Protokoll des Gründungsparteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands

 

Zweiter Verhandlungstag
Dienstag, den 31. Dezember 1918
Nachmittagssitzung
Teil 1

(Nach der Pause.)
(Wiedereröffnung der Sitzung 2½ Uhr.)

Vorsitzender Walcher (Stuttgart): Die Nachmittagssitzung ist eröffnet. Wir treten in die Tagesordnung ein. – Das Wort zur Geschäftsordnung hat Genosse Becker.

[Genosse] Becker [Dresden]: Genossen und Genossinnen! Ich möchte ein paar Worte zur Begrüßung der Internationalen Kommunisten ausführen. (Widerspruch.) – Ich bitte dann die Konferenz zu fragen, ob sie damit einverstanden ist. Es wird mir vom Vorstandstisch verweigert, eine Erklärung abzugeben, die von der Reichskonferenz der Internationalen Kommunisten beschlossen worden ist und sozusagen als Begrüßung des Spartakusbundes hier verlesen werden sollte. Ich bin der Überzeugung, daß dies geschehen muß, und ich bitte die Konferenz, darüber zu entscheiden, ob es geschehen kann oder nicht.

[Genosse] Meyer [Zentrale]: Gestern abend hat der Vertreter der Internationalen Kommunisten Deutschlands eine Erklärung über die Auflösung seiner Organisation in den Spartakusbund abgegeben und die entsprechende Begrüßung der Konferenz vorgetragen, die von mir im Auftrage der Zentralleitung beantwortet worden ist. Eine weitere Erklärung ist uns bisher nicht vorgelegt worden (Widerspruch), und ich sehe die Notwendigkeit einer weiteren Erklärung der bereits aufgelösten Organisation an Sie nicht recht ein. Ich bitte Sie daher im Interesse unserer Verhandlungen, zu dem nächsten Punkt der Tagesordnung der Genossin Luxemburg das Wort zu erteilen und ihr Referat anzuhören.

Vorsitzender: Ich möchte dazu nur sagen: Die Erklärung, die der Genosse abzugeben beabsichtigt, soll er erst einmal vorlegen, dann kann die Versammlung nachher entscheiden, ob es notwendig ist, diesen Punkt noch einmal zu erörtern.

[Genosse] Becker [Dresden]: Genossen und Genossinnen! Diese Erklärung habe ich heute morgen dem Vorsitzenden, Genossen Pieck, übergeben; er hat sie gelesen. Mehr kann ich doch wohl nicht machen; und es ist mir gesagt worden, ich sollte sie heute verlesen. Es ist keine Erklärung der Konferenz, sondern eine Erklärung der Delegierten der Internationalen Kommunisten, die heute und schon gestern hier anwesend gewesen sind.

Vorsitzender: Das Mißverständnis beruht darauf, daß Pieck, dem wahrscheinlich die Erklärung vorgelegen hat, mich davon nicht in Kenntnis gesetzt hat. Ich schlage Ihnen vor, wir treten jetzt in die Tagesordnung ein, und die Erklärung kann später erledigt werden.

[Genosse] Meyer [Zentrale]: Genossen und Genossinnen! Wir können doch jetzt nicht eine Debatte darüber entfesseln, ob diese Erklärung verlesen werden soll oder nicht. Ich bitte Sie, einfach den Vorschlag, den wir Ihnen machen, anzunehmen, daß der Geschäftsführung diese Erklärung übermittelt wird. Sie wird Ihnen ja dann darauf antworten, und es wird sich herausstellen, ob es notwendig ist, nochmals eine Erklärung der bereits aufgelösten Organisation hier zur Kenntnis zu nehmen. Ich bitte Sie dringend, nicht weiter darüber zu debattieren, sondern zunächst das Referat der Genossin Luxemburg zu hören.

Vorsitzender: Genossen, ich möchte Ihnen mitteilen, daß die Erklärung, die gestern von den Genossen aus der bisherigen kommunistischen Partei hier abgegeben worden ist, auf einer Vereinbarung mit unserer Zentralstelle beruhte. Es ist möglich – ich weiß nicht, ob es der Fall ist –, daß, wenn jetzt noch eine neue Erklärung von diesen Genossen abgegeben wird, dann auch die Genossen aus der Zentralstelle das Bedürfnis empfinden, ihrerseits eine Erklärung herauszugeben. Jedenfalls glaube ich, daß eine Debatte über diesen Punkt uns augenblicklich gar keinen Nutzen bringt, daß sie die gestern vollzogene Einigung vielleicht stören könnte, wogegen sich aber, wenn Sie meinem Vorschlage zustimmen, jetzt das Referat der Genossin Luxemburg entgegenzunehmen und nachher, nachdem diese Erklärung auch der Zentralstelle, dem Präsidium vorgelegen hat, die Sache zur Kenntnis zu nehmen, die Frage ohne weiteres und ganz glatt erledigt.

Ein Delegierter: Wenn der Vorsitzende die Erklärung ruhig hätte verlesen lassen, wäre die Sache bereits erledigt. Es soll ja keine Debatte über diese Erklärung stattfinden, sie soll lediglich verlesen werden. Wäre keine Diktatur seitens des Vorstandes hier ausgeübt, dann wären wir schon damit fertig.

[Genosse] Meyer [Zentrale]: Es scheint doch ein Mißverständnis vorzuliegen. Da diese Erklärung, die die aufgelöste Organisation hier abzugeben beabsichtigt, der Zentralleitung noch nicht zur Kenntnis gelangt ist (Zurufe), so besteht die Gefahr, daß diese Erklärung hier Gegenerklärungen hervorrufen kann; und das wollen wir vermeiden. Eine Debatte wird gerade dadurch hervorgerufen, daß die Genossen der aufgelösten Organisation auf Verlesung der Erklärung bestehen. Wenn entsprechend dem Vorschlage des Vorsitzenden Walcher verfahren wird, dann ist damit nicht gesagt, daß die Erklärung nicht zu Ihrer Kenntnis kommt, sondern es wird vermieden, daß eine Debatte über die Erklärung entsteht.

[Genosse] Rieger [Berlin]: Ich stelle den Antrag, diese Erklärung sofort entgegenzunehmen. Es ist sicher nicht beabsichtigt, aber durch diese merkwürdige Behandlung der Angelegenheit wird der Argwohn erweckt, als ob hier irgend etwas nicht in Ordnung ist; und ich glaube, dies kann von seiten der Genossen von der Zentrale doch wirklich nicht beabsichtigt sein. Was kann denn weiter werden? Wir sind doch hier ganz anderen Tobak gewöhnt, glaube ich.

[Genosse] Seidel [Düsseldorf]: Parteigenossen! Es ist üblich, daß zu einem Geschäftsordnungsantrag höchstens einer für und einer gegen spricht. Ich kann tatsächlich die Geschäftsführung nicht verstehen, daß hier stundenlang Geschäftsordnungsdebatten geführt werden, so daß wir in unserer Tagesordnung nicht fortfahren können. Ich beantrage deshalb, daß jetzt darüber abgestimmt wird, ob die Genossin Luxemburg das Wort erhalten soll, wie vorhin vorgeschlagen worden ist, oder ob etwas anderes in die Tagesordnung eingeschoben wird.

Vorsitzender: Sie haben den Antrag gehört. Wer dafür ist, daß wir entsprechend meinem Vorschlage jetzt erst das Referat der Genossin Luxemburg entgegennehmen und nachher Ihnen die Erklärung zur Kenntnis geben, den bitte ich, die Hand zu erheben. (Zurufe.) Ich habe den Antrag, den der Genosse soeben gestellt hat, die Geschäftsordnungsdebatte abzubrechen und in die Tagesordnung einzutreten, wie sie vom Präsidium vorgeschlagen ist, zur Kenntnis gegeben. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag sind, die Hand zu erheben.

(Geschieht.)

Ich danke Ihnen. Gegenprobe!

(Die Gegenprobe erfolgt.)

Das letzte ist die Mehrheit. Also ich fasse die Abstimmung so auf, daß die, die dagegen stimmten, zunächst diese Erklärung zur Kenntnis nehmen wollten. Also bitte!

[Genosse] Becker [Dresden]: Genossen und Genossinnen! Zunächst begrüße ich herzlich die Genossen vom früheren Spartakusbund. Wir erwidern den Willkommensgruß, der uns gestern hier entgegengerufen wurde, mit der Versicherung, daß wir nun hoffentlich zusammenarbeiten werden zum Wohle der Revolution, zum Wohle der ganzen Arbeiterklasse.

Die gestrige Konferenz der Internationalen Kommunisten Deutschlands hat nun eine kurze Erklärung beschlossen, die sozusagen den Übergang in die neue Organisation klarlegt, in der besonders auseinandergesetzt wird, was uns bis her getrennt hat, und in der zum Schluß unser Bündnis besiegelt wird. Die Erklärung lautet:

Der Zusammenschluß der beiden linksradikalen Gruppen zur Kommunistischen Partei war eine politische Notwendigkeit. Die revolutionäre Bewegung duldet nicht das Nebeneinander zweier Gruppen, die auf demselben revolutionären Boden stehen.

In der Zeit der illegalen Arbeit war es unvermeidlich, daß von verschiedenen Zentren aus die Vorbereitung der Revolution einsetzte und, bedingt durch die Verschiedenheit des politischen und wirtschaftlichen Charakters der einzelnen Arbeitsgebiete, grundsätzliche und taktische Differenzen aufkommen mußten.

Von unten herauf wuchsen und entwickelten sich die Organisationen der IKD, von oben wurde die illegale Organisation des Spartakusbundes geleitet. Die IKD erklärten sich von Anfang an grundsätzlich für die Spaltung sowohl der alten Sozialdemokratischen Partei als auch der USPD. Der Spartakusbund machte es sich zur Aufgabe, die alten Parteien von innen heraus zu zersetzen.

Das war die Ursache einer Reihe von Gegensätzen auf den Tagungen der werdenden III. Internationale (Zimmerwald und Kienthal), in der Frage der Konferenzen der II. Internationale (Stockholm). Das erheischte bis zuletzt ein getrenntes Marschieren.

Diese Gegensätze sind heute verschwunden. Beide Richtungen sind durch das Feuer der Revolution zusammengeschweißt worden. Sie marschieren beide auf dem von der Zimmerwalder Linken vorgezeigten Wege dem gemeinsamen Ziele zu.

Im Rahmen der gemeinsamen Kommunistischen Partei werden wir uns mit allen Kräften für die rücksichtslose Durchführung der proletarischen Revolution einsetzen und für eine klare, prinzipielle Politik der Partei wirken. (Beifall.)

Vorsitzender: Genossen, Sie haben die Erklärung zur Kenntnis genommen, und ich denke, daß dieser Punkt damit erledigt ist.

Das Wort hat die Genossin Luxemburg zu ihrem Referat: Das politische Aktionsprogramm. [1]

 

 

3. Punkt der Tagesordnung:
Unser Programm und die politische Situation

[Genossin] Rosa Luxemburg [Zentrale]: Parteigenossen und -genossinnen! Wenn wir heute an die Aufgabe herantreten, unser Programm zu besprechen und es anzunehmen, so liegt dem mehr als der formale Umstand zugrunde, daß wir uns gestern als eine selbständige neue Partei konstituiert haben und daß eine neue Partei offiziell ein Programm annehmen müsse; der heutigen Besprechung des Programms liegen große historische Vorgänge zugrunde, nämlich die Tatsache, daß wir vor einem Moment stehen, wo das sozialdemokratische, sozialistische Programm des Proletariats überhaupt auf eine neue Basis gestellt werden muß. Parteigenossen, wir knüpfen dabei an den Faden an, den genau vor 70 Jahren Marx und Engels in dem Kommunistischen Manifest gesponnen hatten. Das Kommunistische Manifest behandelte den Sozialismus, die Durchführung der sozialistischen Endziele, wie Sie wissen, als die unmittelbare Aufgabe der proletarischen Revolution. Es war die Auffassung, die Marx und Engels in der Revolution von 1848 vertraten und als die Basis für die proletarische Aktion auch im internationalen Sinne betrachteten. Damals glaubten die beiden und mit ihnen alle führenden Geister der proletarischen Bewegung, man stände vor der unmittelbaren Aufgabe, den Sozialismus einzuführen; es sei dazu nur notwendig, die politische Revolution durchzusetzen, der politischen Gewalt im Staate sich zu bemächtigen, um den Sozialismus unmittelbar zu Fleisch und Blut zu machen. Nachher wurde, wie Sie wissen, von Marx und Engels selbst eine durchgreifende Revision dieses Standpunktes vorgenommen. In der ersten Vorrede zum Kommunistischen Manifest vom Jahre 1872, die noch von Marx und Engels gemeinsam unterzeichnet ist (abgedruckt in der Ausgabe des K.M. von 1894), sagen die beiden über ihr eigenes Werk:

„Dieser Passus“ – das Ende von Abschnitt 11, nämlich die Darlegung der praktischen Maßnahmen zur Durchführung des Sozialismus – „würde heute in vieler Beziehung anders lauten. Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der mit ihr fortschreitenden Parteiorganisation der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum erstenmal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist heute dies Programm stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann.“ [2]

Und wie lautet dieser Passus, der für veraltet erklärt wurde? Das lesen wir in dem Kommunistischen Manifest auf Seite 23 folgendermaßen:

„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, (l. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.

Es kann dies natürlich zunächst nur geschehn vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.

Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein.

Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können:

  1. Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben.
  2. Starke Progressivsteuer.
  3. Abschaffung des Erbrechts.
  4. Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen.
  5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.
  6. Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats.
  7. Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.
  8. Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau.
  9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.
  10. Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw.“ [3]

Wie Sie sehen, sind das mit einigen Abweichungen dieselben Aufgaben, vor denen wir heute unmittelbar stehen: die Durchführung, Verwirklichung des Sozialismus. Zwischen der Zeit, wo jenes als Programm aufgestellt wurde, und dem heutigen Moment liegen 70 Jahre kapitalistischer Entwicklung, und die historische Dialektik hat dahin geführt, daß wir heute zu der Auffassung zurückkehren, die Marx und Engels nachher als irrtümliche aufgegeben hatten. Sie hatten sie mit gutem Grunde damals als eine irrtümliche aufgegeben. Die Entwicklung des Kapitals, die inzwischen vor sich gegangen ist, hat uns dahin gebracht, daß das, was damals Irrtum war, heute Wahrheit geworden ist; und heute ist unmittelbare Aufgabe, das zu erfüllen, wovor Marx und Engels im Jahre 1848 standen. Allein zwischen jenem Punkte der Entwicklung, dem Anfange, und unserer heutigen Auffassung und Aufgabe liegt die ganze Entwicklung nicht bloß des Kapitalismus, sondern auch der sozialistischen Arbeiterbewegung und in erster Linie derjenigen in Deutschland als des führenden Landes des modernen Proletariats. Die Entwicklung hat in einer eigenartigen Form stattgefunden. Nachdem von Marx und Engels nach den Enttäuschungen der Revolution von 1848 der Standpunkt aufgegeben wurde, daß das Proletariat unmittelbar, direkt in der Lage sei, den Sozialismus zu verwirklichen, entstanden in jedem Lande sozialdemokratische, sozialistische Parteien, die einen ganz anderen Standpunkt einnahmen. Als unmittelbare Aufgabe wurde erklärt der tägliche Kleinkampf auf politischem und wirtschaftlichem Gebiete, um nach und nach erst die Armeen des Proletariats heranzubilden, die berufen sein werden, wenn die kapitalistische Entwicklung heranreift, den Sozialismus zu verwirklichen. Dieser Umschwung, diese völlig andere Basis, auf die das sozialistische Programm gestellt wurde, hat namentlich in Deutschland eine sehr typische Form erhalten. In Deutschland war ja für die Sozialdemokratie bis zu ihrem Zusammenbruch am 4. August das Erfurter Programm maßgebend, in dem die sogenannten nächsten Minimalaufgaben auf dem ersten Plan standen und der Sozialismus nur als der Leuchtstern in der Ferne, als das Endziel hingestellt wurde. Es kommt aber alles darauf an, nicht, was im Programm geschrieben steht, sondern wie man das Programm lebendig erfaßt; und für diese Auffassung des Programms war maßgebend eine wichtige geschichtliche Urkunde unserer Arbeiterbewegung, nämlich jene Vorrede, die Friedrich Engels im Jahre 1895 zu den Klassenkämpfen in Frankreich geschrieben hat. [4] Parteigenossen, ich gehe auf die Fragen ein nicht aus bloßem historischen Interesse, sondern es ist eine rein aktuelle Frage und eine historische Pflicht, die vor uns steht, indem wir unser Programm heute auf den Boden stellen, auf dem einst 1848 Marx und Engels standen. Mit den Veränderungen, die die historische Entwicklung inzwischen herbeigeführt hat, haben wir die Pflicht, ganz klar und bewußt eine Revision vorzunehmen gegenüber der Auffassung, die in der deutschen Sozialdemokratie bis zum Zusammenbruch am 4. August maßgebend war. Diese Revision soll hier offiziell vorgenommen werden.

