Max Stirner

 

Der Einzige und
sein Eigentum

 

Zweite Abteilung
Ich

4. Der Eigner

B – Mein Verkehr
(Fortsetzung)

Zum Eigentum des Volkes geworden ist sie aber noch weit davon entfernt, das meinige zu sein, vielmehr behält sie für Mich die untergeordnete Bedeutung einer Erlaubnis. Das Volk spielt den Richter über meine Gedanken, für die Ich ihm Rechenschaft schuldig oder verantwortlich bin. Die Geschworenen haben, wenn ihre fixen Ideen angegriffen werden, ebenso harte Köpfe und Herzen, als die stiersten Despoten und deren knechtische Beamten.

In den Liberalen Bestrebungen [89] behauptet E. Bauer, daß die Preßfreiheit im absolutistischen und im konstitutionellen Staate unmöglich sei, im „freien Staate“ hingegen ihre Stelle finde. „Hier,“ heißt es, „ist es anerkannt, daß der Einzelne, weil er nicht mehr einzelner, sondern Mitglied einer wahrhaften und vernünftigen Allgemeinheit ist, das Recht hat, sich auszusprechen.“ Also nicht der Einzelne, sondern das „Mitglied“ hat Preßfreiheit. Muß aber der Einzelne sich zum Behuf [28*] der Preßfreiheit erst über seinen Glauben an das Allgemeine, das Volk, ausweisen, hat er diese Freiheit nicht durch eigene Gewalt, so ist sie eine Volksfreiheit, eine Freiheit, die ihm um seines Glaubens, seiner „Mitgliedschaft“ willen verliehen wird. Umgekehrt, gerade als Einzelnem steht Jedem die Freiheit offen, sich auszusprechen. Aber er hat nicht das „Recht“, jene Freiheit ist allerdings nicht sein „heiliges Recht“. Er hat nur die Gewalt; aber die Gewalt allein macht ihn zum Eigner. Ich brauche keine Konzession zur Preßfreiheit, brauche nicht die Bewilligung des Volkes dazu, brauche nicht das „Recht“ dazu und keine „Berechtigung“. Auch die Preßfreiheit, wie jede Freiheit, muß Ich Mir „nehmen“, das Volk „als eben der einzige Richter“ kann sie Mir nicht geben. Es kann sich die Freiheit, welche Ich Mir nehme, gefallen lassen oder sich dagegen wehren: geben, schenken, gewähren kann es sie nicht. Ich übe sie trotz dem Volke, rein als Einzelner, d. h. Ich kämpfe sie dem Volke, meinem – Feinde, ab, und erhalte sie nur, wenn Ich sie ihm wirklich abkämpfe, d. i. Mir nehme. Ich nehme sie aber, weil sie mein Eigentum ist.

Sander, gegen welchen E. Bauer spricht, nimmt (Seite 99) die Preßfreiheit „als das Recht und die Freiheit des Bürgers im Staate“ in Anspruch. Was tut E. Bauer anders? Auch ihm ist sie nur ein Recht des freien Bürgers.

Auch unter dem Namen eines „allgemein menschlichen Rechtes“ wird die Preßfreiheit gefordert. Dagegen war der Einwand gegründet: Nicht jeder Mensch wisse sie richtig zu gebrauchen; denn nicht jeder Einzelne sei wahrhaft Mensch. Dem Menschen als solchen verweigerte sie niemals eine Regierung: aber der Mensch schreibt eben nichts, weil er ein Gespenst ist. Sie verweigerte sie stets nur Einzelnen, und gab sie Andern, z. B. ihren Organen. Wollte man also sie für Alle haben, so mußte man gerade behaupten, sie gebühre dem Einzelnen, Mir, nicht dem Menschen oder nicht dem Einzelnen, sofern er Mensch sei. Ein Anderer als ein Mensch (z. B. ein Tier) kann ohnehin von ihr keinen Gebrauch machen. Die französische Regierung z. B. bestreitet die Preßfreiheit nicht als Menschenrecht, sie fordert aber vom Einzelnen eine Kaution dafür, daß er wirklich Mensch sei; denn nicht dem Einzelnen, sondern dem Menschen erteilt sie die Preßfreiheit.

Gerade unter dem Vorgeben, daß es nicht menschlich sei, entzog man Mir das Meinige: das Menschliche ließ man Mir ungeschmälert.

Die Preßfreiheit kann nur eine verantwortliche Presse zuwege bringen, die unverantwortliche geht allein aus dem Preßeigentum hervor.

Für den Verkehr mit Menschen wird unter allen, welche religiös leben, ein ausdrückliches Gesetz obenangestellt, dessen Befolgung man wohl sündhafter Weise zuweilen zu vergessen, dessen absoluten Wert aber zu leugnen man sich niemals getraut; dies ist das Gesetz der – Liebe, dem auch Diejenigen noch nicht untreu geworden sind, die gegen ihr Prinzip zu kämpfen scheinen und ihren Namen hassen; denn auch sie haben der Liebe noch, ja sie lieben inniger und geläuterter, sie lieben „den Menschen und die Menschheit.“

Formulieren Wir den Sinn dieses Gesetzes, so wird er etwa folgender sein: Jeder Mensch muß ein Etwas haben, das ihm über sich geht. Du sollst dein „Privatinteresse“ hintansetzen, wenn es die Wohlfahrt Anderer, das Wohl des Vaterlandes, der Gesellschaft, das Gemeinwohl, das Wohl der Menschheit, die gute Sache u. dgl. gilt! Vaterland, Gesellschaft, Menschheit usw. muß Dir über Dich gehen, und gegen ihr Interesse muß dein „Privatinteresse“ zurückstehen; denn Du darfst kein – Egoist sein.

Die Liebe ist eine weitgehende religiöse Forderung, die nicht etwa auf die Liebe zu Gott und den Menschen sich beschränkt, sondern in jeder Beziehung obenansteht. Was Wir auch tun, denken, wollen, immer soll der Grund davon die Liebe sein. So dürfen Wir zwar urteilen, aber nur „mit Liebe“. Die Bibel darf allerdings kritisiert werden und zwar sehr gründlich, aber der Kritiker muß vor allen Dingen sie lieben und das heilige Buch in ihr sehen. Heißt dies etwas anderes als: er darf sie nicht zu Tode kritisieren, er muß sie bestehen lassen, und zwar als ein Heiliges, Unumstößliches?– Auch in unserer Kritik über Menschen soll die Liebe unveränderter Grundton bleiben. Gewiß sind Urteile, welche der Haß eingibt, gar nicht unsere eigenen Urteile, sondern Urteile des Uns beherrschenden Hasses, „gehässige Urteile“. Aber sind Urteile, welche Uns die Liebe eingibt, mehr unsere eigenen? Sie sind Urteile der Uns beherrschenden Liebe, sind „liebevolle, nachsichtige“ Urteile, sind nicht unsere eigenen, mithin gar nicht wirkliche Urteile. Wer vor Liebe zur Gerechtigkeit brennt, der ruft aus: fiat iustitia, pereat mundus. Er kann wohl fragen und forschen, was denn die Gerechtigkeit eigentlich sei oder fordere und worin sie bestehe, aber nicht, ob sie etwas sei.

Es ist sehr wahr „Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm“. (1. Joh. 4, 16.) Der Gott bleibt in ihm, er wird ihn nicht los, wird nicht gottlos, und er bleibet in Gott, kommt nicht zu sich und in seine eigene Heimat, bleibt in der Liebe zu Gott und wird nicht liebloS. 

„Gott ist die Liebe! Alle Zeit und alle Geschlechter erkennen in diesem Worte den Mittelpunkt des Christentums.“ Gott, der die Liebe ist, ist ein zudringlicher Gott: er kann die Welt nicht in Ruhe lassen, sondern will sie beseligen. „Gott ist Mensch geworden, um die Menschen göttlich zu machen.“ [90] Er hat seine Hand überall im Spiele, und nichts geschieht ohne sie; überall hat er seine „besten Absichten“, seine „unbegreiflichen Pläne und Ratschlüsse“. Die Vernunft, welche er selbst ist, soll auch in der ganzen Welt befördert und verwirklicht werden. Seine väterliche Fürsorge bringt Uns um alle Selbständigkeit. Wir können nichts Gescheites tun, ohne daß es hieße: das hat Gott getan! und können Uns kein Unglück zuziehen, ohne zu hören: das habe Gott verhängt; Wir haben nichts, was Wir nicht von ihm hätten: er hat alles „gegeben“. Wie aber Gott, so macht’s der Mensch. Jener will partout die Welt beseligen, und der Mensch will sie beglücken, will alle Menschen glücklich machen. Daher will jeder „Mensch“ die Vernunft, welche er selbst zu haben meint, in Allen erwecken: Alles soll durchaus vernünftig sein. Gott plagt sich mit dem Teufel und der Philosoph mit der Unvernunft und dem Zufälligen. Gott läßt kein Wesen seinen eigenen Gang gehen, und der Mensch will Uns gleichfalls nur einen menschlichen Wandel führen lassen.

Wer aber voll heiliger (religiöser, sittlicher, humaner) Liebe ist, der liebt nur den Spuk, den „wahren Menschen“, und verfolgt mit dumpfer Unbarmherzigkeit den Einzelnen, den wirklichen Menschen, unter dem phlegmatischen Rechtstitel des Verfahrens gegen den „Unmenschen“. Er findet es lobenswert und unerläßlich, die Erbarmungslosigkeit im herbsten Maße zu üben; denn die Liebe zum Spuk oder Allgemeinen gebietet ihm, den nicht Gespenstischen, d. h. den Egoisten oder Einzelnen, zu hassen; das ist der Sinn der berühmten Liebeserscheinung, die man „Gerechtigkeit“ nennt.

Der peinlich Angeklagte hat keine Schonung zu erwarten, und Niemand deckt freundlich eine Hülle über seine unglückliche Blöße. Ohne Rührung reißt der strenge Richter die letzten Fetzen der Entschuldigung dem armen Angeschuldigten vom Leibe, ohne Mitleid schleppt der Kerkermeister ihn in seine dumpfe Wohnung, ohne Versöhnlichkeit stößt er den Gebrandmarkten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich anspeienden Menschen, seine guten, christlichen, loyalen Mitbrüder! Ja, ohne Gnade wird ein „todeswürdiger“ Verbrecher auf das Blutgerüst geführt, und vor den Augen einer jubelnden Menge feiert das gesühnte Sittengesetz seine erhabene – Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengesetz, oder der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungestraft leben, da ist das Sittengesetz untergegangen, und wo dieses waltet, müssen jene fallen. Ihre Feindschaft ist unzerstörbar.

