debatte für die Wahlbeteiligung einzutreten. Glauben Sie wohl, daß die Argumente, die von Ihrer Seite angeführt worden sind, von uns wohl verstanden und gewürdigt werden. Glauben Sie ja nicht daß wir diese Argumente etwa nichtachtend beiseite schieben. Ich bitte Sie dringend darum, nicht mit Worten wie „Opportunismus“, „parlamentarischer Kretinismus“ gegen uns anzukämpfen. Ich glaube, daß unsere ganze bisherige politische Tätigkeit uns vor derartigen Auffassungen Ihrerseits schützen sollte. Seien Sie überzeugt, daß, wenn wir für die Wahlbeteiligung uns entschlossen haben, daß wir dies aus Erwägungen getan haben, die auch nicht um Haaresbreite abweichen im Schlußresultat von den Erwägungen, die Sie zu Ihrer Stellungnahme veranlaßt haben. Glauben Sie nicht, daß es uns darauf ankam, wie ein Redner gesagt hat, irgendwelche politischen Vorteile aus der parlamentarischen Tätigkeit in dem Sinne herauszuschlagen, in dem man im gewöhnlichen Sinne vom Parlamentarismus spricht. Glauben Sie vor allen Dingen nicht, daß wir es auch nur über uns bringen könnten, ein Wort zu sagen für die Beteiligung an den Nationalversammlungswahlen, wenn wir der Auffassung wären, daß diese Beteiligung nachteilig wäre für den revolutionären Geist der Bevölkerung, daß damit auch nur im allergeringsten dem Rätesystem Abbruch getan wird.

Wer meint, daß wir das Rätesystem preisgeben wollten, der verkennt vollkommen die Gesichtspunkte, von denen wir ausgegangen sind. Es ist ja gerade von uns mit zuallererst der Ruf gerufen worden übers Land, nachdem der Rätekongreß die Macht der Räte selbst verraten und preisgegeben hatte, der Ruf: Gleichviel wie dieser Kongreß beschlossen hat, wir halten daran fest, es bleibt bei der Macht der Arbeiter- und Soldatenräte. Es wird von uns diese Macht durchgeführt werden, gleichviel, was die Nationalversammlung tun wird. Wir werden ums auf die Massen stützen und werden die bisher noch in ihrer Mehrzahl reaktionären Räte umgestalten zu einem wirksamen Werkzeug der Revolution. Wir haben dies als Hauptaufgabe bezeichnet. Wir sind nicht bloß in Worten dafür, sondern wir sind, das dürfte Ihnen nach allem Bisherigen deutlich sein, wir sind entschlossen, auch alles dafür zu tun. Wir wissen, daß nicht in Worten die Politik gemacht wird, wir wissen, daß gehandelt werden muß, und wir sind entschlossen, nichts zu tun und für nichts die Hand zu reichen, was irgendwie dem Rätesystem nachteilig werden könnte.

Die einzige Differenz, die einzige Frage ist, ob die Wahlbeteiligung wirklich in dem Sinne gegenrevolutionär wirkt, wie Sie in Ihrer Mehrzahl meinen. Darin liegt die Differenz. Genossen, Sie werden ja zu entscheiden haben. Ich bin überzeugt, daß Sie so viel Einsicht haben in die politische Lage, so viel Einsicht in die Stimmung der Massen, in die weiteren Aussichten der deutschen Revolution, daß Sie mit Ihrer Entscheidung schließlich doch das Richtige treffen werden.

