Wilhelm Liebknecht

 

Kein Kompromiß –
Kein Wahlbündnis

 

Anmerkungen

1. Wilhelm Liebknecht war seit dem 30. August 1888 bis zu seinem Tode als Vertreter des VI. Berliner Wahlkreises, des zahlenmäßig größten deutschen Wahlkreises, Reichstagsabgeordneter.

2. Nach dem Scheitern der Umsturzvorlage (s. Anm.28) im Reichstag suchte die Reaktion den preußischen Landtag zum Abbau demokratischer Rechte zu nutzen. Am 13. Mai 1897 brachte die Regierung im Abgeordnetenhaus eine Novelle zum Vereinsgesetz ein, die das Versammlungs- und Koalitionsrecht drastisch beschneiden sollte. Dieses „Kleine Sozialistengesetz“ wurde am 31. Mai in erster Lesung angenommen und erst in zweiter Lesung am 24. Juli 1897, unter dem Druck einer machtvollen Protestbewegung, mit knapper Mehrheit von vier Stimmen verworfen. Das war der Anstoß der Diskussion um die bis dahin abgelehnte Beteiligung der Sozialdemokratie an den preußischen Landtagswahlen. Liebknecht umging in seiner Argumentation die Tatsache, daß revolutionäre marxistische Kräfte wie August Bebel und Clara Zetkin für die Wahlbeteiligung trotz des Dreiklassenwahlrechtes eintraten.

3. Gemeint ist Eduard Bernsteins Buch Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, Stuttgart 1899. In dieser Broschüre faßte Bernstein seine bereits 1896/97 in einer Artikelserie gleichen Titels in der Neuen Zeit entwickelte antimarxistische Konzeption zusammen.

4. Unter dem Pseudonym Isegrim veröffentlichte Max Schippel im November 1898 einen Artikel War Friedrich Engels milizglãubisch? in den Sozialistischen Monatsheften, die zum theoretischen Organ des Revisionismus wurden. Schippel suchte damit eine Revision der antimilitaristischen Haltung der deutschen Sozialdemokratie in die Wege zu leiten. Nach einer dadurch ausgelosten öffentlichen Polemik, der „Milizdebatte“, wies der Parteitag zu Hannover 1899 Schippels Auffassungen in einer u.a. von Rosa Luxemburg und Clara Zetkin eingebrachten Resolution als „einen Vorstoß gegen die Grundsätze der sozialdemokratischen Partei“ entschieden zurück. (Protokoll des Hannoveranischen Parteitages 1899, S.247ff.)

5. Durch eine scharfmacherische Rede Wilhelms II, in Bad Oeynhausen bereits am 6. September 1898 angekündigt und durch einen Streikerlaß Posadowskys vorbereitet, wurde am 20. Juni 1899 im Reichstag ein Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse“ eingebracht, der das Koalitions- und Streikrecht unter Androhung von Zuchthausstrafen faktisch beseitigen sollte. Gegen die „Zuchthausvorlage“ erhob sich eine breite Protestbewegung, unter deren Druck der Gesetzentwurf am 20. November 1899 im Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen abgelehnt wurde.

6. Partei des politischen Klerikalismus. Das sozial heterogene Zentrum, das sich 1870 zunächst als Sammelbecken antipreußischer und partikularistischer katholischer Kräfte gebildet hatte, wandelte sich im Zusammenhang mit der Anpassung der katholischen Kirche an die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu einer politischen Stütze des junkerlich-großbourgeoisen Herrschaftssystems.

7. Vom 22. Juni 1899 bis 28. Mai 1902 war Alexandre-Etienne Millerand Handelsminister im reaktionären bürgerlichen Ministerium Waldeck-Rousseau. Dieser bis dahin beispiellose Schritt der Einordnung sozialdemokratischer Politiker in die bourgeoise Politik und den kapitalistischen Staat („Millerandismus“) rief starke Auseinandersetzungen zwischen den marxistischen Kräften und den Opportunisten in der französischen und in der internationalen Arbeiterbewegung hervor.

8. Gemeint ist der Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der vom 9. bis 14. Oktober 1899 in Hannover tagte. Hauptpunkt der Tagesordnung war die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus (Die Angriffe auf die Grundanschauungen und die taktische Stellungnahme der Partei).

9. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten zu Hamburg vom 3. bis 10. Oktober 1897, Berlin 1897, S.214ff. August Bebel hatte eine Resolution eingebracht, die die Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen unter gewissen Bedingungen vorsah. Referent Ignaz Auer begründete diesen Standpunkt. Liebknecht als Korreferent sprach sich scharf gegen die Beteiligung an den preußischen Landtagswahlen aus.

10. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten zu Stuttgart vom 3. bis 8. Oktober 1898, Berlin 1898, S.69f. u. 161f. Der Kommissionsantrag war durch Wilhelm Liebknecht kurz begründet worden.

11. Eduard Bernstein, Die preußischen Landtagswahlen und die Sozialdemokratie, Ein Vorschlag zur Diskussion, in: Die Neue Zeit, XI. Jg. 1892/93, 2. Bd., S.772ff.

12. Unter dem Titel Die Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850 veröffentlichte Friedrich Engels 1895, kurz vor seinem Tode, vier Artikel von Marx, die 1850 in der Neuen Rheinischen Zeitung. Politisch-ökonomische Revue erschienen waren. Vgl. MEW, Bd.7, S.9ff. Engels’ Einleitung zu dieser Publikation war dessen letzte größere Arbeit. Vgl. MEW, Bd.22, S.509ff.

13. Seinerzeit vielgebrauchtes Schlagwort für die Bestrebungen, die sozialen Gegensätze zwischen der Arbeiterklasse und den Ausbeuterklassen mit Hilfe staatlicher Reformmaßnahmen zu dämpfen. Die daran anknüpfenden opportunistischen Bestrebungen wies der Berliner Parteitag 1892 nach einem Referat von Liebknecht zurück. Er erklärte staatssozialistische Auffassungen als unvereinbar mit sozialdemokratischen Positionen.

14. Gemeint ist die Politik des ADAV-Präsidenten J.B. von Schweitzer, die auf eine Annäherung der Arbeiterbewegung an den Bismarckstaat hinauslief.

15. Im Juni 1878, unmittelbar vor Erlaß des Sozialistengesetzes, machte Marx in einer Erklärung das Angebot Lothar Buchers vom 8. Oktober 1865 publik, regelmäßig Artikel für den Königlich Preußischen Staats-Anzeiger, das offizielle Regierungsorgan, zu schreiben.

16. Nach dreitägigen bewaffneten Kämpfen in Paris wurde am 25. Februar 1848 der Bürgerkönig Louis-Philippe und mit ihm die Monarchie gestürzt und durch die siegreiche Februarrevolution die Republik erzwungen. Die Februarrevolution war der Beginn der Revolution von 1848/49 in Europa.

17. Am 18. März 1848 siegte, nachdem unter dem Einfluß der Februarrevolution und der Revolution in Wien sich in mehreren deutschen Staaten die revolutionäre Krise zugespitzt hatte, die bürgerlich-demokratische Revolution in Berlin.

18. 23. bis 26. Juni 1848 in Paris. Erste offene Klassenschlacht des Proletariats gegen die Bourgeoisie, in der die Pariser Arbeiter gegen die Einschnürung der bürgerlich demokratischen Revolution und den Abbau ihrer Resultate kämpfen: provoziert durch die Schließung der Nationalwerkstätten (21. Juni 1848), die Zehntausende bitterster Not überantworteten. Der Aufstand wurde durch Militär und Mobilgarde unter Cavaignac brutal im Blut der Insurgenten erstickt.

19. Der preußische Heeres- und Verfassungskonflikt (1862-1866) entsprang einer erneuten Zuspitzung des Gegensatzes zwischen Junkertum und der in ihrer Entfaltung behinderten Bourgeoisie. Das preußische Abgeordnetenhaus setzte einer Heeresvermehrung und -reorganisation die Forderung nach zwei- statt dreijähriger Dienstzeit entgegen und verweigerte, als die Regierung darauf nicht einging, schließlich die erforderlichen Mittel. Die Bourgeoisopposition scheute jedoch vor außerparlamentarischen Kampfmitteln zurück. Bismarck, 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten berufen, führte die Heeresorganisation ohne Budget durch und brach durch außenpolitische Erfolge die Opposition der liberalen Bourgeoisie, die schließlich 1866 das Militärbudget nachträglich genehmigte (Indemnitätsvorlage). Damit war der Machtkampf mit der Bourgeoisie zugunsten der Hohenzollernmonarchie entschieden.

