Rudolf Hilferding

 

Barzahlung und Banktrennung

(1. Dezember 1909)


Der Kampf, Jg. 3 Heft 3, 1. Dezember 1909, S. 126–134.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Wir haben im letzten Hefte des Kampf die Gesetze der Papiergeldwährung untersucht, soweit dies zum Verständnis der tatsächlichen Gestaltung der bestehenden österreichischen Währung nötig war. Wir wenden uns nun dem Problem zu, ob durch die jetzige Einrichtung unseres Geldwesens alle Anforderungen, die an ein rationelles Geldwesen gestellt sind, bereits erfüllt sind, eine Aenderung unserer Geldverfassung unnötig wäre oder ob diejenige Bestimmung, die unser Geldwesen von dem der westeuropäischen Länder unterscheidet, ob die Suspension der Barzahlung nicht doch vielleicht einen Mangel unseres Geldsystems bedeutet. Da aber die Barzahlung nur für den internationalen Verkehr von entscheidender Bedeutung ist, dieser aber nach der Meinung der Anhänger des bestehenden Zustandes durch die Politik der Bank in viel rationellerer Weise besorgt werden kann, wenn die Barzahlungen suspendiert bleiben, müssen wir diese Politik und ihre Wirkungen jetzt des näheren untersuchen und uns vor allem der Betrachtung der Wirkungen der Devisenpolitik zuwenden.

So nützlich diese Devisenpolitik, wie wir gesehen haben, ist, man darf ihr und dem ganzen System der österreichischen Bankpolitik keine mystischen Eigenschaften andichten und Vorteile zuschreiben, die es in Wirklichkeit nicht besitzt. Das tun aber diejenigen, die in der Suspendierung der Barzahlung ein ganz geheimnisvolles Machtmittel erblicken, das die österreichische Volkswirtschaft vor jeder Entziehung ihres einmal angesammelten Goldschatzes in viel wirksamerer Weise beschützen soll, als es in Ländern mit der Verpflichtung zur Barzahlung der Fall sei.

Es gilt also die Wirkungen der Suspendierung der Barzahlungen jetzt zu präzisieren. Bisher haben wir die Zahlungsbilanz nur so weit betrachtet, als sie durch die Handelsbilanz, durch das Verhältnis von Import und Export bestimmt war. Aber die Handelsbilanz bildet nur einen Posten der Zahlungsbilanz. Diese wird ausserdem – wir führen nur das Wichtigste an – bestimmt durch Zahlungsforderungen des Auslandes an Oesterreich, die entstehen aus der Zinsverpflichtung für unsere im Ausland gemachten Schulden, Staatsschulden wie private Schulden, denen wieder Gegenforderungen für in Oesterreich placierte ausländische Werte entsprechen können. Einen wichtigen Posten bilden ferner Verpflichtungen, die aus dem Verkauf österreichischer Effekten, Staatsrenten, Aktien, Pfandbriefe ins Ausland oder umgekehrt durch Ankauf ausländischer Effekten entstehen; schliesslich diejenigen Summen, die vorübergehend aus einem Land auf das andere übertragen werden, Sendungen, die aus dem internationalen Leihverkehr entspringen. Gesetzt den Fall, in Deutschland herrsche ein Zinsfuss von sechs, in Oesterreich aber nur von vier Prozent, so werden Gelder, die in Oesterreich auf kurze Frist angelegt oder momentan unbeschäftigt sind, nach Deutschland übertragen, wo sie höheren Zins abwerfen. Es ist dies eine Bewegung, die aus der Tendenz zur Ausgleichung des internationalen Zinsfusses entspringt. Es handelt sich dabei um die Uebertragung grosser Summen, wodurch eine sonst aktive Zahlungsbilanz in eine passive verwandelt werden kann, für längere oder kürzere Zeit, je nach der Dauer, in der die Zinsfussdifferenz bestehen bleibt. Analoge Geldübertragungen können auch entstehen, wenn inländische Geldkapitalisten ihr Geld auf ausländische Börsenplätze übertragen, weil dort die Spekulation lebhafter, die Chancen für Spekulationsgewinne grösser sind als im Inland. Dieses Passivum müsste schliesslich in Gold beglichen und so der Goldschatz der Bank vermindert werden. Es ist klar, dass diese Goldübertragungen, die nur aus dem Drang des Leihkapitals entspringen, nach dem Ort des höheren Zinsfusses abzufliessen, nicht aus zwingender ökonomischer Notwendigkeit hervorgehen. Es steht um sie ganz anders als um jene Summen, die zur Begleichung der aus dem internationalen Warenaustausch hervorgehenden Verpflichtungen ins Ausland gesandt werden müssen. Es handelt sich hier um bis zu einem gewissen Grade willkürliche Bewegungen des Geldkapitals, nicht um aus Waren- oder Effektenkäufen entspringende zwingende Zahlungsverpflichtungen. Das Geldkapital könnte auch in Oesterreich bleiben, wenn es mit einer geringeren Zinsrate zufrieden wäre. Diese Bewegung unterliegt daher auch in ganz anderem Masse der Einwirkung der Bankpolitik. Das Nächstliegende ist, die Geldsummen dadurch im Lande zu behalten, dass man ihnen höheren Zins gewährt. Dies ist auch ein häufig gewähltes Mittel. Die Bank merkt aus der Entnahme von Geld, dass die Zahlungsbilanz sich verschlechtert hat; sie wirkt dem entgegen, indem sie ihren Zinssatz erhöht. Die Summen bleiben im Lande oder auswärtige Gelder werden jetzt hier angelegt. Zugleich hat eine Ausgleichung der Zinssätze stattgefunden; in Oesterreich ist der Zinsfuss sage auf fünf Prozent erhöht worden, während die nach Deutschland abgeflossenen Summen dort den Zins von sechs auf fünf Prozent herabgedrückt haben.