Parteigenossen, wie hat Engels die Frage aufgefaßt in jener berühmten Vorrede zu den Klassenkämpfen in Frankreich von Marx, die er im Jahre 1895, also schon nach dem Tode von Marx, geschrieben hatte? Er hat zuerst, rückblickend bis zum Jahre 1848, dargelegt, die Auffassung sei veraltet, daß man unmittelbar vor der sozialistischen Revolution stehe. Dann fährt er in seiner Schilderung fort:

„Die Geschichte hat uns und allen, die ähnlich dachten, unrecht gegeben. Sie hat klargemacht, daß der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion; sie hat dies bewiesen durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den ganzen Kontinent ergriffen und die große Industrie in Frankreich, Österreich, Ungarn, Polen und neuerdings Rußland erst wirklich eingebürgert, aus Deutschland aber geradezu ein Industrieland ersten Ranges gemacht hat – alles auf kapitalistischer, im Jahre 1848 also noch sehr ausdehnungsfähiger Grundlage.“ [5]

Dann entwickelt er, wie sich seit jener Zeit alles verändert hat, und kommt auf die Frage zu sprechen, wie in Deutschland die Aufgaben der Parteien liegen:

„Der Krieg von 1870/71 und die Niederlage der Kommune hatten, wie Marx vorhergesagt, den Schwerpunkt der europäischen Arbeiterbewegung einstweilen von Frankreich nach Deutschland verlegt. In Frankreich brauchte es selbstverständlich Jahre, bis man sich von dem Aderlaß des Mai 1871 erholt hatte. In Deutschland dagegen, wo die obendrein von dem französischen Milliardensegen geradezu treibhausmäßig geförderte Industrie sich immer rascher entwickelte, wuchs noch weit rascher und nachhaltiger die Sozialdemokratie. Dank dem Verständnis, womit die deutschen Arbeiter das 1866 eingeführte allgemeine Stimmrecht benutzten, liegt das staunenerregende Wachstum der Partei in unbestreitbaren Zahlen offen vor aller Welt.“ [6]

Dann kommt die berühmte Aufzählung, wie wir wuchsen von Reichstagswahl zu Reichstagswahl bis in die Millionen, und daraus schließt Engels folgendes:

„Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war aber eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksamkeit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus. Man fand, daß die Staatseinrichtungen, in denen die Herrschaft der Bourgeoisie sich organisiert, noch weitere Handhaben bieten, vermittelst deren die Arbeiterklasse diese selben Staatseinrichtungen bekämpfen kann. Man beteiligte sich an den Wahlen für Einzellandtage, Gemeinderäte, Gewerbegerichte, man machte der Bourgeoisie jeden Posten streitig, bei dessen Besetzung ein genügender Teil des Proletariats mitsprach. Und so geschah es, daß Bourgeoisie und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der gesetzlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei, vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Rebellion.“ [7]

Und hier knüpft Engels eine ausführliche Kritik des Wahnes an, als könnte überhaupt in den modernen Verhältnissen des Kapitalismus das Proletariat auf der Straße durch die Revolution irgend etwas erreichen. Ich glaube, daß es heute angesichts dessen, daß wir mitten in der Revolution, in einer Straßenrevolution mit allem, was dazugehört, stehen, Zeit ist, sich mit der Auffassung auseinanderzusetzen, die in der deutschen Sozialdemokratie offiziell bis zur letzten Stunde gang und gäbe war und die mit dafür verantwortlich ist, daß wir den 4. August 1914 erlebt haben. („Sehr richtig!“)

Ich will damit nicht sagen, daß Engels sich persönlich durch diese Ausführungen zum Mitschuldigen an dem ganzen Gange der Entwicklung in Deutschland gemacht hat; ich sage nur: Hier ist ein klassisch zusammengefaßtes Dokument für die Auffassung, die in der deutschen Sozialdemokratie lebendig war, oder vielmehr: die sie totmachte. Hier, Parteigenossen, legt Ihnen Engels dar mit aller Sachkenntnis, die er auch auf dem Gebiete der Militärwissenschaften hatte, daß es ein purer Wahn ist zu glauben, das arbeitende Volk könnte bei der heutigen Entwicklung des Militarismus, der Industrie und der Großstädte Straßenrevolutionen machen und dabei siegen. Diese Entgegenstellung brachte zweierlei mit sich. Erstens wurde dabei der parlamentarische Kampf als Gegensatz zur direkten revolutionären Aktion des Proletariats und geradezu als das einzige Mittel des Klassenkampfes betrachtet. Es war der reine Nur-Parlamentarismus, der sich aus dieser Kritik ergab. Zweitens wurde merkwürdigerweise gerade die gewaltigste Organisation des Klassenstaates – der Militarismus, die Masse der in die Kommißröcke gesteckten Proletarier als von vornherein immun und unzugänglich jeder sozialistischen Einwirkung hingestellt. Und wenn die Vorrede davon spricht, bei der heutigen Entwicklung der Riesenarmeen sei es ein Wahnwitz zu denken, das Proletariat könnte mit diesen mit Maschinengewehren und mit den neuesten technischen Kampfmitteln ausgerüsteten Soldaten je fertig werden, so geht sie offenbar von der Voraussetzung aus, daß, wer Soldat ist, von vornherein und ein für allemal eine Stütze der herrschenden Klassen bleiben müsse – ein Irrtum, der, vom Standpunkt der heutigen Erfahrung beurteilt und bei einem Manne, der an der Spitze unserer Bewegung stand, geradezu unbegreiflich wäre, wenn man nicht wüßte, unter welchen tatsächlichen Umständen das angeführte historische Dokument entstanden war. Zu Ehren unserer beiden großen Meister und namentlich des viel später verstorbenen Engels, der mit die Ehre und die Ansichten von Marx vertrat, muß festgestellt werden, daß Engels diese Vorrede bekanntermaßen unter dem direkten Druck der damaligen Reichstagsfraktion geschrieben hat. Das war zu jener Zeit, wo in Deutschland – nach dem Fall des Sozialistengesetzes im Anfange der neunziger Jahre – sich innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung eine starke linksgerichtete radikale Strömung bemerkbar machte, die die Parteigenossen vor einem völligen Aufgehen in dem reinen parlamentarischen Kampfe bewahrt wissen wollte. Um die radikalen Elemente theoretisch zu schlagen und praktisch niederzuhalten, um sie durch die Autorität unserer großen Lehrmeister aus der Beachtung der breiten Masse auszuschalten, haben Bebel und Genossen – das war ja damals auch für unsere Zustände bezeichnend: Die parlamentarische Reichstagsfraktion entschied, geistig und taktisch, über die Geschicke und Aufgaben der Partei –, haben Bebel und Genossen Engels, der im Auslande lebte und sich auf ihre Versicherungen verlassen mußte, dazu gedrängt, jene Vorrede zu schreiben, da es jetzt die dringendste Notwendigkeit sei, die deutsche Arbeiterbewegung vor anarchistischen Entgleisungen zu retten. Von nun an beherrschte diese Auffassung tatsächlich die deutsche Sozialdemokratie in ihrem Tun und Lassen, bis wir das schöne Erlebnis am 4. August 1914 gehabt haben. Es war die Proklamierung des Nichts-als-Parlamentarismus. Engels hat ja die Ergebnisse, die praktischen Folgen dieser Anwendung seiner Vorrede, seiner Theorie nicht mehr erlebt. Ich bin sicher: Wenn man die Werke von Marx und Engels kennt, wenn man den lebendigen revolutionären, echten, unverfälschten Geist kennt, der aus allen ihren Lehren und Schriften atmet, so muß man überzeugt sein, daß Engels der erste gewesen wäre, der gegen die Ausschweifungen, die sich aus dem Nur-Parlamentarismus ergeben haben, gegen diese Versumpfung und Verlotterung der Arbeiterbewegung, wie sie in Deutschland Platz ergriffen hat schon Jahrzehnte vor dem 4. August – da der 4. August nicht etwa vom Himmel gefallen ist als eine unverhoffte Wendung, sondern eine logische Folge dessen war, was wir Tag für Tag und Jahr für Jahr vorher erlebt haben – („Sehr richtig!“), daß Engels und, wenn er gelebt hätte, Marx die ersten gewesen wären, um mit aller Kraft hiergegen zu protestieren und mit mächtiger Hand den Karren zurückzureißen, daß er nicht in den Sumpf hinabrollte. Aber Engels starb im gleichen Jahre, als er sein Vorwort schrieb. Im Jahre 1895 haben wir ihn verloren; seitdem ging leider die theoretische Führung aus den Händen von Engels in die Hände eines Kautsky über, und da erleben wir die Erscheinung, daß jede Auflehnung gegen den Nur-Parlamentarismus, die Auflehnung, die auf jedem Parteitag von links kam, getragen von einer größeren oder kleineren Gruppe von Genossen, die in zähem Kampf gegen die Versumpfung standen, über deren drohende Folgen sich jeder klarwerden mußte – daß jede solche Auflehnung als Anarchismus, Anarchosozialismus, mindestens aber Antimarxismus gestempelt wurde. Der offizielle Marxismus sollte als Deckmantel dienen für jede Rechnungsträgerei, für jede Abschwenkung von dem wirklichen revolutionären Klassenkampf, für jede Halbheit, die die deutsche Sozialdemokratie und überhaupt die Arbeiterbewegung, auch die gewerkschaftliche, zu einem Dahinsiechen im Rahmen und auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft verurteilte, ohne jedes ernste Bestreben, die Gesellschaft zu erschüttern und aus den Fugen zu bringen.

Nun, Parteigenossen, heute erleben wir den Moment, wo wir sagen können: Wir sind wieder bei Marx, unter seinem Banner. Wenn wir heute in unserem Programm erklären: Die unmittelbare Aufgabe des Proletariats ist keine andere als – in wenigen Worten zusammengefaßt – den Sozialismus zur Wahrheit und Tat zu machen und den Kapitalismus mit Stumpf und Stiel auszurotten, so stellen wir uns auf den Boden, auf dem Marx und Engels 1848 standen und von dem sie prinzipiell nie abgewichen waren. jetzt zeigt sich, was wahrer Marxismus ist und was dieser Ersatz-Marxismus war („Sehr gut!“), der sich als offizieller Marxismus in der deutschen Sozialdemokratie so lange breitmachte. Ihr seht ja an den Vertretern dieses Marxismus, wohin er heutzutage geraten, als Neben- und Beigeordneter der Ebert, David und Konsorten. Dort sehen wir die offiziellen Vertreter der Lehre, die man uns jahrzehntelang als den wahren, unverfälschten Marxismus ausgegeben hat. Nein, Marxismus führte nicht dorthin, zusammen mit den Scheidemännern konterrevolutionäre Politik zu machen. Wahrer Marxismus kämpft auch gegen jene, die ihn zu verfälschen suchten, er wühlte wie ein Maulwurf in den Grundfesten der kapitalistischen Gesellschaft, und er hat dazu geführt, daß heute der beste Teil des deutschen Proletariats unter unserer Fahne, unter der Sturmfahne der Revolution marschiert und wir auch drüben, wo die Konterrevolution noch zu herrschen scheint, unsere Anhänger und künftigen Mitkämpfer besitzen.

Parteigenossen, wir stehen also heute, wie ich schon erwähnt habe, geführt durch den Gang der historischen Dialektik und bereichert um die ganze inzwischen zurückgelegte 70jährige kapitalistische Entwicklung, wieder an der Stelle, wo Marx und Engels 1848 standen, als sie zum erstenmal das Banner des internationalen Sozialismus aufrollten. Damals glaubte man, als man die Irrtümer, die Illusionen des Jahres 1848 revidierte, nun habe das Proletariat noch eine unendlich weite Strecke Wegs vor sich, bis der Sozialismus zur Wirklichkeit werden könnte. Natürlich, ernste Theoretiker haben sich nie damit abgegeben, irgendwelchen Termin für den Zusammenbruch des Kapitalismus als verpflichtend und sicher anzugeben; aber ungefähr dachte man sich die Strecke noch sehr lang, und das spricht aus jeder Zeile gerade der Vorrede, die Engels 1895 geschrieben hat. Nun, jetzt können wir ja die Rechnung zusammenfassen. War es nicht im Vergleich zu der Entwicklung der einstigen Klassenkämpfe ein sehr kurzer Zeitabschnitt? 70 Jahre der großkapitalistischen Entwicklung haben genügt, um uns so weit zu bringen, daß wir heute Ernst damit machen können, den Kapitalismus aus der Welt zu schaffen. Ja noch mehr. Wir sind heutzutage nicht nur in der Lage, diese Aufgabe zu lösen, sie ist nicht bloß unsere Pflicht gegenüber dem Proletariat, sondern ihre Lösung ist heute überhaupt die einzige Rettung für den Bestand der menschlichen Gesellschaft. (Lebhafte Zustimmung.)

Denn, Parteigenossen, was hat dieser Krieg anderes von der bürgerlichen Gesellschaft zurückgelassen als einen gewaltigen Trümmerhaufen? Formell liegen noch sämtliche Produktionsmittel und auch sehr viele Machtmittel, fast alle ausschlaggebenden Machtmittel, in den Händen der herrschenden Klassen: Darüber täuschen wir uns nicht. Aber was sie damit ausrichten können, außer den krampfhaften Versuchen, die Ausbeutung durch Blutbäder wiederaufzurichten, ist nichts als Anarchie. Sie sind so weit, daß heutzutage das Dilemma, vor dem die Menschheit steht, heißt: entweder Untergang in der Anarchie oder die Rettung durch den Sozialismus. Aus den Ergebnissen des Weltkrieges können die bürgerlichen Klassen unmöglich auf dem Boden ihrer Klassenherrschaft und des Kapitalismus irgendeinen Ausweg finden. Und so ist es gekommen, daß wir die Wahrheit, die gerade Marx und Engels zum erstenmal als wissenschaftliche Basis des Sozialismus in der großen Urkunde, in dem Kommunistischen Manifest, ausgesprochen haben: Der Sozialismus wird eine geschichtliche Notwendigkeit werden, in des Wortes genauester Bedeutung heute erleben. Der Sozialismus ist Notwendigkeit geworden nicht bloß deshalb, weil das Proletariat unter den Lebensbedingungen nicht mehr zu leben gewillt ist, die ihm die kapitalistischen Klassen bereiten, sondern deshalb, weil, wenn das Proletariat nicht seine Klassenpflichten erfüllt und den Sozialismus verwirklicht, uns allen zusammen der Untergang bevorsteht. (Lebhafte Zustimmung.)

Nun, Parteigenossen, das ist die allgemeine Grundlage, auf der unser Programm aufgebaut ist, das wir heute offiziell annehmen und dessen Entwurf Sie ja in der Broschüre Was will der Spartakusbund? [8] kennengelernt haben. Es befindet sich im bewußten Gegensatz zu dem Standpunkt, auf dem das Erfurter Programm bisher steht, im bewußten Gegensatz zu der Trennung der unmittelbaren, sogenannten Minimalforderungen für den politischen und wirtschaftlichen Kampf von dem sozialistischen Endziel als einem Maximalprogramm. Im bewußten Gegensatz dazu liquidieren wir die Resultate der letzten 70 Jahre der Entwicklung und namentlich das unmittelbare Ergebnis des Weltkrieges, indem wir sagen: Für uns gibt es jetzt kein Minimal- und kein Maximalprogramm; eines und dasselbe ist der Sozialismus; das ist das Minimum, das wir heutzutage durchzusetzen haben. („Sehr gut!“)

Über einzelne Maßnahmen, die wir in unserm Programmentwurf Ihnen vorgelegt haben, werde ich mich hier nicht verbreiten, denn Sie haben ja die Möglichkeit, dazu im einzelnen Stellung zu nehmen, und es würde zu weit führen, wenn wir das detailliert hier besprechen wollten. Ich betrachte es als meine Aufgabe, nur die allgemeinen, großen Grundzüge, die unsere programmatische Stellungnahme von der bisherigen, der sogenannten offiziellen deutschen Sozialdemokratie unterscheiden, hier zu kennzeichnen und zu formulieren. Dagegen halte ich es für wichtiger und dringender, daß wir uns darüber verständigen, wie die konkreten Umstände zu bewerten sind, wie die taktischen Aufgaben, die praktischen Losungen sich gestalten müssen, die sich aus der politischen Lage, aus dem bisherigen Verlauf der Revolution und aus den vorauszusehenden weiteren Richtlinien ihrer Entwicklung ergeben. Wir wollen die politische Situation gemäß der Auffassung besprechen, die ich zu kennzeichnen versucht habe – vom Standpunkt der Verwirklichung des Sozialismus als der unmittelbaren Aufgabe, die jeder Maßnahme, jeder Stellungnahme unsererseits voranzuleuchten hat.

Genossen, unser heutiger Parteitag, der ja, wie ich glaube mit Stolz sagen zu dürfen, der konstituierende Parteitag der einzigen revolutionären sozialistischen Partei des deutschen Proletariats ist, dieser Parteitag fällt zusammen durch Zufall oder vielmehr, wenn ich eigentlich recht sagen soll, nicht durch Zufall mit einem Wendepunkt in der Entwicklung der deutschen Revolution selbst. Man kann behaupten, daß mit den Vorgängen der letzten Tage die Anfangsphase der deutschen Revolution abgeschlossen ist, daß wir jetzt in ein zweites, weiteres Stadium der Entwicklung treten, und es ist unser aller Pflicht und zugleich die Quelle einer besseren, tieferen Erkenntnis für die Zukunft, Selbstkritik zu üben, eine nachdenkliche kritische Prüfung des Geleisteten, Geschaffenen und Versäumten vorzunehmen, um die Handhaben für unser weiteres Vorgehen zu gewinnen. Wir wollen einen prüfenden Blick auf die eben abgeschlossene erste Phase der Revolution werfen!

Ihr Ausgangspunkt war der 9. November. Der 9. November war eine Revolution voller Unzulänglichkeiten und Schwächen. Das ist kein Wunder. Es war die Revolution, die nach den vier Jahren des Krieges gekommen ist, nach den vier Jahren, in denen das deutsche Proletariat dank der Erziehungsschule der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften ein solches Maß von Schmach und Verleugnung seiner sozialistischen Aufgaben an den Tag gelegt hat, wie sich dafür in keinem anderen Lande uns ein Beispiel bietet. Man kann nicht erwarten, wenn man auf dem Boden historischer Entwicklung steht – und das tun wir gerade als Marxisten und Sozialisten –, daß man in dem Deutschland, das das furchtbare Bild des 4. August und der vier Jahre darauf geboten hat, plötzlich am 9. November 1918 eine großartige, klassen- und zielbewußte Revolution erlebt; und was wir am 9. November erlebt haben, war zu drei Vierteln mehr Zusammenbruch des bestehenden Imperialismus als Sieg eines neuen Prinzips. (Zustimmung.)