Aber, Genossen, trotz allem, es ist unsere Pflicht, unsere Auffassung geltend zu machen. Es ist doch möglich, wir sind ja hier, um uns gegenseitig zu belehren, es ist doch möglich, daß unsere Auffassung von Ihnen als richtig betrachtet wird. Es sind zwei Möglichkeiten der Entwicklung in Deutschland vorhanden. Die eine Möglichkeit ist, daß rapid mit dem Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft, unter dem Zusammenbruch der politischen Hoffnungen, die die Massen auf die Revolution des November gesetzt haben, eine außerordentlich schnelle Entwicklung sich vollziehen wird, daß wir vor überstürzenden Ereignissen stehen, daß wir in den nächsten Wochen vor der Tatsache der sozialistischen Revolution stehen. Ob wir die politische Macht im Namen des Proletariats ergreifen werden, ist eine Möglichkeit, die ich keineswegs von der Hand weisen will. Die nächsten Tage können Überraschungen bringen. Es geht oftmals über die Köpfe der sogenannten Führer hinweg die Entwicklung und Erkenntnis der Massen. Wir haben gerade in der letzten Zeit Proben davon gehabt, daß die Massen das Richtige erkannten, eher als die Führer. Jegliche Schulmeisterei liegt mir durchaus fern. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, daß neben dieser einen Möglichkeit der Entwicklung doch eine zweite Möglichkeit besteht, daß sich jetzt die Konterrevolution konsolidiert in den Händen der Scheidemann, Ebert und Genossen im Bunde mit dem Bürgertum. In der nächsten Zeit werden wir vielleicht zu illegaler Tätigkeit verurteilt werden, werden wir eingesperrt werden usw. Das würde eine Entwicklung sein, die uns veranlassen würde, auf eine etwas längere Spanne Zeit unsere Taktik einzurichten. Und für diese letztere Möglichkeit, nicht für die erstere Möglichkeit sosehr ist es, daß mir ein Beschluß auf Nichtbeteiligung an den Wahlen durchaus unzweckmäßig erscheint.

Sehen Sie, nehmen Sie an, daß wir mit einer längeren Periode der Entwicklung noch zu rechnen haben. Fassen Sie ins Auge, daß gegenwärtig das Proletariat in seiner großen Mehrzahl noch nicht vollständig revolutionär durchgebildet ist, dann werden wir genötigt sein, alle Mittel anzuwenden, um die Massen zu gewinnen und aufzuklären. Ich weiß, daß jeder von Ihnen ganz derselben Auffassung ist. Es handelt sich nur darum, welche Mittel kommen dafür in Frage. Selbstverständlich wird das bei weitem wichtigste Mittel für uns sein, die Massen bei ihren direkten Aktionen, die die Revolution geboren hat und die nimmer unterdrückt werden können, auf den Straßen, in den Fabriken zu unterstützen und voranzutreiben. Selbstverständlich wird unsere wichtigste Aufgabe sein, die Massen aufzuklären durch den Anschauungsunterricht, das Rätesystem zu revolutionieren, in den Betrieben selbst die Massen, wo sie in dem sozialen organischen Zusammenhang sich befinden, zu erfassen in ganz anderer Weise als bisher. Selbstverständlich werden wir das Hauptgewicht darauf legen, daß diese organisatorische Grundlage der revolutionären Entwicklung in keiner Weise verschandelt wird, im Gegenteil, sich mit immer größeren Kräften herausbildet. Aber es fragt sich, ob außerdem es nicht auch einen Wert hat, dasjenige zu tun, was wir Ihnen vorgeschlagen haben. Das ist nicht gedacht als etwas anderes als die Massenaktionen, sondern es ist nur gedacht als ein Moment zur Unterstützung der Massenaktionen. Und nun überlegen Sie sich! Wir stehen in der Wahlagitation. Es ist richtig, wir können Versammlungen abhalten und können heftige Angriffe gegen die Nationalversammlung richten, sie im voraus demaskieren, wie schon getan. Das ist natürlich von größtem Wert, und daß das geschehen wird, darüber dürfte Einmütigkeit bestehen. Niemand denkt an Untätigkeit, daß wir einfach bei den Wahlen stillsitzen wollten. Es handelt sich nur darum, ob wir nicht diesen Wahlkampf ausnutzen wollen in einem positiveren Sinne, um durch ihn einen stärkeren Eindruck machen zu können, wenn wir in den Zielen dieser Agitation noch präziser zum Ausdruck bringen unsere Gegnerschaft gegen die Nationalversammlung, indem wir den Massen klarmachen: Ihr sollt für uns stimmen, nicht, weil Ihr zufällig das Recht habt, jetzt einen Stimmzettel abzugeben. Ihr, die Ihr von diesem Rechte Gebrauch machen wollt, gut, macht Gebrauch davon, aber in einem Sinne, wie er der revolutionären Entwicklung entspricht, zum Zwecke der Bekämpfung der Nationalversammlung. Und, Genossen, es ist möglich, das den Massen klarzumachen: Schickt uns hinein, nicht damit wir dort parlamentarisieren, damit wir dort Vorteile ergattern, damit wir in irgendwelche Verhandlungen eintreten mit den Scheidemännern, wie von irgendeiner Seite gemeint worden ist, sondern damit wir mit Zähnen und Nägeln darin sitzen zur Vernichtung der Nationalversammlung.