Die Bank kann aber auch anders verfahren. Das Hinaussenden von Geld ins Ausland muss in Form von ausländischen Zahlungsmitteln geschehen; diese sollen ja im Ausland angelegt werden. Wollen die österreichischen Geldexporteure Geld nach Deutschland senden, so brauchen sie dazu Gold oder Markwechsel. Beides können sie nur von der Bank erhalten. Müsste die Oesterreichisch-ungarische Bank ihre Noten in Gold einlösen, so könnten die Banken ihr die Noten präsentieren und das Gold ausführen; da die Barzahlung aber suspendiert ist, ist dies unmöglich und die Auswanderung österreichischen Geldkapitals muss unterbleiben. Die österreichische Bank braucht nicht durch Erhöhung ihres Zinsfusses, der für alle Leihgeschäfte massgebend ist, ihren Goldschatz schützen; das besorgt das Gesetz und die österreichische Volkswirtschaft ist vor den Folgen der Zinsfusserhöhung bewahrt auf Kosten der Leihkapitalisten, die auf das Einstreichen der Zinsfussdifferenz verzichten müssen. Natürlich kann dann die Ausgleichung zwischen dem deutschen und dem österreichischen Zinsfuss gleichfalls nicht erfolgen.

Aber man darf diesen unleugbaren Vorteil der Suspendierung der Barzahlung nicht übertreiben. Einmal muss mit aller Schärfe hervorgehoben werden, dass er den Goldschatz der Bank nur schützt gegen solche eben beschriebene und analoge Finanzoperationen. Aber gerade diese bergen meist nur geringere Gefahr. Es sind Transaktionen, die nur eine gewisse Zeit dauern und die Gewissheit bieten, dass nach einiger Zeit die Kapitalien wieder rückfliessen, also die entgegengesetzte Wirkung auf die Zahlungsbilanz ausüben werden. Allerdings können sie in einem Zeitpunkt unternommen werden, wo sie mit Rücksicht auf die Lage des inländischen Geldmarktes die Gefahr einer Krediterschütterung herbeiführen könnten. Aber eine dauernde Gefährdung des Goldschatzes bilden sie nicht und stehen damit im Gegensatz zu den anderen Posten der Zahlungsbilanz, die aus der Waren-bewegung oder aus anderen unumgänglichen Zahlungsverpflichtungen, wie zum Beispiel aus der Zinszahlung für die Staatsschuld, entspringen. Verlangen diese Posten zum Beispiel die Ausgleichung einer Deutschland günstigen Bilanz, so muss diese beglichen werden, und zwar in deutschen Zahlungsmitteln; würden diese jetzt von der Bank verweigert, so würden die Markwechsel in Wien rasch über die Parität steigen, in Berlin die Kronenwechsel unter die Parität fallen. Im Falle es sich um blosse Finanztransaktionen zur Ausnützung der Zinsfussdifferenz gehandelt hätte, hätte das Steigen der Markwechsel die Goldausfuhr verhindert; denn die höheren Kosten der Beschaffung deutscher Zahlungsmittel hätten den Gewinn der Banken aus dem höheren Zinsfuss verschlungen. Jetzt müssen aber die Zahlungsverpflichtungen erfüllt werden, soll der säumige Schuldner nicht in Bankerott erklärt werden. Stünden jetzt die nötigen deutschen Zahlungsmittel nicht zur Verfügung, so würde eben die Entwertung unserer Valuta offensichtlich. Die Bank ist also gezwungen, für diese Zwecke genau so Gold, respektive Goldanweisungen auf deutsche Plätze zur Verfügung zu stellen, wie wenn sie bar zahlte. Es sind aber nur solche, vielleicht plötzlich eintretende Verschiebungen der Zahlungsbilanz, die eine Gefahr für die Bank bedeuten können, wenn sie andauern. So könnte eine bedeutende Verschlechterung der Zahlungsbilanz durch Aenderung der Handelsbilanz infolge eines Misswachses eintreten, der uns zwingt, Getreide in grösserer Menge zu importieren, statt zu exportieren. Die Verschlechterung der Handelsbilanz müsste, wenn nicht andere Posten eine entgegengesetzte Wirkung ausüben, schliesslich in barem Gold ausgeglichen werden und die Bank müsste das nötige Bargeld (Gold) zur Verfügung stellen. Ebenso wenn etwa ein starker Rückstrom von Effekten aus dem Ausland entstünde und dafür grosse Zahlungen zu leisten wären. Jede Weigerung der Bank, diese Zahlung durch Hergabe von Gold zu befriedigen, würde unsere Valuta sofort entwerten. Hier versagt also die Suspension der Barzahlung als Mittel des Schutzes des Goldschatzes vollständig und die Bank muss genau so handeln, als wäre sie eine bar zahlende. Zum Schutze ihres Schatzes kann sie dann nur dieselben Mittel anwenden wie jede barzahlende Bank, muss also schliesslich genau in gleichem Masse zur Diskonterhöhung greifen, um ausländisches Kapital heranzuziehen, um den Kurs der Effekten zu drücken und damit dem Rückströmen dieser entgegenzuwirken.