Es war einfach der Moment gekommen, wo der Imperialismus wie ein Koloß auf tönernen Füßen, innerlich morsch, zusammenbrechen mußte; und was darauf folgte, war eine mehr oder weniger chaotische, planlose, sehr wenig bewußte Bewegung, in der das einigende Band und das bleibende, das rettende Prinzip nur in der Losung zusammengefaßt war: die Bildung der Arbeiter- und Soldatenräte. Das ist das Stichwort dieser Revolution, das ihr sofort das besondere Gepräge der proletarischen, sozialistischen Revolution gegeben hat – bei allen Unzulänglichkeiten und Schwächen des ersten Moments, und wir sollen es nie vergessen, wenn man uns mit den Verleumdungen gegen die russischen Bolschewisten kommt, darauf zu antworten: Wo habt Ihr das ABC Eurer heutigen Revolution gelernt? Von den Russen habt Ihr’s geholt: die Arbeiter- und Soldatenräte (Zustimmung); und jene Leutchen, die heute als ihr Amt betrachten, an der Spitze der deutschen sogenannten sozialistischen Regierung die russischen Bolschewisten zu meucheln, Hand in Hand mit den englischen Imperialisten, sie fußen ja formell gleichfalls auf Arbeiter- und Soldatenräten, und sie müssen damit bekennen: Die russische Revolution war es, die die ersten Losungen für die Weltrevolution ausgegeben hat. Wir können sicher sagen – und das ergibt sich aus der ganzen Lage von selbst –: In welchem Lande auch nach Deutschland die proletarische Revolution zum Durchbruch kommt, ihre erste Geste wird die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten sein. („Sehr richtig!“)

Gerade darin haben wir das einigende internationale Band unseres Vorgehens, das ist das Stichwort, das unsere Revolution vollständig von allen früheren bürgerlichen Revolutionen scheidet, und es ist sehr charakteristisch für die dialektischen Widersprüche, in denen sich diese Revolution, wie alle Revolutionen übrigens, bewegt, daß sie schon am 9. November, als sie ihren ersten Schrei, gewissermaßen ihren Geburtsschrei ausstieß, das Wort gefunden hat, das uns fortleitet bis in den Sozialismus: Arbeiter- und Soldatenräte, dieses Wort, um das sich alles gruppierte – und daß die Revolution dieses Wort instinktiv gefunden hat, trotzdem sie am 9. November so sehr zurück war, daß sie vor Unzulänglichkeiten, vor Schwächen, vor Mangel an eigener Initiative und Klarheit über ihre Aufgaben es fertiggebracht hat, beinahe am zweiten Tage nach der Revolution die Hälfte der Machtmittel sich wieder aus der Hand entgleiten zu lassen, die sie am 9. November erobert hatte. Darin zeigt sich einerseits, daß die heutige Revolution unter dem übermächtigen Gesetz der historischen Notwendigkeit steht, welches die Bürgschaft enthält, daß wir Schritt um Schritt an unser Ziel gelangen werden trotz aller Schwierigkeiten, Verwickelungen und eigener Gebrechen; andrerseits aber muß man sagen, wenn man diese klare Losung mit der unzulänglichen Praxis vergleicht, die sich an sie geknüpft hat: Es waren eben die ersten Kinderschritte der Revolution, die noch Gewaltiges zu leisten und einen weiten Weg zu gehen hat, um heranzuwachsen zur völligen Verwirklichung ihrer ersten Losungen.

Parteigenossen, die erste Phase vom 9. November bis zu den letzten Tagen ist charakterisiert durch Illusionen nach allen Seiten hin. Die erste Illusion des Proletariats und der Soldaten, die die Revolution gemacht haben, war: die Illusion der Einigkeit unter dem Banner des sogenannten Sozialismus. Was kann charakteristischer sein für die innere Schwäche der Revolution des 9. November als ihr erstes Ergebnis, daß an die Spitze der Bewegung Elemente getreten sind, die zwei Stunden vor Ausbruch der Revolution ihr Amt darin erblickten, gegen sie zu hetzen („Sehr richtig!“), sie unmöglich zu machen: die Ebert-Scheidemann mit Haase! Die Idee der Vereinigung der verschiedenen sozialistischen Strömungen unter dem allgemeinen Jubel der Einigkeit, das war das Motto der Revolution vom 9. November – eine Illusion, die sich blutig rächen sollte und die wir erst in den letzten Tagen ausgelebt und ausgeträumt haben; eine Selbsttäuschung auch auf seiten der Ebert-Scheidemann und auch der Bourgeois auf allen Seiten. Ferner eine Illusion der Bourgeoisie in diesem abgeschlossenen Stadium, daß sie vermittels der Kombination Ebert-Haase, der sogenannten sozialistischen Regierung, in Wirklichkeit die proletarischen Massen im Zügel halten und die sozialistische Revolution werde erdrosseln können, und die Illusion auf seiten der Regierung Ebert-Scheidemann, daß sie mit Hilfe der soldatischen Massen von den Fronten die Arbeitermassen in ihrem sozialistischen Klassenkampfe niederhalten könnte. Das waren die verschiedenartigen Illusionen, aus denen sich auch die Vorgänge der letzten Zeit erklären lassen. Sämtliche Illusionen sind in nichts zerronnen. Es hat sich gezeigt, daß die Vereinigung von Haase mit Ebert-Scheidemann unter dem Schilde des „Sozialismus“ in Wirklichkeit nichts anderes bedeutete als ein Feigenblatt auf eine rein konterrevolutionäre Politik, und wir haben erlebt, daß wir von dieser Selbsttäuschung geheilt wurden wie in allen Revolutionen. Es gibt eine bestimmte revolutionäre Methode, das Volk von seinen Illusionen zu kurieren, diese Kur wird aber leider mit dem Blute des Volkes erkauft. Genau wie in allen früheren Revolutionen so auch hier. Es war das Blut der Opfer in der Chausseestraße am 6. Dezember [9], es war das Blut der gemordeten Matrosen am 24. Dezember [10], das die Erkenntnis und die Wahrheit für die breiten Massen besiegelt hat: Was Ihr da zusammengeleimt habt als eine sogenannte sozialistische Regierung, ist nichts anderes als eine Regierung der bürgerlichen Konterrevolution, und wer diesen Zustand weiter duldet, der arbeitet gegen das Proletariat und gegen den Sozialismus. („Sehr gut!“)

Parteigenossen, zerronnen ist aber auch die Illusion der Herren Ebert-Scheidemann, daß sie mit Hilfe der Soldaten von der Front imstande wären, das Proletariat dauernd niederzuhalten. Denn welches Ergebnis hat der 6. und der 24. Dezember gezeitigt? Wir alle haben eine tiefgehende Ernüchterung der Soldatenmassen wahrnehmen können und den Beginn einer kritischen Stellungnahme ihrerseits denselben Herren gegenüber, die sie als Kanonenfutter gegen das sozialistische Proletariat haben gebrauchen wollen. Auch dies steht unter dem Gesetz der notwendigen objektiven Entwicklung der sozialistischen Revolution, daß die einzelnen Trupps der Arbeiterbewegung nach und nach durch eigene bittere Erfahrung dazu gebracht werden, den richtigen Weg der Revolution zu erkennen. Man hat nach Berlin frische Soldatenmassen eingeführt als Kanonenfutter, das die Regungen des sozialistischen Proletariats unterdrücken sollte – man hat erlebt, daß heute aus verschiedenen Kasernen die Nachfragen nach den Flugblättern des Spartakusbundes kommen. Parteigenossen, das ist der Abschluß der ersten Phase. Die Hoffnungen der Ebert-Scheidemann auf die Beherrschung des Proletariats mit Hilfe der rückständigen Soldaten sind zum großen Teil bereits erschüttert. Was sie in nicht zu ferner Zeit zu gewärtigen haben, das ist eine immer klarere revolutionäre Auffassung auch in der Kaserne und dadurch Vergrößerung der Armee des kämpfenden Proletariats, Schwächung des Lagers der Konterrevolution. Daraus ergibt sich aber, daß noch jemand seine Illusionen verlieren mußte, und das ist die Bourgeoisie, die herrschende Klasse. Wenn Sie die Zeitungen der letzten Tage nach den Ereignissen des 24. Dezember lesen, so merken Sie einen sehr deutlichen, klaren Ton der Enttäuschung, der Entrüstung: Die Knechte da oben haben sich als untauglich erwiesen. (,Sehr gut!“)

Man erwartete von Ebert-Scheidemann, daß sie sich als die starken Männer erweisen würden, um die Bestie niederzuhalten. Und was haben sie ausgerichtet? Sie haben ein paar unzulängliche Putsche gemacht, aus denen umgekehrt die Hydra der Revolution noch entschlossener den Kopf erhebt. Also eine gegenseitige Desillusion nach allen Seiten! Das Proletariat hat jede Illusion verloren über die Verkoppelung von Ebert-Scheidemann-Haase als sogenannte sozialistische Regierung. Ebert-Scheidemann haben die Illusion verloren, mit Hilfe des Proletariats im Soldatenrock die Proletarier in der Arbeiterbluse auf die Dauer niederhalten zu können, und die Bourgeoisie hat die Illusion verloren, vermittels Ebert-Scheidemann-Haase die ganze sozialistische Revolution in Deutschland um ihre Ziele zu betrügen. Es ist nichts als negatives Konto, lauter Fetzen von vernichteten Illusionen. Aber gerade daß nur solche zerrissenen Fetzen nach der ersten Phase der Revolution zurückbleiben, ist für das Proletariat der größte Gewinn; denn es gibt nichts, was der Revolution so schädlich ist als Illusionen, es gibt nichts, was ihr so nützlich ist wie die klare, offene Wahrheit. Ich kann mich da auf die Meinung eines Klassikers des deutschen Geistes berufen, der kein Revolutionär des Proletariats, aber ein geistiger Revolutionär der Bourgeoisie war: Ich meine Lessing, der in einer seiner letzten Schriften als Bibliothekar in Wolfenbüttel die folgenden, für mich sehr interessanten und sympathischen Sätze geschrieben hat:

„Ich weiß nicht, ob es Pflicht ist, Glück und Leben der Wahrheit aufzuopfern ... Aber das, weiß ich, ist Pflicht, wenn man Wahrheit lehren will, sie ganz, oder gar nicht, zu lehren; sie klar und rund, ohne Rätsel, ohne Zurückhaltung, ohne Mißtrauen in ihre Kraft und Nützlichkeit, zu lehren ... Denn je gröber der Irrtum, desto kürzer und gerader der Weg zur Wahrheit: dahingegen der verfeinerte Irrtum uns auf ewig von der Wahrheit entfernt halten kann, je schwerer uns einleuchtet, daß er Irrtum ist ... wer nur darauf denkt, die Wahrheit unter allerlei Larven und Schminke an den Mann zu bringen, der möchte wohl gern ihr Kuppler sein, nur ihr Liebhaber ist er nie gewesen.“ [11]

Parteigenossen, die Herren Haase, Dittmann usw. haben unter allerlei Larven und Schminken die Revolution, die sozialistische Ware an den Mann bringen wollen, sie haben sich als Kuppler der Konterrevolution erwiesen: Heute sind wir frei von diesen Zweideutigkeiten, die Ware steht vor der Masse des deutschen Volkes in der brutalen, vierschrötigen Gestalt des Herrn Ebert und Scheidemann da. Heute kann auch der Blödeste nicht verkennen: Das ist Konterrevolution wie sie leibt und lebt.

Was ergibt sich nun als weitere Perspektive der Entwicklung, nachdem wir ihre erste Phase hinter uns haben? Selbstverständlich kann es sich nicht darum handeln zu prophezeien, sondern nur darum, die logischen Konsequenzen aus dem bisher Erlebten zu ziehen und auf die voraussichtlichen Wege der bevorstehenden Entwicklung zu schließen, um danach unsere Taktik, unsere eigene Kampfesweise zu richten. Parteigenossen, wohin führt der Weg weiter? Eine gewisse Andeutung darüber haben Sie schon in den letzten Äußerungen der neuen Regierung Ebert-Scheidemann in reiner, unverfälschter Couleur. Wohin kann sich der Kurs der sogenannten sozialistischen Regierung bewegen, nachdem, wie ich gezeigt habe, sämtliche Illusionen verschwunden sind? Diese Regierung verliert mit jedem Tage mehr den Rückhalt in den großen Massen des Proletariats, es sind neben dem Kleinbürgertum nur noch Reste, traurige Reste der Proletarier, die hinter ihr stehen, von denen es aber sehr unklar ist, wie lange sie noch hinter Ebert-Scheidemann stehen werden. Sie werden immer mehr den Rückhalt in den Soldatenmassen verlieren, denn die Soldaten haben sich auf den Weg der Kritik, der Selbstbesinnung begeben, ein Prozeß, der zwar vorerst noch langsam geht, jedoch keinen Halt machen kann bis zur vollen sozialistischen Erkenntnis. Sie haben den Kredit verloren bei der Bourgeoisie, weil sie sich nicht stark genug erwiesen. Wo kann also ihr Weg weitergehen? Mit der Komödie der sozialistischen Politik werden sie sehr schnell völlig aufräumen; und wenn Sie das neue Programm dieser Herren lesen, dann werden Sie sehen, daß sie in die zweite Phase die der entschleierten Konterrevolution, ja, ich möchte das formulieren: in die Restauration der früheren, vorrevolutionären Verhältnisse mit Volldampf hinaussegeln. Was ist das Programm der neuen Regierung? Es ist die Wahl eines Präsidenten, der eine Mittelstellung zwischen dem englischen König und dem amerikanischen Präsidenten hat („Sehr gut!“), also beinahe ein König Ebert; und zweitens Wiederherstellung des Bundesrats. Sie konnten heute die selbständig gestellten Forderungen der süddeutschen Regierungen lesen, die den bundesstaatlichen Charakter des Deutschen Reiches unterstreichen. Die Wiederherstellung des alten braven Bundesrats und natürlich seines Anhängsels, des Deutschen Reichstags, ist nur noch eine Frage von wenigen Wochen. Parteigenossen, die Ebert-Scheidemann begeben sich damit auf die Linie der einfachen Restauration der Verhältnisse, wie sie vor dem 9. November bestanden. Aber damit haben sie sich selbst auf eine schiefe Ebene begeben, um mit zerschmetterten Gliedern auf dem Boden des Abgrunds liegenzubleiben. Denn die Wiederaufrichtung der Verhältnisse vor dem 9. November war schon am 9. November überholt, und heute ist Deutschland meilenweit von dieser Möglichkeit entfernt. Die Regierung wird, um ihren Rückhalt bei der einzigen Klasse, deren wirkliche Klasseninteressen sie vertritt, bei der Bourgeoisie, zu stärken – den Rückhalt, der ja durch die letzten Vorgänge merklich geschwunden ist –, sich gezwungen sehen, eine immer gewaltsamere konterrevolutionäre Politik zu treiben. Aus diesen Forderungen der süddeutschen Staaten, die heute in den Blättern von Berlin veröffentlicht sind, spricht deutlich der Wunsch heraus, eine, wie es heißt, verstärkte Sicherheit des Deutschen Reiches herbeizuführen, auf gut deutsch heißt das: den Belagerungszustand gegen die „anarchistischen“, „putschistischen“, „bolschewistischen“, also sozialistischen Elemente durchzusetzen. Ebert-Scheidemann werden durch die Verhältnisse dahin gestoßen, zur Diktatur mit oder ohne Belagerungszustand zu greifen. Daraus ergibt sich aber, daß wir gerade durch die bisherige Entwicklung, durch die Logik der Ereignisse selbst und durch das Gewaltsame, das über den Ebert-Scheidemann lastet, dazu kommen werden, in der zweiten Phase der Revolution eine viel verschärftere Auseinandersetzung, viel heftigere Klassenkämpfe zu erleben („Sehr richtig!“), als das vorhin der Fall war; eine viel schärfere Auseinandersetzung nicht bloß deshalb, weil die politischen Momente, die ich bisher aufgezählt habe, dahin führen, ohne Illusionen, Brust an Brust, Auge in Auge den Kampf zwischen der Revolution und der Konterrevolution aufzunehmen, sondern deshalb, weil ein neues Feuer, eine neue Flamme immer mehr aus der Tiefe in das Ganze hineingreift, und das sind die wirtschaftlichen Kämpfe.

Parteigenossen, es ist sehr charakteristisch für die erste Periode der Revolution, man kann sagen, bis zum 24. Dezember, die ich geschildert habe, daß sie – wir müssen uns das mit vollem Bewußtsein klarmachen – eine noch ausschließlich politische Revolution war; und darin liegt das Anfängliche, das Unzulängliche, das Halbe und Bewußtlose dieser Revolution. Das war das erste Stadium einer Umwälzung, deren Hauptaufgaben auf ökonomischem Gebiete liegen: Umschwung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Sie war unbefangen, bewußtlos wie ein Kind, das hinaustappt, ohne zu wissen, wohin, sie hatte noch, wie gesagt, einen rein politischen Charakter. Erst in den letzten Wochen haben ganz spontan die Streiks angefangen sich bemerkbar zu machen. Wir wollen es nunmehr aussprechen: Es liegt gerade in dem ganzen Wesen dieser Revolution, daß die Streiks sich mehr und mehr auswachsen, daß sie immer mehr zum Mittelpunkt, zur Hauptsache der Revolution werden müssen. („Sehr richtig!“) Das ist dann eine ökonomische Revolution, und damit wird sie eine sozialistische Revolution. Der Kampf um den Sozialismus kann aber nur durch die Massen, unmittelbar Brust an Brust mit dem Kapitalismus ausgefochten werden, in jedem Betriebe, von jedem Proletarier gegen seinen Unternehmer. Nur dann wird es eine sozialistische Revolution sein.

