Marxists Internet Archive

Programmentwurf Zur Einigung Der Rätekommunistischen

Arbeiterbewegung In Deutschland Und Allen Ländern

1931


Veröffentlicht: Juli 1931 von Gruppe Spartakus/Paris
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1. Die Einigung der Proletarier in der Periode des Imperialismus ist nur möglich auf dem Gebiet des Endkampfes gegen das kapitalistische System. Die Fortdauer dieses Systems, unter welcher Form es auch sei, bedroht die produzierenden menschlichen Kräfte mit Untergang; es kann keinen andern Sieg für die proletarische Klasse geben als die vollständige Zerstörung der ökonomischen und politischen Privilegien.

Der Endkampf verschmilzt in seiner Entwicklung mit der Befreiung der Proletarier durch sich selbst, und in seinem Ziel mit der Rettung der Menschheit.

2. Die revolutionären Rätekommunisten sind der Teil der Arbeiterklasse, welcher durch seine theoretische und praktische Aktivität die Fortschritte der revolutionären Initiative, so wie es sich spontan im Proletariat zeigt, verallgemeinert.

Dieser spontanen, revolutionären Initiative mangelt im allgemeinen die Erkenntnis der fundamentalen Interessen und des Endziels der proletarischen Klasse. Es ist die Rolle der Rätekommunisten, im Verlauf der Kämpfe das Bewusstsein seiner fundamentalen Interessen und des Endziels im Proletariat zu verallgemeinern.

Während der Entwicklung der spontanen revolutionären Aktionen der proletarischen Masse, nehmen sie aktiv teil an allen diesen fundamentalen Interessen entsprechenden Initiativen, in denen sich die Tendenz zum Endziel manifestiert und suchen sie theoretisch und praktisch zu vertiefen und zu entwickeln.

Zu Zeiten der Ebbe in der revolutionären Aktivität der proletarischen Massen erhalten sie im Proletariat das theoretische und praktische Erbe der vergangenen revolutionären Kämpfe aufrecht.

3. Ihr Programm, das auf den Lehren der vorangegangenen revolutionären Kämpfe, besonders der Kämpfe des deutschen und russischen Proletariats und auf der Erfahrung der Räte beruht, ist die Eroberung aller gesellschaftlichen Funktionen mittels der vollständigen Organisation der Proletarier, d.h. mittels der Betriebsräte, Arbeiter-, Soldaten- und Matrosenräte und anderen ähnlichen, aus dem Kampf erwachsenen Organisationen, vereinigt im selben System mit den Erwerbslosen und Feldarbeitern.

Das Rätesystem ist nicht ein Staat, eine zum Profit einer Kaste oder Organisation monopolisierte Macht, sondern es ist die Macht des Proletariats als produzierende Klasse. Es ist eine offene Form der Macht, da es genügt wirklich ein Proletarier zu sein, um an ihr teilzunehmen.

4. Die Weltherrschaft des Imperialismus und die Verallgemeinerung und Verschärfung der Weltkrise stellen in allen Ländern dieselben ökonomischen und politischen Beziehungen zwischen den Klassen her und verleihen allen Konflikten den Charakter eines Zerstörungskampfes aller Klassen gegen das Proletariat. Darum müssen die Rätekommunisten, d.h. die proletarische Kräfte, welche in bewusster Mobilisation für den Endkampf stehen, kämpfen ohne Unterschied der Nation und danach trachten, jede Niederlage der Bourgeoisie in einem Lande in die Weltrevolution umzuwandeln. Die Vertiefung der Revolution in einem gegebenen Lande und ihre Ausbreitung auf andere Länder sind zwei im wesentlichen miteinander verbundene Vorgänge. Jeder Stillstand eines dieser Vorgänge, selbst in der Absicht, den anderen zu entwickeln, bringt eine Niederlage des Proletariats. Die Theorie vom Aufbau des Sozialismus in einem einzigen Lande bedeutet nichts anderes, als die Liquidation der proletarischen Perspektiven und den Wiederaufbau eines nationalen Kapitalismus. Desgleichen kann die Taktik des Kampfes für die nationale Befreiung zu nichts andere führen als zum Erwürgen des Proletariats durch das Stillelegen seiner eigenen Aktivität zu Gunsten der so genannt unterdrückten nationalistischen Klassen.

Der Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus stellt sich also notwendigerweise auf den Weltplan und kann keine Bremse zu Gunsten von Landesgrenzen oder Verbindungen mit anderen Klassen ertragen.