Aber der Wert der Suspendierung der Barzahlung wird noch dadurch vermindert, dass sie auch in dem Falle, wo sie ein wirksames Mittel des Goldschutzes darstellt, durch andere, die auch die bar zahlende Bank anwenden kann, zum grössten Teile ersetzbar ist, wenn auch von diesen Mitteln in der Regel wenig gesprochen wird. Hierher gehört vor allem die Goldprämienpolitik der Bank von Frankreich, vor der die „Metallisten“, die dogmatischen Goldwährungspolitiker, einen so grossen Abscheu haben. Da in Frankreich nicht nur das Gold, sondern auch die Silbermünzen gesetzliches Zahlungsmittel sind, kann die Bank ihre Noten sowohl in Gold als in silbernen Frankenstücken einlösen. Will man die Einlösung in Gold, so verlangt dafür die Bank eventuell einen Aufschlag und diese Prämie genügt gewöhnlich, um den Goldexport zu verhindern. Andere Banken helfen sich auf andere Weise. Abgesehen von den kleineren Künsten, wie zum Beispiel Einlösung der Noten in bereits stark durch die Zirkulation abgenützten Münzen, die für Exportzwecke nur mit Verlust zu verwenden sind, da auf dem Weltmarkt das Gold nur nach dem Gewicht gemessen wird, benützen die Notenbanken ihre überragende Stellung in der Kreditorganisation, um die Banken und grossen Geldhändler am Goldexport zu hindern, etwa durch die Drohung, ihnen bei der Diskontierung ihrer Wechsel oder bei sonstigen Kreditgeschäften weniger entgegenzukommen. Alle diese Massregeln sind auch wirksam, aber nur unter einer Bedingung: der Stand der Zahlungsbilanz muss ein solcher sein, dass ein Goldabfluss nicht zur Begleichung eingegangener Verpflichtungen unumgänglich ist. " Die Notenbank kann also durch eine solche Politik, die den Zinsfuss unverändert lässt, nur dann den Goldabfluss verhindern, wenn er aus reinen Finanztransaktionen entspringt. Will zum Beispiel eine Bank des einen Landes, dessen Zinsfuss 3 Prozent beträgt, 10 Millionen Franken in einem anderen Lande anlegen, weil dort der Zinsfuss 5 Prozent, und kann sie wegen des Standes der Wechselkurse diese Anlage nur in Gold machen, so kann jede Notenbank einen solchen Goldexport verhindern; die österreichische Bank wird einfach die Hergabe von Gold verweigern und kann dies infolge der Suspendierung der Einlösungsverpflichtung ohneweiters; die Bank von Frankreich würde eine solche Goldprämie verlangen, dass der Export trotz des höheren Zinssatzes im Ausland unrentabel wird. Die Deutsche Reichsbank hätte es etwas unbequemer; aber sie würde dem Goldexporteur in freundschaftlichem Gespräch mitteilen, dass ihr eine Schwächung des Goldschatzes in diesem Moment unerwünscht wäre und der Goldexporteur weiss, dass es unklug wäre, den Unwillen des mächtigen zentralen Kreditinstituts herauszufordern. Die Bank von England aber – wird das Gold hergeben, aus dem einfachen Grunde, weil in ihrem Direktorium der Einfluss der grossen Goldhändler überwiegt. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass London der einzig wirklich freie Geldmarkt ist, was für London aber auch den Vorteil hat, das Zentrum des Goldmarktes und des Goldhandels der Welt zu bleiben.