Es ist gerade das christliche Zeitalter das der Barmherzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menschen zukommen zu lassen, was ihnen gebührt, ja sie dahin zu bringen, daß sie ihren menschlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat also für den Verkehr obenan gestellt: dies und dies ist das Wesen des Menschen und folglich sein Beruf, wozu ihn entweder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) sein Menschsein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungseifer. Daß die Kommunisten und Humanen mehr als die Christen vom Menschen erwarten, bringt sie keineswegs von demselben Standpunkte weg. Dem Menschen soll das Menschliche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das Göttliche zu Teil wurde, so verlangen die Humanen, daß ihm das Menschliche nicht verkümmert werde. Gegen das Egoistische stemmen sich beide. Natürlich, denn das Egoistische kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), sondern er muß es selbst sich verschaffen. Jenes erteilt die Liebe, dieses kann Mir allein von Mir gegeben werden.

Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rücksichtsvollen Benehmen, dem Füreinandertun. Wie man sich’s schuldig war, sich selig zu machen oder die Seligkeit, das höchste Wesen in sich aufzunehmen und zu einer vérité [29*] (einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, so war man’s Andern schuldig, ihr Wesen und ihren Beruf ihnen realisieren zu helfen: man war’s eben in beiden Fällen dem Wesen des Menschen schuldig, zu seiner Verwirklichung beizutragen.

Allein man ist weder sich schuldig, etwas aus sich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man ist seinem und Anderer Wesen nichts schuldig. Der auf das Wesen gestützte Verkehr ist ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirklichem. Verkehre Ich mit dem höchsten Wesen, so verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Wesen des Menschen, so verkehre Ich nicht mit den Menschen.

Die Liebe des natürlichen Menschen wird durch die Bildung ein Gebot. Als Gebot aber gehört sie dem Menschen als solchem, nicht Mir; sie ist mein Wesen, von dem man viel Wesens macht, nicht mein Eigentum. Der Mensch, d. h. die Menschlichkeit, stellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, ist meine Pflicht. Statt also wirklich Mir errungen zu sein, ist sie dem Allgemeinen errungen, dem Menschen, als dessen Eigentum oder Eigenheit: „dem Menschen, d. h. jedem Menschen ziemt es zu lieben: Lieben ist die Pflicht und der Beruf des Menschen usw.“

Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindizieren [30*] und sie aus der Macht des Menschen erlösen.

Was ursprünglich mein war, aber zufällig, instinktmäßig, das wurde Mir als Eigentum des Menschen verliehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der Lehnsmann der Menschheit, nur ein Exemplar dieser Gattung, und handelte liebend nicht als Ich, sondern als Mensch, als Menschenexemplar, d. h. menschlich. Der ganze Zustand der Kultur ist das Lehnswesen, indem das Eigentum das des Menschen oder der Menschheit ist, nicht das meinige. Ein ungeheurer Lehnsstaat wurde gegründet, dem Einzelnen Alles geraubt, „dem Menschen“ Alles überlassen. Der Einzelne mußte endlich als „Sünder durch und durch“ erscheinen.

Soll Ich etwa an der Person des Andern keine lebendige Teilnahme haben, soll seine Freude und sein Wohl Mir nicht am Herzen liegen, soll der Genuß, den Ich ihm bereite, Mir nicht über andere eigene Genüsse gehen? Im Gegenteil, unzählige Genüsse kann Ich ihm mit Freuden opfern, Unzähliges kann Ich Mir zur Erhöhung seiner Lust versagen, und was Mir ohne ihn das Teuerste wäre, das kann Ich für ihn in die Schanze schlagen, mein Leben, meine Wohlfahrt, meine Freiheit. Es macht ja meine Lust und mein Glück aus, Mich an seinem Glücke und seiner Lust zu laben. Aber Mich, Mich selbst opfere Ich ihm nicht, sondern bleibe Egoist und – genieße ihn. Wenn ich ihm Alles opfere, was Ich ohne die Liebe zu ihm behalten würde, so ist das sehr einfach und sogar gewöhnlicher im Leben, als es zu sein scheint; aber es beweist nichts weiter, als daß diese eine Leidenschaft in Mir mächtiger ist, als alle übrigen. Dieser Leidenschaft alle andern zu opfern, lehrt auch das Christentum. Opfere Ich aber einer Leidenschaft andere, so opfere Ich darum noch nicht Mich, und opfere nichts von dem, wodurch Ich wahrhaft Ich selber bin, nicht meinen eigentlichen Wert, meine Eigenheit. Wo dieser schlimme Fall eintritt, da sieht’s um nichts besser mit der Liebe aus, als mit irgend welcher andern Leidenschaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehrgeizige, der vom Ehrgeiz fortgerissen wird und gegen jede Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub bleibt, der hat diese Leidenschaft zu einer Zwingherrin anwachsen lassen, wider die er jede Macht der Auflösung verloren gibt: er hat sich selbst aufgegeben, weil er sich nicht auflösen, mithin nicht aus ihr erlösen kann: er ist besessen.

Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern jeden. Aber Ich liebe sie mit dem Bewußtsein des Egoismus; Ich liebe sie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich ist, weil Mir’s gefällt. Ich kenne kein „Gebot der Liebe“. Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Wesen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: töten kann Ich sie, martern nicht. Dagegen sinnt der hochherzige, tugendhafte Philisterfürst Rudolf in den Mysterien von Paris, weil ihn die Bösen „entrüsten“, auf ihre Marter. [91] Jenes Mitgefühl beweist nur, daß das Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigentum, ist, wogegen das erbarmungslose Verfahren des „Rechtlichen“ (z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühllosigkeit jenes Räubers gleicht, welcher nach dem Maße seiner Bettstelle den Gefangenen die Beine abschnitt oder ausreckte: Rudolfs Bettstelle, wonach er die Menschen zuschneidet, ist der Begriff des „Guten“. Das Gefühl für Recht, Tugend usw. macht hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar, sondern umgekehrt, er fühlt, daß „dem Bösewicht Recht geschieht“; das ist kein Mitgefühl.

Ihr liebt den Menschen, darum peinigt Ihr den einzelnen Menschen, den Egoisten; eure Menschenliebe ist Menschenquälerei.

Sehe Ich den Geliebten leiden, so leide Ich mit, und es läßt Mir keine Ruhe, bis Ich Alles versucht habe, um ihn zu trösten und aufzuheitern; sehe Ich ihn froh, so werde auch Ich über seine Freude froh. Daraus folgt nicht, daß Mir dieselbe Sache Leiden oder Freude verursacht, welche in ihm diese Wirkung hervorruft, wie schon jeder körperliche Schmerz beweist, den Ich nicht wie er fühle: ihn schmerzt sein Zahn, Mich aber schmerzt sein Schmerz.

Weil Ich aber die kummervolle Falte auf der geliebten Stirn nicht ertragen kann, darum, also um Meinetwillen, küsse Ich sie weg. Liebte Ich diesen Menschen nicht, so möchte er immerhin Falten ziehen, sie kümmerten Mich nicht; Ich verscheuche nur meinen Kummer.

Wie nun, hat irgendwer oder irgendwas, den und das Ich nicht liebe, ein Recht darauf, von Mir geliebt zu werden? Ist meine Liebe das Erste oder ist sein Recht das Erste? Eltern, Verwandte, Vaterland, Volk, Vaterstadt usw., endlich überhaupt die Mitmenschen („Brüder, Brüderlichkeit“) behaupten ein Recht auf meine Liebe zu haben und nehmen sie ohne Weiteres in Anspruch. Sie sehen sie als ihr Eigentum an und Mich, wenn Ich dasselbe nicht respektiere, als Räuber, der ihnen entzieht, was ihnen zukommt und das Ihre ist. Ich soll lieben. Ist die Liebe ein Gebot und Gesetz, so muß Ich dazu erzogen, herangebildet und, wenn Ich dagegen Mich vergehe, gestraft werden. Man wird daher einen möglichst starken „moralischen Einfluß“ auf Mich ausüben, um Mich zum Lieben zu bringen. Und es ist kein Zweifel, daß man die Menschen zur Liebe aufkitzeln und verführen kann wie zu andern Leidenschaften, z. B. gleich zum Hasse. Der Haß zieht sich durch ganze Geschlechter, bloß weil die Ahnen des einen zu den Guelfen [31*], die des andern zu den Ghibellinen [32*] gehörten.

Aber die Liebe ist kein Gebot, sondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigentum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigentum, dann lasse Ich’s Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie usw., die sich meine Liebe nicht zu erwerben wissen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich stelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.

Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen, mystischen oder romantischen ab. Lieben kann man alles Mögliche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt einen „Gegenstand“ (den Wein, sein Vaterland usw.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müssen sie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantisch dadurch, daß ein Sollen in sie eintritt, d. h. daß der „Gegenstand“ Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde. Nun ist der Gegenstand nicht mehr für Mich, sondern Ich bin für ihn da.

Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine Besessenheit – als jene behalte Ich sie vielmehr im Besitz als Eigentum –, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die religiöse Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Geliebten einen „Heiligen“ zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen; für die uneigennützige Liebe gibt es absolut liebenswürdige Gegenstände, für welche mein Herz schlagen soll, z. B. die Mitmenschen, oder den Ehegatten, die Verwandten usw. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Geliebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen „Menschen“) zu machen.

Der Geliebte ist ein Gegenstand, der von Mir geliebt werden soll. Er ist nicht Gegenstand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, sondern ist Gegenstand der Liebe an und für sich. Nicht Ich mache ihn zu einem Gegenstande der Liebe, sondern er ist von Haus aus ein solcher, denn daß er es etwa durch meine Wahl geworden ist, wie Braut, Ehegatte u. dergl., tut hier nichts zur Sache, da er auch so immer als einmal Erwählter ein eigenes „Recht auf meine Liebe“ erhalten hat, und Ich, weil Ich ihn geliebt habe, auf ewig ihn zu lieben verpflichtet bin. Er ist also nicht ein Gegenstand meiner Liebe, sondern der Liebe überhaupt: ein Gegenstand, der geliebt werden soll. Die Liebe kommt ihm zu, gebührt ihm, oder ist sein Recht, Ich aber bin verpflichtet, ihn zu lieben. Meine Liebe, d. h. die Liebe, welche Ich ihm zolle, ist in Wahrheit seine Liebe, die er nur als Zoll von Mir eintreibt.

Jede Liebe, an welcher auch nur der kleinste Flecken von Verpflichtung haftet, ist eine uneigennützige und so weit dieser Flecken reicht, ist sie Besessenheit. Wer dem Gegenstande seiner Liebe etwas schuldig zu sein glaubt, der liebt romantisch oder religiöS. 

Familienliebe z. B., wie sie gewöhnlich als „Pietät“ aufgefaßt wird, ist eine religiöse Liebe; Vaterlandsliebe, als „Patriotismus“ gepredigt, gleichfalls. All unsere romantische Liebe bewegt sich in demselben Zuschnitt: überall die Heuchelei oder vielmehr Selbsttäuschung einer „uneigennützigen Liebe“, ein Interesse am Gegenstande um des Gegenstandes willen, nicht um Meinet- und zwar allein um Meinetwillen.