Gedankenlosigkeit freilich stellte sich den Gang anders vor. Man dachte, es ist nur nötig, die alte Regierung zu stürzen, eine sozialistische Regierung an die Spitze zu stellen, dann werden Dekrete erlassen, die den Sozialismus einführen. Das war wiederum nichts als eine Illusion. Der Sozialismus wird nicht gemacht und kann nicht gemacht werden durch Dekrete, auch nicht von einer noch so ausgezeichneten sozialistischen Regierung. Der Sozialismus muß durch die Massen, durch jeden Proletarier gemacht werden. Dort, wo sie an die Kette des Kapitals geschmiedet sind, dort muß die Kette zerbrochen werden. Nur das ist Sozialismus, nur so kann Sozialismus gemacht werden.

Und wie ist die äußere Form des Kampfes um den Sozialismus? Es ist der Streik, und deshalb haben wir gesehen, daß die ökonomische Phase der Entwicklung jetzt in der zweiten Periode der Revolution in den Vordergrund getreten ist. Ich möchte auch hier betonen, wir können es mit Stolz sagen, und das wird niemand bestreiten: Wir im Spartakusbund, die Kommunistische Partei Deutschlands, sind die einzigen in ganz Deutschland, die auf Seite der streikenden und kämpfenden Arbeiter stehen. („Sehr richtig!“) Sie haben gelesen und gesehen bei allen Gelegenheiten, wie sich die Unabhängige Partei den Streiks gegenüber verhalten hat. Es war durchaus kein Unterschied zwischen der Stellung des Vorwärts und der der Freiheit. Es wurde gesagt: Ihr müßt fleißig sein, Sozialismus heißt viel arbeiten. Und das sagt man, solange noch das Kapital das Heft in den Händen hat! Damit macht man keinen Sozialismus, sondern nur durch energischste Bekämpfung des Kapitalismus, dessen Ansprüche verteidigt werden von den äußersten Scharfmachern bis zur Unabhängigen Partei, bis zur Freiheit, allein ausgenommen unsere Kommunistische Partei. Deshalb ist es schon durch diese Darstellung gesagt, daß heute gegen die Streiks restlos alles in schärfster Weise ankämpft, was nicht auf unserem revolutionär-kommunistischen Boden steht.

Daraus ergibt sich: In der kommenden Phase der Revolution werden sich die Streiks nicht nur immer mehr ausdehnen, sondern sie werden im Mittelpunkt, im entscheidenden Punkt der Revolution stehen, zurückdrängend die rein politischen Fragen. So werden Sie einsehen, daß eine ungeheure Verschärfung der Lage im wirtschaftlichen Kampfe eintreten wird. Denn damit kommt die Revolution an die Stelle, wo die Bourgeoisie keinen Spaß versteht. Die Bourgeoisie kann sich Mystifikationen leisten auf politischem, Gebiet, wo eine Maskerade noch möglich ist, wo noch Leute wie Ebert-Scheidemann mit sozialistischen Aufschriften auftreten können, aber nicht da, wo es um den Profit geht. Da wird sie die Regierung Ebert-Scheidemann vor die Alternative stellen: entweder mit den Streiks ein Ende zu machen, die ihr drohende Erdrosselung durch die Streikbewegung zu beseitigen, oder aber die Herren Ebert-Scheidemann werden ausgespielt haben. Ich glaube auch, daß schon ihre politischen Maßnahmen dazu führen werden, daß sie sehr bald ausgespielt haben. Die Ebert-Scheidemann empfinden es besonders schmerzlich, daß sie bei der Bourgeoisie nicht viel Vertrauen gefunden haben. Die Bourgeoisie wird es sich überlegen, ob sie den Hermelin auf die derbe Parvenügestalt des Ebert wird legen können. Wenn es soweit kommt, dann wird es schließlich heißen: Es genügt hierzu nicht Blut an den Fingern, sondern er muß blaues Blut in den Adern haben („Sehr gut!“), wenn es soweit kommt, dann wird es heißen: Wenn wir einen König haben wollen, brauchen wir keinen Emporkömmling, der sich nicht mal als König benehmen kann. (Heiterkeit.)

So, Parteigenossen, drängen die Herren Ebert-Scheidemann dazu, daß sich eine konterrevolutionäre Bewegung breitmacht. Sie werden mit den emporlodernden Flammen des ökonomischen Klassenkampfes nicht fertig werden, und sie werden der Bourgeoisie mit ihren Bestrebungen doch nicht Befriedigung schaffen. Sie werden untertauchen, um entweder einem Versuch der Konterrevolution Platz zu machen, die sie zusammenrafft zu einem verzweifelten Kampf um einen Herrn Groener oder zu einer ausgesprochenen Militärdiktatur unter Hindenburg, oder aber sie werden anderen konterrevolutionären Mächten weichen müssen.

Genaues läßt sich nicht bestimmen, es können keine positiven Aussagen gemacht werden über das, was kommen muß. Aber es kommt ja gar nicht auf die äußeren Formen an, auf den Moment, wann dieses oder jenes eintritt, uns genügen die großen Richtlinien der Weiterentwicklung, und die führen dahin: Nach der ersten Phase der Revolution, der des vorwiegend politischen Kampfes, kommt eine Phase des verstärkten, gesteigerten, in der Hauptsache ökonomischen Kampfes, wobei in kurzer oder vielleicht etwas längerer Zeit die Regierung Ebert-Scheidemann in den Orkus verschwinden muß.

Was aus der Nationalversammlung in der zweiten Phase der Entwicklung wird, ist gleichfalls schwer vorauszusagen. Es ist möglich, daß, wenn sie zustande kommt, sie eine neue Schule der Erziehung für die Arbeiterklasse sein wird, oder aber, das ist ebenso nicht ausgeschlossen, es kommt überhaupt gar nicht zu der Nationalversammlung, voraussagen läßt sich nichts. Ich will nur in Klammern hinzufügen, damit Sie verstehen, von welchem Standpunkte wir gestern unsere Position verteidigten: Wir waren nur dagegen, unsere Taktik auf die eine Alternative zu stellen. Ich will hier nicht von neuem Diskussionen anschneiden, sondern dies nur sagen, damit nicht etwa jemand von Ihnen beim flüchtigen Zuhören auf die Idee kommt: Aha, jetzt kommen andere Töne. Wir stehen geschlossen vollkommen auf demselben Boden wie gestern. Wir wollen unsere Taktik gegenüber der Nationalversammlung nicht auf die Möglichkeit einstellen, die wohl eintreten kann, aber nicht muß, daß nämlich die Nationalversammlung in die Luft fliegt, sondern wir wollen sie einstellen auf die Eventualitäten, auch auf die revolutionäre Ausnutzung der Nationalversammlung, wenn sie zustande kommt. Ob sie zustande kommt oder nicht, ist gleichgültig, die Revolution kann auf alle Fälle mir gewinnen.

Und was bleibt dann der abgewirtschafteten Regierung Ebert-Scheidemann oder irgendeiner anderen sozialdemokratisch genannten Regierung, die am Ruder ist, noch übrig? Ich habe gesagt, das Proletariat als Masse ist bereits ihren Händen entschlüpft, die Soldaten sind gleichfalls nicht mehr als konterrevolutionäres Kanonenfutter zu gebrauchen. Was bleibt diesen armen Leutchen dann überhaupt noch übrig, um ihre Situation zu retten? Es bleibt ihnen nur noch eine Chance, und wenn Sie. Parteigenossen, heute die Pressenachrichten gelesen haben, werden Sie sehen, wo die letzten Reserven stehen, die die deutsche Konterrevolution gegen uns ins Feld führen wird, wenn es hart auf hart gehen soll. Sie haben alle gelesen, daß die deutschen Truppen bereits in Riga Arm in Arm mit den Engländern gegen die russischen Bolschewiki vorgehen. Parteigenossen, ich habe da Dokumente in den Händen, durch die wir das, was jetzt in Riga ausgetragen wird, überblicken können. Die ganze Sache geht aus von dem Oberkommando der VIII. Armee, Arm in Arm mit Herrn August Winnig, dem deutschen Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer. Man hat es immer so hingestellt, als seien die armen Ebert-Scheidemann die Opfer der Entente. Es war aber eine Taktik des Vorwärts schon seit Wochen, seit dem Anfang der Revolution, es so hinzustellen, als sei die Erdrosselung der Revolution in Rußland der aufrichtige Wunsch der Entente, und dadurch wurde der Entente selbst erst der Gedanke hieran nahegelegt. Wir haben hier dokumentarisch festgestellt, wie das auf Kosten des russischen Proletariats und der deutschen Revolution gemacht wurde. In einem Telegramm vom 26. Dezember gibt der Oberstleutnant Buerkner, Chef des Generalstabs der VIII. Armee, von den Verhandlungen Kenntnis, die zu dieser Abmachung in Riga führten. Das betreffende Telegramm lautet:

„Am 23.12. fand Besprechung zwischen Reichsbevollmächtigten Winnig und englischem Regierungsvertreter, früherem Generalkonsul in Riga, Monsanquet, an Bord englischen Schiffes Prinzeß Margret statt, zu welcher auch Beteiligung des deutschen Oberbefehlshabers oder seines Vertreters erbeten war. Ich wurde zur Teilnahme bestimmt.

Zweck der Besprechung:
Ausführung der Waffenstillstandsbedingungen.

Verlauf der Besprechung:
Engländer:
Hier liegende Schiffe sollen Ausführung der Bedingungen überwachen. Auf Grund der Waffenstillstandsbedingungen wird folgendes gefordert:

1. Daß die Deutschen eine genügende Streitmacht in diesem Bezirk zu halten haben, um die Bolschewisten in Schach zu halten und ihnen nicht zu erlauben, über ihre gegenwärtigen Stellungen heraus vorzudringen.“

Ferner:

„3. Eine Aufstellung der gegenwärtigen Dispositionen für die Truppen, welche gegen die Bolschewisten fechten, sowohl der deutschen wie der lettischen, sollen an den britischen militärischen Stabsoffizier gesandt werden zur Kenntnis für den ältesten Marineoffizier. Alle künftigen Dispositionen hinsichtlich der Truppen, welche zum Kampf gegen die Bolschewisten bestimmt sind, sollen durch denselben Offizier mitgeteilt werden.

4. Eine genügende Streitkraft muß an den folgenden Punkten unter Waffen gehalten werden, um ihre Einnahme durch die Bolschewisten oder deren Vordringen in eine allgemeine Linie, welche nachfolgende Plätze verbindet, zu verhindern: Walk, Wolmar, Wenden, Friedrichstadt, Pensk, Mitau.

5. Die Eisenbahn von Riga nach Libau soll gegen bolschewistische Angriffe gesichert werden, und alle britischen Vorräte und Post, welche auf dieser Strecke fahren, sollen Vorzugsbehandlung genießen.“

Dann folgt eine weitere Reihe von Forderungen. Und nun die Antwort des deutschen Bevollmächtigten, Herrn Winnig: Zwar sei es ungewöhnlich, eine Regierung zwingen zu wollen, einen fremden Staat besetzt zu halten, in diesem Falle aber wäre es unser eigenster Wunsch, das sagt Herr Winnig, der deutsche Gewerkschaftsführer! – da es gelte, deutsches Blut zu schützen – die baltischen Barone –, und wir uns auch für moralisch gebunden hielten, dem Lande zu helfen, das wir aus seinem früheren staatlichen Zusammenhange frei gemacht hätten. Unsere Bestrebungen würden aber erschwert, erstens durch den Zustand der Truppen, die unter dem Einfluß der Wirkung der Waffenstillstandsbedingungen nicht mehr kämpfen, sondern heim wollten, die außerdem aus alten, kriegsinvaliden Leuten beständen; zweitens durch das Verhalten der hiesigen Regierungen – gemeint sind die lettischen –, die die Deutschen als ihre Unterdrücker hinstellen. Wir wären bemüht, freiwillige, kampfbereite Verbände zu schaffen, was zum Teil schon gelungen sei.

Das ist Konterrevolution, was hier gemacht wird. Sie haben vor einiger Zeit von der Bildung der Eisernen Division gelesen, die ausdrücklich zur Bekämpfung der Bolschewisten in den baltischen Ländern geschaffen wurde. Es war nicht klar, wie sich die Ebert-Scheidemann-Regierung dazu stellt. jetzt wissen Sie, daß es diese Regierung selbst war, die den Vorschlag dazu gemacht hat.

Parteigenossen, noch eine kleine Bemerkung über Winnig. Wir können es ruhig aussprechen, daß die deutschen Gewerkschaftsführer – es ist kein Zufall, daß ein Gewerkschaftsführer solche politischen Dienste leistet –, daß die deutschen Gewerkschaftsführer und die deutschen Sozialdemokraten die infamsten und größten Halunken, die in der Welt gelebt haben, sind. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen.) Wissen Sie, wohin diese Leute, Winnig, Ebert, Scheidemann, gehören? Nach dem deutschen Strafkodex, den sie ja selbst in voller Gültigkeit erklären und nach dem sie selbst Recht sprechen lassen, gehören diese Leute ins Zuchthaus! (Stürmische Zurufe und Händeklatschen.) Denn nach dem deutschen Strafkodex wird mit Zuchthaus bestraft, der es unternimmt, deutsche Soldaten für ausländische Dienste zu werben. Und heute haben wir – das können wir ruhig heraussagen – an der Spitze der „sozialistischen Regierung“ nicht bloß Leute, die Judasse der sozialistischen Bewegung, der proletarischen Revolution sind, sondern auch Zuchthäusler, die überhaupt nicht in eine anständige Gesellschaft hineingehören. (Stürmische Zustimmung.)

Ich werde Ihnen im Zusammenhang mit diesem Punkt zum Schluß meines Referats eine Resolution vorlesen, zu der ich Ihren einstimmigen Beifall erwarte, damit wir mit nötigem Nachdruck gegen diese Leute auftreten können, die die Geschicke Deutschlands nunmehr leiten.

Genossen, um jenen Faden meiner Darlegungen wieder aufzunehmen: Es ist klar, daß alle diese Machenschaften, die Bildung eiserner Divisionen und namentlich das erwähnte übereinkommen mit dem englischen Imperialismus nichts anderes bedeuten als die letzten Reserven, um die deutsche sozialistische Bewegung zu erdrosseln, damit ist aber auch die Kardinalfrage, die Frage in bezug auf die Friedensaussichten, aufs engste verknüpft. Was sehen wir in diesen Abmachungen anders als die Wiederentfachung des Krieges? Während diese Halunken in Deutschland eine Komödie aufführen, daß sie alle Hände voll zu tun hätten, den Frieden herzustellen, und daß wir die Leute, die Störenfriede seien, die die Unzufriedenheit der Entente erregen und den Frieden hinauszögen, bereiten sie mit eigenen Händen das Wiederaufflammen des Krieges, des Krieges im Osten vor, dem der Krieg in Deutschland auf dem Fuße folgen wird. So haben Sie auch hier wieder die Situation, die dazu führt, daß wir uns in eine Periode der scharfen Auseinandersetzung begeben müssen. Wir werden zusammen mit dem Sozialismus und den Interessen der Revolution auch die Interessen des Weltfriedens zu verteidigen haben, und dies ist gerade die Bestätigung der Taktik, die wir Spartakusleute wiederum als die einzigen während des ganzen vierjährigen Krieges bei jeder Gelegenheit vertreten haben. Friede bedeutet Weltrevolution des Proletariats! Es gibt keinen anderen Weg, den Frieden wirklich herzustellen und zu sichern, als den Sieg des sozialistischen Proletariats. (Lebhafte Zustimmung.)

Parteigenossen, was ergibt sich für uns daraus als allgemeine taktische Richtlinie für die Situation, in der wir in nächster Zeit stehen? Das nächste, was Sie daraus schließen werden, ist wohl die Hoffnung, daß nun der Sturz der Ebert-Scheidemann-Regierung erfolgt und daß sie durch eine ausgesprochen sozialistisch-proletarisch-revolutionäre Regierung ersetzt werden müßte. Allein, ich möchte Ihr Augenmerk nicht nach der Spitze, nach oben richten, sondern nach unten. Wir dürfen nicht die Illusion der ersten Phase der Revolution, der des 9. November, weiterpflegen und wiederholen, als sei es überhaupt für den Verlauf der sozialistischen Revolution genügend, die kapitalistische Regierung zu stürzen und durch eine andere zu ersetzen. Nur dadurch kann man den Sieg der proletarischen Revolution herbeiführen, daß man umgekehrt anfängt, die Regierung Ebert-Scheidemann zu unterminieren durch einen sozialen, revolutionären Massenkampf des Proletariats auf Schritt und Tritt, auch möchte ich Sie hier an einige Unzulänglichkeiten der deutschen Revolution erinnern, die nicht mit der ersten Phase überwunden worden sind, sondern deutlich zeigen, daß wir leider noch nicht soweit sind, um durch den Sturz der Regierung den Sieg des Sozialismus zu sichern. Ich habe Ihnen darzulegen versucht, daß die Revolution des 9. November vor allem eine politische Revolution war, während sie doch in der Hauptsache noch eine ökonomische werden muß. Sie war aber auch nur eine städtische Revolution, das flache Land ist bis jetzt so gut wie unberührt geblieben. Es wäre ein Wahn, den Sozialismus ohne Landwirtschaft zu verwirklichen. Vom Standpunkt der sozialistischen Wirtschaft läßt sich überhaupt die Industrie gar nicht umgestalten ohne die unmittelbare Verquickung mit einer sozialistisch umorganisierten Landwirtschaft. Der wichtigste Gedanke der sozialistischen Wirtschaftsordnung ist Aufhebung des Gegensatzes und der Trennung zwischen Stadt und Land. Diese Trennung, dieser Widerspruch, dieser Gegensatz ist eine rein kapitalistische Erscheinung, die sofort aufgehoben werden muß, wenn wir uns auf den sozialistischen Standpunkt stellen. Wenn wir Ernst machen wollen mit einer sozialistischen Umgestaltung, müssen Sie Ihr Augenmerk ebenso auf das flache Land richten wie auf die Industriezentren, und hier sind wir leider noch nicht einmal beim Anfang des Anfangs. Es muß jetzt Ernst damit gemacht werden, nicht bloß aus dem Gesichtspunkt heraus, weil wir ohne Landwirtschaft nicht sozialisieren können, sondern auch, weil, wenn wir jetzt die letzten Reserven der Gegenrevolution gegen uns und unsere Bestrebungen aufgezählt haben, wir eine wichtige Reserve noch nicht aufgezählt haben, das Bauerntum. Gerade, weil es bis jetzt unberührt geblieben ist, ist es noch eine Reserve für die konterrevolutionäre Bourgeoisie. Und das erste, was sie tun wird, wenn die Flamme des sozialistischen Streiks ihr auf den Fersen brennt, ist die Mobilisierung des Bauerntums, des fanatischsten Anhängers des Privateigentums. Gegen diese drohende konterrevolutionäre Macht gibt es kein anderes Mittel, als den Klassenkampf aufs Land hinauszutragen, gegen das Bauerntum das landlose Proletariat und das Kleinbauerntum mobil zu machen. („Bravo!“ und Händeklatschen.)