Zweifellos ist diese Politik wirksam. Den Beweis dafür bildet die Verschiedenheit der Diskontsätze der verschiedenen Wirtschaftsgebiete. Bei der leichten Beweglichkeit des Geldkapitals wäre die Verschiedenheit der nationalen Diskontsätze längst zu einem Weltmarktssatz ausgeglichen, zumindestens aber diese Verschiedenheit weitaus geringer, würde nicht die „nationale“ Politik der verschiedenen zentralen Notenbanken diese Ausgleichung zu verhindern imstande sein. Die grösste Bedeutung in dieser Beziehung kommt der Bank von Frankreich zu mit ihrer ungeheuren Anhäufung des Goldes in ihren Kellern.

Aber diese Politik hat ihre bestimmten Grenzen. So wirksam sie bei reinen Finanztransaktionen ist, so versagt sie sofort, wenn es sich um Goldbewegung handelt, die zur Barzahlung von eingegangenen Schuldverpflichtungen aus der internationalen Waren- oder Effektenbewegung etc. entspringen. Der Unterschied ist ohneweiters klar. Ein Goldexport von 10 Millionen Franken zu Finanzzwecken wird unterbleiben, wenn die Notenbank durch das eine oder das andere Mittel dem Goldexporteur das Gold nicht herausgibt. Eine Nachfrage nach auswärtigen Wechseln wird aber dann gleichfalls nicht stattfinden; der Goldexporteur wird auf die Goldübertragung ganz verzichten; denn seine Nachfrage nach Wechseln würde den Wechselkurs so in die Höhe treiben, dass der Export sich ebensowenig lohnen würde, als wenn er etwa eine von der Notenbank geforderte Prämie zahlen müsste. Ganz anders aber, wenn zum Beispiel Pariser Kaufleute für ihnen gelieferte englische Waren Zahlungen von zehn Millionen Franken zu machen hätten und diese zehn Millionen das Passivum darstellten, das in der englisch-französischen Handelsbilanz auszugleichen wäre. Diese zehn Millionen müssen bezahlt werden, während die Goldübertragung zur Ausnützung der Zinsdifferenz eben auch unterbleiben konnte. Die Pariser Kaufleute werden also zunächst auf dem Geldmarkt Nachfrage ausüben; der Wechselkurs würde rasch über den Goldpunkt steigen; verweigerte die Bank auch jetzt die Hergabe von Gold oder setzte sie ihre Goldprämie immer weiter hinauf, so würde der Wechselkurs immer mehr über den Goldpunkt steigen, was aber nichts anderes bedeutete als eine Entwertung der französischen Valuta, die zu verhindern ja das Ziel jeder geregelten Bankpolitik sein muss. Dass die Goldprämienpolitik in Frankreich in der Regel den Goldexport verhindert, erklärt sich einfach daraus, dass die Zahlungsbilanz Frankreichs stets aktiv ist, dass also Goldexporte aus Frankreich fast stets nur reinen Finanztransaktionen dienen. Es ist nur dieser Umstand, der die Goldprämienpolitik der Bank ermöglicht, ebenso wie er die Anhäufung des Goldes in den Kellern der Bank und die Niedrigkeit und das Gleichbleiben des französischen Diskontosatzes erklärt.