Es wurde gemeint, ein solcher Kampf würde gänzlich bedeutungslos sein auf unsere parlamentarische Tätigkeit, während sie im Kriege nicht wertlos gewesen ist. Man mag sagen, was man will, tatsächlich war doch die Möglichkeit gegeben, bis zum Schluß, bis ich eingesperrt wurde ins Zuchthaus, war die Möglichkeit vorhanden, im Reichstage selbst zur Zerstörung des Reichstags, zu seiner Entlarvung vor der Öffentlichkeit beizutragen. Man sagt, es kann die Presse so arbeiten, es können die Berichte so abgefaßt werden, daß nichts in die Öffentlichkeit dringen wird. Durch Unterbindung der Presse kann in starkem Maße das, was wir in der Nationalversammlung zu tun haben werden, unterdrückt werden. Eines ist möglich, und eines kann nicht unterbunden werden, und eines dringt unzweifelhaft in die Öffentlichkeit hinein, nämlich, wenn nicht lange Reden gehalten werden – diese Reden verschwinden –, sondern wenn im Parlament selbst solche Aktionen unternommen werden, die die Verhandlungen stören. Es ist möglich, daß unter Umständen es zu heftigen Konflikten und Zusammenstößen kommen wird; schreckt man nicht davor zurück, so kann es auch zur Sprengung kommen. Es ist daher von einem gewissen Wert, daß man hereingewählt wird. (Zwischenruf: „Sehr zweischneidig!“) Es ist nach meiner Ansicht möglich, auf diese Weise aufpeitschend nach außen zu wirken, die Nationalversammlung zu diskreditieren, gerade die direkte Aktion zu machen.

Im übrigen hat die Agitation ihren ganz besonderen Wert auch gerade im antiparlamentarischen Sinne. Ich betone, daß wir stets nur ins Auge gefaßt haben eine Beteiligung an den Nationalversammlungswahlen im antiparlamentarischen Sinne, eine Beteiligung an den Wahlen, die nicht sein soll eine Umänderung unserer früheren Auffassung über die Nationalversammlung und ihre Tätigkeit, sondern die vielmehr sein soll eine Bestätigung, eine Bekräftigung dieser Auffassung. Ich gebe Ihnen vollkommen zu, daß die außerparlamentarischen Aktionen nicht abhängig sind von der Tätigkeit in der Nationalversammlung. Ich weiß genau, daß die Wurzeln der außerparlamentarischen Aktionen ganz woanders liegen. Ich weiß genau, daß unsere Wirksamkeit in der Nationalversammlung eine außerordentlich geringfügige sein würde. Ich halte es nicht für eine Lebensfrage für uns, aber ich bin der Ansicht, daß es ein großer Fehler ist, wenn man eine Möglichkeit der Wirksamkeit aufgibt. Wenn wir eine rapide Entwicklung jetzt haben werden, wie sie nicht ausgeschlossen ist, dann allerdings wird unser Beschluß ja von vornherein gegenstandslos sein. Dann werden wir in der Tat einfach vor den außerparlamentarischen Aktionen stehen. Die Nationalversammlung wird niemals in Existenz treten; es wird ein vollkommen ausgeblasenes Ei sein von vornherein. Aber es ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß die Nationalversammlung repräsentieren wird eine gewisse Zusammenfassung der Macht der herrschenden Klassen.

Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß durch eine derartige Tätigkeit – sie müßte sich in dem Rahmen der antiparlamentarischen Tätigkeit halten –, daß dadurch der außerparlamentarische Kampf und der Kampf für das Rätesystem nicht gestört werden könnten. Das ist in der Hauptsache, was uns veranlaßte zur Auffassung, daß die Wahlbeteiligung sich empfiehlt. Es ist, Genossen, darüber dürfen wir uns keinem Zweifel hingeben, so, daß dieses künftige Parlament, wenn sich wirklich eine gegenrevolutionäre Entwicklung, wie eine Möglichkeit besteht, zeigen wird, daß dieses Parlament eine gewisse Macht repräsentieren wird. Es ist die Möglichkeit vorhanden, daß sich gerade um dieses Parlament die weiteren außerparlamentarischen Kämpfe entspinnen werden. Die Geschichte gibt Beispiele dafür, daß wir nicht in einer vollkommen bedeutungslosen Körperschaft sitzen, sondern in einer Körperschaft von äußerster Gefährlichkeit für das Proletariat, nicht um dort zu schwätzen, um zu parlamentarisieren, sondern um dort mitten unter den Feinden des Proletariats zu sein und ihnen die Maske vom Gesicht reißen zu können, um ihre Arbeit zu zerstören mit allen Mitteln, um Brust [an Brust] mit den Feinden des Proletariats kämpfen zu können. Dieser Gedanke ist etwas ganz anderes, als was uns vielfach unterstellt worden ist. Dieser Gedankengang ist wohl der Überlegung wert, er ist wert, von diesem Gesichtspunkt die Sache noch einmal zu überlegen. Ich halte die Angelegenheit nicht für eine Kabinettsfrage, [aber] immerhin für sehr bedeutungsvoll. Wir werden natürlich nicht meinen, daß unsere Auffassung eine richtigere ist als die Auffassung, die Sie in Ihrem Beschluß zum Ausdruck bringen. Sie werden zu entscheiden haben. Ich bitte Sie nur, unsere Argumentation und unsere Stellungnahme nicht anders zu bewerten, als sie gemeint ist, nämlich nur zu bewerten als eine Stellungnahme, die bezweckt, alle Mittel auszunutzen zur Niederringung der Feinde des Proletariats, zur Erringung der Macht des Rätesystems.

[Genossin] Rosi Wolfstein (Düsseldorf): Ich gebe gern zu, daß von den Rednern, die sich gegen eine Beteiligung ausgesprochen haben, schief und weit über das Ziel hinausgehend argumentiert worden ist. Die Genossen haben auch uns, die wir gegen die Beteiligung sind, zum Teil etwas unterstellt, was nicht richtig ist. Genossin Luxemburg, wenn sie sagt, daß der Radikalismus, der für die Ablehnung der Nationalversammlungswahlen ist, es sich bequem macht, tut uns unrecht. Nicht aus Bequemlichkeit haben wir es beschlossen, sondern weil wir, wenn wir überhaupt mit der Möglichkeit rechnen würden, daß von uns Vertreter hineingehen sollen, weil wir darin ein viel leichteres Geplänkel sehen als das, was wir ausfechten wollen. Wir sind der Meinung, daß das, was nicht durch Stimmenzahl erscheinen wird am 19. Januar, daß das schon vorher aufgeboten wird. Liebknecht sagt, daß positiv gearbeitet werden muß. Wir haben jetzt schon die Parole ausgegeben, durch wirtschaftlichen Aufstand muß der jetzigen Regierung an die Kehle gesprungen werden, daß sie den Termin entweder zurückzieht oder gestürzt wird und daß die Ereignisse das beschleunigen, wie wir alle wünschen. Wir haben nicht die Absicht der Passivität und der Bequemlichkeit. Wir wissen genau, daß unsere Taktik eine viel intensivere ist als die der Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung. Es wird gefragt, was denn geschehen soll. Die Genossen von Düsseldorf haben das ausgesprochen in einer Resolution, die sich mit der Resolution des Genossen Rühle deckt. Außerdem haben wir die Absicht, eine eigene Versammlung einzuberufen, die sich damit auseinandersetzen soll. Wir haben in die gegnerischen Versammlungen hineinzugehen, zur USP und zu den Scheidemännern, und dort werden wir in der Diskussion uns das Wort erzwingen und werden dort auseinandersetzen, um was es sich bei der Nationalversammlung handelt, daß es wirklich weiter nichts ist als der Zusammentritt der Gegenrevolution. Wir werden es ablehnen, jemanden hineinzusenden, um damit diesen Boden zu legalisieren. Die Genossen von der Zentrale haben auch versucht, die Beteiligung an den Wahlen als geringer hinzustellen, als [sie es] in Wirklichkeit ist. Ich weiß, daß die USP schon mit ihrer Mischmasch-Haltung zur Nationalversammlung, erst Hinausschiebung in Jahren und dann Beteiligung am 19. Januar, was sie damit für eine Verwirrung angerichtet hat. Wir, die wir gegen diesen Parlamentarismus gesprochen haben, wir können jetzt nicht auch noch in der Weise einen kleinen Zickzack machen, indem wir sagen, trotzdem wollen wir dahin gehen. Der Artikel vom 23. Dezember hat kolossal in der Arbeiterschaft verstimmt. [13]