Die religiöse oder romantische Liebe unterscheidet sich von der sinnlichen Liebe zwar durch die Verschiedenheit des Gegenstandes, aber nicht durch die Abhängigkeit des Verhaltens zu ihm. In letzterer Beziehung sind beide Besessenheit; in der ersteren aber ist der eine Gegenstand profan, der andere heilig. Die Herrschaft des Gegenstandes über Mich ist in beiden Fällen dieselbe, nur daß er einmal ein sinnlicher, das andere Mal ein geistiger (gespenstischer) ist. Mein eigen ist meine Liebe erst, wenn sie durchaus in einem eigennützigen und egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand meiner Liebe wirklich mein Gegenstand oder mein Eigentum ist. Meinem Eigentum bin Ich nichts schuldig und habe keine Pflicht gegen dasselbe, so wenig Ich etwa eine Pflicht gegen mein Auge habe; hüte Ich es dennoch mit größter Sorgsamkeit, so geschieht das Meinetwegen.

An Liebe fehlte es dem Altertum so wenig als der christlichen Zeit; der Liebesgott ist älter, als der Gott der Liebe. Aber die mystische Besessenheit gehört den Neuen an.

Die Besessenheit der Liebe liegt in der Entfremdung des Gegenstandes oder in meiner Ohnmacht gegen seine Fremdheit und Übermacht. Dem Egoisten ist nichts hoch genug, daß er sich davor demütigte, nichts so selbständig, daß er ihm zu Liebe lebte, nichts so heilig, daß er sich ihm opferte. Die Liebe des Egoisten quillt aus dem Eigennutz, flutet im Bette des Eigennutzes und mündet wieder in den Eigennutz.

Ob dies noch Liebe heißen kann? Wißt Ihr ein anderes Wort dafür, so wählt es immerhin; dann mag das süße Wort der Liebe mit der abgestorbenen Welt verwelken; Ich wenigstens finde für jetzt keines in unserer christlichen Sprache, und bleibe daher bei dem alten Klange und „liebe“ meinen Gegenstand, mein – Eigentum.

Nur als eines meiner Gefühle hege Ich die Liebe, aber als eine Macht über Mir, als eine göttliche Macht (Feuerbach), als eine Leidenschaft, der Ich Mich nicht entziehen soll, als eine religiöse und sittliche Pflicht – verschmähe Ich sie. Als mein Gefühl ist sie mein; als Grundsatz, dem Ich meine Seele weihe und „verschwöre“, ist sie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundsatz teuflisch ist: eins nicht besser als das andere. Kurz die egoistische Liebe, d. h. meine Liebe ist weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teuflisch.

„Eine Liebe, die durch den Glauben beschränkt ist, ist eine unwahre Liebe. Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschränkung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht, ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe.“ [92] Also die Liebe ist ihrem Wesen nach vernünftig! So denkt Feuerbach; der Gläubige hingegen denkt: die Liebe ist ihrem Wesen nach gläubig. Jener eifert gegen die unvernünftige, dieser gegen die ungläubige Liebe. Beiden kann sie höchstens für ein splendidum vitium [33*] gelten. Lassen nicht beide die Liebe bestehen, auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie wagen nicht zu sagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe ist ein Unsinn, ist nicht Liebe, so wenig sie sagen mögen: unvernünftige oder ungläubige Tränen sind keine Tränen. Muß aber auch die unvernünftige usw. Liebe für Liebe gelten, und sollen sie gleichwohl des Menschen unwürdig sein, so folgt einfach nur dies: Liebe ist nicht das Höchste, sondern Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige und der Ungläubige; Wert hat die Liebe aber nur, wenn sie die eines Vernünftigen oder Gläubigen ist. Es ist ein Blendwerk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre „Selbstbeschränkung“ nennt; der Gläubige könnte mit demselben Rechte die Gläubigkeit ihre „Selbstbeschränkung“ nennen. Unvernünftige Liebe ist weder „falsch“ noch „verderblich“; sie tut als Liebe ihre Dienste.

Gegen die Welt, besonders gegen die Menschen, soll Ich eine bestimmte Empfindung annehmen, und ihnen von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, „mit Liebe entgegenkommen“. Freilich offenbart sich hierin weit mehr Willkür und Selbstbestimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen bestürmen lasse und den krausesten, zufälligsten Eindrücken ausgesetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an sie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichsam einem Vorurteil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein Verhalten gegen sie Mir im voraus vorgezeichnet, und fühle und denke trotz all ihrer Anfechtungen nur so über sie, wie Ich zu fühlen einmal entschlossen bin. Wider die Herrschaft der Welt sichere Ich Mich durch den Grundsatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich – liebe. Das Häßliche z. B. macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entschlossen zu lieben, bewältige Ich diesen Eindruck, wie jede Antipathie.

Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determiniert und – verurteilt habe, ist eben eine bornierte Empfindung, weil sie eine prädestinierte ist, von welcher Ich selber nicht loskommen oder Mich loszusagen vermag. Weil vorgefaßt, ist sie ein Vorurteil. Ich zeige Mich nicht mehr gegenüber der Welt, sondern meine Liebe zeigt sich. Zwar beherrscht die Welt Mich nicht, desto unabwendbarer aber beherrscht Mich der Geist der Liebe. Ich habe die Welt überwunden, um ein Sklave dieses Geistes zu werden.

Sagte Ich erst, Ich liebe die Welt, so setze Ich jetzt ebenso hinzu: Ich liebe sie nicht, denn Ich vernichte sie, wie Ich Mich vernichte: Ich löse sie auf. Ich beschränke Mich nicht auf Eine Empfindung für die Menschen, sondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie sollte Ich’s nicht in aller Grellheit auszusprechen wagen? Ja, Ich benutze die Welt und die Menschen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derselben Mir selber entrissen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendste Glut der Leidenschaft in meinem Herzen brennen lassen, ohne den Geliebten für etwas Anderes zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenschaft, an der sie immer von Neuem sich erfrischt. All meine Sorge um ihn gilt nur dem Gegenstande meiner Liebe, nur ihm, den meine Liebe braucht, nur ihm, dem „Heißgeliebten“. Wie gleichgültig wäre er Mir ohne diese – meine Liebe. Nur meine Liebe speise Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn.

Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beispiel. Ich sehe, wie die Menschen von einem Schwarm Gespenster in finsterem Aberglauben geängstigt werden. Lasse Ich etwa darum nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk einfallen, weil Mir’s die Liebe zu Euch so eingibt? Schreibe Ich aus Liebe zu den Menschen? Nein, Ich schreibe, weil Ich meinen Gedanken ein Dasein in der Welt verschaffen will, und sähe Ich auch voraus, daß diese Gedanken Euch um eure Ruhe und euren Frieden brächten, sähe Ich auch die blutigsten Kriege und den Untergang vieler Generationen aus dieser Gedankensaat aufkeimen: – Ich streute sie dennoch aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das ist eure Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigsten ziehen daraus Freude. Läge Mir euer Wohl am Herzen, so handelte Ich wie die Kirche, indem sie den Laien die Bibel entzog, oder die christlichen Regierungen, welche sich’s zu einer heiligen Pflicht machen, den „gemeinen Mann vor bösen Büchern zu bewahren“.

Aber nicht nur nicht um Euret-, auch nicht einmal um der Wahrheit willen spreche Ich aus, was Ich denke. Nein –

Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet:
Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet. [34*]

Ich singe, weil – Ich ein Sänger bin. Euch aber gebrauche Ich dazu, weil Ich – Ohren brauche.

Wo Mir die Welt in den Weg kommt – und sie kommt Mir überall in den Weg – da verzehre Ich sie, um den Hunger meines Egoismus zu stillen. Du bist für Mich nichts als – meine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zueinander nur Eine Beziehung, die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des NutzenS.  Wir sind einander nichts schuldig, denn was Ich Dir schuldig zu sein scheine, das bin Ich höchstens Mir schuldig. Zeige Ich Dir eine heitere Miene, um Dich gleichfalls zu erheitern, so ist Mir an Deiner Heiterkeit gelegen, und meinem Wunsche dient meine Miene; tausend Anderen, die Ich zu erheitern nicht beabsichtige, zeige Ich sie nicht.

Zu derjenigen Liebe, welche sich auf das „Wesen des Menschen“ gründet oder in der kirchlichen und sittlichen Periode als ein „Gebot“ auf Uns liegt, muß man erzogen werden. In welcherlei Art der moralische Einfluß, das Hauptingredienz unserer Erziehung, den Verkehr der Menschen zu regeln sucht, soll hier wenigstens an Einem Beispiele mit egoistischen Augen betrachtet werden.

Die Uns erziehen, lassen sich’s angelegen sein, frühzeitig Uns das Lügen abzugewöhnen und den Grundsatz einzuprägen, daß man stets die Wahrheit sagen müsse. Machte man für diese Regel den Eigennutz zur Basis, so würde Jeder leicht begreifen, wie er das Vertrauen zu sich, welches er bei Andern erwecken will, durch Lügen verscherze, und wie richtig sich der Satz erweise: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Zu gleicher Zeit würde er jedoch auch fühlen, daß er nur demjenigen mit der Wahrheit entgegenzukommen habe, welchen er befugt, die Wahrheit zu hören. Durchstreicht ein Spion verkleidet das feindliche Lager und wird gefragt, wer er sei, so sind die Fragenden allerdings befugt, nach dem Namen sich zu erkundigen, der Verkleidete gibt aber ihnen das Recht nicht, die Wahrheit von ihm zu erfahren; er sagt ihnen, was er mag, nur nicht das Richtige. Und doch heischt die Moral: „Du sollst nicht lügen!“ Durch die Moral sind jene dazu berechtigt, die Wahrheit zu erwarten; aber von Mir sind sie nicht dazu berechtigt, und Ich erkenne nur das Recht an, welches Ich erteile. In eine Versammlung von Revolutionären drängt sich die Polizei ein und fragt den Redner nach seinem Namen; Jedermann weiß, daß die Polizei dazu das Recht hat, allein vom Revolutionär hat sie’s nicht, da er ihr Feind ist: er sagt ihr einen falschen Namen und – belügt sie. Auch handelt die Polizei nicht so töricht, daß sie auf die Wahrheitsliebe ihrer Feinde rechnete; im Gegenteil glaubt sie nicht ohne Weiteres, sondern „rekognosziert“ [35*], wenn sie kann, das quästionierte Individuum. Ja der Staat verfährt überall ungläubig gegen die Individuen, weil er in ihrem Egoismus seinen natürlichen Feind erkennt: er verlangt durchweg einen „Ausweis“, und wer sich nicht ausweisen kann, der verfällt seiner nachspürenden Inquisition. Der Staat glaubt und vertraut dem Einzelnen nicht, und stellt sich so selbst mit ihm auf den Lügen-Komment [36*]: er traut Mir nur, wenn er sich von der Wahrheit meiner Aussage überführt hat, wozu ihm oft kein anderes Mittel bleibt als der Eid. Wie deutlich beweist auch dieser, daß der Staat nicht auf unsere Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit rechnet, sondern auf unser Interesse, unseren Eigennutz: er verläßt sich darauf, daß Wir Uns nicht durch einen Meineid werden mit Gott überwerfen wollen.