Daraus ergibt sich, was wir zu tun haben, um die Voraussetzungen des Gelingens der Revolution zu sichern, und ich möchte unsere nächsten Aufgaben deshalb dahin zusammenfassen: Wir müssen vor allen Dingen das System der Arbeiter- und Soldatenräte, in der Hauptsache das System der Arbeiterräte in der Zukunft ausbauen, nach allen Richtungen hin. Was wir am 9. November übernommen haben, sind nur schwache Anfänge und nicht bloß das. Wir haben in der ersten Phase der Revolution sogar große Machtmittel wieder verloren. Sie wissen, daß ein fortgesetzter Abbau des Arbeiter- und Soldatenrätesystems durch die Gegenrevolution vorgenommen worden ist. In Hessen sind die Arbeiter- und Soldatenräte durch die konterrevolutionäre Regierung überhaupt aufgehoben worden, an anderen Stellen werden ihnen die Machtmittel aus der Hand gerissen. Wir müssen deshalb nicht bloß das Arbeiter- und Soldatenrätesystem ausbauen, sondern auch die Landarbeiter und Kleinbauern in dieses System der Räte einführen. Wir müssen die Macht ergreifen, wir müssen uns die Frage der Machtergreifung vorlegen als die Frage: Was tut, was kann, was soll jeder Arbeiter und Soldatenrat in ganz Deutschland? („Bravo!“) Dort liegt die Macht, wir müssen von unten auf den bürgerlichen Staat aushöhlen, indem wir überall die öffentliche Macht, Gesetzgebung und Verwaltung nicht mehr trennen, sondern vereinigen, in die Hände der Arbeiter- und Soldatenräte bringen.

Parteigenossen, das ist ein gewaltiges Feld, das zu beackern ist. Wir müssen vorbereiten von unten auf, den Arbeiter- und Soldatenräten eine solche Macht geben, daß, wenn die Regierung Ebert-Scheidemann oder irgendeine ihr ähnliche gestürzt wird, dies dann nur der Schlußakt ist. So soll die Machteroberung nicht eine einmalige, sondern eine fortschreitende sein, indem wir uns hineinpressen in den bürgerlichen Staat, bis wir alle Positionen besitzen und sie mit Zähnen und Nägeln verteidigen. Und der ökonomische Kampf, auch er soll nach meiner Auffassung und der Auffassung meiner nächsten Parteifreunde durch die Arbeiterräte geführt werden. Auch die Leitung der ökonomischen Auseinandersetzung und die Hinüberleitung dieser Auseinandersetzung in immer größere Bahnen soll in den Händen der Arbeiterräte liegen. Die Arbeiterräte sollen alle Macht im Staate haben. Nach dieser Richtung hin haben wir in der nächsten Zeit zu arbeiten, und daraus ergibt sich auch, wenn wir uns diese Aufgabe stellen, daß wir mit einer kolossalen Verschärfung des Kampfes in der nächsten Zeit zu rechnen haben. Denn hier gilt es, Schritt um Schritt, Brust an Brust zu kämpfen in jedem Staat, in jeder Stadt, in jedem Dorf, in jeder Gemeinde, um alle Machtmittel des Staates, die der Bourgeoisie Stück um Stück entrissen werden müssen, den Arbeiter- und Soldatenräten zu übertragen.

Dazu müssen aber auch unsere Parteigenossen, dazu müssen die Proletarier erst geschult werden. Auch dort, wo Arbeiter- und Soldatenräte bestehen, fehlt noch das Bewußtsein dafür, wozu die Arbeiter- und Soldatenräte berufen sind. („Sehr richtig!“) Wir müssen die Massen erst darin schulen, daß der Arbeiter- und Soldatenrat der Hebel der Staatsmaschinerie nach allen Richtungen hin sein soll, daß er jede Gewalt übernehmen muß und sie alle in dasselbe Fahrwasser der sozialistischen Umwälzung leiten muß. Davon sind auch noch diejenigen Arbeitermassen, die schon in den Arbeiter- und Soldatenräten organisiert sind, meilenweit entfernt, ausgenommen natürlich einzelne kleinere Minderheiten von Proletariern, die sich ihrer Aufgaben klar bewußt sind. Aber das ist nicht ein Mangel, sondern das ist gerade das normale. Die Masse muß, indem sie Macht ausübt, lernen, Macht auszuüben. Es gibt kein anderes Mittel, ihr das beizubringen. Wir sind nämlich zum Glück über die Zeiten hinaus, wo es hieß, das Proletariat sozialistisch schulen. – Diese Zeiten scheinen für die Marxisten von der Kautskyschen Schule bis auf den heutigen Tag noch zu existieren. Die proletarischen Massen sozialistisch schulen, das heißt: ihnen Vorträge halten und Flugblätter und Broschüren verbreiten. Nein, die sozialistische Proletarierschule braucht das alles nicht. Sie werden geschult, indem sie zur Tat greifen. („Sehr richtig!“) Hier heißt es: Im Anfang war die Tat; und die Tat muß sein, daß die Arbeiter- und Soldatenräte sich berufen fühlen und es lernen, die einzige öffentliche Gewalt im ganzen Reiche zu werden. Nur auf diese Weise können wir den Boden so unterminieren, daß er reif wird zu dem Umsturz, der dann unser Werk zu krönen hat. Und deshalb, Parteigenossen, war es auch nicht ohne klare Berechnung und ohne klares Bewußtsein, wenn wir Ihnen gestern ausführten, wenn ich speziell Ihnen sagte: Machen Sie sich den Kampf nicht weiter so bequem! Von einigen Genossen ist es falsch dahin aufgefaßt worden, als hätte ich angenommen, sie wollten bei der Boykottierung der Nationalversammlung mit verschränkten Armen stehen. Nicht im Traum ist mir das eingefallen. Ich konnte bloß nicht mehr auf die Sache eingehen; in dem heutigen Rahmen und Zusammenhang habe ich die Möglichkeit. Ich meine, die Geschichte macht es uns nicht so bequem, wie es in den bürgerlichen Revolutionen war, daß es genügte, im Zentrum die offizielle Gewalt zu stürzen und durch ein paar oder ein paar Dutzend neue Männer zu ersetzen. Wir müssen von unten auf arbeiten, und das entspricht gerade dem Massencharakter unserer Revolution bei den Zielen, die auf den Grund und Boden der gesellschaftlichen Verfassung gehen, das entspricht dem Charakter der heutigen proletarischen Revolution, daß wir die Eroberung der politischen Macht nicht von oben, sondern von unten machen müssen. Der 9. November war der Versuch, an der öffentlichen Gewalt, an der Klassenherrschaft zu rütteln ein schwächlicher, halber, unbewußter, chaotischer Versuch. Was jetzt zu machen ist, ist, mit vollem Bewußtsein die gesamte Kraft des Proletariats auf die Grundfesten der kapitalistischen Gesellschaft zu richten. Unten, wo der einzelne Unternehmer seinen Lohnsklaven gegenübersteht, unten, wo sämtliche ausführenden Organe der politischen Klassenherrschaft gegenüber den Objekten dieser Herrschaft, den Massen, stehen, dort müssen wir Schritt um Schritt den Herrschenden ihre Gewaltmittel entreißen und in unsere Hände bringen. Wenn ich es so schildere, nimmt sich der Prozeß vielleicht etwas langwieriger aus, als man geneigt wäre, ihn sich im ersten Moment vorzustellen. Ich glaube, es ist gesund für uns, wenn wir uns mit voller Klarheit alle Schwierigkeiten und Komplikationen dieser Revolution vor Augen führen. Denn ich hoffe, wie auf mich, so wirkt auch auf keinen von Euch die Schilderung der großen Schwierigkeiten, der sich auftürmenden Aufgaben dahin, daß Ihr etwa in Eurem Eifer oder Eurer Energie erlahmt; im Gegenteil: je größer die Aufgabe, um so mehr werden wir alle Kräfte zusammenfassen; und wir vergessen nicht: Die Revolution versteht ihre Werke mit ungeheurer Geschwindigkeit zu vollziehen. Ich übernehme es nicht zu prophezeien, wieviel Zeit dieser Prozeß braucht. Wer rechnet von uns, wen kümmert das, wenn nur unser Leben dazu ausreicht, es dahin zu bringen! Es kommt nur darauf an, daß wir klar und genau wissen, was zu tun ist; und was zu tun ist, hoffe ich mit meinen schwachen Kräften Ihnen einigermaßen in den Hauptzügen dargelegt zu haben. („Stürmischer Beifall!“)

 

 

Die Genossin Luxemburg unterbreitet dem Parteitag folgende Resolution:

Die Reichskonferenz nimmt mit Entrüstung Kenntnis von dem Vorgehen der deutschen Regierung im Osten. Das Zusammengehen deutscher Truppen mit denen baltischer Barone und englischer Imperialisten bedeutet nicht nur einen niederträchtigen Verrat an den russischen Proletariern und an der russischen Revolution, es bedeutet auch die Besiegelung des Weltbundes der Kapitalisten aller Länder gegen das kämpfende Proletariat der ganzen Welt. Der Parteitag erklärt angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten aufs neue: Die Regierung Ebert-Scheidemann ist der Todfeind des deutschen Proletariats. Nieder mit der Regierung Ebert-Scheidemann!

Die Resolution wurde einstimmig angenommen.

Vorsitzender: Es ist ein von 16 Genossen unterzeichneter Antrag eingegangen, die Rede der Genossin Luxemburg als Agitationsbroschüre möglichst bald erscheinen zu lassen. (Lebhafter Beifall.) Diesem Verlangen wird, sobald es technisch möglich ist, entsprochen werden.

Dann sind zu dem Punkt der Tagesordnung, den wir jetzt beraten, noch folgende Anträge eingegangen:

Der Parteitag begrüßt die Arbeit der Freien Jugend [12] und wünscht ihre Förderung. Er empfiehlt zur Aufnahme in das Parteiprogramm das Eintreten für das Selbstbestimmungsrecht und Verwaltungsrecht der arbeitenden Jugend.
Fränkel (Königsberg).

Außerdem ist ein Antrag eingegangen von demselben Unterzeichneten, der besagt:

Zur Festlegung des Programms der Kommunistischen Partei wird ein Aktionsausschuß gewählt. Dieser hat einem spätestens in drei Monaten zu berufenden Parteitag die Ausarbeitung des Programms vorzulegen, das in seinen wichtigsten Punkten in der Broschüre Was will der Spartakusbund? festgelegt ist. Es ist hierbei besonders die Vernachlässigung der Agrarfrage und der Schul- und Hochschulreform zu vermeiden.

Dann liegt ein weiterer Antrag vor, der verlangt, daß eine Kommission eingesetzt wird, die sämtliche Fragen der Sozialisierung der Industrie und Landwirtschaft bearbeitet.

Ein anderer Antrag verlangt die Einsetzung einer Agrarkommission, einer Kommission, die alles Material, das sich auf diese Materie bezieht, sammeln soll.

Wir treten nun in die Diskussion ein.

 

 

[Diskussion]

[Genosse] Frölich (Hamburg): Genossen, es fällt mir schwer, nach diesen glänzenden Ausführungen der Genossin Luxemburg, die ich Wort für Wort unterschreibe, hier Worte der Kritik aussprechen zu müssen, einer Kritik, die sich auf das uns vorgelegte Programm bezieht, das in der Broschüre enthalten ist Was will der Spartakusbund? Wir sind uns in den Grundzügen vollkommen einig, und deshalb kann es sich nicht um grundlegende Differenzen dabei handeln; aber ich bin der Meinung, daß wir uns über alle Dinge vollständig klarwerden müssen und daß deshalb auch Differenzen, die für den ersten Blick nicht tiefer Natur zu sein scheinen, ausgetragen werden müssen. Wir wollen uns dabei vor allen Dingen auf das Wort Lessings berufen, das die Genossin Luxemburg hier vorgetragen hat: Wenn wir schon die Wahrheit sagen wollen, dann die ganze Wahrheit.

Genossen, da muß ich sagen: Ich finde in dem Programm eine Stelle, die mir doch bedenklich erscheint und bei der ich vermute, daß da etwas Schüchternheit vorgelegen hat, als man sie schrieb. Auf Seite 4 finden Sie den Abschnitt III, in dem es heißt:

„In den bürgerlichen Revolutionen waren Blutvergießen, Terror, politischer Mord die unentbehrliche Waffe in der Hand der aufsteigenden Klassen.

Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Institutionen bekämpft, weil sie nicht mit naiven Illusionen in die Arena tritt, deren Enttäuschung sie blutig zu rächen hätte.“

Genossen, gegen diese Fassung habe ich Schwerwiegendes einzuwenden. Zunächst bedeutet diese Fassung eine scharfe Kritik an der Taktik der Bolschewiki (Widerspruch), die ganz offen erklärt haben: jawohl, wir müssen zum Terror greifen. Nun, Genossen, das kann uns natürlich nicht abhalten, unsre Wege zu gehen, wenn die Bolschewiki andre Wege gegangen sind. Aber wenn wir diese Kritik an der russischen Revolution üben, dann müssen wir uns darüber klarwerden, ob sie berechtigt ist, dann müssen wir untersuchen. ob die ganze Situation nicht dazu gedrängt hat, wirklich auch zu den Mitteln des Terrors zu greifen. Genossen, wenn Ihr Euch den ungeheuer scharfen Bürgerkrieg klarmacht, der da drüben geführt wird, dann werdet Ihr Euch auch klarwerden, daß er mit allen Mitteln geführt werden muß, die zu Gebote stehen; und dazu gehören auch die Mittel des Terrors. Wenn wir uns weiter über die Tatsache klarwerden sollten, die ich für sicher halte, daß bei uns in Deutschland die revolutionären Kämpfe eine noch viel größere Heftigkeit annehmen werden als in Rußland, und zwar deshalb, weil wir einen viel fester fundierten Kapitalismus haben als die Russen und weil uns die außerordentlich scharfe Waffe der revolutionären Bauernschaft fehlt, wir im Gegenteil, wie die Genossin Luxemburg sehr richtig betont hat, mit einer ganz entschiedenen und bewußten Gegenrevolution in unserm Bauerntum zu rechnen haben, dann scheint es mir ganz sicher zu sein, daß wir hier in Deutschland auch einen viel schärferen Klassenkampf zu führen haben werden. Aber worauf kommt es dabei an? In all diesen Kämpfen ist das wesentlichste, die eigene Organisation so straff als möglich zu machen, den Feind aber zu desorganisieren. Und, Genossen, bei uns liegen die Dinge so, daß, wenn man uns die Köpfe abschlägt, sofort aus den Massen wieder die nötigen Leute hervorkommen, die dann die Dinge in die Hand nehmen.

Beim Bürgertum aber liegen die Dinge anders. Da handelt es sich in der Tat im wesentlichen um eine Organisation, die von einzelnen hervorragenden Köpfen geleitet wird, und da ist es notwendig, diesen Kopf der Organisation abzuschlagen; nicht physisch schließlich; physisch, wenn man dazu gezwungen ist. Aber man muß ihn herausnehmen aus der Organisation der Gegenrevolution, und, Genossen, wir haben die Tatsache zu verzeichnen, daß auch darin unsre ganze Revolution bisher ihren Säuglingscharakter, möchte ich sagen, gezeigt hat. Wir haben in Hamburg ganz ausgesprochene und gut organisierte gegenrevolutionäre Bewegungen gehabt, die nur zur rechten Zeit entdeckt worden sind. Was haben wir gesehen? Unsre Herren Unabhängigen haben die wichtigsten Leute, auf die es dabei ankam, sofort wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Dr. Blunck, ein Reichstagsabgeordneter, der sich an konterrevolutionären Bewegungen beteiligte, gehört nicht mehr in die Öffentlichkeit, und ich gebe die Versicherung: Hätten wir die Dinge in der Hand gehabt, hätten wir zu entscheiden gehabt, er wäre niemals wieder freigekommen, bis die Revolution gesichert war; und ebenso wären die Herrschaften vom Hamburger Senat, die von der Gegenrevolution gewußt haben und nichts dagegen taten und den Arbeiter- und Soldatenrat nicht davon unterrichteten, auch dorthin gebracht worden, wo viele von unsern Genossen lange Zeit geschmachtet haben. („Bravo!“) Genossen, das ist der Terror, den wir durchführen müssen, solange wir nicht zu noch schärferen Mitteln gezwungen werden. Diese Leute hatten wir als Geiseln zu halten, und wenn dennoch die Gegenrevolution aufgetreten wäre, nun gut, dann hätten diese Herrschaften das Schicksal der Geiseln erleiden müssen. Darüber müssen wir uns klar sein.