Dann möchte ich noch zwei Dinge zur Anführung bringen, gegen die Nationalversammlung zu sein: 1. Durch die Wahlen während des Krieges und zu den Arbeiterräten haben wir gesehen, daß die radikalen, entschlossenen Elemente eine Abneigung vor jeder Wahl haben, bei der die Bürgerlichen noch abstimmen können. Daß auf unsere Vertreter so wenige Stimmen fallen, ist nicht gleichbedeutend damit, daß wir so wenige Anhänger haben. Die Enttäuschung darüber, was den russischen Genossen durch eine Nationalversammlung gebracht wurde, und über die Wertlosigkeit eines Parlaments ist bei den aufgeklärten Arbeitern so groß, daß wir sie zu den Wahlarbeiten nicht bekommen können, während wir sie jetzt für diejenigen Arbeiten haben können, die wirtschaftlichen Kräfte mobil zu machen, um durch Massenstreiks nicht im Parlament zu kämpfen, sondern es durch solche Argumente in die Luft zu sprengen. Ein zweites Argument ist, daß wir durch den Zusammenschluß mit den Kommunisten, die absolut gegen die Wahlbeteiligung sind, sofort in Konflikt mit ihnen kommen. Wir wollen unsere junge Vereinigung nicht einer solchen Belastungsprobe aussetzen. (Lebhafter Beifall)

[Genosse] Minster (Mülheim[/Ruhr]): Sie haben heute morgen einen Beschluß gefaßt, den ich nach meiner Ansicht für verfrüht halte. Ich möchte nicht, daß Sie heute abend einen Beschluß fassen, der zu spät kommt, weil bereits in vielen Bezirken zu den Wahlen zur Nationalversammlung Stellung genommen wurde und Kandidaten aufgestellt sind. Nun ist die Frage gar nicht so, wie Genosse Rühle sie gestellt hat. Genosse Rühle meinte: Rätesystem oder Nationalversammlung. Darüber sind wir uns einig. Das liegt gar nicht vor. Selbstverständlich sind wir genauso wie Rühle der Anschauung, daß die Nationalversammlung das Todesurteil bedeutet für das Rätesystem. Aber es ist wesentlich anders, wenn ich sage, die Nationalversammlung ist ein gegenrevolutionäres Instrument, als wenn ich sage, wir beteiligen uns an den Wahlen dazu. Genosse Rühle, der Reichstag war nie ein revolutionäres Instrument, und Sie saßen drin bis zum letzten Tag.

Es handelt sich bei der Beteiligung an den Wahlen doch hauptsächlich um die Ausnützung eines vorzüglichen Mittels, um zu den Massen zu sprechen. Wir führen den Wahlkampf nicht des Wählens willen. Der Nachdruck ist auf das Wort „Kampf“ zu legen. Es ist nun einmal so, die Nationalversammlung steht im Mittelpunkt des politischen Interesses, und wir müssen zweifellos dieses Interesse ausnützen, um zu den Massen zu sprechen. Ich sagte vorhin schon, daß wir den Massen selbstverständlich sagen, was wir in der Nationalversammlung erblicken. Es ist aber etwas ganz anderes, ob wir deshalb sagen, wir beteiligen uns nicht. Wir haben den letzten Rätekongreß vorübergehen lassen, ohne daß jemand von der Spartakusgruppe ihn benutzt hätte zu einer programmatischen Rede. Wir können die Nationalversammlung dazu verwenden, um eine programmatische Erklärung abzugeben. Wir sehen in ihr nicht ein Parlament, sondern ein Mittel, um für unsere Ideen zu wirken. Wir können die Wahlen nicht verhindern, es ist daher verkehrt, die großen Massen, die doch wählen, den anderen in die Arme zu treiben. Wir wären in der Lage gewesen, ohne Ihren Beschluß von heute morgen, die Nationalversammlung durch das Machtmittel zu verhindern, das Deutschland schachmatt gesetzt hat, durch einen Streik der Kohlengräber. Wir können nur etwas tun, indem wir die Bergleute veranlassen, die Nationalversammlung zu sprengen. Trotzdem bin ich für die Wahlen, weil diese uns die Möglichkeit geben, erst die Bergarbeiter in diesem Sinne aufzuklären und sie dazu zu bringen, die Nationalversammlung zu verhindern.