Die Rätekommunisten der ganzen Welt können also nur ein und dasselbe Programm haben; dieses Programm ist internationalistisch und fordert eine in ihrem Wesen internationale Organisation.

5. Die rein politische Organisation des Kapitalismus (die politische Demokratie) ist heute ein sinnloser Überrest, der die neue ökonomisch-politische Organisation des monopolisierten Kapitalismus verbirgt. Es handelt sich nicht mehr um eine „Allianz zwischen Parlament und Börse“, sondern um die Herrschaft der an die hohe Bürokratie angeschlossenen Finanzmänner und Industriellen. Es ist dem Proletariat nicht mehr möglich, durch Ausnützung der Konkurrenz zwischen den politischen Parteien oder kapitalistischen Unternehmen Vorteile zu erringen. Die Eroberung der parlamentarischen Demokratie bedeutet nichts anderes mehr als organisierten Verrat, und die gewerkschaftliche Aktion beschränkt sich auf die Zusammenarbeit der Arbeitsgeber und der Leaders (Bonzen) auf den Rücken der Arbeiterklasse.

Selbst mit Gewalt ist es nicht mehr möglich, die politische und ökonomische Phase der Revolution unabhängig von einander zu verwirklichen. Man kann nicht den Kapitalismus „wirtschaftlich“ durch den Druck von Forderungen niederschlagen; bis zu seinem letzten Atemzug wird er Profite erzielen. Man kann ebenso wenig die politische Gewalt der Bourgeoisie niederschlagen, ohne den Gegner durch Massenstreik zu treffen, ohne sich direkt der lebensnotwendigen Mittel, der Waffen der Produktions- und Transportmittel zu bemächtigen. Nur der ökonomisch, politisch und militärisch kombinierte Kampf kann gelingen und zum endlichen Sieg führen. Die Organisation der Rätekommunisten muss also fähig sein, sich auf allen ökonomischen, politischen und militärischen Gebieten (Ebenen) zu halten.

6. Der Rückgang der revolutionären Welle in Deutschland 1923 hat die Ausartung der Bewegung, die sich an die Plattform des Rätekommunismus hielt, zur Folge gehabt. Die unvermeidlichen individuellen Meinungsverschiedenheiten riefen, auf Grund der gezwungenen Inaktivität der Organisationen im Laufe dieser Periode zahlreiche Spaltungen hervor welche die Bewegung zum Zerfall und dahin geführt haben, nur noch der Schatten ihrer selbst zu sein.

Die katastrophale Verschärfung der Weltkrise bereitet eine neue revolutionäre Aktivität der Massen vor, nicht nur in Deutschland sondern in der ganzen Welt. Diese neue Entwicklung objektiver Bedingungen zwingt die kommunistische Rätebewegung und erlaubt ihr, diese theoretischen Differenzen, historische Überreste aus einer Periode der Inaktivität, hinter sich zu lassen und stellt als unmittelbare und dringende Aufgabe des Einswerden der Bewegung, die vom Rätekommunismus abgewichen ist; eine Einigung, die sich auf der Basis der praktischen Wirksamkeit verfolgen muss um eine Organisation zu verwirklichen, fähig, sich der ungeheuren Verantwortung der historischen Situation gegenüber zu stellen.

Eine solche Organisation, die ohne Unterscheidung von Alter, Geschlecht, Tendenz und Nation alle Arbeiter vereinigt, die ihr Programm in der Praxis umsetzt, ist eine Internationale Arbeiter-Union, welche mit den kämpfenden Massen des Proletariats eine direkte, politische und militärische, ökonomische und expropriative Aktionspropaganda führt. Eine solche Organisation, die dank der neuen Bedingungen des revolutionären Erwachens der Massen fähig ist, Theorie und Praxis, Programm und dessen Verwirklichung zu vereinigen, hat die Aufgabe, der Arbeiterklasse den Weg zur direkten proletarischen, zugleich ökonomischen und politischen Macht aufzuklären und zu öffnen und zur Ausdehnung der proletarischen Macht bis zur vollständigen Liquidation der kapitalistischen Ausbeutung und bürokratischen Unterdrückung vorzustoßen.

Es ist höchste Zeit, die Basis einer Organisation zu finden, welche die Bejahung der revolutionären Klasseneinheit in sich schließt und den Wahlspruch des alten „Bund der Kommunisten“ wieder aufnehmen:

„Die Proletarier haben nichts als ihre Ketten zu verlieren,
sie haben eine Welt zu gewinnen.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch.“

 


Zuletzt aktualisiert am 12.6.2011