Im übrigen ist die Sache so: Wenn man die Dinge nicht klar ausspricht, um die es sich handelt – den Feind täuscht man niemals darüber. Der Feind weiß in jeder Situation, was ihm blüht. Geht die revolutionäre Bewegung weiter – und das tut sie –, dann werden wir ganz sicher zu einem ganz außerordentlich verschärften Kampf kommen, und die Bourgeoisie ist sich ganz klar dessen bewußt, daß es dann hart auf hart geht und keine Rücksicht von keiner Seite genommen wird.

Genossen, ich bin deshalb gegen die Fassung, die hier beliebt worden ist. Wir müssen unsern Genossen gegenüber ganz klar aussprechen, was wir wollen, damit sie eine Richtschnur haben für das Handeln, wenn sie vor gewisse bestimmte Tatsachen gestellt werden.

Etwas andres ist noch in den eigentlichen Forderungen, die hier aufgestellt worden sind, und zwar etwas, worüber ich mir nicht ganz klar geworden bin. Es heißt da in den Forderungen unter III [B] „Auf politischem und sozialem Gebiete“, Nr.1: „Abschaffung aller Einzelstaaten; einheitliche deutsche sozialistische Republik.“

Genossen, ich bin mir nicht ganz klar, was damit gemeint ist. Handelt es sich um das letzte Ziel der Bewegung, handelt es sich darum, wenn wir den Sozialismus wirklich erreicht haben, dann eine einheitliche deutsche Republik bestehen zu lassen? Da, glaube ich, ist es notwendig, uns doch ein wenig klar darüber zu werden, wie die Dinge wohl verlaufen werden. Bei dem Fortschreiten der Revolution wird es sich ganz offenbar herausstellen, daß unsre Partei, daß die Arbeitermasse, die sich auf den Boden der entschiedenen Revolution stellt, nicht sofort im ganzen Reiche die Macht in die Hände nehmen kann, sondern daß sich gewisse Bezirke zuerst vom Kapitalismus frei machen werden, insoweit, als sie imstande sind, die Diktatur des Proletariats für ihren Bezirk sicher durchzuhalten; und da, Genossen, glaube ich, daß zunächst eine Reihe von Republiken entstehen, die einfach auf dieser Grundlage aufgebaut sind. Diese Republiken werden wir doch nicht als einen Widerspruch ansehen zu unsrer Forderung einer einheitlichen deutschen Republik; denn diese Republiken sind einfach der Weg zu unserm Ziele. Also wir müßten das von vornherein unterscheiden.

Ich glaube dann allerdings weiter, daß in ganz kurzen Epochen sich diese Bewegung durchsetzen wird und daß wir dann zu einer einheitlichen deutschen Republik kommen werden. Aber dann fragt es sich, ob das wirklich das endgültige Resultat ist; und da, Parteigenossen, habe ich sehr große Zweifel. Es kommt für uns nicht darauf an, hier doktrinär etwas festzusetzen, etwa. So wird es gemacht, sondern es kommt darauf an, zu erkennen, wie die Entwicklung weiter fortschreiten wird; und da sind wir uns heute darüber klar, wie wir uns früher klar waren, daß die russische Revolution nur durch die Weltrevolution gerettet werden kann, sind wir uns heute darüber klar, daß die Weltrevolution jetzt unvermeidlich ist, daß sie unbedingt kommen wird. Wie liegen dann die Dinge? Genossen, dann muß eine ganz andre Organisation unsres gesamten Wirtschaftslebens durchgeführt werden, als sie bisher ist; und ob dann Einzelstaaten in dem alten Sinne der festen Grenzen, der geschlossenen Einheit des gesamten Volkslebens möglich sind, das bezweifle ich sehr.

Nur einige Beispiele will ich Ihnen anführen, die Ihnen die Dinge beweisen sollen. Wir haben einen ungeheuer starken Weltverkehr, der heute schon unter dem Kapitalismus stark international vertrustet ist. Es kommt darauf an, diesen Weltverkehr zu organisieren, und er kann meines Erachtens nur organisiert werden auf der Weltgrundlage.

Ein anderes! Wir haben das große Minette- und Kohlengebiet an der deutsch-französischen Grenze. Es ist selbstverständlich: Behalten wir die feste Staatsgrenze bei, dann müssen wir das Selbstbestimmungsrecht der Völker durchführen. Aber da wird es offenbar so werden, daß die Bevölkerungsschichten, die zu Deutschland gehörten, sich nicht nach Frankreich abwenden werden und umgekehrt, daß also wiederum dieses große, einheitliche Wirtschaftsgebiet zerrissen wird. Das kann und darf nicht geschehen, wenn eine einheitliche Organisation der Arbeit möglich sein soll; und es wird nicht möglich sein, nun durch besondere Verhandlungen zwischen den einzelnen Staaten immer zu versuchen, die Einheit herbeizuführen, sondern in demselben Maße, wie in Rußland drüben die ganzen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht auf der rein staatlichen Grundlage aufgebaut sind, sondern wie da eine Reihe von Räten für alle möglichen Dinge entstehen, die dort von selber entscheiden, so wird wahrscheinlich das ganze wirtschaftliche Gebiet auch auf ähnliche Weise in der Zukunft organisiert werden müssen ohne Rücksicht auf die Staatsgrenzen, und Staatsgrenzen würden vielleicht nur noch insofern eine Bedeutung haben, als sich eine besondere Kulturarbeit unbedingt auf die Sprachzugehörigkeit der einzelnen Völker aufbauen muß.

Parteigenossen, wenn wir diese Dinge so betrachten, dann werden wir finden, daß dann von einer einheitlichen deutschen Republik in Wirklichkeit nur ein ganz kleiner Rest bleibt. Ich will jetzt nicht entschieden gegen diese Fassung auftreten; aber ich möchte nur die Gedanken einmal in die Debatte hineinwerfen, um dann zu sehen, wie weit wir kommen, wenn wir uns von diesem Gesichtspunkt aus die Dinge betrachten.

[Genosse] Fränkel (Königsberg) (zur Geschäftsordnung): Ich bin der Ansicht, daß eine Diskussion die ausgezeichnete Rede der Genossin Luxemburg nur abschwächen kann („Sehr richtig!“) und daß es auch unmöglich ist, auf alle Einzelheiten des Programms einzugehen. Da gibt es ja, man kann sagen, Hunderte von Punkten; ich erinnere zum Beispiel daran, daß die Jugend überhaupt nicht erwähnt worden ist. Ich schlage Ihnen daher vor, die Debatte zu schließen, nachdem uns ein Vertreter der Zentralleitung gesagt hat – es liegt ja hier ein Vorschlag vor, eine Kommission von 25 Mitgliedern einzusetzen –, wie die Parteileitung sich die Arbeit dieser Kommission denkt.

Vorsitzender: Genossen, ich möchte mitteilen, daß ein Antrag vorliegt, der sachlich dasselbe verlangt wie der Redner, der eben gesprochen hat, und der von 16 Genossen unterzeichnet ist. Gegen diesen Antrag wünscht Genosse Meyer zu sprechen.

[Genosse] Meyer [Zentrale]: Genossen und Genossinnen! So gutgemeint mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit der vom Genossen Fränkel befürwortete Antrag ist, so ist er doch unmöglich durchzuführen. Wir haben zwar einen gedruckten Programmentwurf in der Broschüre Was will der Spartakusbund?, und wir haben die Ausführungen der Genossin Luxemburg, und gewiß stehen uns die Verhandlungen in einer Kommission bevor, die über diese Fragen noch weiter sprechen wird. Aber wir können nicht die Basis unsrer ganzen Existenz, die Frage unseres Programms, einer Kommission von 25 Personen überlassen, sondern die Zentrale, und ich glaube, Sie alle legen Wert darauf, daß wir aus Ihrer Mitte als Vertreter der verschiedenen Mitgliedschaften hören, welche Wünsche und Anregungen Sie zur Ausgestaltung des Programms haben. Ich bitte Sie daher, den Antrag Fränkel abzulehnen.

Vorsitzender: Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag Fränkel ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.

(Geschieht.)

Das ist die Minderheit; der Antrag ist abgelehnt.

Bevor wir in der Diskussion fortfahren, möchte ich noch mitteilen, daß von den Genossen Frölich und Rühle beantragt ist, aus dem Referat der Genossin Luxemburg den Teil, der sich mit dem Hochverrat von August Winnig befaßt, als Flugblatt herauszugeben. („Sehr gut!“)

Ich setze das Einverständnis der Kommission voraus; dem Antrage wird entsprochen werden.

Nun fahren wir in der Diskussion fort.

[Genosse] Bäumer [Worpswede] [13]: Ich möchte zu den Ausführungen der Genossin Luxemburg und gleichzeitig zu den Ausführungen des Genossen Frölich einige Worte sagen.

Zunächst möchte ich mich gegen die Begründung der Ablehnung der in dem Parteiprogramm des Spartakusbundes vorgetragenen Sätze durch den Genossen Frölich wenden. Auch ich stehe auf dem Standpunkt, daß der Bürgerkrieg und der Terror zunächst eine rein bürgerliche Angelegenheit ist, die sich aus der Entwicklungsgeschichte der kapitalistischen Bourgeoisie an sich mit lapidarer Selbstverständlichkeit ergibt. Ich halte es für wichtig, daß wir der kapitalistischen Bourgeoisie kein überflüssiges Agitationsmaterial in die Hände geben; und darum, wenn hier steht: „In den bürgerlichen Revolutionen waren Blutvergießen, Terror, politischer Mord die unentbehrliche Waffe in der Hand der aufsteigenden Klassen“, so ist das eine Selbstverständlichkeit.

„Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord.“ Auch das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber wenn die kapitalistische Bourgeoisie den Bürgerkrieg und den Terror propagiert, so ist eine Reaktion auf Bürgerkrieg und Terror ebenfalls eine Selbstverständlichkeit, und wir befinden uns so lange im Zustande der von Bürgerkrieg und Terror Bedrohten, als die Machtmittel zur überwiegenden Mehrheit auf der Seite des bürgerlichen Terrors liegen. Im Augenblick der gleichen Verteilung der Machtmittel oder im Augenblick des Übergangs der Machtmittel an das sozialistische Proletariat hört vielleicht der Bürgerkrieg auf, vielleicht auch nicht, immerhin stehen wir dann immer auf dem Boden, daß wir, provoziert, lediglich reagiert haben. Infolgedessen bleibt Bürgerkrieg und Terror eine rein bürgerliche Angelegenheit.

Auf die doktrinär genannten Ausführungen der Genossin Rosa Luxemburg weiter einzugehen erübrigt sich wohl. Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, daß am wichtigsten ist, aus der geschichtlichen Tradition des Kapitalismus, die gleichzeitig die geschichtliche Tradition der Revolution ist, durch eine absolute Klarstellung dieser geschichtlichen Entwicklungsstadien die aus dieser Entwicklung hervorströmende Fülle revolutionärer Energien für uns und die Sache des sozialistischen Proletariats geltend zu machen. Wenn wir als Ursache des Weltkrieges die kapitalistische Wirtschaftsform, wenn wir die Weltrevolution als eine Wirkung der kapitalistischen Wirtschaftsform immer wieder festnageln auf Grund der uns zur Verfügung stehenden evidenten Tatsachen, so haben wir damit eine fundamentale Basis der Propaganda geschaffen, auf der nicht das brutale Agitationsmittel der Verhetzung nötig erscheint, sondern wo jeder einzelne in die Lage versetzt wird, von sich aus den revolutionären Entschluß zu fassen und durchzuführen: das sozialistische Programm des Spartakusbundes oder jetzt der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands. [14] Genossen, wenn wir gegen das Privateigentum, gegen den Privatbesitz sind, wenn wir als Kommunistische Partei die Enteignung des Privateigentums, des Privatbesitzes propagieren, so dürfen wir nicht haltmachen vor dem Kleinbesitzer, denn enteignen wir, so haben wir radikal zu enteignen. Enteignen wir nur den Großbesitz und lassen eine gewisse Summe kleinen Kapitals bestehen, so schließen wir einen Kompromiß mit dem Kapitalismus, dessen Spitze sich letzten Endes gegen uns richten wird und muß, und unser ganzer Sozialismus ist kapitalistisch kompromittiert. („Sehr richtig!“)

Parteigenossen, wir haben leider gestern an der Sitzung nicht teilnehmen können, sondern erst heute an der Schlußsitzung. Ich bedaure es auf das bitterste, daß es gestern überhaupt zu einer Aussprache über die Stellung zur Nationalversammlung gekommen ist. Für uns Kommunisten gibt es keine Nationalversammlung, sie ist und bleibt eine bürgerliche Illusion, zu der wir keine Beziehung haben. Wenn heute bereits die bürgerliche Presse gesagt hat: Liebknecht ein Opfer, oder Liebknechts Niederlage auf der Reichskonferenz des Spartakusbundes, so ist das eine Folge, die wir uns selbst zuzuschreiben haben, so haben wir der Bourgeoisie selbst Agitationsmaterial geliefert. Wir haben zur Nationalversammlung keine Beziehung. Wir haben das Agitationsmittel des Kampfes gegen die Nationalversammlung, wir brauchen uns aber auf dieses Programm nicht festzulegen, denn wie auch früher schon gesagt worden ist, ist jede Agitation ein Kampf gegen die Nationalversammlung. („Bravo!“)

[Genosse] Leviné (Neukölln): Genossen und Genossinnen, ich habe Ihnen im Namen einiger Parteifreunde, mit denen wir eine Besprechung abgehalten haben, einige Vorschläge zur Ergänzung und Abänderung des Programms zu machen. Vorher möchte ich erklären, daß wir im großen und ganzen das Gesamtprogramm annehmen und auch mit den Ausführungen der Genossin Luxemburg aus ganzem Herzen einverstanden sind. Unsere Vorschläge beziehen sich darauf, daß einige Punkte des Programms näher ausgeführt werden sollen, um gleichzeitig der Agitation eine Handhabe zu bieten und nicht nur in formulierten Schlagworten, sondern in konkreten Richtlinien festzulegen, was wir wollen.

So wollen wir nicht sagen in dem zweiten Teil von Punkt [III B] 7 „einschneidende soziale Gesetzgebung“, sondern konkret anführen, worin diese einschneidende soziale Gesetzgebung bestehen soll. Ebenso würden wir vorschlagen, sich bei Punkt [III B] 8 nicht damit zu begnügen, sofort gründliche Umgestaltung des Wohnungs-, Gesundheits- und Erziehungswesens usw. im Sinne und Geiste der proletarischen Revolution zu fordern. Es kommt uns darauf an zu sagen, was im Sinne und Geiste der proletarischen Revolution ist. Zum Teil ist es ausgeführt in dem Artikel der zur Einführung und Begründung der programmatischen Forderung dient, zum Teil aber nicht. [15] Man ist gewöhnt, die Wohnungsfrage von der Bourgeoisie dadurch lösen zu lassen, daß man bestimmte Bauten ausführen läßt, sie durch die Kommunen unterstützt, während wir selbstverständlich als Kommunisten auf dem Boden der Rationierung der Wohnungen stehen. Ebenso erscheint es uns nötig, darzulegen, in welcher Weise wir als Kommunisten das Erziehungswesen umgestalten wollen. Das brauchte ja nicht länger ausgeführt zu werden, sondern es handelt sich bei jedem Punkt nur um zwei bis drei Zeilen.

Gleichzeitig möchten wir bei [III A] 7 auch die Erfahrungen der Revolution uns zunutze machen und das Revolutionstribunal nicht nur darauf beschränken, einzelne Schuldige am Kriege aburteilen zu lassen. Wir halten es auch nicht für zweckmäßig, gleich Namen zu nennen, denn das Revolutionstribunal wird das erst feststellen und den Kreis weiter ziehen, sich nicht auf diese vier Leute beschränken. Es soll auch zur Aburteilung der Gegenrevolutionäre dienen.

Ebenso möchten wir aber auch ausdrücklich betont haben, umsomehr, da die Ebert-Haase-Regierung die richterlichen Institute intakt gelassen hat, daß wir das ganze Gerichtswesen umändern wollen, daß wir die Gerichte durch Volksgerichte ersetzen wollen, sowohl die Strafgerichte wie die bürgerlichen Gerichte, denen wir gegebenenfalls Rechtsgelehrte als beratende Kräfte beigeben wollen.

Dann möchten wir ausdrücklich hervorgehoben haben, daß wir eine berufsmäßige Staatsanwaltschaft und Rechtsanwaltschaft ausgeschaltet wissen wollen. Das sind alles Forderungen, die für uns alle selbstverständlich sind, aber nicht selbstverständlich für die Massen, an die wir herantreten.

Es würde ferner Mißverständnisse vermeiden, wenn wir in Punkt [III A] 6 statt „aller Organe und politischen Behörden“ sagen würden „aller politischen Organe und Behörden“, damit man nicht denkt, daß das Wort „politische“ sich nur auf Behörden bezieht. Wir sind doch einstimmig dafür, daß die Behörden alle durch gewählte Vertreter besetzt werden. Ebenso wären wir dafür zu betonen, daß die Roten Garden aus revolutionären, klassenbewußten Proletariern gebildet werden sollen.

Das sind alles Anträge, die wir formuliert der Kommission übergeben haben, aber wir wollten sie kurz vortragen, damit die Genossen informiert sind.

Es ist dann auch wichtig, wenn wir an die Ausführung der Genossin Luxemburg denken, daß der Ausbau von unten beginnen müsse, daß neben die Betriebsräte auch Arbeitslosenräte treten müssen, weil wir damit zu rechnen haben, daß Millionen unserer Kampfgenossen ohne Arbeit sein werden, und ihnen Gelegenheit gegeben werden soll, an dem Aufbau des sozialistischen Staates mitzuarbeiten.