[Genosse] Levien (München): Was wollt Ihr alle hier? Ihr wollt doch alle die Bourgeoisie an die Kandare nehmen. Und ich glaube, daß es keinen Genossen gibt, der das herzlicher wünscht als die Genossin Rosa Luxemburg. Was heißt das, die Bourgeoisie an die Kandare nehmen? Das heißt, die Revolution zum Siege führen. Das ist nicht so einfach. Revolutionen marschieren nicht auf einem Lineal. Sie beschreiben Zickzacke, die durch die verschiedenen Machtverhältnisse ihnen die Schnörkel diktieren. Aber das erste Gebot für eine revolutionäre Klasse ist, dauernd in der Offensive zu bleiben. Es ist vom Opportunismus gesprochen. Es handelt sich da ausschließlich um Fragen der Taktik. Genosse Liebknecht hat gesagt, daß die Möglichkeit besteht, daß die Entwicklung eine längere Periode in Anspruch nehmen wird. Er sprach zugunsten der Nationalversammlung, das heißt dann aber die Bankrotterklärung des Glaubens an die gegenwärtigen Gegensätze in den Klassen, die sich bekämpfen. Wenn wir mit einer längeren Periode rechnen wollen, dann müssen wir zu einem revolutionär gestalteten Parlament greifen. Es wäre natürlich auch dabei noch kein Opportunismus. Der Opportunismus stützt sich auf die Quantität, auf die Stimmenzahl. Es ist der Vorschlag gemacht worden, es mögen nur zwei Delegierte gewählt werden: Genossin Luxemburg und Genosse Liebknecht. Dafür sind sie mir zu gut. Wir brauchen sie auf der Straße. Wie glänzend außerhalb des Parlaments unsere Genossen arbeiten können, das haben Liebknecht und Rosa Luxemburg bewiesen in der kurzen Zeit der Revolution. Es ist vom Genossen Liebknecht gesagt worden, daß er dort die Möglichkeit gehabt hat, den Reichstag zu diskreditieren im Reichstag selbst. Er hat vergessen zu sagen, daß wir eine Versammlungsfreiheit damals nicht gehabt haben. Das gleiche war bei der ersten Duma. Gegenwärtig haben wir einen kochenden Kessel proletarischer Bewegung, und in diesen kochenden Kessel wollen wir doch nicht Öl gießen, indem wir die Nationalversammlung wählen und die Aktionskraft der Massen verhindern.

In Bayern werden bald die Wahlen zu einer bayerischen Nationalversammlung ausgeschrieben werden. Die Braunschweiger haben schon gewählt, zu meinem Bedauern. Es ist unmöglich, in die Nationalversammlung zu wählen, ohne gleichzeitig in die bayerische Nationalversammlung zu wählen. Wir lenken die kolossale Bewegung, die wirtschaftlich zum Ausdruck kommt im Ruhrgebiet, in Schlesien, auf ein Gebiet ewiger Wählerei. Wir geben damit den Arbeitern die Illusion des Personenkultus, als wenn die Führer in der Nationalversammlung etwas tun könnten. Ich würde die Auflösung der Nationalversammlung verlangen. Alles andere heißt mitarbeiten. Wenn wir Anträge stellen, halten wir sie doch für legitimiert, die Verfassung des Reiches zu schaffen. Ich möchte Ihnen raten, von der Wahl in die Nationalversammlung abzusehen. Es ist nicht möglich, in die Nationalversammlung zu gehen und gleichzeitig die revolutionären Gegensätze einer Entscheidung zuzuführen und erst warten, bis man hinausgeworfen wird.