Nun denke man sich einen französischen Revolutionär im Jahre 1788, der unter Freunden das bekanntgewordene Wort fallen ließe: die Welt hat nicht eher Ruhe, als bis der letzte König am Darm des letzten Pfaffen hängt. Damals hatte der König noch alle Macht, und als die Äußerung durch einen Zufall verraten wird, ohne daß man jedoch Zeugen aufstellen kann, fordert man vom Angeklagten das GeständniS.  Soll er gestehen oder nicht? Leugnet er, so lügt er und – bleibt straflos; gesteht er, so ist er aufrichtig und – wird geköpft. Geht ihm die Wahrheit über Alles, wohlan so sterbe er. Nur ein elender Dichter könnte es versuchen, aus seinem Lebensende eine Tragödie herzustellen; denn welches Interesse hat es, zu sehen, wie ein Mensch aus Feigheit erliegt? Hätte er aber den Mut, kein Sklave der Wahrheit und Aufrichtigkeit zu sein, so würde er etwa so fragen: Wozu brauchen die Richter zu wissen, was Ich unter Freunden gesprochen habe? Wenn Ich wollte, daß sie’s wüßten, so würde Ich’s ihnen gesagt haben, wie Ich’s meinen Freunden sagte. Ich will nicht, daß sie’s wissen. Sie drängen sich in mein Vertrauen, ohne daß Ich sie dazu berufen und zu meinen Vertrauten gemacht habe; sie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will. So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch euren Willen brechen wollt, und versucht eure Künste. Ihr könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle und ewigem Verdammnis drohen, könnt Mich so mürbe machen, daß Ich einen falschen Schwur leiste, aber die Wahrheit sollt Ihr nicht aus Mir herauspressen, denn Ich will Euch belügen, weil Ich Euch keinen Anspruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, „welcher die Wahrheit ist“, noch so drohend auf Mich herabsehen, mag das Lügen Mir noch so sauer werden, Ich habe dennoch den Mut der Lüge, und selbst wenn ich meines Lebens überdrüssig wäre, selbst wenn Mir nichts willkommener erschiene, als euer Henkerschwert, so sollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünste zum Verräter an seinem Willen macht. Als Ich jene hochverräterischen Worte sprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wissen solltet; denselben Willen behalte Ich jetzt bei und lasse Mich durch den Fluch der Lüge nicht schrecken.

Sigismund ist nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er sein Fürstenwort brach, sondern er brach das Wort, weil er ein Wicht war; er hätte sein Wort halten können, und wäre doch ein Wicht, ein Pfaffenknecht gewesen. Luther wurde, von einer höhern Macht getrieben, seinem Mönchsgelübde untreu: er wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als Besessene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Bekenner der göttlichen Wahrheit, d. h. des wahren Glaubens, des echt katholischen erscheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugnis für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die „höhere Wahrheit“ aufrichtig zu sein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieser entband sich selbst. Was beachteten beide anders, als was in jenen apostolischen Worten enthalten ist: „Du hast nicht Menschen, sondern Gott belogen?“ [37*] Sie logen den Menschen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, sondern zu dienen. So zeigen sie Uns einen Weg, wie man’s mit der Wahrheit vor den Menschen halten soll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein – Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürstenwort!

Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig änderten und schrieben: Ein Meineid und Lüge um – Meinetwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es scheint allerdings so, nur gleicht es darin ganz und gar dem „um Gottes willen“. Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüste um seinetwillen erfüllt, alle Autodafés [38*] seinetwegen gehalten, alle Verdummung seinetwegen eingeführt, und bindet man nicht noch heute schon bei den zarten Kindern durch religiöse Erziehung den Geist um Gottes willen? Brach man nicht heilige Gelübde um seinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Missionäre und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Protestanten oder Katholiken usw. zum Verrat am Glauben ihrer Väter zu bringen – um seinetwillen? Und das sollte bei dem um Meinetwillen schlimmer sein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an „schnöden Gewinn“. Wer aber aus Liebe zu schnödem Gewinne handelt, tut das zwar seinetwegen, wie es überhaupt nichts gibt, was man nicht um sein[er] selbst willen täte, unter andern auch Alles, was zu Gottes Ehre geschieht; jedoch ist er, für den er den Gewinn sucht, ein Sklave des Gewinnes, nicht erhaben über Gewinn, ist Einer, welcher dem Gewinn, dem Geldsack angehört, nicht sich, ist nicht sein eigen. Muß ein Mensch, den die Leidenschaft der Habgier beherrscht, nicht den Geboten dieser Herrin folgen, und wenn ihn einmal eine schwache Gutmütigkeit beschleicht, erscheint dies nicht eben nur als ein Ausnahmsfall gerade derselben Art, wie fromme Gläubige zuweilen von der Leitung ihres Herrn verlassen und von den Künsten des „Teufels“ berückt werden? Also ein Habgieriger ist kein Eigener, sondern ein Knecht, und er kann nichts um seinetwillen tun, ohne es zugleich um seines Herrn willen zu tun, – gerade wie der Gottesfürchtige.

Berühmt ist der Eidbruch, welchen Franz II. gegen Kaiser Karl V. beging. Nicht etwa später, als er sein Versprechen reiflich erwog, sondern sogleich, als er den Schwur leistete, nahm ihn König Franz in Gedanken sowohl, als durch eine heimliche, vor seinen Räten urkundlich unterschriebene Protestation zurück: er sprach einen vorbedachten Meineid aus. Seine Freilassung zu erkaufen zeigte sich Franz nicht abgeneigt, nur schien ihm der Preis, welchen Karl darauf setzte, zu hoch und unbillig. Betrug sich auch Karl knickerig, als er möglichst viel zu erpressen suchte, so war es doch lumpig von Franz, seine Freiheit um ein niedrigeres Lösegeld einhandeln zu wollen, und seine späteren Handlungen, worunter noch ein zweiter Wortbruch vorkommt, beweisen sattsam, wie ihn der Schachergeist geknechtet hielt und zum lumpigen Betrüger machte. Indes was sollen Wir zu dem Vorwurf seines Meineides sagen? Zunächst doch wieder dies, daß nicht der Meineid ihn schändete, sondern seine Filzigkeit [39*], daß er nicht Verachtung verdiente für seinen Meineid, sondern des Meineides sich schuldig machte, weil er ein verächtlicher Mensch war. Franzens Meineid aber für sich betrachtet erheischt eine andere Beurteilung. Man könnte sagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der Freigebung auf ihn setzte, nicht entsprochen. Allein hätte Karl wirklich ihm Vertrauen geschenkt, so würde er ihm den Preis genannt haben, dessen er die Freilassung wert achte, dann aber hätte er ihn in Freiheit gesetzt und erwartet, daß Franz die Loskaufungssumme bezahle. Karl hegte kein solches Zutrauen, sondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen seinen Eid zu handeln; Franz aber täuschte nur diese – leichtgläubige Berechnung. Als Karl sich durch einen Eid seines Feindes zu versichern glaubte, da gerade befreite er diesen von jeder Verbindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges Gewissen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz, nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewissenhaftigkeit: er entließ ihn nur aus dem Madrider Gefängnis, um ihn desto sicherer in dem Gefängnisse der Gewissenhaftigkeit, dem großen durch die Religion um den Menschengeist gezogenen Kerker, festzuhalten: er schickte ihn, festgeschlossen in unsichtbaren Ketten, nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkommen suchte und die Ketten zersägte. Kein Mensch hätte es ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn er war in Feindes Gewalt; jeder gute Christ aber ruft Wehe über ihn, daß er auch aus Gottes Banden sich losmachen wollte. (Der Papst entband ihn erst später seines Eides.)

Es ist verächtlich, ein Vertrauen, das Wir freiwillig hervorrufen, zu täuschen; aber Jeden, der Uns durch einen Eid in seine Gewalt bekommen will, an der Erfolglosigkeit seiner zutrauenslosen List verbluten zu lassen, macht dem Egoismus keine Schande. Hast Du Mich binden wollen, so erfahre denn, daß Ich deine Bande zu sprengen weiß.

Es kommt darauf an, ob Ich dem Vertrauenden das Recht zum Vertrauen gebe. Wenn der Verfolger meines Freundes Mich fragt, wohin dieser sich geflüchtet habe, so werde Ich ihn sicherlich auf eine falsche Fährte bringen. Warum fragt er gerade Mich, den Freund des Verfolgten? Um nicht ein falscher, verräterischer Freund zu sein, ziehe Ich’s vor, gegen den Feind falsch zu sein. Ich könnte freilich aus mutiger Gewissenhaftigkeit antworten: Ich wolle es nicht sagen (so entscheidet Fichte den Fall); dadurch salvierte [40*] Ich meine Wahrheitsliebe und täte für den Freund so viel als – nichts, denn leite Ich den Feind nicht irre, so kann er zufällig die rechte Straße einschlagen, und meine Wahrheitsliebe hätte den Freund preisgegeben, weil sie Mich hinderte an dem – Mute zur Lüge. Wer an der Wahrheit ein Idol, ein Heiliges hat, der muß sich vor ihr demütigen, darf ihren Anforderungen nicht trotzen, nicht mutig widerstehen, kurz er muß dem Heldenmut der Lüge entsagen. Denn zur Lüge gehört nicht weniger Mut als zur Wahrheit, ein Mut, an welchem es am meisten Jünglingen zu gebrechen pflegt, die lieber die Wahrheit gestehen und das Schafott dafür besteigen, als durch die Frechheit einer Lüge die Macht der Feinde zu Schanden machen mögen. Jenen ist die Wahrheit „heilig“, und das Heilige fordert allezeit blinde Verehrung, Unterwerfung und Aufopferung. Seid Ihr nicht frech, nicht Spötter des Heiligen, so seid Ihr zahm und seine Diener. Man streue Euch nur ein Körnchen Wahrheit in die Falle, so pickt Ihr sicherlich darnach, und man hat den Narren gefangen. Ihr wollt nicht lügen? Nun so fallt als Opfer der Wahrheit und werdet – Märtyrer! Märtyrer – wofür? Für Euch, für die Eigenheit? Nein, für eure Göttin, – die Wahrheit. Ihr kennt nur zweierlei Dienst, nur zweierlei Diener: Diener der Wahrheit und Diener der Lüge. Dient denn in Gottes Namen der Wahrheit!