Die Richtigkeit dieser Darlegungen ist geradezu experimentell erhärtet worden durch die Vorgänge auf dem Geldmarkt im Spätherbst 1907. Die Deutsche Reichsbank machte den Versuch, durch Druck auf die Banken diese vor Goldexporten abzuhalten. Zunächst mit Erfolg. Bald aber stieg der Wechselkurs auf London, Paris etc. über den Goldpunkt [1] und sofort wurden im Ausland Stimmen laut, dass die deutsche Währung aufgehört habe, eine Goldwährung zu sein und dass die Schwankungen der deutschen Valuta über die einer Goldvaluta hinausgingen. Es blieb der Reichsbank nichts anderes übrig, als durch Abgabe von Gold den Wechselkurs wieder auf das normale Niveau herabzudrücken, sollte das beginnende Misstrauen in die deutsche Währung verscheucht und damit die Erschütterung des deutschen Kredits im Auslande verhindert werden. Ganz genau dasselbe passierte aber der Oesterreichisch-ungarischen Bank, als sie zur gleichen Zeit von ihrer Befugnis, keine Barzahlung zu leisten, einen mit den Geldmarktverhältnissen nicht voll übereinstimmenden Gebrauch machte und Devisen nicht in einer die Nachfrage befriedigenden Menge zur Verfügung stellte. Auch dies hatte ein Steigen des Wechselkurses über den Goldpunkt zur Folge und schon konnte man glauben, dass das längst verschwundene Goldagio wieder drohe. Die Abgabe von Devisen in Gold machte diesem Zustand sofort ein Ende.

Aber auch die Verhinderung des Goldexportes bei reinen Finanztransaktionen findet eine Grenze an der Grösse der Differenz der Zinssätze. Ueberschreitet die Differenz ein bestimmtes Ausmass, so dass die Goldübertragung auch rentabel bleibt, wenn der Wechselkurs über den Goldpunkt hinausgeht oder, was auf dasselbe hinauskommt, auch die erhöhte Goldprämie gezahlt werden kann, so wird auch hier Goldexport eintreten müssen, soll die Schwankung der Valuta innerhalb der normalen Grenzen gehalten werden. Dann versagen die angeführten Mittel der Bankpolitik zur Verhinderung des Goldexportes und es muss Erhöhung des Zinsfusses eintreten. Das erklärt zum Beispiel, warum die Bank von Frankreich bei der Erhöhung der amerikanischen, englischen und deutschen Diskontosätze im Spätherbst 1907 auch ihrerseits mit einer Erhöhung des Zinssatzes vorgehen musste, um durch Verringerung der Differenz zwischen den eigenen und den fremden Sätzen ihren Goldbestand zu schützen. In allen anderen Fällen aber, wo der Goldabfluss nur ein aus Zahlungsverpflichtungen entstandenes Passivum der Zahlungsbilanz ausgleicht, könnte jede Verhinderung des Goldexportes nur um den Preis einer Entwertung der Valuta erkauft werden, würde er also die Vereitlung gerade jenes Zweckes bedeuten, dem die Ansammlung des Goldes dient. Es würde heissen, um des Goldfetisches willen die Funktion des Goldes vereiteln. In allen diesen Fällen kann einem Abfliessen des Goldes nur entgegengewirkt werden durch Erhöhung des Diskontsatzes, welche immer die gesetzlichen Befugnisse der Notenbank sind, ob die Bank eine bar zahlende ist oder nicht. Die Steigerung des Diskontsatzes zieht auswärtiges Kapital in das Land, senkt den Kurs der Effekten und verhindert so das Zurückströmen der Effekten aus dem Ausland und damit eine plötzliche und erhebliche Verschlechterung der Zahlungsbilanz, um nur diese wichtigsten Wirkungen der Diskonterhöhung auf den internationalen Goldverkehr zu erwähnen.

Die Suspendierung der Barzahlung und auch die Devisenpolitik der Oesterreichisch-ungarischen Bank, so nützlich und rationell die letztere durch die Ersparung unnützer Goldtransportkosten an sich ist, hat also nicht jene Bedeutung für die Herabsetzung und Niedrighaltung des Zinsfusses, die ihr manche überlreibende Bewunderer der Bankpolitik zuschreiben. Sie ist durchaus nicht imstande, die internationalen Einflüsse, die auf die Gestaltung des Wechselkurses und damit auf den Zinsfuss bestimmend wirken, auszuschalten oder auch nur in ihrer Wirkung zu modifizieren. Ebensowenig hat die Goldpolitik irgend eine Bedeutung für die Gestaltung derjenigen Faktoren, die im inländischen Wirtschaftsleben den Zinsfuss bestimmen, aus dem einfachen Grunde, weil für das Inland die spezifischen Eigenheiten der österreichischen Bankpolitik ausscheiden und die Bank hier genau die gleichen Grundsätze befolgen muss wie jede andere, wenn wir von dem gesetzlichen Unfug der Peelsakte und der amerikanischen Notendeckungsvorschriften absehen.