Genosse Levi (Zentrale) [Schlußwort]: Ich will Sie nicht reizen damit, daß ich Ihnen gestehe, ich bin durch den Gang der Verhandlungen in meiner Meinung nicht wankend geworden, sondern eher bestärkt. Denn was sind die Gründe, die es ermöglichten, eine Diskussion von drei oder vier Stunden zu führen? Die Gründe waren zwei. Der eine konzentriert sich um den Namen Gelwitzki, der im Namen der Berliner Genossen sprach. Er sprach von blamabel, von beschämend, wir hätten mit allen Mitteln, also wohl auch mit unlauteren, versucht, die Stimmung zu beeinflussen. Ich habe mir den Posten, auf dem ich stehe, nicht gesucht, und wenn ich gewußt hätte, auf welchen Posten ich käme, vielleicht hätte ich auf das Referat verzichtet.

Auch in der Sache muß ich entgegnen, ich habe von der Debatte mehr erwartet, als sie gegeben hat. Denn was gab sie? Sie gab nichts anderes als einen heftigen Kampf gegen einen Popanz, den nicht wir aufgestellt haben, den die Redner, die gegen ihn fochten, aufgerichtet haben. Sie haben nicht gefochten gegen unsere Auffassung, Sie haben gefochten dagegen, daß wir das Rätesystem untergraben wollen, indem wir für die Beteiligung an den Wahlen eintreten. Sie konnten nicht im Zweifel sein, daß wir in der Beteiligung an den Wahlen nichts anderes sehen als die lebendigste Möglichkeit, zu kämpfen um den Sturz dieser Nationalversammlung. Und deswegen, Parteigenossen, die ganze Konstruktion, die heute von dem Genossen Leviné, von dem ich etwas anderes erwartet hätte, aufgerichtet worden ist, fällt ins Wasser, sie trifft unsere Argumentation nicht, sie ist eine Verkennung unseres Standpunktes. Sie fechten nicht gegen Windmühlen, sondern gegen Puppen, die Sie sich selbst aufgerichtet haben. Ihr Standpunkt wäre richtig, wenn Sie die Garantie haben, daß der 19. Januar das deutsche Proletariat so stark sehen wird, daß es in der Lage ist, die Macht der Bourgeoisie, konzentriert in der Nationalversammlung, zu brechen. Dann hätten Sie recht. Ich bin nicht so ein Pessimist wie Heckert, ich glaube nicht, daß unsere Demonstration gestern in Berlin schwächer gewesen ist als die der anderen. Im Gegenteil. Aber die eine Tatsache wollen wir doch nicht verkennen: Eine große Masse von Arbeitern, sowohl von Kleinbürgern als auch vor allem eine ungeheure Schar von Landproletariern, die wir zum großen Teil noch nicht erfaßt haben, stehen unserer Bewegung noch fern.

Sie würden sich in einem gefährlichen Optimismus wiegen, das sage ich wiederholt, wenn Sie den Stand unserer Bewegung bemessen würden nach Berlin, Rheinland-Westfalen, Oberschlesien, München. Nichts ist verhängnisvoller, als wenn Sie sich jetzt in Sicherheit wiegen würden, wenn Sie glauben würden, die zweite Revolution, in die wir jetzt eintreten, die proletarische, sozialistische Revolution, wäre im Handumdrehen erledigt, wie die Revolution vom 9. November, wo man mit roten Fahnen Unter den Linden marschierte. Sie müssen sich auf die Möglichkeit einrichten, noch längerhin den Kampf zu führen. Die Nationalversammlung soll das Mittel zum Handeln sein. Wenn einer in der Nationalversammlung Politik machen würde in der Weise, wie Leviné verfahren will, dann hätten Sie recht. Er sagte, er würde der Bourgeoisie erklären, legt Euch schlafen. Er würde den Götz von Berlichingen ins parlamentarische Leben einzuführen versuchen. Wenn er glaubt, auf diese Weise Politik in der Nationalversammlung machen zu können, dann wäre es der parlamentarische Kretinismus. Das ist der revolutionäre Kretinismus. Wir stellen uns die Aktion freilich anders vor, wir stellen sie uns vor nicht nur in platonischen Erklärungen, Zwischenrufen und kleinen Anfragen, sondern in dem lebendigen Zusammenarbeiten der Leute, die an diesen Posten gestellt worden sind, mit den gewaltigen Massen, die hinter ihnen stehen.