Andere wieder dienen auch der Wahrheit, aber sie dienen ihr „mit Maß“ und machen z. B. einen großen Unterschied zwischen einer einfachen und einer beschworenen Lüge. Und doch fällt das ganze Kapitel vom Eide mit dem von der Lüge zusammen, da ein Eid ja nur eine stark versicherte Aussage ist. Ihr haltet Euch für berechtigt zu lügen, wenn Ihr nur dazu nicht noch schwört? Wer’s genau nimmt, der muß eine Lüge so hart beurteilen und verdammen als einen falschen Schwur. Nun hat sich aber ein uralter Streitpunkt in der Moral erhalten, der unter dem Namen der „Notlüge“ abgehandelt zu werden pflegt. Niemand, der dieser das Wort zu reden wagt, kann konsequenter Weise einen „Noteid“ von der Hand weisen. Rechtfertige Ich meine Lüge als eine Notlüge, so sollte Ich nicht so kleinmütig sein, die gerechtfertigte Lüge der stärksten Bekräftigung zu berauben. Was Ich auch tue, warum sollte Ich’s nicht ganz und ohne Vorbehalt (reservatio mentalis [41*]) tun? Lüge Ich einmal, warum dann nicht vollständig, mit ganzem Bewußtsein und aller Kraft lügen? Als Spion müßte Ich dem Feinde jede meiner falschen Aussagen auf Verlangen beschwören; entschlossen, ihn zu belügen, sollte Ich plötzlich feige und unentschlossen werden gegenüber dem Eide? Dann wäre Ich von vornherein zum Lügner und Spion verdorben gewesen; denn Ich gäbe ja dem Feinde freiwillig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. – Auch fürchtet der Staat den Noteid und läßt deshalb den Angeklagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber schwört nicht falsch. Erweiset Ihr z. B. Einem eine Wohltat, ohne daß er’s wissen soll, er aber vermutet’s und sagt’s Euch auf den Kopf zu, so leugnet Ihr; beharrt er, so sagt Ihr: „wahrhaftig nicht!“ Ging’s ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen stets auf halbem Wege stehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen Willen. Ihr lügt mit – Maß, wie Ihr frei seid „mit Maß“, religiös „mit Maß“ (die Geistlichkeit soll nicht „übergreifen“, wie jetzt hierfür der fadeste Streit von Seiten der Universität gegen die Kirche geführt wird), monarchisch gesinnt „mit Maß“ (Ihr wollt einen durch die Verfassung, ein Staatsgrundgesetz, beschränkten Monarchen), Alles hübsch temperiert, lau und flau, halb Gottes, halb des Teufels.

Es herrschte auf einer Universität der Komment, daß von den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Universitäts-Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angesehen wurde. Die Studenten sahen nämlich in der Abforderung desselben nichts als einen Fallstrick, dem sie nicht anders entgehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutsamkeit desselben. Wer ebendaselbst einem Kommilitonen sein Ehrenwort brach, war infam; wer es dem Universitäts-Richter gab, lachte im Verein mit eben diesen Kommilitonen den Getäuschten aus, der sich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter Feinden denselben Wert habe. Weniger eine richtige Theorie als die Not der Praxis hatte dort die Studierenden so zu handeln gelehrt, da sie ohne jenes Auskunftsmittel erbarmungslos zum Verrat an ihren Genossen getrieben worden wären. Wie aber das Mittel praktisch sich bewährte, so hat es auch seine theoretische Bewährung. Ein Ehrenwort, ein Eid ist nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfangen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind gibt Uns das Recht nicht.

Übrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem, der in Untersuchung kommt, geschworen, nichts wider ihn auszusagen, so würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich bindet, meine Aussagen fordern und im Weigerungsfalle Mich so lange einsperren, bis Ich Mich entschlösse, – eidbrüchig zu werden. Das Gericht „entbindet Mich meines Eides“; – wie großmütig! Kann Mich irgendeine Macht des Eides entbinden, so bin Ich selber doch wohl die allererste Macht, die darauf Anspruch hat.

Als Kuriosität und um an allerlei übliche Eide zu erinnern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiser Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemcewicz usw. ), als er sie freiließ, zu leisten befahl: „Wir schwören nicht bloß dem Kaiser Treue und Gehorsam, sondern versprechen auch noch, unser Blut für seinen Ruhm zu vergießen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals für seine Person oder sein Reich Gefahrdrohendes erfahren; wir erklären endlich, daß, in welchem Teile des Erdkreises wir uns auch befinden, ein einziges Wort des Kaisers genügen solle, Alles zu verlassen und uns sogleich zu ihm zu begeben.“

In Einem Gebiete scheint das Prinzip der Liebe längst vom Egoismus überflügelt worden zu sein und nur noch des sichern Bewußtseins, gleichsam des Sieges mit gutem Gewissen, zu bedürfen. Dies Gebiet ist die Spekulation in ihrer doppelten Erscheinung als Denken und als Handel. Man denkt frisch darauf los, was auch herauskommen möge, und man spekuliert, wie Viele auch unter unseren spekulativen Unternehmungen leiden mögen. Aber wenn es endlich zum Klappen kommt, wenn auch der letzte Rest von Religiosität, Romantik oder „Menschlichkeit“ abgetan werden soll, dann schlägt das religiöse Gewissen und man bekennt sich wenigstens zur Menschlichkeit. Der habgierige Spekulant wirft einige Groschen in die Armenbüchse und „tut Gutes“, der kühne Denker tröstet sich damit, daß er zur Förderung des Menschengeschlechts arbeite und daß seine Verwüstung der Menschheit „zu Gute komme“, oder auch, daß er „der Idee diene“; die Menschheit, die Idee ist ihm jenes Etwas, von dem er sagen muß: es geht Mir über Mich.

Es ist bis auf den heutigen Tag gedacht und gehandelt worden um – Gottes willen. Die da sechs Tage durch ihre eigennützigen Zwecke alles niedertraten, opferten am siebenten dem Herrn, und die hundert „gute Sachen“ durch ihr rücksichtsloses Denken zerstörten, taten dies doch im Dienste einer andern „guten Sache“ und mußten – außer an sich – noch an einen Andern denken, welchem ihre Selbstbefriedigung zu Gute käme, an das Volk, die Menschheit u. dgl. Dieses Andere aber ist ein Wesen über ihnen, ein höheres oder höchstes Wesen, und darum sage Ich, sie mühen sich um Gottes willen.

Ich kann daher auch sagen, der letzte Grund ihrer Handlungen sei die – Liebe. Aber nicht eine freiwillige, nicht ihre eigene, sondern eine zinspflichtige, oder des höhern Wesens (d. h. Gottes, der die Liebe selbst ist) eigene Liebe, kurz nicht die egoistische, sondern die religiöse, eine Liebe, die aus ihrem Wahne entspringt, daß sie einen Tribut der Liebe entrichten müssen, d. h. daß sie keine „Egoisten“ sein dürfen.

Wollen Wir die Welt aus mancherlei Unfreiheit erlösen, so wollen Wir das nicht ihret- sondern Unsertwegen: denn da Wir keine Welterlöser von Profession und aus „Liebe“ sind, so wollen Wir sie nur Andern abgewinnen. Wir wollen sie Uns zu eigen machen; nicht Gott (der Kirche), nicht dem Gesetze (Staate) soll sie länger leibeigen sein, sondern unser eigen; darum suchen Wir sie zu „gewinnen“, für Uns „einzunehmen,“ und die Gewalt, welche sie gegen Uns wendet, dadurch zu vollenden und überflüssig zu machen, daß Wir ihr entgegenkommen, und Uns ihr, sobald sie Uns gehört, gleich Uns „ergeben“. Ist die Welt unser, so versucht sie keine Gewalt mehr gegen Uns, sondern nur mit UnS.  Mein Eigennutz hat ein Interesse an der Befreiung der Welt, damit sie – mein Eigentum werde.

Nicht die Isoliertheit oder das Alleinsein ist der ursprüngliche Zustand des Menschen, sondern die Gesellschaft. Mit der innigsten Verbindung beginnt unsere Existenz, da Wir schon, ehe Wir atmen, mit der Mutter zusammenleben; haben Wir dann das Licht der Welt erblickt, so liegen Wir gleich wieder an der Brust eines Menschen, seine Liebe wiegt Uns im Schoße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tausend Banden an seine Person. Die Gesellschaft ist unser Natur-Zustand. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen lernen, der früher innigste Verband immer lockerer, und die Auflösung der ursprünglichen Gesellschaft unverkennbarer. Die Mutter muß das Kind, welches einst unter ihrem Herzen lag, von der Straße und aus der Mitte seiner Spielgenossen holen, um es wieder einmal für sich zu haben. Es zieht das Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht, der Gesellschaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der es vielmehr nur geboren ist.

Die Auflösung der Gesellschaft aber ist der Verkehr oder Verein. Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist – tot als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er ist – Gesellschaft, Gemeinschaft. Ein sprechendes Exempel dieser Art liefert die Partei.

Daß eine Gesellschaft, z. B. die Staatsgesellschaft, Mir die Freiheit schmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja von jedem Nebenmenschen die Freiheit beschränken lassen, und wäre Ich der Selbsterrscher aller R......, Ich genösse doch der absoluten Freiheit nicht. Aber die Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen lassen. Und gerade auf die Eigenheit sieht es jede Gesellschaft ab, gerade sie soll ihrer Macht unterliegen.

Zwar nimmt eine Gesellschaft, zu der Ich Mich halte, Mir manche Freiheit, dafür gewährt sie Mir aber andere Freiheiten; auch hat es nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und jene Freiheit bringe (z. B. durch jeden Kontrakt). Dagegen will Ich eifersüchtig auf meine Eigenheit halten. Jede Gemeinschaft hat, je nach ihrer Machtfülle, den stärkeren oder schwächeren Zug, ihren Gliedern eine Autorität zu werden und Schranken zu setzen: sie verlangt und muß verlangen einen „beschränkten Untertanen-Verstand“, sie verlangt, daß ihre Angehörigen ihr untertan, ihre „Untertanen“ seien, sie besteht nur durch Untertänigkeit. Dabei braucht keineswegs eine gewisse Toleranz ausgeschlossen zu sein, im Gegenteil wird die Gesellschaft Verbesserungen, Zurechtweisungen und Tadel, soweit solche auf ihren Gewinn berechnet sind, willkommen heißen; aber der Tadel muß „wohlmeinend“, er darf nicht „frech und unehrerbietig“ sein, mit andern Worten, man muß die Substanz der Gesellschaft unverletzt lassen und heilig halten. Die Gesellschaft fordert, daß ihre Angehörigen nicht über sie hinausgehen und sich erheben, sondern „in den Grenzen der Gesetzlichkeit“ bleiben, d. h. nur so viel sich erlauben, als ihnen die Gesellschaft und deren Gesetz erlaubt.