Nun kommt aber auch noch eine Differenz, und das ist die Lösung der Agrarfrage. Es ist eine Differenz insofern, als wir uns nicht mit dem einverstanden erklären können, was in dem Programm festgelegt wird. Die Frage ist außerordentlich kompliziert, und daher würde es sich auch empfehlen, eine besondere Agrarkommission zu wählen. Es ist auch von der Genossin Luxemburg mit vollem Recht betont worden, wie wichtig für die Lösung der Revolution es ist, wenn sie im Rahmen einer rein proletarischen [Revolution] auch die rein proletarischen Kräfte des Landes mit umgreift. Wir müssen die ländliche arbeitende Bevölkerung auf unsere Seite bringen, wenn wir den sozialen Aufbau gestalten wollen, und um die ländliche Bevölkerung auf unsere Seite zu bringen, ist das Hineintragen des Klassenkampfes auf das flache Land notwendig. Es wird uns hier gesagt, daß man die Groß- und Mittelbetriebe expropriieren solle, aber gleichzeitig wird erklärt, die bäuerlichen Kleinbesitzer bleiben in Besitz ihres Eigentums bis zu ihrem freiwilligen Anschluß an die sozialistische Gesellschaft.

Ich schließe mich dem Genossen von der früheren kommunistischen Partei [16] an, der erklärte, alles müsse sozialisiert werden, alles müsse enteignet werden, die kleinen Vermögen müßten aber bis zu einer bestimmten Höhe während der Übergangszeit ihren Besitzern belassen werden. Etwas anderes dagegen ist es mit dem landwirtschaftlichen Besitz. Wir haben gerade in Rußland die Erfahrung gemacht, daß die Bourgeoisie gezwungen war, sich durch die Macht der Arbeiter auf die Sozialisierung der Industrie festzulegen, daß dann aber auch die Sozialisierung der Landwirtschaft notwendig war mit dein Grundsatz: Land und Boden hört auf, Privatbesitz zu sein, ist unverkäuflich, unvererblich, er wird nur den einzelnen zur Bearbeitung überlassen, und die Lohnarbeit auf dem Lande ist nicht gestattet. Wesentlich ist nun die Frage: Können wir diesen Grundsatz in Deutschland durchführen? Man wird uns sagen: In Rußland waren die Voraussetzungen durch die kommunistischen Bauerngemeinden, in den sogenannten Mir [17], vorhanden, in Deutschland haben wir das nicht. Wir sehen aber, daß in Deutschland die Unzufriedenheit über den Bodenwucher außerordentlich überhandnimmt, daß gerade auch auf dem flachen Lande in den Wohngemeinden die Arbeiter, die zum Teil in der Landwirtschaft tätig sind, sich der sogenannten Heimstättenbewegung, der Bodenreformbewegung usw. angeschlossen haben, was der Unzufriedenheit über die Lösung der Agrarfrage entstammt. Genauso wissen wir auch, daß die Bauern in Pommern daran denken, den Grundbesitz aufzuteilen. Wollen wir das chaotische Aufteilen verhindern, was nur die Schaffung eines neuen Großbauerntums, eines neuen Großunternehmertums bedeuten würde, so müssen wir mit einem klaren Programm vor die Öffentlichkeit treten. Wir wollen das Kleinbauerntum für uns gewinnen, aber nicht, indem wir seinen privatkapitalistischen Interessen Rechnung tragen, sondern indem wir den Zwergbauern noch Land zur Bearbeitung übergeben, indem wir eben an die Aufteilung des Großgrundbesitzes und Großbauerntums gehen.

Ich würde also entschieden raten, diese Frage aus dem Komplex der andern Fragen herauszuschälen und eine besondere Agrarkommission zu bilden, die in kürzester Zeit Material beschaffen, in sachkundigster Weise die Frage klären soll. Einer unserer Anträge will deshalb, daß die Organisationskommission Fachleute heranzieht oder besondere Kommissionen einsetzt. Denn gerade bei den Kommunalverwaltungen ist die Frage außerordentlich brennend, weil die Arbeiter- und Soldatenräte wissen wollen, nach welchen Grundsätzen sie zu arbeiten haben.

[Genosse] Meyer: Genossen und Genossinnen, Genosse Bäumer hat es bedauert, daß wir gestern eine Debatte über die Nationalversammlung gehabt haben. Er hat befürchtet, daß durch die Ausführungen, die unter anderm vom Genossen Liebknecht gemacht worden sind, bereits eine Selbstkompromittierung der jungen Partei eingetreten ist. Genossen und Genossinnen, dieser Auffassung müssen wir mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Es war unsere Stärke bis zum heutigen Tage – und ich hoffe, daß es unsere Stärke erst recht in der Zukunft sein wird –, daß wir nicht in kleinen Konventikeln solche Fragen vorher erledigen, sondern in aller Öffentlichkeit die Angelegenheiten diskutieren. Gerade unsere Partei, die sich an die Aktivität der Masse wendet, kennt keine Fragen, die nicht in den Massen selbst diskutiert werden sollen, bis die Einheitlichkeit der Auffassungen über die Einheitlichkeit der Aktion erzielt worden ist. Gerade das ist unsere Stärke, daß wir das, womit wir an die Öffentlichkeit treten, vor der Öffentlichkeit ohne jeden Rückhalt verhandeln.

Die Frage der Nationalversammlung soll keineswegs heute in der Diskussion über das Programm der jungen Partei von neuem erörtert werden. Aber, da die Frage gestreift worden ist, möchte ich Sie doch darauf hinweisen, daß, wenn von uns die Beteiligung empfohlen wurde, es gerade deshalb geschah ,um auch die Kreise, die uns jetzt noch fern stehen, in absehbarer Zeit zu uns heranzuziehen. Sowohl von der Genossin Luxemburg wie von Diskussionsrednern ist hervorgehoben worden, daß wir auf dem flachen Lande noch keinen starken Anhang haben, und die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung, die Veranstaltung von Versammlungen dort, die Beteiligung an den von anderen Parteien einberufenen Wahlversammlungen wären ein sehr geeignetes Mittel dafür.

Wir müssen natürlich jeden Weg zu beschreiten suchen, trotz der Ablehnung der Wahlbeteiligung. Wir stehen da vor einer besonders schwierigen Situation. Man hat uns seit den ersten Tagen der Revolution an vorgeworfen, daß wir die Diktatur einer Minderheit verlangten. Nichts ist falscher als diese Auffassung. Im Gegenteil und mit aller Schärfe muß gesagt werden, was wir wollen: Wir wollen eine Herrschaft der Mehrheit, eine Diktatur der Mehrheit. Von diesem Ziele sind wir noch weit entfernt infolge der besonderen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Deutschlands, wo wir einerseits eine stark entwickelte Industrie haben mit erheblich fortgeschrittenem Proletariat, wo es aber andererseits noch große Teile des Reiches gibt, namentlich auf dem Lande, die noch nicht das Selbstbewußtsein des industriellen Proletariats besitzen. Daher müssen wir versuchen, diese Kreise in unsere Ideenwelt einzubeziehen. Ich hatte vor kurzem Gelegenheit, einige Bezirke Ostelbiens zu besuchen, und war erschrocken über die offene gegenrevolutionäre Stimmung, die dort verbreitet war, bis in große Schichten des Kleinbürgertums hinein, wo man offen im Eisenbahnwagen, in Cafés und Restaurants davon spricht, daß man es den Berlinern zeigen müsse und alles das, was am 9. November erschüttert worden ist, in alter Stärke wiederherstellen müsse. Fast noch erschrockener war ich darüber, daß auch die Arbeiter in den Städten selbst noch nicht das Verständnis dafür hatten, was in dieser Situation notwendig ist. Deshalb müssen wir die Agitation nicht nur auf dem flachen Lande, sondern auch in den Klein- und Mittelstädten mit aller Macht in die Wege leiten.

Damit im Zusammenhang steht auch die Frage, welche Gestaltung man dem Deutschen Reich, der sozialistischen Republik, wie sie heute bereits genannt wird, geben soll, und von verschiedenen Genossen, insbesondere vom Genossen Frölich, ist die Frage ausgesprochen worden, ob man nicht die Möglichkeit schaffen wolle, durch besondere proletarische Republiken die Kräfte zusammenzufassen und erst allmählich zu einer einheitlichen deutschen Republik zu schreiten. Ich muß Sie dringend bitten, diesen Gedanken entschieden abzulehnen und entschieden zu bekämpfen. („Sehr richtig!“)

Es ist geradezu typisch für die konterrevolutionären Bestrebungen, daß sie die Möglichkeit von selbständigen Republiken propagieren, worin sich nichts anderes äußert als der Wunsch, Deutschland in verschiedene Bezirke zu zerteilen, die sozial voneinander abweichen, oder die sozial rückständigen Gebiete dem Einfluß der sozial fortgeschrittenen Gebiete zu entziehen. Würden wir in irgendeiner Form diesen Bestrebungen zustimmen, so würden wir uns selbst den schwersten Schaden tun und der Verbreitung unserer Ideen die größten Hindernisse bereiten.

Vorsitzender: Ich habe Ihnen folgendes Schreiben zur Kenntnis zu bringen:

An die Zentralstelle der Kommunistischen Partei Deutschlands, hier.

Werte Genossen, gestern abend hat sich ein Bund kommunistischer Studenten und Akademiker an der Universität gebildet. Er soll keine übliche akademische Sonderorganisation darstellen – denn wir meinen, daß gesinnungsgenössische Akademiker sich hauptsächlich in den allgemeinen proletarischen Organisationen zu betätigen haben –, nein, es soll lediglich eine Geschäftsstelle der kommunistischen Bewegung auf der Universität errichtet werden. Sie erhält aus äußeren Gründen die Formen eines Vereins.

Wir bitten alle Genossen, besonders auch die aus dem Reich, Adressen und Material zu richten an Genossen Peter Maslowski, Redaktion der Roten Fahne.

Mit Parteigruß
gezeichnet Maslowski.

[Genosse] Leviné (Neukölln) (zur Geschäftsordnung): Genossen, ich möchte nur darauf hinweisen, daß ich es nicht für richtig halte, wenn die Versammlungsleiter die Reihenfolge der Redner ohne deren Einwilligung umändern. Sollte der Redner, der an der Reihe ist, nicht sprechen wollen oder nicht anwesend sein, so könnte er auf sein Wort verzichten oder sich am Ende eintragen lassen. Es ist aber unzulässig, ohne Einwilligung der anderen Redner die Reihenfolge abzuändern.

Vorsitzender: Ich werde dem Wunsche Rechnung tragen. Ich halte es für zulässig, daß ein Genosse später aufs neue eingetragen wird.

[Genosse] Fränkel (Königsberg). Genossen, der Brief, den der Vorsitzende eben verlesen hat, freut mich ganz außerordentlich, denn er liegt in der Richtung des Antrags, den ich Ihnen hier namens der Gruppe Königsberg vorzulegen habe, nämlich des Antrags, daß die Versammlung auch die Schul- und Hochschulreform berücksichtige. Sowohl die Schulen wie die Hochschulen waren bisher Hochburgen der Reaktion. Die gesamte Wissenschaft, kann man sagen, hatte sich in den Dienst der Reaktion gestellt. Das ist die natürliche Entwicklung, die Folge davon, daß die sogenannte voraussetzungslose Wissenschaft bisher nicht voraussetzungslos war, sondern als Voraussetzung den kapitalistischen Staat hatte. Ich möchte des näheren nicht darauf eingehen, ich bin der Ansicht, daß diese Frage einer sehr gründlichen Beratung bedarf.

Nur auf das eine in dem Antrage, der Ihnen vorhin vorgelesen wurde, möchte ich noch hinweisen. Wir schlagen Ihnen vor, daß die Kommission – wir haben in dem Antrage das Wort „Kommission“ vermieden, weil das Wort „Kommission“ an so etwas wie „ehrliches Begräbnis“ erinnert –, daß die Kommission möglichst schnell arbeiten und in spätestens drei Monaten dem Parteitag Material zur Kenntnis vorlegt. Wir bedürfen dieses Materials aus agitatorischen Gründen so schnell wie möglich. Daß der neue Parteitag in spätestens drei Monaten berufen wird, auch das halte ich im Interesse unserer agitatorischen Arbeit sowohl nach außen wie nach innen für dringend notwendig.

[Genosse] Levien (München): Genossen, Genosse Frölich hat im vierten Absatz dieser Zusammenstellung Was will der Spartakusbund? diesen Satz beanstandet: „In den bürgerlichen Revolutionen waren Blutvergießen, Terror, politischer Mord die unentbehrliche Waffe in der Hand der aufsteigenden Klassen.

Die proletarische Revolution bedarf für ihre Ziele keines Terrors, sie haßt und verabscheut den Menschenmord“, und er hat sich da auf die Bolschewisten berufen. Das ist ein Mißverständnis. Es gibt keine revolutionäre Partei, die gegen den Terror, der hier gemeint ist, energischer gekämpft hat wie gerade die Bolschewisten. Der Genosse kennt die Geschichte der russischen Revolution nicht. Wenn er sie kennte, dann wüßte er, daß niemand energischer gegen die Sozialrevolutionäre gekämpft hat, die bekanntlich die Attentate gegen einzelne Persönlichkeiten und auch die Bekämpfung einzelner Personen propagieren. Ich habe vor zehn Jahren Gelegenheit gehabt, in der Neuen Zeit gegen Trotzki aufzutreten, der den Sozialrevolutionären von 1909 wegen ihrer terroristischen Haltung Vorwürfe machte. [18] Er sagte, es gab eine Periode der Klassiker, das sind alle, die an der Ermordung Alexanders II. beteiligt waren, dann eine Periode der Epigonen, deren Haupttat die Ermordung Plehwes [19] war, und schließlich die Periode der Dekadenten, deren Dekadenz hauptsächlich dadurch entstanden war, daß sich bei ihnen Agents provocateurs einschmuggelten usw. Ich habe damals gegen Genossen Trotzki Front gemacht, ich war damals selbst Sozialrevolutionär. Ich stammte aus Kleinbürgerkreisen, und die Ideologie der Sozialrevolutionäre war immer die Ideologie der Kleinbürger, die glaubten, die Aufmerksamkeit des Proletariats hinsichtlich der Verfolgung ihrer persönlichen Interessen durch einzelne terroristische Akte abzulenken. Ich betone also wiederum, die Bolschewisten sind in energischster Weise Gegner des Terrors gewesen und sind’s auch heute. Was sie treiben, ist höchstens Konterterror.

Was aber die russischen Verhältnisse mit sich brachten: Die Schärfe des Klassenkampfes wird nicht angegeben durch die Menge Blutes, die fließt, auch nicht durch die Zahl der Anwendung terroristischer Mittel, sondern durch die Schnelligkeit, mit der sich ein Umsturz vollzieht, und der Umsturz kann ganz blutlos vor sich gehen, wenn der Boden genügend vorbereitet ist. Also, die Schärfe des Klassenkampfes hängt nicht von der Anzahl der Liter Blut ab, Blut darf nicht vergossen werden. Selbstverständlich ist dieser Satz nicht so gemeint, daß wir uns, wenn man uns angreift, nicht wehren werden. Selbstverständlich ist auch eine gewisse Initiative darin enthalten, die sich aus der Situation ergibt, für Anwendung terroristischer Mittel. Ich möchte aber ganz besonders bitten, daß man gerade an dieser Formulierung festhält, denn diese Formulierung schließt jede Anwendung individueller terroristischer Akte aus.

Marx hat einmal gesagt, die Revolution sei die Lokomotive der Geschichte. ja, die Revolution ist nur dann die Lokomotive der Geschichte, wenn sie von dem Massenwillen und den Massenaktionen getragen ist. Alles, was die Massen von diesem Wege abführen kann, was in ihnen Illusionen wecken kann, als wenn einzelne Persönlichkeiten etwas für sie tun könnten und einzelne Persönlichkeiten an einem System schuld wären, alles das gehört zu den Illusionen, die die Bewegung hemmen. Selbstverständlich schließt das nicht aus, sondern schließt im Gegenteil ein, daß wir die Wirkung einzelner Persönlichkeiten auf die Massen unter dem konterrevolutionären System gegenwärtig richtig einschätzen, und ich bin der erste, der bereit ist, wenn ein Revolutionstribunal Scheidemann und Ebert zum Aufknüpfen verurteilt, Bravo zu rufen. Das ist Sache des Revolutionstribunals, und das Revolutionstribunal wird aus der Situation heraus zu beurteilen haben, mit was für Maßnahmen es vorzugehen hat. Die Maßnahmen diktiert hier wirklich nicht mehr unser Wille und auch nicht, ich möchte sagen, unser impulsives Empfinden und der Wunsch, eine Carmagnole zu tanzen.

Ich möchte noch zur Frage der Bundesstaaten erwähnen Genosse Meyer hat schon mit Recht darauf hingewiesen, wie schlimm es wäre, wenn wir uns etwa auf eine – wie soll ich sagen – Kantonisierung der Revolution einließen. Die Revolution bekommt ihre Macht nur dadurch, daß sie überall in einen großen Strom geleitet wird. Diese Leitung in einen großen Strom ist bei der Zersplitterung, die die bundesstaatliche Aktion mit sich bringen wird, unmöglich. Ich will darauf nicht eingehen – die Zeit ist zu kurz –, was alles daraus entspringt und wie wir in Bayern, speziell in München, ungeheuer unter diesem bundesstaatlichen Separatismus zu leiden haben. Dieser bundesstaatliche Separatismus ist die größte Schwierigkeit gerade für uns in Bayern. Es kann gar keine Rede sein von einer Schaffung von kleinen Republiken und von einer Art Übertragung der bürgerlichen Auffassung vom Selbstbestimmungsrecht in die revolutionäre Sprache.