Vorsitzender: Wir kommen nun zur Abstimmung über die vorliegenden Anträge, betreffend, die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung. Es liegen vor der Antrag des Genossen Rühle, uns nicht an den Wahlen zu beteiligen, und der Antrag Rogg, einheitliche Stimmzettel mit [den Namen der] Genossen Liebknecht und Luxemburg auszugeben.

Ich konstatiere, daß der Antrag Rühle mit 62 gegen 23 Stimmen angenommen wurde.

Genosse Becker [Dresden] von der Gruppe der Internationalen Kommunisten Deutschlands verliest eine Erklärung, die die Verschmelzung dieser Gruppe mit der neuen Kommunistischen Partei Deutschlands bekanntgibt:

Die Internationalen Kommunisten Deutschlands haben auf ihrem Kongreß am 24. Dezember 1918 beschlossen, mit dem Spartakusbund wegen Verschmelzung in Verbindung zu treten. Das Ergebnis der Verhandlungen ist:
1. Die Organe der IKD sind als aufgelöst zu betrachten;
2. an den Orten, wo keine Organe des Spartakusbundes bestehen, wird eine Partei gebildet mit dem Namen „Kommunistische Partei (Spartakusbund)“. Wo zwei Gruppen beider Richtungen bestehen, verschmelzen sie zu einer Partei, die den Namen trägt: „Kommunistische Partei (Spartakusbund)“.

Genosse Meyer (Zentrale): Im Namen des Zentralvorstandes des Spartakusbundes begrüßen wir unsere Kampfgenossen, die bisher in einer besonderen Organisation, den IK Deutschlands, vereinigt waren. Wie Sie alle wissen, haben wir von den ersten Tagen des Krieges zusammen mit unseren Freunden gekämpft, ein Teil der Ortsgruppen, die sich in der letzten [Zeit] den IKD angeschlossen haben, standen mit uns in engster Verbindung. Die Partei ist von uns unterstützt worden, wie auch das Gegenteil stattgefunden hat. Sobald die Bestimmungen des Belagerungszustandes verschwanden, war es keine Frage mehr, daß wir in einer gemeinsamen Kampffront arbeiten können. Wir haben den Genossen in Bremen und in anderen Orten, wo die Organisationen bestanden, versprochen, daß wir entsprechend dem Vorschlage eine Beteiligung der Provinz an der Zentralleitung zugestehen werden. Die näheren Vorschläge werden in dem Referat und der Diskussion über die Organisation unserer neuen Partei gemacht werden. Der Kampf, den wir bisher nebeneinander gegen den gemeinsamen Feind führten, werden wir nun mit unseren neuen Freunden in einer Reihe in gesteigerter Form fortsetzen.

Zu einer persönlichen Bemerkung erklärt [Genosse] Gelwitzki [Berlin], daß er nicht gesagt hat, die Zentrale versucht uns mit unlauteren Mitteln zu überzeugen, sondern mit allen Mitteln.

 

 

[Bericht der Mandatsprüfungskommission]

Genosse Krüger (Berlin) erstattet den Bericht: Es sind auf der Konferenz 46 Orte durch 83 Delegierte vertreten. Gegen ein Berliner Mandat liegt ein Protest vor, der noch nicht erledigt sei. Der Rote Soldatenbund sei durch 3 Mitglieder vertreten, die Jugend durch einen Delegierten. Zuhörer aus dem Reiche sind 16 anwesend.

Vertreten sind von Berlin die Bezirke 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 16, 17, 18, ferner Barmen, Beuthen, Brandenburg, Bismarckhütte, Chemnitz, Cuxhaven, Dortmund, Duisburg, Dresden, Deuben, Düsseldorf, Danzig-Ohra, Danzig, Essen, Erfurt, Elberfeld, Frankfurt a.M., Göttingen, Hanau, Halle, Herne i.W., Jena, Köln-Ehrenfeld, Köln-Niehl, Königsberg i.Pr., Lübeck, Leipzig, Leipzig-Eutritzsch, Mulda i.E., Magdeburg, München, Nürnberg, Pirna, Oberhausen, Rathenow, Remscheid, Spandau, Stettin, Stuttgart, Mülheim a.R., Braunschweig, Breslau, Krefeld, Werdau, Bromberg.

 


Zuleztzt aktualisiert am 22.1.2004