Es ist ein Unterschied, ob durch eine Gesellschaft meine Freiheit oder meine Eigenheit beschränkt wird. Ist nur jenes der Fall, so ist sie eine Vereinigung, ein Übereinkommen, ein Verein; droht aber der Eigenheit Untergang, so ist sie eine Macht für sich, eine Macht über Mir, ein von Mir Unerreichbares, das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respektieren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar deshalb nicht kann, weil Ich resigniere. Sie besteht durch meine Resignation, meine Selbstverleugnung, meine Mutlosigkeit, genannt – Demut. Meine Demut macht ihr Mut, meine Unterwürfigkeit gibt ihr die Herrschaft.

In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der Letztere kann ebenso wenig entstehen oder bestehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man so fliegen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Wasser leben, wie ein Fisch, weil man der Luft nicht entraten und von diesem notwendigen Bedürfnis nicht frei werden kann u. dgl. Wie die Religion und am entschiedensten das Christentum den Menschen mit der Forderung quälte, das Unnatürliche und Widersinnige zu realisieren, so ist es nur als die echte Konsequenz jener religiösen Überspanntheit und Überschwenglichkeit anzusehen, daß endlich die Freiheit selbst, die absolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und so der Unsinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. – Allerdings wird der Verein sowohl ein größeres Maß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für „eine neue Freiheit“ gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats- und Gesellschaftsleben eigenen Zwange entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten. Denn sein Zweck ist eben nicht – die Freiheit, die er im Gegenteil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit. Auf diese bezogen ist der Unterschied zwischen Staat und Verein groß genug. Jener ist ein Feind und Mörder der Eigenheit, dieser ein Sohn und Mitarbeiter derselben, jener ein Geist, der im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will, dieser mein Werk, mein Erzeugnis; der Staat ist der Herr meines Geistes, der Glauben fordert und Mir Glaubensartikel vorschreibt, die Glaubensartikel der Gesetzlichkeit; er übt moralischen Einfluß, beherrscht meinen Geist, vertreibt mein Ich, um sich als „mein wahres Ich“ an dessen Stelle zu setzen, kurz der Staat ist heilig und gegen Mich, den einzelnen Menschen, ist er der wahre Mensch, der Geist, das Gespenst; der Verein aber ist meine eigene Schöpfung, mein Geschöpf, nicht heilig, nicht eine geistige Macht über meinen Geist, so wenig als irgend eine Assoziation, welcher Art sie auch sei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen sein mag, sondern sie ohne alle Garantie meiner steten Kritik bloßstelle und gar keine Bürgschaft für ihren Bestand zulasse, so und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine Zukunft dem Vereine und verschwöre ihm meine Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geistigen Autorität wirklich der Fall ist, sondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Verein.

Jene Gesellschaft, welche der Kommunismus gründen will, scheint der Vereinigung am nächsten zu stehen. Sie soll nämlich das „Wohl Aller“ bezwecken, aber Aller, ruft Weitling unzählige Male aus, Aller! [93] Das sieht doch wirklich so aus, als brauchte dabei Keiner zurückzustehen. Welches wird denn aber dieses Wohl sein? Haben Alle ein und dasselbe Wohl, ist Allen bei Ein und Demselben gleich wohl? Ist dem so, so handelt sich’s vom „wahren Wohl“. Kommen Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewaltherrschaft beginnt? Das Christentum sagt: Seht nicht auf irdischen Tand, sondern sucht euer wahres Wohl, werdet – fromme Christen: das Christsein ist das wahre Wohl. Es ist das wahre Wohl „Aller“, weil es das Wohl des Menschen als solchen (dieses Spuks) ist. Nun soll das Wohl Aller doch auch mein und dein Wohl sein? Wenn Ich und Du aber jenes Wohl nicht für unser Wohl ansehen, wird dann für das, wobei Wir Uns wohlbefinden, gesorgt werden? Im Gegenteil, die Gesellschaft hat ein Wohl als das „wahre Wohl“ dekretiert, und hieße dies Wohl z. B. redlich erarbeiteter Genuß, Du aber zögest die genußreiche Faulheit, den Genuß ohne Arbeit vor, so würde die Gesellschaft, die für das „Wohl Aller“ sorgt, für das, wobei Dir wohl ist, zu sorgen sich weislich hüten. Indem der Kommunismus das Wohl Aller proklamiert, vernichtet er gerade das Wohlsein derer, welche seither von ihren Renten lebten und sich dabei wahrscheinlich wohler befanden, als bei der Aussicht auf die strengen Arbeitsstunden WeitlingS.  Dieser behauptet daher, bei dem Wohle von Tausenden könne das Wohl von Millionen nicht bestehen, und jene müßten ihr besonderes Wohl aufgeben „um des allgemeinen Wohles willen“. [94] Nein; man fordere die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr besonderes zu opfern, denn man kommt mit diesem christlichen Anspruch nicht durch; die entgegengesetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl sich durch Niemand entreißen zu lassen, sondern es dauernd zu gründen, werden sie besser verstehen. Sie werden dann von selbst darauf geführt, daß sie am besten für ihr Wohl sorgen, wenn sie sich mit Andern zu diesem Zwecke verbinden, d. h. „einen Teil ihrer Freiheit opfern“, aber nicht dem Wohle Aller, sondern ihrem eigenen. Eine Appellation an die aufopfernde Gesinnung und die selbstverleugnende Liebe der Menschen sollte endlich ihren verführerischen Schein verloren haben, nachdem sie hinter einer Wirksamkeit von Jahrtausenden nichts zurückgelassen als die heutige – Misere. Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Aufopferung Uns bessere Zeiten bringen soll; warum nicht lieber von der Usurpation sie hoffen? Nicht mehr von den Gebenden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, sondern von den Nehmenden, den Aneignenden (Usurpatoren), den Eignern. Der Kommunismus und, bewußt oder unbewußt, der den Egoismus lästernde Humanismus zählt immer noch auf die Liebe.

Ist einmal die Gemeinschaft dem Menschen Bedürfnis und findet er sich durch sie in seinen Absichten gefördert, so schreibt sie ihm auch, weil sein Prinzip geworden, sehr bald ihre Gesetze vor, die Gesetze der – Gesellschaft. Das Prinzip der Menschen erhebt sich zur souveränen Macht über sie, wird ihr höchstes Wesen, ihr Gott, und als solcher – Gesetzgeber. Der Kommunismus gibt diesem Prinzip die strengste Folge, und das Christentum ist die Religion der Gesellschaft, denn Liebe ist, wie Feuerbach richtig sagt, obgleich er’s nicht richtig meint, das Wesen des Menschen, d. h. das Wesen der Gesellschaft oder des gesellschaftlichen (kommunistischen) Menschen. Alle Religion ist ein Kultus der Gesellschaft, dieses Prinzipes, von welchem der gesellschaftliche (kultivierte) Mensch beherrscht wird; auch ist kein Gott der ausschließliche Gott eines Ichs, sondern immer der einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, sei es der Gesellschaft „Familie“ (Lar, Penaten) [42*] oder eines „Volkes“ („Nationalgott“) oder „aller Menschen“ („er ist ein Vater aller Menschen“) [43*].

Somit hat man allein dann Aussicht, die Religion bis auf den Grund zu tilgen, wenn man die Gesellschaft und alles, was aus diesem Prinzipe fließt, antiquiert. Gerade aber im Kommunismus sucht dies Prinzip zu kulminieren, da in ihm Alles gemeinschaftlich werden soll, zur Herstellung der – „Gleichheit“. Ist diese „Gleichheit“ gewonnen, so fehlt auch die „Freiheit“ nicht. Aber wessen Freiheit? die der Gesellschaft! Die Gesellschaft ist dann Alles in Allem, und die Menschen sind nur „füreinander“. Es wäre die Glorie des – Liebes-Staates.

Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menschen angewiesen sein, als auf ihre „Liebesdienste“, ihre Barmherzigkeit, Erbarmen usw. Jener fordert Gegenseitigkeit (wie Du Mir, so Ich Dir), tut nichts „umsonst“, und läßt sich gewinnen und – erkaufen. Womit aber erwerbe Ich Mir den Liebesdienst? Es kommt auf den Zufall an, ob Ich’s gerade mit einem „Liebevollen“ zu tun habe. Der Dienst des Liebreichen läßt sich nur – erbetteln, sei es durch meine ganze beklagenswerte Erscheinung, durch meine Hilfsbedürftigkeit, mein Elend, mein – Leiden. Was kann Ich ihm für seine Hilfleistung bieten? Nichts! Ich muß sie als – Geschenk annehmen. Liebe ist unbezahlbar, oder vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch Gegenliebe („Eine Gefälligkeit ist der andern wert“). Welche Armseligkeit und Bettelhaftigkeit gehört nicht dazu, Jahr aus Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienst, wie sie z. B. vom armen Tagelöhner regelmäßig eingetrieben werden. Was kann der Empfänger für jenen und seine geschenkten Pfennige, in denen sein Reichtum besteht, tun? Der Tagelöhner hätte wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit seinen Gesetzen, seinen Institutionen usw., die jener doch alle bezahlen muß, gar nicht existierte. Und dabei liebt der arme Wicht seinen Herrn doch.

Nein, die Gemeinschaft, als das „Ziel“ der bisherigen Geschichte, ist unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von jeder Heuchelei der Gemeinschaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menschen gleich sind, Wir eben nicht gleich sind, weil Wir nicht Menschen sind. Wir sind nur in Gedanken gleich, nur wenn „Wir“ gedacht werden, nicht wie Wir wirklich und leibhaftig sind. Ich bin Ich, und Du bist Ich, aber Ich bin nicht dieses gedachte Ich, sondern dieses Ich, worin Wir alle gleich sind, ist nur mein Gedanke. Ich bin Mensch und Du bist Mensch, aber „Mensch“ ist nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du sind sagbar, Wir sind unaussprechlich, weil nur Gedanken sagbar sind und im Sagen bestehen.

Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinschaft, sondern nach der Einseitigkeit. Suchen Wir nicht die umfassendste Gemeinde, die „menschliche Gesellschaft“, sondern suchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unser Eigentum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Tiere nicht Unsersgleichen erblicken, so entspringt die Voraussetzung, daß die Andern Unsersgleichen seien, aus einer Heuchelei. Es ist Keiner Meinesgleichen, sondern gleich allen andern Wesen betrachte Ich ihn als mein Eigentum. Dagegen sagt man Mir, Ich soll Mensch unter „Mitmenschen“ sein (Judenfrage [95], S. 60), Ich soll in ihnen den Mitmenschen „respektieren“. Es ist Keiner für Mich eine Respektsperson, auch der Mitmensch nicht, sondern lediglich wie andere Wesen ein Gegenstand, für den Ich Teilnahme habe oder auch nicht, ein interessanter oder uninteressanter Gegenstand, ein brauchbares oder unbrauchbares Subjekt.