20. Gemeint ist der Preußisch-Österreichische Krieg 1866, mit dem Preußen Österreich, bis dahin Führungsmacht des Deutschen Bundes, aus dem deutschen Nationalverband absprengte und die Vorherrschaft gegenüber den anderen deutschen Staaten an sich riß. Mit der Inangriffnahme der „Revolution von oben“ unter Beibehaltung der politischen Herrschaft des Junkertums wurden die wichtigsten Hindernisse für die kapitalistische Entwicklung beiseite geräumt, um einer heranreifenden „Revolution von unten“ zuvorzukommen und diese zu ersticken.

21. Dreiklassenwahlrecht: durch Verordnung vom 30. Mai 1849 für die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus eingeführten, bis zur Novemberrevolution 1918 geltendes indirektes, ungleiches und öffentliches Wahlsystem. In den Urwahlbezirken wurden die gezahlten Steuern gedrittelt und danach, mit dem höchsten Steueraufkommen beginnend, die wahlberechtigten in drei Klassen aufgeteilt, die je ein Drittel der Wahlmänner wählten, welche wiederum in einem zweiten Wahlgang den Abgeordneten nominierten. Das Wahlsystem begünstigte in den Städten die Bourgeoisie, auf dem Lande vor allem die großen Grundbesitzer.

22. Die Ausführungen Liebknechts über die Diktatur des Proletariats widerspiegeln, daß es die revolutionäre deutsche Sozialdemokratie nicht vermochte, sich die Lehren der Pariser Kommune von 1871 umfassend zu erarbeiten. Liebknecht blieb damit hinter seinen eigenen Auffassungen über die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats zurück, die er 1891 in Leitartikeln des Vorwärts und 1893 in der „Zukunftsstaatsdebatte“ äußerte. Hier bekannte er sich ausdrücklich zur Diktatur des Proletariats, die er allerdings nahezu ausschließlich in ihrer repressiven Funktion begriff, und betonte, „daß, um die Verwirklichung der neuen Gesellschaft mit ihren neuen Einrichtungen zu ermöglichen, das Proletariat ..., die Gegner unschädlich zu machen hat ... im Bürgerkrieg haben wir doch nicht Friedenszustände ... wir haben ja jetzt schon so etwas wie einen gesellschaftlichen Krieg. Und im Bürgerkrieg muß die Regierung Diktatur üben, ist sie zur Diktatur gezwungen und verpflichtet.“ Vgl. „Der sozial-demokratische ‚Zukunftsstaat‘“, Verhandlungen des Deutschen Reichstages am 31. Januar, 3., 4., 6. und 7. Februar 1893, Berlin 1893, S.123.

23. Zu 53 Jahren Zuchthaus, 8 Jahren Gefängnis und 70 Jahren Ehrverlust verurteilte der Dresdener Schwurgerichtshof am 3. Februar 1899 neun Bauarbeiter aus Dresden-Löbtau, die, von einem Richtfest kommend, an einer anderen Baustelle Arbeiten zu nichtgewerkschaftlichen Tarifen zu verhindern gesucht hatten. Obwohl sie nicht Sozialdemokraten waren, wurde das drakonische Urteil aus antisozialistischen Motiven gefallt. Ein Unterstützungsaufruf der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion erbrachte bis 18. März über 88.000 M für die betroffenen Familienangehörigen.

24. Im Essener Meineidsprozeß (14.-17. August 1895) wurden sieben führende Mitglieder des Bergarbeiterverbandes zu insgesamt 19 Jahren Zuchthaus verurteilt. Mit diesem Terrorurteil, das sich hauptsächlich auf ein falsches Zeugnis eines Polizeibeamten stützte und 1911 annulliert werden mußte, sollte der Bergarbeiterverband insbesondere im Ruhrgebiet entscheidend getroffen und damit zugleich der im Entstehen begriffenen christlichen Bergarbeiterorganisation der Weg geebnet werden.

25. Am 4. Februar 1890 unterzeichnete Wilhelm II. zwei Erlasse, in denen eine Arbeiterschutzgesetzgebung und die Einberufung einer internationalen Arbeiterschutzkonferenz der Regierungen angekündigt wurden. Die Erlasse waren auf die politischen und ökonomischen Massenkampfe der Arbeiterklasse und das Fiasko des Sozialistengesetzes zurückzuführen. Unter dem Einfluß von Großindustriellen schränkte Wilhelm II. die Erlasse noch am gleichen Tag ein.