Nach alledem ist der Schluss auf die Bedeutung der Frage der Suspendierung der Barzahlung leicht zu ziehen. Was durch diese Befugnis wirklich geleistet wird, die Verhinderung rein finanzieller Goldtransaktionen, leisten andere Banken vermöge ihrer Machtstellung in der Kreditorganisation in gleicher Weise. Und gerade die österreichische Bank besitzt durch die systematische Ausgestaltung der Devisenpolitik eine solche Stellung auf dem Wechselmarkt, dass eine Durchkreuzung ihrer Absichten durch private Goldarbitrageure nicht zu fürchten ist. Die Aufhebung dieser Befugnis würde also auf die tatsächliche Gestaltung der Diskontpolitik der Bank ohne Einfluss bleiben.

Die Frage der Suspendierung der Barzahlung kann also an sich mit grosser Gelassenheit behandelt werden. Bloss vom Standpunkt der Valutapolitik aus betrachtet, ist die Beibehaltung oder Aufhebung dieser Bestimmung gleichgültig. Wenn also Ungarn die Beseitigung dieser Bestimmung fordert, so hat Oesterreich an sich nicht die geringste Veranlassung, für die Beibehaltung irgend eine Konzession, irgend ein Opfer zu bringen. Da die Ungarn die Fordernden sind, haben vielmehr sie für die Erfüllung ihrer Forderung Zugeständnisse zu machen.

Aber die Frage der Barzahlung hat auch noch in anderer Beziehung Wichtigkeit. Solange die österreichische Valuta nicht auch juristisch eine reine Goldwährung ist, ist der Kredit, den österreichische Effekten im Ausland geniessen, nicht der reiner Goldwährungsländer. Es fehlt unter diesen Umständen die absolute Sicherheit, dass die Verpflichtungen, die in österreichischer Währung zu erfüllen sind, immer in Gold erfüllt werden. Dies bewirkt aber, dass die Nachfrage nach österreichischen Effekten im Ausland nicht so stark ist, als wenn diese Effekten reine Goldverpflichtungen darstellten. Der Kurs der österreichischen Papiere im Ausland ist also während der Suspendierung der Barzahlung niedriger, als er bei Aufnahme der Barzahlung wäre. Das ist aber ein Nachteil, da er die ans Ausland zu zahlende Zinssumme steigert, ein Nachteil, dam kein entsprechender Vorteil gegenübersteht. Aus diesem Grunde wäre die Aufrechterhaltung der Suspendierung ein unnützer Schaden, dessen Beseitigung allerdings noch mehr im Interesse Ungarns – wegen dessen stärkerer Inanspruchnahme des auswärtigen Kredits – als in dem Oesterreichs läge.

Aber die Frage der Aufnahme der Barzahlung wird heute dadurch kompliziert, dass sie in Zusammenhang gebracht werden muss mit einer anderen, mit der Frage der Banktrennung, der Errichtung einer selbständigen ungarischen Notenbank.

Dass Ungarn die Banktrennung fordert, bliebe unverständlich, wenn diese Massregel isoliert betrachtet würde. Denn dass die Gemeinsamkeit der Bank für die ungarische Volkswirtschaft von Vorteil ist, unterliegt keinem Zweifel und wurde dies auch von allen Sachverständigen, die in der ungarischen Bankenquete vernommen wurden, übereinstimmend zugegeben, wobei wir allerdings die magyarischen Unabhängigkeitspolitiker nicht zu den Sachverständigen rechnen. Die Gemeinsamkeit der Notenbank bedeutet die Einheitlichkeit des österreichisch-ungarischen Geldmarktes, bedeutet daher, dass das österreichische Leihkapital den Ungarn zu denselben Bedingungen zur Verfügung gestellt wird wie den Oesterreichern. Der noch überwiegend agrarischen ungarischen Volkswirtschaft wird zu ihrer industriellen Entfaltung der österreichische Kapitalreichtum zur Verfügung gestellt und dies bewirkt, dass der Zinsfuss in Ungarn niedriger ist, als er wäre, wenn der ungarische Geldmarkt mit dem österreichischen nicht eine Einheit bildete. Umgekehrt bewirkt derselbe Umstand, dass der Zinsfuss in Oesterreich höher ist, als wenn Ungarn nicht einen Bestandteil des österreichischen Geldmarktes bildete.