Und wenn Ich ihn gebrauchen kann, so verständige Ich wohl und einige Mich mit ihm, um durch die Übereinkunft meine Macht zu verstärken und durch gemeinsame Gewalt mehr zu leisten, als die einzelne bewirken könnte. In dieser Gemeinsamkeit sehe Ich durchaus nichts anderes, als eine Multiplikation meiner Kraft, und nur solange sie meine vervielfachte Kraft ist, behalte Ich sie bei. So aber ist sie ein – Verein.

Den Verein hält weder ein natürliches noch ein geistiges Band zusammen, und er ist kein natürlicher, kein geistiger Bund. Nicht Ein Blut, nicht Ein Glaube (d. h. Geist) bringt ihn zu Stande. In einem natürlichen Bunde, – wie einer Familie, einem Stamme, einer Nation, ja der Menschheit – haben die Einzelnen nur den Wert von Exemplaren derselben Art oder Gattung; in einem geistigen Bunde – wie einer Gemeinde, einer Kirche – bedeutet der Einzelne nur ein Glied desselbigen Geistes; was Du in beiden Fällen als Einziger bist, das muß – unterdrückt werden. Als Einzigen kannst Du Dich bloß im Vereine behaupten, weil der Verein nicht Dich besitzt, sondern Du ihn besitzest oder Dir zu Nutze machst.

Im Vereine, und nur im Vereine, wird das Eigentum anerkannt, weil man das Seine von keinem Wesen mehr zu Lehen trägt. Die Kommunisten führen nur konsequent weiter, was während der religiösen Entwicklung und namentlich im Staate längst vorhanden war, nämlich die Eigentumslosigkeit, d. h. das Feudalwesen.

Der Staat bemüht sich den Begehrlichen zu zähmen, mit andern Worten, er sucht dessen Begierde allein auf ihn zu richten und mit dem sie zu befriedigen, was er ihr bietet. Die Begierde um des Begehrlichen willen zu sättigen, kommt ihm nicht in den Sinn: im Gegenteil schilt er den die ungezügelte Begierde atmenden Menschen einen „egoistischen“, und der „egoistische Mensch“ ist sein Feind. Er ist dies für ihn, weil die Befähigung, mit demselben zurecht zu kommen, dem Staate abgeht, der gerade den Egoisten nicht „begreifen“ kann. Da es dem Staate, wie nicht anders möglich, lediglich um sich zu tun ist, so sorgt er nicht für meine Bedürfnisse, sondern sorgt nur, wie er Mich umbringe, d. h. ein anderes Ich aus Mir mache, einen guten Bürger. Er trifft Anstalten zur „Sittenverbesserung“. – Und womit gewinnt er die Einzelnen für sich? Mit Sich, d. h. mit dem, was des Staates ist, mit Staatseigentum. Er wird unablässig tätig sein, Alle seiner „Güter“ teilhaftig zu machen, Alle mit den „Gütern der Kultur“ zu bedenken: er schenkt ihnen seine Erziehung, öffnet ihnen den Zugang zu seinen Kulturanstalten, befähigt sie auf den Wegen der Industrie zu Eigentum, d. h. zu Lehen zu kommen usw. Für all dies Lehen fordert er nur den richtigen Zins eines steten Dankes. Aber die „Undankbaren“ vergessen diesen Dank abzutragen – Wesentlich anders nun, als der Staat, kann es die „Gesellschaft“ auch nicht machen.

In den Verein bringst Du deine ganze Macht, dein Vermögen, und machst Dich geltend, in der Gesellschaft wirst Du mit deiner Arbeitskraft verwendet; in jenem lebst Du egoistisch, in dieser menschlich, d. h. religiös, als ein „Glied am Leibe dieses Herrn“: der Gesellschaft schuldest Du, was Du hast, und bist ihr verpflichtet, bist von „sozialen Pflichten“ – besessen, den Verein benutzest Du und gibst ihn, „pflicht- und treulos“ auf, wenn Du keinen Nutzen weiter aus ihm zu ziehen weißt. Ist die Gesellschaft mehr als Du, so geht sie Dir über Dich; der Verein ist nur dein Werkzeug oder das Schwert, wodurch Du deine natürliche Kraft verschärfst und vergrößerst; der Verein ist für Dich und durch Dich da, die Gesellschaft nimmt umgekehrt Dich für sich in Anspruch und ist auch ohne Dich; kurz die Gesellschaft ist heilig, der Verein dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du.

Man wird gleichwohl mit dem Einwande nicht zurückhalten, daß Uns die geschlossene Übereinkunft wieder lästig werden und unsere Freiheit beschränken könne; man wird sagen, Wir kämen auch endlich darauf hinaus, daß „Jeder um des Allgemeinen willen einen Teil seiner Freiheit opfern müsse“. Allein um des „Allgemeinen“ willen fiele das Opfer ganz und gar nicht, so wenig als Ich die Übereinkunft um des „Allgemeinen“ oder auch nur um irgend eines andern Menschen willen schloß; vielmehr ging Ich auf sie nur um meines eigenen Nutzens willen, aus Eigennutz, ein. Was aber das Opfern betrifft, so „opfere“ Ich doch wohl nur dasjenige, was nicht in meiner Gewalt steht, d. h. „opfere“ gar nichts.

Auf das Eigentum zurückzukommen, so ist Eigentümer der Herr. Wähle denn, ob Du der Herr sein willst, oder die Gesellschaft Herrin sein soll! Davon hängt es ab, ob Du ein Eigner oder ein Lump sein wirst: Der Egoist ist Eigner, der Soziale ein Lump. Lumperei aber oder Eigentumslosigkeit ist der Sinn der Feudalität, des Lehnswesens, das seit dem vorigen Jahrhundert nur den Lehnsherrn vertauscht hat, indem es „den Menschen“ an die Stelle Gottes setzte und vom Menschen zu Lehen annahm, was vorher ein Lehen von Gottes Gnaden gewesen war. Daß die Lumperei des Kommunismus durch das humane Prinzip zur absoluten oder lumpigsten Lumperei hinausgeführt wird, ist oben gezeigt worden, zugleich aber auch, wie nur so die Lumperei zur Eigenheit umschlagen kann. Das alte Feudalwesen wurde in der Revolution so gründlich eingestampft, daß seitdem alle reaktionäre List fruchtlos blieb und immer fruchtlos bleiben wird, weil das Tote– tot ist; aber auch die Auferstehung mußte in der christlichen Geschichte sich als eine Wahrheit bewähren und hat sich bewährt: denn in einem Jenseits ist mit verklärtem Leibe die Feudalität wiedererstanden, die neue Feudalität unter der Oberlehnsherrlichkeit „des Menschen“.

Das Christentum ist nicht vernichtet, sondern die Gläubigen haben Recht, wenn sie bisher von jedem Kampfe dagegen vertrauungsvoll annahmen, daß er nur zur Läuterung und Befestigung desselben dienen könne; denn es ist wirklich nur verklärt worden, und „das entdeckte Christentum“ ist das – menschliche. Wir leben noch ganz im christlichen Zeitalter, und die sich daran am meisten ärgern, tragen gerade am eifrigsten dazu bei, es zu „vollenden“. Je menschlicher, desto lieber ist Uns die Feudalität geworden; denn desto weniger glauben Wir, daß sie noch Feudalität sei, desto getroster nehmen Wir sie für Eigenheit und meinen unser „Eigenstes“ gefunden zu haben, wenn Wir „das Menschliche“ entdecken.

Der Liberalismus will Mir das Meinige geben, aber nicht unter dem Titel des Meinigen, sondern unter dem des „Menschlichen“ gedenkt er Mir’s zu verschaffen. Als wenn es unter dieser Maske zu erreichen wäre! Die Menschenrechte, das teure Werk der Revolution, haben den Sinn, daß der Mensch in Mir Mich zu dem und jenem berechtige: Ich als Einzelner, d. h. als dieser, bin nicht berechtigt, sondern der Mensch hat das Recht und berechtigt Mich. Als Mensch kann Ich daher wohl berechtigt sein, da Ich aber, mehr als Mensch, nämlich ein absonderlicher Mensch bin, so kann es gerade Mir, dem Absonderlichen, verweigert werden. Haltet Ihr hingegen auf den Wert eurer Gaben, haltet sie im Preise, laßt Euch nicht zwingen, unter dem Preise loszuschlagen, laßt Euch nicht einreden, eure Ware sei nicht preiswürdig, macht Euch nicht zum Gespötte durch einen „Spottpreis“, sondern ahmt dem Tapfern nach, welcher sagt: Ich will mein Leben (Eigentum) teuer verkaufen, die Feinde sollen es nicht wohlfeilen Kaufes haben: so habt Ihr das Umgekehrte vom Kommunismus als das Richtige erkannt, und es heißt dann nicht: Gebt euer Eigentum auf! sondern: Verwertet euer Eigentum!

Über der Pforte unserer Zeit steht nicht jenes apollinische: „Erkenne Dich selbst“, sondern ein: Verwerte Dich!

Proudhon nennt das Eigentum „den Raub“ (le vol). Es ist aber das fremde Eigentum – und von diesem allein spricht er – nicht minder durch Entsagung, Abtretung und Demut vorhanden, es ist ein Geschenk. Warum so sentimental als ein armer Beraubter das Mitleid anrufen, wenn man doch nur ein törichter, feiger Geschenkgeber ist. Warum auch hier wieder die Schuld Andern zuschieben, als beraubten sie Uns, da Wir doch selbst die Schuld tragen, indem Wir die Andern unberaubt lassen. Die Armen sind daran schuld, daß es Reiche gibt.

Überhaupt ereifert sich Niemand über sein Eigentum, sondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das Eigentum an, sondern die Entfremdung des Eigentums. Man will mehr, nicht weniger, sein nennen können, man will alles sein nennen. Man kämpft also gegen die Fremdheit, oder, um ein dem Eigentum ähnliches Wort zu bilden, gegen das Fremdentum. Und wie hilft man sich dabei? Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, spielt man den Unparteiischen und verlangt nur, daß alles Eigentum einem Dritten (z. B. der menschlichen Gesellschaft) überlassen werde. Man reklamiert das Fremde nicht im eigenen Namen, sondern in dem eines Dritten. Nun ist der „egoistische“ Anstrich weggewischt und alles so rein und – menschlich!

Eigentumslosigkeit oder Lumperei, das ist also das „Wesen des Christentums“, wie es das Wesen aller Religiosität (d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menschlichkeit) ist, und nur in der „absoluten Religion“ am klarsten sich verkündete und als frohe Botschaft zum entwicklungsfähigen Evangelium wurde. Die sprechendste Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen Kampfe wider das Eigentum vor Uns, einem Kampfe, der „den Menschen“ zum Siege führen und die Eigentumslosigkeit vollständig machen soll: die siegende Humanität ist der Sieg des – Christentums. Das so „entdeckte Christentum“ aber ist die vollendete Feudalität, das allumfassende Lehnswesen, d. h. die – vollkommene Lumperei.