26. 1889 gegründetes Organ der österreichischen Sozialdemokratie, erschien zunächst wöchentlich, ab 1894 zweimal wöchentlich und seit 1895 täglich. Ihr erster Redakteur war Victor Adler, zu ihren Mitarbeitern zählten u.a. Friedrich Engels, August Bebel, Karl Kautsky und Wilhelm Liebknecht.

27. Anhänger einer an François Noel Babeuf anknüpfenden revolutionären utopisch-kommunistischen Lehre, die auf eine tatsächliche Gleichheit abzielte und vom utopischen Arbeiterkommunismus in den dreißiger und vierziger Jahren aufgegriffen wurde.

28. Die „Umsturzvorlage“ (Gesetzentwurf betr. Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzbuches und des Gesetzes über die Presse) wurde vom Reichskanzler Hohenlohe am 6. Dezember 1894 im Reichstag eingebracht. Mit den angedrohten Zuchthausstrafen für „Umsturzbestrebungen“ und Gefängnisstrafen für öffentliche „Angriffe“ auf Religion, Monarchie, Ehe, Familie oder Eigentum sollte sie der Polizeiwillkür Tür und Tor öffnen und die sozialistische Agitation lahmlegen. Die von der Sozialdemokratie entfachte breite Protestbewegung führte am 11. Mai 1895 zur Ablehnung der Umsturzvorlage im Reichstag.

29. s. Anm.5.

30. Eine Gesetzesvorlage Bismarcks vom 20. November 1884 hatte regelmäßige Schiffahrtsverbindungen mit Ostasien, Australien und Afrika durch staatlich subventionierte Privatunternehmen gefordert. Die opportunistische Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion war zur Bewilligung der auf jährlich etwa 5 Millionen Mark veranschlagten Subventionsmittel bereit. Die Minderheit (Bebel, Liebknecht u.a.) forderte die strikte Ablehnung nach dem Prinzip: Diesem System keinen Groschen, sie konnte sich auf die breite Parteimitgliedschaft stützen. Die Opportunisten suchten die Führung der Partei an sich zu reißen, wurden jedoch durch den marxistischen Führungskern um Bebel, der durch Friedrich Engels bestärkt wurde, und durch Massenproteste der Parteimitgliedschaft zurückgewiesen. Diese Auseinandersetzung, in der Liebknecht zunächst zu vermitteln suchte, dann aber an der Seite Bebels gegen die opportunistischen Bestrebungen energisch auftrat, endete mit einem Sieg der marxistischen Kräfte und ebnete den Weg zur weiteren Durchsetzung des Marxismus in der deutschen Arbeiterbewegung.

31. Gemeint ist die im Gothaer Programm von 1875 enthaltene, von Lassalle übernommene Phrase, wonach gegenüber der Arbeiterklasse „alle anderen Klassen nur eine reaktionäre Masse“ seien. Diese für die Strategie und Taktik, namentlich für den demokratischen Kampf und die Bündnispolitik der Arbeiterbewegung unhaltbare These wurde durch das Erfurter Programm von 1891 eliminiert.

32. Gemeint ist die gewaltsame Sprengung „gegnerischer“ Versammlungen durch die Lassalleaner. Der Versuch, auf diese Weise den Eisenacher Kongreß 1869 zu verhindern, scheiterte.

33. In Epernay trat am 13.8.1899 der Kongreß der französischen Arbeiterpartei (Guesdisten) zusammen. Die 174 Delegierten debattierten die Haltung zum Eintritt Millerands in die bürgerliche Regierung und die Möglichkeiten zur Einigung der sozialistischen Arbeiterbewegung Frankreichs.

34. Erreichte in einem Wahlkreis kein Kandidat die absolute Mehrheit (mehr als 50 Prozent der Stimmen), war ein zweiter Wahlgang, die Stichwahl, erforderlich zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen.

35. Liebknecht spricht hier von Johannes von Miquel (1828-1901). Miquel war Rechtsanwalt, Bankier und Politiker, der bis 1852 Mitglied des Bundes der Kommunisten gewesen war. Später trat er auf die Seite der Bourgeoisie über und war 1859 Mitbegründer des Nationalvereins. Seit 1867 war er Führer des rechten Flügels dr Nationalliberalen Partei. Als preußischer Finanzminister (1890-1901) war er politischer Repräsentant des Klassenbündnisses zwischen der Großbourgeoisie und dem Junkertum. Er wurde 1897 geadelt.

 


Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003