In derselben Richtung der Erhöhung des Zinsfusses wirkt die Gestaltung der ungarischen Zahlungsbilanz. Nach den zuverlässigen Berechnungen Gaertners [2] sieht die Zahlungsbilanz Ungarns folgendermassen aus: Auf der Aktivseite steht der Ueberschuss aus der Handelsbilanz mit 40 Millionen Kronen, das heisst, Ungarn exportiert um diesen Betrag mehr ins Ausland (mit Einschluss Oesterreichs), als es importiert; dann die Edelmetallproduktion mit 13'54 Millionen Kronen und schliesslich die Geldsendungen der Auswanderer an ihre Verwandten in die Heimat mit 100 Millionen Kronen. Die Aktivseite, die den Betrag angibt, den Ungarn vom Ausland zu empfangen hat, beträgt also 153,54 Millionen Kronen. Demgegenüber stehen auf der Passivseite, die die Zahlungen angibt, die Ungarn an das Ausland zu leisten hat, folgende Posten:

Zahlungen des Staates

206,757 Millionen Kronen

Verzinsung der Bodenschuld

112,312 Millionen Kronen

Schuld der Privatbahnen

  21,345 Millionen Kronen

Warenverschuldung

  16,177 Millionen Kronen

Zinsen von sonstigen Aktien und Obligationen

  10,07   Millionen Kronen

Entnahme durch die Auswanderung

  45,00   Millionen Kronen

Summe

411,661 Millionen Kronen

Die Nachteile, die Ungarn aus der Erhöhung des Zinsfusses erwachsen, schaffen aber eine Gefahr. Bei der Macht der Grossgrundbesitzer und Grosskapitalisten über die ungarische Regierung erscheint die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass, um die Zinserhöhung zu vermeiden, die Diskontpolitik nicht energisch genug gehandhabt wird, dass der Goldabfluss infolgedessen gefährliche Dimensionen annimmt und schliesslich die Barzahlungen suspendiert werden, das heisst aber unter solchen Umständen, dass die Goldwährung zusammenbricht und die reine Papiergeldwirtschaft an ihre Stelle tritt mit allen ihren Folgen für die Entwertung der Valuta. Bei der Grösse der ungarischen Schuldverpflichtungen an Oesterreich würde das grosse Verluste für das österreichische Kapital bedeuten, das jetzt seine Forderungen in einer entwerteten Valuta beglichen erhielte. Anderseits bedeutete diese Entwertung eine Exportprämie für die ungarischen Erzeugnisse, vor allem die Agrarprodukte, die im Ausland in dem vollwertigen Gelde bezahlt werden, während die ungarischen Produzenten noch längere Zeit fortfahren würden, die Arbeitslöhne und Rohmaterialien in der entwerteten Valuta zu zahlen; zugleich eine Erschwerung des Imports nach Ungarn, da die ausländischen Produzenten mit dem Risiko rechnen müssen, ihre Waren in einer schwankenden, zu immer steigender Entwertung neigenden Valuta bezahlt zu erhalten.

Trotz allem aber wird man diese Gefahr nicht überschätzen dürfen. Gerade weil Ungarn auf den Zufluss ausländischen Kapitals unbedingt angewiesen ist, muss es darnach trachten, seinen Kredit im Ausland zu bewahren und sich nicht alle Möglichkeiten industrieller Fortentwicklung selbst abzuschneiden, indem es durch Verschlechterung seiner Valuta seinen Kredit zerstört. Gerade in dem Stadium einer halbmerkantilistischen Epoche, in der Streberepoche der staatlichen Industrieförderung werden die Tendenzen zur Aufrechterhaltung der Goldwährung wahrscheinlich die Oberhand behaupten.