Hier möchte ich auch auf etwas eingehen, was vielleicht im Anschluß an die Rede der Genossin Rosa Luxemburg mißverständlich gedeutet werden könnte. Die Genossin Luxemburg hat von dem Rätesystem gesprochen. Nun ist ja das Rätesystem wohl gegenwärtig in der Zeit des Kohlenmangels das beste Heizmaterial für die Lokomotive der Geschichte, für die Revolution. Aber ich glaube, daß da Mißverständnisse insofern entstehen können, als wir vergessen, daß die Machtergreifung die Ergreifung auch der Macht in der Zentrale bedeutet. Die Genossin Rosa Luxemburg hat gesagt: Die Revolution wird nicht dadurch gemacht, daß man bloß anstelle von Ebert-Scheidemann sie und den Genossen Liebknecht hinsetzt. Sehr richtig; das wäre natürlich wieder eine Illusion, das wäre wieder dieselbe Illusion wie mit dem Terrorismus. Natürlich kann der Genosse Liebknecht nicht über seinen eigenen Schatten springen, und er könnte auch keine Wunder wirken, wenn die Verhältnisse dafür nicht geschaffen sind. Aber ich möchte doch hier auch wieder an das anknüpfen, was die Genossin Rosa Luxemburg in bezug auf die Nationalversammlung gesagt hat: Wir müssen uns alle Eventualitäten sichern und auf alle Eventualitäten achthaben. Nun, ich glaube auch, wir müssen mit der Eventualität rechnen, daß, wenn unsre Aktionen wuchtig genug verlaufen, eines Tages die ganze Geschichte zusammenstürzt und wir vor die Frage gestellt werden, die Zentralgewalt zu übernehmen. Wenn wir die Zentralgewalt übernehmen, werden wir den Sozialismus nicht in der Form dekretieren, wie sich die Ebert und Scheidemann das so im Andante-Tempo vorstellen, sondern wir werden dann der Generalstab für die Revolution sein, die in den Massen vor sich geht, und werden das zu formulieren haben, dem Ausdruck zu geben haben, was sich auf dem Lande sowohl wie in den Städten außerhalb der Zentrale vollzieht.

In Rußland war die Sache insofern anders, als Rußland von unten bereits bei der Übernahme der Zentralgewalt reif war. Denn als die Bolschewiki am 7. November die Zentralgewalt an sich rissen, da krähte der rote Hahn schon auf den Gutsherrenhöfen in ganz Rußland beinahe. Hier ist es anders. Hier müßte eventuell die Zentralgewalt allerdings mit einer gewissen Initiative vorgehen. Sie müßte der unten noch nicht vollzogenen Revolution wesentlich auf die Beine helfen. Ich glaube also, wir müssen die Frage der Zertrümmerung der Staatsmaschinerie nicht außer acht lassen, die Zertrümmerung der Staatsmaschinerie durch eine eventuelle Besitzergreifung der Zentralgewalt. Die Diktatur des Proletariats heißt noch nicht die Festsetzung an der Spitze und Dekretierung; das heißt sie überhaupt nicht; aber die Diktatur des Proletariats schließt sie nicht aus; und das haben uns die Bolschewiki glänzend gezeigt. In Rußland war sie vorgeschrieben. Es kann eine Situation eintreten, wo sie auch bei uns vorgeschrieben ist, und es wäre dankbar zu begrüßen, wenn die Genossin Luxemburg sich darüber äußern würde, ob sie sich mit meinen Ausführungen solidarisch erklärt und ob sie nicht etwa die Auffassung hat, daß sie bei der Notwendigkeit der Übernahme der Zentralgewalt hier sich dessen weigern würde. Ich glaube, daß das gänzlich ausgeschlossen ist.

[Genosse] Liebknecht [Zentrale]: Genossen, in dem Programmentwurf sind zahlreiche Einzelforderungen enthalten. Es wird der Eindruck erweckt, als ob dieser Programmentwurf in politischer, wirtschaftlicher, sozialer Beziehung ein vollständiges Bild derjenigen Forderungen geben solle, die wir durchzusetzen wünschen. Das ist nicht richtig. Diese Forderungen, die unter 1, 2, 3, 4 und 5 in diesem Programmentwurf auf Seite 6 und 7 enthalten sind, sind nur dazu bestimmt, dem Proletariat die Erfüllung dieser Aufgaben zu ermöglichen, wie eingangs gesagt ist. Sie sind also nur als vorbereitende Maßregeln gedacht. Sie sollen kein erschöpfendes Bild von der künftigen Gestaltung der Gesellschaft geben. Es wird unterschieden zwischen den sofortigen Maßnahmen zur Sicherung der Revolution und dann ein scharfer Unterschied gemacht zwischen den Maßnahmen auf politischem und sozialem Gebiet und denen auf wirtschaftlichem Gebiet. Wir müssen die politischen, die wirtschaftlichen und die sozialen Machtpositionen der herrschenden Klasse unterscheiden, und alle diese Machtpositionen müssen wir zu beurteilen suchen. Erst dann können wir davon sprechen, daß wir die gesamte Macht der Gesellschaft im Staate besitzen.

Zu den Machtpositionen auf sozialem Gebiete gehört das Erziehungswesen, das Schulwesen. Das ist eine der wichtigsten Machtstellungen der herrschenden Klasse, eine um so wichtigere, als sie nicht im Handumdrehen erobert werden kann, als die Heranbildung eines geschulten Proletariats lange Zeit in Anspruch nimmt. Es ist eine der größten Schwierigkeiten, diese Machtposition der herrschenden Klasse zu erobern, und die Erfahrungen der russischen Revolution lehren uns, daß uns auf Schritt und Tritt durch Boykott, durch Sabotage seitens der herrschenden Klasse, seitens der Inhaber der formalen Bildung, die in den Klassenschulen verliehen worden ist, alle erdenklichen Hemmnisse bereitet werden können. Aus der Kürze, in der in diesem Entwurf vom Erziehungswesen die Rede ist, ist keineswegs zu schließen, daß wir nicht das allergrößte Gewicht auf diesen Punkt legen, und ich bin gewiß, daß die Programmkommission ein eingehendes Schulerziehungsprogramm ausarbeiten wird. Es sind auch andre Anregungen gegeben worden, die zweifellos von großer Bedeutung sind und die bei den weiteren Erörterungen berücksichtigt werden sollen.

Von einem der Genossen ist moniert worden, daß man vor den Kleinbesitzern haltgemacht habe. ja, Genossen, bedenken Sie: Es handelt sich um nächste wirtschaftliche Forderungen. Es handelt sich nicht um die Durchführung der sozialistischen Gesellschaft, sondern nur um diejenigen ersten Maßnahmen, die dem Proletariat die Macht geben sollen, den Sozialismus durchzuführen, und die diese Durchführung selbst vorbereiten sollen. Aus diesem Gesichtspunkt müssen wir uns auf die ersten Forderungen beschränken, deren Durchsetzung wir als unser Programm aufstellen, darum ist eine gewisse Grenze gezogen, und diese Grenze ist auch aus dem Gesichtspunkt gezogen, daß wir gewisse Teile der Bevölkerung, die für die Arbeit der vollkommenen Sozialisierung gegenwärtig noch nicht reif sind, im Verlaufe der allmählich durchzuführenden Arbeit für die Sozialisierung gewinnen und reif machen. Das ist eine besonders schwierige Arbeit bei dem Kleinbauerntum. Von andrer Seite ist gemeint worden, daß gerade hier ein Fehler vorliege, daß wir nicht auch den Kleinbauern sofort ans Leder gehen wollen, ihr Eigentum konfiszieren wollen und ihnen bloß die Bearbeitung des Landes künftig überlassen wollen. Ja, Genossen, es ist ein Übergangsvorschlag, der Ihnen hier gemacht worden ist. Es ist der Gedanke zugrunde gelegt, daß auf dem Lande das Genossenschaftswesen im sozialistischen Sinne sich entwickeln soll und daß in der Entwicklung dieser sozialistischen Landgenossenschaften nach und nach die Kleinbauern selbst die Zweckmäßigkeit solcher Einrichtungen erkennen werden und so für die Sozialisierung auch ihres Besitzes gewonnen werden. Im Grunde genommen sind ja die Kleinbauern nichts andres als verkappte Proletarier, die nur einer eigentümlichen Psychologie unterliegen infolge der Tatsache, daß sie einen Scheinbesitz haben.

Genossen, natürlich ist die Frage des Agrarprogramms für uns von außerordentlicher Bedeutung. Ich glaube nicht, daß es notwendig sein wird, jetzt sofort eine besondere Agrarkommission einzusetzen. Ich denke, daß wir zunächst einmal auch diese Angelegenheit der allgemeinen Kommission überweisen und abwarten, ob danach die Möglichkeit besteht, noch eine Spezialkommission für die Agrarfragen einzusetzen. Selbstverständlich ist das Hinaustragen des Klassenkampfes auf das Land das Entscheidende für uns. Diesen Klassenkampf wollen wir aber gerade auf das Land hinaustragen, indem wir die gesamte Armut auf dem Lande, das Landproletariat und die Kleinbauern, an uns ketten als Kämpfer für den Sozialismus, für die Durchführung der sozialen Revolution gewinnen, jedenfalls nicht gegen uns aufzubringen suchen.

Genossen, von einem der Redner ist gemeint worden, daß die Programmkommission rasch arbeiten solle, in drei Monaten solle sie fertig sein, in drei Monaten müßten wir einen neuen Parteitag haben, um über das Programm zu beraten. Genossen, ich lebe der frohen Hoffnung, daß uns diese Arbeit erspart bleiben wird („Sehr richtig!“), daß diese Zukunftspläne über künftige Parteitage in drei Monaten usw. durch die Ereignisse überholt werden, deren rapide Entwicklung durchaus meiner Auffassung entspricht. Wenn wir gestern – ich greife hier auf die Debatte zurück, die von einigen Rednern wieder angeschnitten worden ist –, wenn ich speziell gestern mich für die Beteiligung an den Wahlen zur Nationalversammlung ausgesprochen habe, so um deswillen, weil ich, wie bereits von einem Redner gesagt worden ist, die Möglichkeit einer langwierigen oder länger dauernden Entwicklung nicht von der Hand weisen möchte. Aber meine persönliche Überzeugung geht durchaus dahin, daß wir mit einer ganz rapiden Entwicklung zu rechnen haben, daß wir alles darauf gefaßt zu machen haben; und um deswillen kann von irgendeiner inneren Differenz zwischen uns und der Mehrheit der Delegierten gar keine Rede sein. Sie dürfen nicht empfindlich sein, wenn die bürgerliche Presse lügt, daß wir hier eine Niederlage erlitten hätten. Die Lügen, die die bürgerliche Presse über uns verbreitet, sind doch wahrlich zahlreich genug, und wir sind dermaßen abgehärtet dagegen, daß wir uns auch in diesem Falle wahrlich nicht nervös zu zeigen brauchen.

Genossen, von dem Genossen Frölich ist Kritik geübt worden an dem einen Passus, der sich gegen den Terror als Kampfmittel der proletarischen Revolution richtet. Genosse Levien hat sich bereits gegen diese Ausführungen gewandt. Ich möchte noch darauf hinweisen: Es ist hier ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, in welchem Sinne dieser Protest gegen den Terror als proletarisches Kampfmittel gemeint ist. Es ist gesagt: Das Proletariat als solches, wenn es nach seinem Willen geht, es wünscht keinen Terror, es braucht keinen Terror. Es ist aber weiter gesagt, daß wir zu gewärtigen haben, daß die herrschenden Klassen mit Zähnen und Nägeln ihre Machtstellungen verteidigen, und daß die Aufgabe des Proletariats ist, diesen Widerstand der herrschenden Klassen und alle gegenrevolutionären Versuche mit aller Rücksichtslosigkeit, mit eiserner Faust niederzuwerfen. („Sehr richtig!“ „Bravo!“) Damit ist zum Ausdruck gebracht, daß wir nicht eine Limonadenrevolution zu machen gedenken („Sehr gut!“), sondern daß wir entschlossen sind, die eiserne Faust zu erheben und auf jeden niederzuschmettern, der der sozialen Revolution des Proletariats Widerstand entgegensetzt. (Lebhafter Beifall.)

Genossen, die Internationalisierung des Bürgerkrieges, das ist es, was wir als die weitere Phase der Revolution zu gewärtigen haben. Die Internationalisierung des Bürgerkrieges ist bereits in der Entwicklung begriffen, in Rußland, jetzt in den baltischen Provinzen. Wir haben uns mit diesem infamen Vorgange dort vorhin befaßt. Lesen Sie den Abend-Vorwärts, lesen Sie die Deutsche Tageszeitung, das agrarische Organ und das Organ der Ebert-Scheidemann: Beide triumphieren über den Beschluß der Entente, deutsche Truppen gemeinsam mit englischen und baltischen Truppen, Truppen der baltischen Barone, gegen die Bolschewiki und weiterhin auch gegen die deutschen Revolutionäre anzuwenden. Genossen, was wir dazu zu sagen haben, erschöpft sich nicht darin, daß wir gegen diese Infamie der deutschen Regierung protestieren. („Sehr richtig!“) Wir haben mit der Tatsache zu rechnen, wir stehen vor der Tatsache, daß deutsche Proletarier im Waffenrock in den baltischen Provinzen und in andern Teilen Rußlands sich befinden und zum Niederwerfen der dortigen Revolution mißbraucht werden. („Sehr richtig!“) Ich halte es für meine Pflicht, hier offen auszusprechen, daß wir von den deutschen Proletariern in diesen Gebieten Rußlands fordern, daß sie sich nicht nur diesem infamen Ansinnen widersetzen, sondern daß sie sich aktiv mit den Bolschewikitruppen in diesen Gebieten solidarisieren und alle verbrecherischen Offiziere und Gegenrevolutionäre aufs Korn nehmen und niederwerfen mit der Kraft, die wir von dem revolutionären Proletariat erwarten. (Stürmischer Beifall.) Genossen, es ist uns durch den Mund des Genossen Radek die Solidarität der russischen Räterepublik mitgeteilt worden, die uns von neuem die Bruderhand gereicht hat. Es besteht für das deutsche Proletariat schon gegenwärtig die Möglichkeit, auch durch die Tat seine Solidarität mit der russischen Bruderrepublik, der russischen Sowjetrepublik, zu beweisen, und diese Tat muß sein: der gemeinsame Kampf deutscher proletarischer Soldaten in Rußland gegen die deutschen und englischen Entente-Gegenrevolutionäre. (Erneuter stürmischer Beifall.) Ich freue mich, daß Sie dieser Auffassung zustimmen. Dies mag unsern russischen Freunden als Beweis dafür gelten, daß im deutschen Proletariat die Entschlossenheit vorhanden ist, den Kampf, vor dem wir stehen, mit derselben Kraft und Rücksichtslosigkeit durchzuführen, die wir an unsern Brüdern in Rußland bewundern. (Lebhafter Beifall.)

[Genosse] Rieger [Berlin] (zur Geschäftsordnung): Genossen, es ist jetzt bereits ½6 Uhr, die Zeit ist so vorgeschritten, daß es wirklich am Platze wäre, mit der Diskussion über diesen Punkt Schluß zu machen. Wir müssen doch vor allen Dingen den beiden übrigen Punkten noch einige Zeit widmen, besonders dem Punkt über unsre Organisation, der außerordentlich wichtig ist. Hingegen wird es vollkommen genügen, wenn wir diesen Erklärungen im großen, ihrem Geiste nach, unsre Zustimmung geben und im übrigen der einzusetzenden Programmkommission das Weitere vorbehalten beziehungsweise durch Erledigung der Anträge unsre Meinung zum Ausdruck bringen. Ich bitte also um Schluß der Debatte.

Vorsitzender: Wünscht jemand gegen diesen Antrag zu sprechen? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zur Abstimmung. Wer für den Schluß der Debatte ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.

(Geschieht.)

Ich danke Ihnen. Das ist die Mehrheit; die Debatte ist geschlossen. Die Genossin Luxemburg ist leider nicht in der Lage, das Schlußwort zu halten, da sie körperlich unpäßlich ist.

[Genosse] Frölich (Hamburg) (persönliche Bemerkung): Der Genosse Liebknecht hat mich viel besser verstanden als Genosse Levien. Es ist ganz klar, daß ich gegen einen Individualterror bin, gegen Attentate und dergleichen Mittel, darüber besteht gar kein Streit, und wir haben gerade anläßlich des Attentats des Genossen Adler in Wien uns über diese Frage ganz offen in der Arbeiterpolitik ausgesprochen. Aber wenn jetzt so ganz ohne weiteres von Terror gesprochen wird, dann denkt kein Mensch an Attentate mehr, sondern da denkt jeder Mensch an gewisse Formen, in denen sich die Diktatur in Rußland durchsetzen muß; und darauf kommt es an, hier eine scharfe Grenzlinie zu ziehen. Da muß eine Formulierung gefunden werden, die diese beiden Dinge scharf auseinanderhält: Individualterror und diesen Terror, der sich notwendig aus der Entwicklung ergibt.

Vorsitzender: Wir kommen nun zur Abstimmung über die vorliegenden Anträge. Ich schlage Ihnen vor, zunächst über die Resolution der Genossin Luxemburg abzustimmen, dann sich darüber schlüssig zu werden, ob wir die vorliegenden Anträge der Kommission überweisen, dann darüber, ob eine besondere Agrarkommission neben der vorgeschlagenen Kommission eingesetzt werden soll, und dann im Anschluß daran die vorgeschlagenen Kandidaten zur Diskussion zu stellen. – Widerspruch erhebt sich nicht. Dann nehme ich Ihr Einverständnis an.

(Die Resolution Luxemburg wird vom Vorsitzenden unter dem Beifall der Versammlung noch einmal verlesen.)

Wer für diese Resolution ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben.

(Geschieht.)

Ich danke. Gegenprobe!

(Die Gegenprobe erfolgt.)

Die Resolution ist einstimmig angenommen.

 

 


Zuleztzt aktualisiert am 15.10.2003