Also wohl noch einmal eine „Revolution“ gegen das Feudalwesen? –

Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeutend angesehen werden. Jene besteht in einer Umwälzung der Zustände, des bestehenden Zustandes oder status, des Staats oder der Gesellschaft, ist mithin eine politische oder soziale Tat; diese hat zwar eine Umwandlung der Zustände zur unvermeidlichen Folge, geht aber nicht von ihr, sondern von der Unzufriedenheit der Menschen mit sich aus, ist nicht eine Schilderhebung, sondern eine Erhebung der Einzelnen, ein Emporkommen, ohne Rücksicht auf die Einrichtungen, welche daraus entsprießen. Die Revolution zielte auf neue Einrichtungen, die Empörung führt dahin, Uns nicht mehr einrichten zu lassen, sondern Uns selbst einzurichten, und setzt auf „Institutionen“ keine glänzende Hoffnung. Sie ist kein Kampf gegen das Bestehende, da, wenn sie gedeiht, das Bestehende von selbst zusammenstürzt, sie ist nur ein Herausarbeiten Meiner aus dem Bestehenden. Verlasse Ich das Bestehende, so ist es tot und geht in Fäulnis über. Da nun nicht der Umsturz eines Bestehenden mein Zweck ist, sondern meine Erhebung darüber, so ist meine Absicht und Tat keine politische oder soziale, sondern, als allein auf Mich und meine Eigenheit gerichtet, eine egoistische.

Einrichtungen zu machen gebietet die Revolution, sich auf- oder emporzurichten heischt die Empörung. Welche Verfassung zu wählen sei, diese Frage beschäftigte die revolutionären Köpfe, und von Verfassungskämpfen und Verfassungsfragen sprudelt die ganze politische Periode, wie auch die sozialen Talente an gesellschaftlichen Einrichtungen (Phalansterien u. dergl.) ungemein erfinderisch waren. Verfassungslos zu werden, bestrebt sich der Empörer. [96]

Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich sinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Christentums ein. Man vermerkt es liberalerseits den ersten Christen übel, daß sie gegen die bestehende heidnische Staatsordnung Gehorsam predigten, die heidnische Obrigkeit anzuerkennen befahlen und ein „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“ [44*] getrost geboten. Wie viel Aufruhr entstand doch zu derselben Zeit gegen die römische Oberherrschaft, wie aufwieglerisch bewiesen sich die Juden und selbst die Römer gegen ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die „politische Unzufriedenheit“! Davon wollten jene Christen nichts wissen; wollten den „liberalen Tendenzen“ nicht beitreten. Die Zeit war politisch so aufgeregt, daß man, wie’s in den Evangelien heißt, den Stifter des Christentums nicht erfolgreicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn „politischer Umtriebe“ bezichtigte, und doch berichten dieselben Evangelien, daß gerade er sich am wenigsten an diesem politischen Treiben beteiligte. Warum aber war er kein Revolutionär, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne gesehen hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer Änderung der Zustände kein Heil erwartete, und diese ganze Wirtschaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionär, wie z. B. Cäsar, sondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer, sondern Einer, der sich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein „Seid klug wie die Schlangen“ [45*], was denselben Sinn ausdrückt, als im speziellen Falle jenes „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist“; er führte ja keinen liberalen oder politischen Kampf gegen die bestehende Obrigkeit, sondern wollte, unbekümmert um und ungestört von dieser Obrigkeit, seinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig als die Regierung waren ihm deren Feinde, denn was er wollte, verstanden beide nicht, und er hatte sie nur mit Schlangenklugheit von sich abzuhalten. Wenn aber auch kein Volksaufwiegler, kein Demagog oder Revolutionär, so war er und jeder der alten Christen um so mehr ein Empörer, der über Alles sich emporhob, was der Regierung und ihren Widersachern erhaben dünkte, und von Allem sich entband, woran jene gebunden blieben, und der zugleich die Lebensquellen der ganzen heidnischen Welt abgrub, mit welchen der bestehende Staat ohnehin verwelken mußte: er war gerade darum, weil er das Umwerfen des Bestehenden von sich wies, der Todfeind und wirkliche Vernichter desselben; denn er mauerte es ein, indem er darüber getrost und rücksichtslos den Bau seines Tempels aufführte, ohne auf die Schmerzen des Eingemauerten zu achten.

Nun, wie der heidnischen Weltordnung geschah, wird’s so der christlichen ergehen? Eine Revolution führt gewiß das Ende nicht herbei, wenn nicht vorher eine Empörung vollbracht ist!

Mein Verkehr mit der Welt, worauf geht er hinaus? Genießen will Ich sie, darum muß sie mein Eigentum sein, und darum will Ich sie gewinnen. Ich will nicht die Freiheit, nicht die Gleichheit der Menschen; Ich will nur meine Macht über sie, will sie zu meinem Eigentum, d. h. genießbar machen. Und gelingt Mir das nicht, nun, die Gewalt über Leben und Tod, die Kirche und Staat sich vorbehielten, Ich nenne auch sie die – meinige. Brandmarkt jene Offizier-Witwe, die auf der Flucht in Rußland, nachdem ihr das Bein weggeschossen, das Strumpfband von diesem abzieht, ihr Kind damit erdrosselt und dann neben der Leiche verblutet, – brandmarkt das Andenken der – Kindesmörderin. Wer weiß, wie viel dies Kind, wenn es am Leben blieb, „der Welt hätte nützen“ können! Die Mutter ermordete es, weil sie befriedigt und beruhigt sterben wollte. Dieser Fall sagt eurer Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Weiteres aus ihm herauszulesen. Es sei; Ich Meinerseits gebrauche ihn als Beispiel dafür, daß meine Befriedigung über mein Verhältnis zu den Menschen entscheidet, und daß Ich auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung von Demut entsage.

Was überhaupt die „Sozialpflichten“ anlangt, so gibt Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, also weder Gott noch die Menschlichkeit schreibt Mir meine Beziehung zu den Menschen vor, sondern Ich gebe Mir diese Stellung. Sprechender ist dies damit gesagt: Ich habe gegen Andere keine Pflicht, wie Ich auch nur so lange gegen Mich eine Pflicht habe (z. B. die der Selbsterhaltung, also nicht Selbstmord), als Ich Mich von Mir unterscheide (meine unsterbliche Seele von meinem Erdendasein usw.).

Ich demütige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, daß alle Mächte nur meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen, wie ein Jagdhund unsere Macht gegen das Wild ist, aber von Uns getötet wird, wenn er Uns selbst anfiele. Alle Mächte, die Mich beherrschen, setze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen sind durch Mich: Ich brauche sie nur nicht von neuem zu schaffen, so sind sie nicht mehr; „höhere Mächte“ sind nur dadurch, daß Ich sie erhöhe und Mich niedriger stelle.

Somit ist denn mein Verhältnis zur Welt dieses: Ich tue für sie nichts mehr „um Gottes willen“, Ich tue nichts „um des Menschen willen“, sondern, was Ich tue, das tue Ich „um Meinetwillen“. So allein befriedigt Mich die Welt, während für den religiösen Standpunkt, wohin Ich auch den sittlichen und humanen rechne, es bezeichnend ist, daß Alles darauf ein frommer Wunsch (pium desiderium), d. h. ein Jenseits, ein Unerreichtes bleibt. So die allgemeine Seligkeit der Menschen, die sittliche Welt einer allgemeinen Liebe, der ewige Friede, das Aufhören des Egoismus usw. „Nichts in dieser Welt ist vollkommen“. Mit diesem leidigen Spruche scheiden die Guten von ihr und flüchten sich in ihr Kämmerlein zu Gott oder in ihr stolzes „Selbstbewußtsein“. Wir aber bleiben in dieser „unvollkommenen“ Welt, weil Wir sie auch so brauchen können zu unserem – Selbstgenuß.

Mein Verkehr mit der Welt besteht darin, daß Ich sie genieße und so sie zu meinem Selbstgenuß verbrauche. Der Verkehr ist Weltgenuß; und gehört zu meinem – Selbstgenuß.

Anmerkungen

89. Die liberalen Bestrebungen in Deutschland. Zürich und Winterthur 1843, Heft 2., S. 91 ff. [Zitat S. 95.] (Siehe meine obige Anmerkung.)

90. Athanasius – [Athanasianum. aus dem 6. Jahrhundert (?) stammendes, im Mittelalter auf Athanasius {† 373} zurückgeführtes Symbol in 40 Sätzen über die Trinitäts- und Zweinaturenlehre, beginnt mit „Quicunque ...“ („jeder, der {selig werden will ...“}).]

91. [Eugène Sue: Les mystères de Paris. Paris 1842/43.]

92. Ludwig Feuerbach: Das Wesen des Christentums. 2., vermehrte Aufl., Leipzig 1843, S. 394.

93. [Garantien der Harmonie und Freiheit. Vivis 1842. S. 175.]

94. [Kein Zitat Weitlings.]

95. [Bruno Bauer: Die Judenfrage. Braunschweig 1843.]

96. Um Mich gegen eine Kriminalklage zu sichern, bemerke Ich zum Überfluß ausdrücklich, daß Ich das Wort „Empörung“ wegen seines etymologischen Sinnes wähle, also nicht in dem beschränkten Sinne gebrauche, welcher vom Strafgesetzbuche verpönt ist.

Fußnoten
(der Redaktion)

28*. Zweck, Erfordernis

29*. Wahrheit

30*. zuerkennen

31*. Guelfen [Welfen]: italienische Anhänger des Papstes, Gegner der Ghibellinen

32*. Ghibellinen: italienische Anhänger der Hohenstaufen, Gegner der Guelfen.

33*. splendida vitia: glänzendes Laster; Augustin († 430) für die heidnischen Tugenden.

34*. J. W. Goethe: Werke. Bd. 1, S. 155/156.

35*. aufklären, erkunden -

36*. in bezug aufKomment“: studentischer Brauch

37*. Apg. 5, 4.

38*. Glaubensgericht; Ketzerverbrennung; Verbrennung verfemter Bücher

39*. Geizhalsigkeit

40*. retten

41*. Vorbehalt in Gedanken, d. h. mehr oder anderes zu denken, als man sagt (betrifft Sünden, deren Lossprechung dem zuständigen Bischof, Ordensoberen oder Papst vorbehalten sind).

42*. römischer Hausgott; übertragen für häuslicher Herd. Wohnung, Heim

43*. Eph. 4, 6.

44*. Matth. 22, 21; Luk. 20, 25; Mark. 12, 17.

45*. Matth. 10, 16.


Zuletzt aktualisiert am 27. Juli 2017