Trifft aber diese Voraussetzung zu, so hat Oesterreich von der Banktrennung nichts zu fürchten, von ihr nur Vorteil zu erwarten. Für die Aufrechterhaltung der Gemeinsamkeit irgendwelche Konzessionen zu gewähren, wäre also ein ganz unverantwortliches und törichtes Beginnen, das den österreichischen Interessen durchaus zuwiderlaufen würde. Anders aber steht die Frage, wenn die Banktrennung nicht isoliert betrachtet wird, sondern als Vorbereitung zur völligen wirtschaftlichen Trennung Ungarns von Oesterreich. Und nur als solche wird die Forderung verständlich. Den ungarischen Wirtschaftspolitikern erscheinen die Nachteile der Banktrennung erträglich, weil sie hoffen, dass sie durch die Vorteile des selbständigen Zollgebietes mehr als wettgemacht werden. Der höhere Zinsfuss verliert seine Schrecken verglichen mit der Erhöhung der Profite, die die ungarischen Schutzzölle bringen sollen, der Tribut an das ausländische Kapital erscheint weniger lästig in dem Gedanken an den Ausschluss oder die Erschwerung der ausländischen industriellen Konkurrenz. Dass aber die Gemeinsamkeit der Bank bei Trennung des Zollgebietes zur Unmöglichkeit wird, leuchtet selbst den unbescheidensten Magyaren ein. Denn dass Oesterreich durch die gemeinsame Bank einem Ungarn, dessen selbständige Wirtschaftspolitik sich vor allem gegen die österreichische Industrie richtet, auch noch das nötige Geldkapital billiger und in grösserem Umfang zur Verfügung stellen sollte, als es bei Banktrennung der Fall wäre, muss selbst nach den Erfahrungen, die man mit der Preisgabe österreichischer Interessen durch die österreichische Regierung – man denke nur an den Landesverrat und Verfassungsbruch des Ministeriums Badeni-Bilinski – gemacht hat, als ausgeschlossen gelten. Da aber die Errichtung des selbständigen Wirtschaftsgebietes auch für Ungarn ein gefährliches Experiment bedeutet und krisenhafte Erschütterungen während der Uebergangszeit, so ist es das Interesse der Ungarn, nicht zwei wirtschaftliche Experimente zusammenfallen zu lassen, sondern die Trennung der Bank und die des Zollgebietes auf verschiedene Zeitpunkte zu verlegen. Deshalb bestanden ja die Ungarn bei dem letzten Ausgleich auf der Ausscheidung der Bankfrage, eine Konzession, die ihnen der leichtfertige Korytowski noch zu allem anderen zugestanden hat, und deshalb forderten sie dann mit solchem Nachdruck die Selbständigkeit der Bank. Soll aber das Ausland gegen diese selbständige Bank eines passiven Wirtschaftsgebietes nicht allzu misstrauisch werden, so muss die ungarische Bankpolitik in Uebereinstimmung gebracht werden mit der der grossen europäischen Notenbanken. Man hat nach den günstigen Erfahrungen mit der Politik der österreichisch-ungarischen Bank sich im Ausland bis zu einem gewissen Grade daran gewöhnt, in der Suspendierung der Barzahlung mehr ein Mittel der Valutapolitik als eine prinzipielle Abweichung von den Grundlagen der Goldwährung zu sehen, was ja praktisch sicher zutrifft. Das um so mehr, als man im Ausland auch in die schliessliche Aufnahme der Barzahlungen keine begründete Zweifel setzen kann. Aber dieses Vertrauen würde der selbständigen ungarischen Bank fehlen und daher die Forderung der Ungarn zur Aufnahme der Barzahlungen. Damit muss aber auch diese Massregel nur als Schritt zur Erleichterung der Lostrennung Ungarns gewertet werden und darum denselben Widerstand hervorrufen, den die Sozialdemokratie im Interesse der Lebenshaltung des österreichischen Proletariats und im Interesse der industriellen Entwicklung jeder Zerstückelung des Wirtschaftsgebietes entgegensetzen muss.

Die Entscheidung der Bankfrage kann also nicht bloss nach den Prinzipien der Bankpolitik getroffen werden. Wäre die Bankfrage für sich allein gestellt, die Ungarn hätten sie nie erhoben und die Oesterreicher brauchten mit der Antwort nicht zu zögern. So aber ist die Bankpolitik nur ein Bestandteil der Politik, die das Verhältnis zwischen Oesterreich und Ungarn überhaupt entscheiden muss, nur ein Teil jener Wirtschaftspolitik, auf die das proletarische Interesse nur eine Antwort fordert: nicht Zerteilung, sondern Vereinigung, nicht Lockerung, sondern Festigung. So wird auch die Entscheidung über die Bankfrage zu einer politischen und damit zu einer Frage der Macht. Die Einheit des Wirtschaftsgebietes ist unmöglich bei Fortdauer des Dualismus, sie ist nur zu sichern durch Erringung der Demokratie und nationalen Autonomie für den ganzen Umfang des Reiches. Andrassy, dem Pluralitätsminister, kann die Aufnahme der Barzahlung nicht zugestanden werden.

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Fussnote

1. Der Londoner Sterlingkurs von 20,60 überragte damals die Parität um 0,83 Prozent, den Goldpunkt um 0,50 Prozent.

2. Fr. Gaertner, Der österreichisch-ungarische Ausgleich, im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, XXV. Band, 1. und 2. Heft (1907), Seite 391 ff.


Zuletzt aktualisiert am 15. Mai 2023